Luxus ist ein Nektarinensalat
Eine einfache Mahlzeit kann einen perfekten Tag abrunden. Und zwar deutlich besser als ein Aperitif auf einer Millionenjacht des Hochadels. Geschmacksache, Folge 5.
Von Michael Rüegg (Text) und Silvio Knezevic (Bilder), 26.08.2020
In den letzten zwei Jahrzehnten war ich an diversen Hochzeiten. Die meisten dieser Paare sind mittlerweile geschieden. In einem Fall kam es gar nicht zur Eheschliessung. Ich war als Begleitung für ein Hochzeitsfest in Dubrovnik vorgesehen, wo eine Irin einen Iren zu ehelichen gedachte. Kurz bevor wir die längere, etwas aufgestückelte Reise nach Süddalmatien antraten, trennte sich die Frau von ihrem langjährigen Verlobten, und das Fest wurde abgeblasen.
Es war eine glückliche Fügung. Die Reise traten wir dennoch an, und am vorgesehenen Tag der Hochzeit kletterte das Thermometer auf über 30 Grad. Ich war überglücklich, mir nicht im Anzug auf glühenden Pflastersteinen die Beine in den Bauch stehen zu müssen. Stattdessen nahm ich die Fähre und besuchte einen Freund aus New York, der gerade einige Tage auf der Insel Lopud Urlaub machte.
Das ist ein autofreies Eiland vor der kroatischen Küste, etwas nördlich von Dubrovnik. Mein Bekannter hatte zusammen mit seinem Gemahl Quartier bezogen im von Rosmarinsträuchern umsäumten Haus eines venezianischen Patriziersohnes, der dort jeweils übersömmert.
Lopud scheint nach Capri, Saint-Tropez, St. Barth und Hydra der neue Ort zu sein, an den die weltweite upper crust vor dem heranrückenden Pöbel geflohen ist. Die Insel ist zauberhaft und hoch exklusiv. Praktisch keine Hotels, dafür stilvolle Ferienhäuser, denen man den Luxus von aussen kaum ansieht. Mieten kann man nur eine Handvoll davon.
Die Tagestouristinnen pilgern an den grossen Strand, der Rest der Insel bleibt weitgehend unbetreten. Die wirklich sehr ungenaue Wegbeschreibung meines Bekannten erlaubte es mir, diesen Rest der Insel ausgiebig zu erkunden und mit zweistündiger Verspätung und hochrotem Kopf im Garten seines Refugiums zu erscheinen.
Nachdem ich länger kalt geduscht hatte, lagen wir den ganzen Nachmittag auf sonnengewärmten Felsen und planschten im Meer. Als wir auf die Terrasse des Hauses zurückkehrten, stand auf dem Tisch im Licht der späten Nachmittagssonne eine Schüssel Nektarinensalat, zusammen mit einer Flasche Rosé. Zu verdanken hatten wir diesen Imbiss dem (mittlerweile Ex-)Mann meines Bekannten, der Gastgeberqualitäten aufweist, die jene einer Hausherrin, einer Köchin und eines Butlers verbinden. Es war das perfekte Mahl nach einem perfekten Tag. Der venezianische Hausbesitzer konnte leider nicht mitessen, er eilte zur übertrieben grossen dreimastigen Segeljacht, die kurz zuvor in den Hafen eingefahren war. Auf Deck wartete schon ungeduldig Eigentümerin Diane von Fürstenberg auf ihren Apéro-Gast.
Assen wir ihn also ohne ihn. Diesen Nektarinensalat.
Kennen Sie das?
Das Gefühl, dass nichts, aber auch gar nichts einen Moment noch besser machen könnte?
Schon gar nicht Drinks mit einer angeheirateten Schwarzwälder Hochadligen fortgeschrittenen Alters.
So ein Nektarinensalat würde für mich eine gute Henkersmahlzeit hergeben. Weil er wirklich sehr mundet, aber vor allem, weil er diese Bilder aus meiner Erinnerung hervorkramt. Wahrscheinlich waren Sie noch nie auf Lopud. Aber von nun an fällt Ihnen beim Anblick einer Nektarine vielleicht ein, dass Sie mal dorthin möchten.
Die nackte Steinfrucht
Bereits als Kind mochte ich Nektarinen lieber als Pfirsiche. Die pelzige Haut des Pfirsichs war mir suspekt, erinnerte mich zu sehr an meine Plüschtiere. Erst mit dem Aufkommen der flachen Saturnopfirsiche legte ich meine Skepsis ab. Doch noch immer finde ich eine reife Nektarine etwas besonders Herrliches.
Die meisten Menschen wissen nicht, was eine Nektarine überhaupt ist. Sie vermuten irgendeine Kreuzung aus Pfirsich und – sonst was. Dabei ist die Nektarine bloss eine genetische Variante des Pfirsichs. Eine rezessive Mutation. Das heisst, wenn zwei zu vermählende Pfirsichbäume dieses Gen in sich tragen, wird ein Teil des Nachwuchses zur Nektarine. Gemäss Schulbuch müsste ein Viertel der Pfirsichkinder Nektarinenbäumchen sein.
Schuld daran sind die mendelschen Regeln, benannt nach dem Genetik-Pionier, der sie definiert hat. Um das zu erklären, tauschen wir den Pfirsich und die Nektarine spasseshalber mal gegen Mäuse aus: einen reinerbigen schwarzen Mäuserich und eine reinerbige weisse Mausdame. Das Schwarz-Gen ist dominant, das Weiss-Gen rezessiv. Haben die beiden Tiere als Resultat ihrer tief empfundenen Liebe vier kleine Mäusekinder, sind diese alle schwarz.
Nimmt man aber nun zwei dieser Mäuschen, Brüderlein und Schwesterlein, und tut, was man eigentlich nicht tut, nämlich: sie kopulieren lassen – dann haben sie bei vier Durchschnittsmäusekindern drei schwarze und ein weisses. Das heisst, ein Viertel der Enkel sieht aus wie die Oma. Klingt ja auch nicht ganz unlogisch, schliesslich hat Oma ein Viertel ihrer Gene für die Nachwelt zur Verfügung gestellt.
Gut, in Tat und Wahrheit ist alles etwas komplizierter. Aber es bleibt dabei, Nektarinen gibts nur, wenn beide Elternteile bereits das Nektarinen-Gen tragen. Falls Ihnen Nektarine übrigens zu hübsch klingt: Sie trägt auch den Namen «Nacktpfirsich», wir könnten sie also genauso gut Nacktarine nennen.
Weg von den Tierversuchen, zurück in die Küche. Nektarinen sind in der Regel bis September erhältlich. Die spät Reifenden stehen im Ruf, besonders süss und saftig zu sein. Ausserdem sollen Nektarinen etwas süsser sein als Pfirsiche, trotz gemeinsamer Eltern. Ich persönlich ziehe die etwas selteneren weissen vor, aber das ist Geschmacksache. Nektarinen reifen zwar nach der Ernte geschmacklich nicht nach, können aber etwas weicher werden, wenn man sie ein, zwei Tage liegen lässt. Ihnen zur Seite stellen wir Feta. Feta kann sehr gut mit Früchten, etwa auch Melonen. Wer will, kauft die balkanische oder türkische Variante, die ist oft etwas milder.
Ausserdem geben wir geröstete Mandeln dazu. Mandeln und Pfirsiche oder Nektarinen ergeben ebenfalls eine schöne Liaison. Weitaus harmonischer als all die geschiedenen Paare in meinem Bekanntenkreis. Es fehlen noch fein geschnittene Ringe von roten Zwiebeln und Basilikum. Das Dressing machen wir ohne Essig, aus Weissweinreduktion und Zitronensaft. Damit können wir getrost ein Gläschen Wein zum Salat servieren, denn Wein und Essig sind keine gute Kombo. Wer will, serviert das auf etwas schön scharfem Rucola.
Das ist er: Der Nektarinensalat «Lopud»
Als Vorspeise für 4 Personen verwenden wir: 6 grosse, reife Nektarinen, 1 Scheibe Feta, 1–2 rote Zwiebeln, 1 Strauss Basilikum, 1 dl Weisswein, Saft einer halben Zitrone, Olivenöl, eine Handvoll geschälte Mandeln, 1 TL scharfen Senf, 1 TL hellen Honig (etwa Akazienhonig), Salz und Pfeffer. Optional etwas Rucola für unten drunter.
Die Mandeln grob hacken und mit einem Tropfen Öl mittelbraun rösten.
Den Weisswein in einer kleinen Pfanne kochend auf gut die Hälfte reduzieren. Den Honig und den Senf dazugeben und mit dem Schwingbesen gut mischen, Zitronensaft dazugeben, Olivenöl beigeben (knapp gleich viel wie die bereits in der Schüssel befindliche Flüssigkeit) und rühren, bis eine vernünftige Emulsion da ist. Mit Salz und Pfeffer abschmecken.
Die Nektarinen halbieren, Stein rausnehmen und in hübsche Scheiben schneiden. Entweder in eine Schüssel geben oder auf Tellerchen drapieren (etwa, wenn man seine Gäste mag). Etwas Rucola macht sich darunter ganz gut.
Das Dressing dazu- oder darübergeben. Den mit dem Messerrücken in kleine, bröselige Würfel geschnittenen Feta, das in Streifen geschnittene Basilikum, die in feine Ringe geschnittene Zwiebel sowie die gerösteten Mandeln darübergeben.
Eventuell in einem ganz feinen Strahl noch ein Quentchen Honig über den Feta verteilen. Schwarzen Pfeffer drübermahlen und servieren.
Diesen Nektarinensalat habe ich übrigens neulich dem Republik-Kolumnisten Daniel Binswanger serviert. Er hat ihn nicht beanstandet.
Ein Gläschen in Ehren
Idealerweise stellen wir der Nektarine einen Tropfen zur Seite, mit der sie etwas anfangen kann. Eine gute Wahl wäre ein Chardonnay aus dem Südburgund oder dem Beaujolais. Im Gegensatz zur Côte de Beaune, wo die Weissweine verdammt teuer und in Holz ausgebaut sind, verfügt die Region um Mâcon herum, zu der auch die sehr gute Appellation Pouilly-Fuissé gehört, über günstigere und ungeholzte Weine. Das Klima ist etwas milder, was den Weinen einen leicht fruchtigeren Charakter verleiht. Beim Testkochen haben wir einen sonnenverwöhnten trockenen Silvaner aus Rheinhessen dazu getrunken, der dank seiner Steinfruchtnote den Flirt mit der Nektarine gut überstanden hat. Die beiden heiraten demnächst.