Selber schuld, wer bei «Onkel Dolf» an Adolf Hitler denkt
Ist die SVP rassistisch? Ach was! Eine kleine Übersicht über all die bedauerlichen «Missverständnisse» oder «Einzelfälle» der letzten Jahre.
Von Daniel Ryser (Text) und Helmut Wachter (Bilder), 03.09.2020
«Es ist absolut haltlos, zu sagen, dass die SVP rassistisch ist», sagte SVP-Nationalrätin Andrea Geissbühler im Juni in der SRF-«Arena» mit dem Titel «Jetzt reden wir Schwarzen». SP-Nationalrätin Samira Marti hatte der Partei vorgeworfen, strukturellen Rassismus zu befördern, und wir waren sehr froh um Geissbühlers Antwort, schliesslich hatte man doch irgendwo im Hinterkopf, dass es in der SVP einmal ein paar rassistische Äusserungen gegeben haben soll. Aber da Andrea Geissbühler Polizistin ist und somit unser Vertrauen geniesst und «Arena»-Moderator Sandro Brotz den Satz unwidersprochen liess, konnte das gar nicht falsch sein, was die Politikerin da erzählte, also schlief man nach der Sendung beruhigt ein und träumte von Doudou Diène.
Denn der damalige SVP-Sprecher Roman Jäggi musste also doch recht gehabt haben mit seiner Kritik an Doudou Diène, dem Uno-Sonderberichterstatter zu Rassismus und Fremdenfeindlichkeit. Dieser hatte 2007 die Wahlplakate der SVP, auf denen ein weisses Schaf ein schwarzes Schaf von einer Schweizer Flagge trat, als rassistisch bezeichnet und der Schweiz ein Rassismusproblem unterstellt.
«Die Schweiz, Europas Herz der Finsternis?», fragte deshalb die englische Zeitung «The Independent», was wiederum Roman Jäggi auf den Plan rief. (Verlinkt ist die spätere Publikation im «Belfast Telegraph» des ursprünglich nur gedruckten Textes.)
«Warum der Senegalese die Schweizer nicht mag?», fragte Meisterdetektiv Jäggi damals auf seiner Website in Richtung des Sonderberichterstatters und lieferte eine Auswahl möglicher Antworten nach:
womöglich,
a) «weil wir ein demokratisches Land sind?»,
oder b) «weil wir hellhäutig sind?»,
oder gar c): Wenn ein schwarzer Rassismusexperte Weisse wegen Rassismus kritisiert, dann kommt der damalige SVP-Sprecher zu dieser Schlussfolgerung: «Ist Doudou Diène vielleicht sogar rassistisch?»
Gestatten: Doudou Diène, rassistischer Sonderberichterstatter zu Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, überführt von SVP-Sprecher Roman Jäggi und SVP-Polizistin Andrea Geissbühler.
Diese sonderbare Verdrehung erinnerte einen Moment lang – durchaus etwas beunruhigend – an diese verrückten Bilder aus Deutschland, wo Menschen mit Nazisymbolen an «Corona-Demos» in Kameras brüllen, dass sie uns aus einer faschistischen Diktatur befreien wollen. Doch als sich die Stirn zweifelnd in Falten zu legen begann, bestätigte auch Alfred «Gerade die jungen Nordafrikaner aus Tunesien kommen schon als Asylbewerber mit der Absicht, kriminell zu werden» Heer im grossen Republik-Interview gerade noch rechtzeitig: «Die SVP ist keine rassistische Partei.»
Tags darauf dann doch irgendwie stutzig geworden, schnell einen Blick ins Internet geworfen und beim ersten Kaffee mal «SVP und Rassismus» und «SVP und Rassendiskriminierung» in die Suchmaschine eingegeben.
Umgehend stiess man auf eine «Blick»-Schlagzeile: «SVP-Politiker wünscht sich neuen Hitler».
Adolf Hitler neuerdings auch ein Antirassist? Nicht dass selbst diese irre Behauptung im Jahre des Herrn 2020 noch sonderlich überraschen würde.
Aber nein, so dann doch nicht. Aber alles offenbar ein Missverständnis, so die SVP-Sektion Wägital im Kanton Schwyz, nachdem ihr Vizepräsident Manuel Z. im Dezember 2019 auf Facebook geschrieben hatte: «Das einzige was wieder nach Deutschland gehört ist ein neuer Onkel Dolf».
Dass der «Blick» darunter automatisch Adolf Hitler verstand, so die SVP-Sektion, sei «mediale Hetze», völlig klar nämlich, so die Partei in ihrer Stellungnahme – wie konnte der «Blick» das nur so an den Haaren herbeiziehen –, dass mit «Onkel Dolf», der wieder nach Deutschland gehöre, selbstverständlich folgende Person gemeint war:
a) Adolf Hitler?
b) Adolf Ogi?
c) Dolf Sternberger?
Sie haben absolut richtig geraten: Selbstverständlich war mit «Onkel Dolf» der weltbekannte Politologe Dolf Sternberger gemeint, und deswegen sei das alles überhaupt gar kein Problem, so die Partei.
Und man stelle sich nun vor, der Vizepräsident einer SVP-Sektion hätte tatsächlich die Rückkehr Adolf Hitlers gefordert und nicht des Politologen Sternberger und die Ortssektion der wählerstärksten Schweizer Partei hätte sich offiziell hinter ihn gestellt?
Glücklicherweise ein Missverständnis.
Ebenfalls wohl ein Missverständnis: die Motion von SVP-Nationalrat Andreas Glarner vom Sommer 2020, Antifa als «terroristische Organisation» einzustufen (Glarner selbst war Mitglied in der in Deutschland als rechtsextrem eingestuften «Bürgerbewegung pro Köln», die 2018 aufgelöst wurde).
Ein weiteres Missverständnis: der gewalttätige Angriff eines Schwyzer SVP-Politikers aus einem Pulk Neonazis heraus auf den Teilnehmer einer Demonstration gegen Rassismus in Schwyz im April 2019. Später noch der Verdacht, dass derselbe SVP-Mann an jenem Tag zudem ein Transparent mit antirassistischem Aufdruck entwendete, das später in einem öffentlichen Video der Neonazigruppe Blood & Honour verbrannt wurde.
Ein paar Google-Klicks später hat man dann bald völlig die Übersicht verloren über rassistische Vorfälle in der SVP, der Partei der Fans von Dolf Sternberger, wo es keinen Rassismus gibt.
Dabei ist das Muster, lernt man nun schnell, immer dasselbe: alles Missverständnisse oder bedauerliche Einzelfälle, von denen sich die Partei umgehend distanziert, nachdem die Presse darüber berichtet hat.
Ein Einzelfall etwa, glücklicherweise, der Präsident der Jungen SVP Neuenburg, der den SS-Leitspruch «Meine Ehre heisst Treue» als Tattoo auf dem Unterarm trägt.
Ein Einzelfall: das tätowierte «White Power»-Zeichen seines Neuenburger Parteikollegen.
Ein Einzelfall glücklicherweise der ehemalige Chef der SVP St. Margrethen, Marcel T.: «Der Mann ist untragbar», so die eigene Kantonalpartei schliesslich, nachdem das Bundesgericht festgehalten hat, man dürfe den SVP-Politiker wegen Blog-Einträgen, in denen er Menschen anderer Ethnien «einen sehr tiefen Länder-IQ» zugeschrieben und auf Twitter ein NSDAP-Wahlplakat verbreitet hatte, als «Rassisten» und «Nazi-Sympathisanten» bezeichnen.
Glücklicherweise auch nur ein Einzelfall ist der Schaffhauser SVP-Kantonsratskandidat Claudio G., dem auf Facebook «Adolf Hitler» gefällt und der dort in Bezug auf Secondos schrieb: «Ich sage ‹Heil Hitler› wegen diesen Arschlöchern, und die werden NIE wieder angreifeifen, die hab ich so was von vermöblet, die Penner …» Und der danach an selber Stelle Musik der Neonazi-Band Stahlgewitter teilte.
Ein Einzelfall – «Ja wo denken Sie denn hin, meine Herren», wie er uns beim Hausbesuch sagte, «ich habe ja auch irgendwo das ‹Kapital› von Karl Marx im Bücherregal stehen, bin ich deswegen gleich ein Kommunist?» – die Reichskriegsflagge im Keller des später abgewählten SVP-Regierungsrats Oskar Freysinger, 2019 Wahlkampfleiter der SVP für die Westschweiz, der in ebenjenem Wahlkampf gegenüber der Republik die antisemitische Verschwörungserzählung verbreitete, seine Abwahl 2017 als Regierungsrat sei letztlich vom jüdischen US-Milliardär George Soros finanziert worden.
Einzelfall Beat M. von der SVP Solothurn (gegen den die Juso 2012 Strafanzeige einreichten) hatte auf Facebook geschrieben: «Wann wird das gottverdammte Pack endlich ausgeschafft oder standrechtlich erschossen?» Zudem forderte er «Deportationen in grossem Rahmen, auch wenn dies ungute Erinnerungen weckt».
Ebenfalls glücklicherweise Einzelfälle waren im Jahr 2011 das Mitglied der SVP Schänis, das auf Facebook den ehemaligen bosnisch-serbischen General und Massenmörder Ratko Mladić verherrlichte, oder das damals 54-jährige Widnauer SVP-Mitglied, das die Wahl-Hotline der Partei betreute und auf Facebook schrieb, man müsse Islamisten «ausrotten».
In jenen von Freysinger – dem Mann mit der Reichskriegsflagge im Keller – geführten Wahlkampf stieg die SVP im Sommer 2019 dann mit einem Plakat, dessen Motiv sie von einem «Stürmer»-Plakat der Nazis von 1931 übernommen hatte. Statt Juden, die in Form von Würmern einen Apfel aushöhlten, waren es hier «Linke und Nette».
«Missverständnis!», hiess es.
Der Tweet der Zürcher Kantonalpartei vom Sommer 2020 (der Kantonalpartei mit Historikern wie Christoph Mörgeli und Roger Köppel als Aushängeschildern), wo mit einem Foto des Holocaust-Mahnmals in Berlin, des Denkmals für die ermordeten Juden Europas, für die Begrenzungsinitiative Stimmung gemacht wird – das Betondenkmal, von der SVP zweckentfremdet als Motiv für eine drohende Zubetonierung der Schweiz: «Missverständnis!» Man habe bloss «Beton» gegoogelt, und da sei halt dieses Bild als erstes gekommen.
Und im Übrigen: Selber schuld, wer damals einen Vergleich zog zwischen dem SVP-Plakat zur Minarettinitiative und der NS-Propaganda zum «ewigen Juden».
Und bloss weil die Nazis Juden als Ungeziefer, Käfer, Ratten darstellten, habe dies, so die offizielle Argumentation der Partei, nichts damit zu tun, dass die SVP ihre politischen Gegner als Ratten bezeichnet. «Die negative Bedeutung der Ratte ist uns gar nicht in den Sinn gekommen», hiess es damals bei der SVP. Und wenn später die Nazis, wie bei den SVP-Schafplakaten durch die Neonazi-Partei NPD passiert, die SVP-Motive zurückübernehmen, dann könne man ja wirklich auch nichts dafür, im Gegenteil: Dass der Chefwerber der SVP ein Deutscher ist, sei ja eben ein Beleg dafür, dass es in der SVP keinen Rassismus gibt: Sogar ein Deutscher darf mitmachen.
Ein Einzelfall ist auch SVP-Nationalrat Jean-Luc Addor, verurteilt wegen Rassendiskriminierung. («Wir wollen mehr davon!», hatte Addor auf Twitter und Facebook geschrieben, nachdem in einer St. Galler Moschee ein Mann erschossen worden war.)
SVP-Politiker André C., verurteilt wegen Rassendiskriminierung.
(C. hatte Sprüche wie «Neger geht heim» oder «Neger raus» an Hauswände gesprayt.)
Die beiden Co-Präsidenten der Jungen SVP Bern, verurteilt wegen Rassendiskriminierung. (Auf einem Abstimmungsplakat hatten sie Fahrende pauschal verunglimpft und herabgewürdigt.)
Der Thurgauer SVP-Politiker Roland S., verurteilt wegen Rassendiskriminierung. (Der Politiker hatte Fahrende unter anderem pauschal als «Kleinkriminelle» bezeichnet.)
Martin Baltisser, ehemaliger SVP-Generalsekretär, verurteilt wegen Rassendiskriminierung. (Mit der von ihm verantworteten SVP-Inseratekampagne «Kosovaren schlitzen Schweizer auf» habe der damalige Generalsekretär eine Ethnie herabgewürdigt und zu Hass und Diskriminierung aufgerufen.)
Silvia Bär, ehemalige stellvertretende SVP-Generalsekretärin, verurteilt wegen Rassendiskriminierung. (Ebenfalls wegen der SVP-Inseratekampagne «Kosovaren schlitzen Schweizer auf».)
Der Wiler SVP-Stadtparlamentarier Mario S., verurteilt wegen Rassendiskriminierung. (Er hatte auf Facebook in Bezug auf den Islam unter anderem geschrieben: «… wann wird diese Religion endlich ausgerottet?!?»)
Der SVP-Politiker Alexander M., der auf Twitter schrieb: «Vielleicht brauchen wir wieder eine Kristallnacht … diesmal für Moscheen». Verurteilt wegen Rassendiskriminierung.
Alles Einzelfälle. Missverständnisse.
Wie das Symbol «88», in der Neonaziszene der Code für «Heil Hitler», das 2015 prominent im Video zum offiziellen SVP-Wahlkampfsong zu sehen war und über das dann das ganze Land diskutierte.
Wie die Mitgliedschaft von Alt-SVP-Nationalrat und «Weltwoche»-Redaktor Christoph Mörgeli 2015 in der geheimen Facebook-Gruppe der mittlerweile aufgelösten rechtsradikalen Gruppierung Helvetic Brothers.
Sowieso am meisten missverstanden von allen: SVP-Politiker Roger Köppel. Der 2018 in Chemnitz in seiner Zweitfunktion als «Weltwoche»-Chefredaktor inmitten einer Demonstration vom harten Kern der deutschen Neonaziszene mitlief und dabei unter anderem fotografiert wurde neben einem Neonazi mit direkten Verbindungen zum terroristischen Nationalsozialistischen Untergrund, inmitten einer Gruppe, wo gezielt Jagd auf ausländisch aussehende Menschen gemacht wurde, wie das Landeskriminalamt später in einem Bericht festhielt, und Köppel, vor Ort, wie er sagte, um sich als Journalist ein Bild zu machen, gleichzeitig der einzige Mensch auf diesem grossen, grünen, wundersamen Planeten Erde, der an jenem Tag in Chemnitz keinen einzigen Neonazi gesehen hatte, obwohl die Stadt voll war mit ihnen und Köppel direkt unter ihnen.
Weiteres Missverständnis: die St. Galler SVP-Kantonsrätin Carmen B., die 2019 auf Facebook schreibt: «Braune sind willkommen».
Einzelfall 2020: der Walliser SVP-Politiker Léo R., der im Netz Propaganda macht für die Sängerin Edelweiss 88 (Code für Edelweiss Heil Hitler), die Mitglied ist bei der militanten Neonazi-Organisation Combat 18 (Code für Combat Adolf Hitler).
Missverständnisse, immer wieder: Andreas Glarner, der sich in der Sprache wiederholt bei den Nationalsozialisten bedient, der den Uno-Migrationspakt als «Umvolkung» bezeichnet und nicht wissen will, was das alles mit Nazi-Ideologie zu tun haben soll, oder wenn er in einer Rede «Schweiz, erwache!» ruft und dabei keine Verwandtschaft sieht zur Zeile «Deutschland, erwache!» aus dem «Sturmlied» der Nationalsozialisten.
Ein blöder Zufall ist auch die folgende Episode: Nachdem Andreas Glarner auf Facebook ein Foto von Menschen mit schwarzer Hautfarbe gepostet hat, die am Bahnhof Stettbach stehen, und darunter geschrieben hat, man fühle sich fremd im eigenen Land, meldet sich in den Kommentarspalten ein Mann, der später wegen seiner Kommentare wegen Rassendiskriminierung verurteilt werden wird. Der Glarner-Anhänger schreibt, bei Schwarzen handle es sich um «B Menschen», «Es liegt ja in der natur, das die negger ein faules Volk ist», «Ihr linken hunde, dann nehmt doch die neger zu euch nach hause», «1933 beseitigte man solche probleme schnell».
Zum Glück alles Einzelfälle und Missverständnisse in der wählerstärksten Partei dieses Landes, denn wenn es keine wären, dann wäre es wirklich ziemlich schlimm.