Und täglich grüsst das Murmeltier
Oskar Freysinger warnt: George Soros instrumentalisiere die Gruppe Foraus für seine Umsturzpläne. Ein Klassiker unter den antisemitischen Theorien, kontert Nicola Forster, Gründer der Organisation. Serie «Homestory», Folge 6.
Von Daniel Ryser, Olivier Würgler (Text) und Goran Basic (Bilder), 09.07.2019
Wir sitzen im Wohnzimmer von Oskar Freysinger. Als begeisterter Anhänger des Föderalismus erzählt er uns von den verschiedenen Systemen, in denen sich ein Mensch bewegt: Körper, Familie, Quartier, Gemeinde. «Wenn einer in der Lage ist, das Naheliegende zu verwalten, dann kann man ihm auch zutrauen, das Weiterliegende anzugehen», sagt Freysinger. «Wenn Leute fettleibig sind, 150 Kilogramm schwer, und mir etwas von Ökologie erzählen, sage ich: Verwalte zuerst einmal dein eigenes Ökosystem.»
Wir blättern in seinem Gedichtband. Seine Frau, die sich während des Gesprächs zu uns gesellt hat, fragt plötzlich: «Warum lacht ihr? Ich habe gesehen, dass ihr gelacht habt!» Ein Vogel fliegt gegen die Scheibe. Sie sagt: «Er wollte sagen: Obacht!» Freysinger sagt: «Diese Scheibe ist ein Hit! Da verlieren sogar Vögel ihren Kopf.» Dann sagt er: «Meine Frau ist immer viel misstrauischer gegenüber Journalisten.» Frau Freysinger raucht eine Winston Blau in wenigen, langen Zügen. Dann fragt sie ihren Mann: «Hast du ihnen von Monsieur Soros erzählt?»
In der Tat hat uns Oskar Freysinger viel von «Monsieur Soros» erzählt. In seinem Chalet. Oder während einer Zugfahrt von Thun in ein kleines Kaff namens Môtiers im Kanton Neuenburg, wo wir gemeinsam mit ihm und Mitgliedern der Jungen SVP Romandie eine Absinth-Destillerie besucht haben.
Für Oskar Freysinger ist der US-amerikanische Milliardär überall involviert, beim Grosskapital zum Beispiel. Oder bei seiner Abwahl als Staatsrat im Wallis.
«Der Wahlkampf gegen mich wurde besonders von der Gruppe Foraus gepusht», sagt Freysinger. «Wir haben uns diese Gruppe etwas näher angeschaut und herausgefunden, dass George Soros mit seiner Stiftung Open Society Foundations einer der Hauptsponsoren von Foraus ist. Indirekt hat Soros die Flyer finanziert, die gegen mich im ganzen Kanton verteilt wurden.»
Freysinger hält die Politwelt für korrupt. Das Problem sei nicht das Schweizer System, nicht die Wirtschaft, seien nicht die Bürger. «Das Problem sind die Personen, die jetzt an die Oberfläche gespült werden», sagt er. «Das sind völlig leere Typen. Macron ist für mich ein Beispiel für jemanden, der von den Medien in wenigen Monaten aufgebauscht wurde. Eine künstliche Figur, die jenen dienen muss, die ihn bezahlt haben. Die Liste seiner Sponsoren steht ja.»
Zwei seriöse Republik-Reporter touren kreuz und quer durch die Schweiz und suchen Politikerinnen heim. Sie wollen die Demokratie retten … obwohl, nein, eigentlich wollen sie sich vor allem betrinken und dass die Politiker sie nicht mit Floskeln langweilen. Das ist «Homestory» – die Wahljahr-Serie. Zur Übersicht.
Folge 3
Protestantische Disziplin, katholischer Genuss
Folge 4
Lust for Life
Folge 5
Highway to the Danger Zone
Sie lesen: Folge 6
Und täglich grüsst das Murmeltier
Folge 7
Like a Prayer
Folge 8
Black Hawk Down
Folge 9
Brokeback Olten
Folge 10
Kommando Leopard
Folge 11
In einem Land vor unserer Zeit
Folge 12
Straight White Male
Folge 13
When the Man Comes Around
Folge 14
Die Posaune des linksten Gerichts
Folge 15
Guns N’ Roses
Folge 16
Wir Sonntagsschüler des Liberalismus
Folge 17
Alles wird gut
Folge 18
Höhenluft
Folge 19
Im Osten nichts Neues
Folge 20
Here We Are Now, Entertain Us
«Die Liste seiner Sponsoren?», fragen wir, und Oskar Freysinger zählt drei Namen auf, die alle etwas gemeinsam haben: dass sie jüdisch sind.
«Rothschild, Soros, Patrick Drahi», sagt der SVP-Wahlkampfleiter. «Sie haben investiert. Jetzt wollen sie ein Return on Investment.»
In den Protesten der Gelbwesten sieht er ein «Aufbäumen von Restfrankreich» gegen das zentralistische Frankreich unter Macrons Führung. «Aber sie werden keine Chance haben, denn ihre Gegner sind zu mächtig», sagt Freysinger. «Ihre Gegnerschaft ist die Globalisierung, das Grosskapital.»
«Was ist das Grosskapital?»
«Die Multinationalen. Thinktanks. Die emblematische Figur dafür ist George Soros. Er finanziert alles, was Nationalstaaten zerstören kann.»
«Was ist denn das Interesse von George Soros?»
«Er will einen absolut grenzenlosen Planeten.»
«Was nützt ihm das?»
«Er schafft ein Chaos. Er ist der Brandstifter, der zum Feuerwehrmann wird. Er legt das Feuer, und dann löscht er es. George Soros schwebt wahrscheinlich ein sanfter Totalitarismus vor. Wo man die Menschen zu Gutmenschen umerzieht. Toleranz auf Kosten der Freiheit. Soros fühlt sich als Weltenretter, als Gottmensch. Er verkörpert Heideggers Gestell.»
Wir treffen Foraus-Gründer Nicola Forster an der Zürcher Langstrasse in seiner grossen, hellen Dachgeschosswohnung mit Cheminée. Der Mann, der bei öffentlichen Auftritten immer Fliege trägt, zeigt uns seine Sammlung. «Eine Fliege betont mehr das Künstlerische und ist weniger Einheitsuniform, weniger dieses Businessding», sagt Forster. «Fliegen sind verspielter und passen darum zu meiner kreativen Ader. Als politisch engagierter Unternehmer bewege ich mich zwischen verschiedenen Welten. Es gibt schöne Muster. Bei einer Krawatte sehen Muster häufig kindisch aus. Ich besitze zwischen fünfzehn und zwanzig Stück.»
«Wo kann man sich schöne Fliegen kaufen?»
«Ich kann den Auerbach in Berlin beim Hackeschen Markt sehr empfehlen. Gerade gestern habe ich dort zwei wunderschöne Fliegen gekauft. Ich war dort, weil ich eine Diskussion für das Goethe-Institut moderiert habe.»
Real Talk. Der Gründer von Foraus und Mitgründer der Kampagnenorganisation Operation Libero wurde im November 2018 zusammen mit Corina Gredig zum Zürcher Kantonalpräsidenten der Grünliberalen gewählt. Während sich Operation Libero als Kampagnenmaschine gegen die SVP versteht, handelt es sich bei Foraus um einen Thinktank für aussenpolitische Themen mit vierzehn Mitarbeitern, rund tausend ehrenamtlich engagierten Leuten und einem Budget von 1,5 Millionen Franken. «So zum Vergleich: Avenir Suisse hat rund 5 Millionen. Die sind also deutlich grösser. Aber dafür, dass wir vor zehn Jahren als Studenten-Start-up begannen, haben wir inzwischen eine beachtliche Grösse.» Unabhängigkeit sei bei der Finanzierung ein zentraler Punkt: «Wir haben niemanden, der mehr als 30 Prozent zum Budget beiträgt. Das Geld stammt von Stiftungen, Privatpersonen, Mitgliederbeiträgen und vom Bund, wir haben eine Kooperation mit dem EDA. Wir sind sehr divers finanziert.»
Wir sagen ihm, dass Oskar Freysinger das anders sehe. «Freysinger behauptet, Sie seien von George Soros finanziert.»
«Ein Klassiker.»
«Stimmt es denn?»
«Nein. Voll nicht. Es ist eine klassische antisemitische Theorie: Alles, was einem nicht passt, ist von Soros finanziert.»
«Sie sind nullkommanull Prozent von George Soros finanziert? Auch nicht über eine Stiftung?»
«Nullkommanull. Wir haben nichts mit Soros zu tun.»
«Auch nicht mit seinen Open Society Foundations?»
«Nein. Aber lassen Sie mich das sagen: Die Open Society Foundations leisten insbesondere in Osteuropa wichtige Arbeit für die Erhaltung der Demokratie. Es wäre kein Verbrechen, mit ihnen zusammenzuarbeiten.»
«Was meinen Sie damit, wenn Sie sagen, es handle sich um eine klassische antisemitische Theorie?»
«Die Vorstellung, der reiche Jude im Hintergrund finanziere jene, die gegen einen sind. Diese Theorie hat bei Rechtsnationalen weltweit wieder Hochkonjunktur. In Ungarn, Russland oder auch bei Trumps Republikanern ist Soros der Lieblingsfeind. Weder Operation Libero noch Foraus sind mit einem Rappen von George Soros oder seinen Stiftungen finanziert. Es ist eine absurde Theorie, die sich leider stark verbreitet. Roger Köppel hat in einem ‹Weltwoche›-Editorial ja auch einmal Vermutungen in diese Richtung angestellt. Natürlich hat er nicht direkt geschrieben, dass wir von Soros bezahlt sind. So funktioniert das ja: Man sagt nicht, dass es so ist, weil es ja nicht stimmt, aber man munkelt, es könnte ja sein, dass es da Geldflüsse aus dem Ausland gebe. Eine klassische Verschwörungstheorie. Ziemlich übel. Und wenn man diese Theorie genug lange dreht, dann glauben es die Leute irgendwann. Dass Sie beide hier sitzen und denken, es könnte ja sein, ist kein gutes Zeichen.»