Aus der Mode
«Krise hatten wir schon vor Covid», sagt Sissi Zöbeli, die seit bald fünfzig Jahren im Zürcher Niederdorf Designerkleidung verkauft. Hat eine Modeindustrie, die sich selber verramscht, noch eine Zukunft? Folge 5 der Serie «Betriebstemperatur».
Von Anja Conzett (Text) und Joan Minder (Bilder), 11.08.2020
Es ist der erste Tag des Jahres, an dem die Hitze wie ein feuchtes Laken über der Stadt liegt.
Über den Strandbädern am See, den Banken am Paradeplatz und über den Gassen des Niederdorfs, durch die sich an diesem Dienstagnachmittag nur schwerfällig und kaum Leute bewegen.
Die Cafés halbleer, und auch die Shops, Lädeli und Boutiquen locken trotz Klimaanlage nur wenig Kundschaft an.
«Wir spüren noch immer das Homeoffice», sagt Sissi Zöbeli, Totenkopfring am Finger, kastanienbraunes Haar, getönte Brille, die Stimme rauchig wie ein guter Scotch. Auch ihr Laden bleibt heute fast leer. «Die meisten unserer Kundinnen wohnen nicht in der Stadt, sondern arbeiten nur hier und schauen meist nach dem Büro kurz herein.» Dass die Büros nur halbvoll seien, das merke sie am Umsatz unter der Woche. «Aber am Freitag und am Samstag holen wir das wieder rein.»
Zöbeli ist Designerin, Unternehmerin, Gründerin und Inhaberin des Modegeschäfts und Labels «Thema Selection», das seit bald fünfzig Jahren eigensinnige Designstücke in der Zürcher Altstadt verkauft.
«Thema Selection» ist legendär. So legendär, dass Autorinnen und Regisseure wie Sibylle Berg und Daniel Schmid an einem knapp zwei Kilogramm schweren Buch über die Geschichte des Ladens mitwirkten.
Unterdessen befindet sich das Geschäft an der Spiegelgasse 16, in den ehemaligen Räumen eines Nobelmetzgers. Von dieser Zeit zeugen die gekreuzten Hackebeile über den Schaufenstern, die Deckenmalereien von Festmählern und Braten, die Marmor- und Plättliwände.
Die Metzgerei ist ebenfalls zu ein bisschen Berühmtheit gekommen – zumindest ihr Gestank, über den sich seinerzeit kein Geringerer als Lenin in Briefen an die Heimat beschwerte, als er im Nachbarhaus im Exil lebte. Auch die Touristengruppen, die sonst um diese Jahreszeit Lenins Spuren folgen, bleiben heuer der Gasse fern. «Nicht dass das gute Kunden waren», sagt Zöbeli, «aber sie haben das Quartier belebt.»
Der Lockdown war das erste Mal, dass der Laden mehr als ein paar Tage geschlossen blieb – acht Wochen lang. 100’000 Franken Umsatz habe sie das gekostet, schätzt die Unternehmerin. Aber sie wolle nicht stöhnen. «Wir sind glimpflich davongekommen.»
Damit ist ihr Geschäft eine Ausnahme in der Branche.
Zur Serie «Betriebstemperatur»
Die Corona-Krise stellt die Wirtschaft auf den Kopf. Das ist auch eine Chance. Die Republik reist durch das Land und hört sich bei Unternehmen in verschiedenen Branchen um. Hier finden Sie die Übersicht aller Beiträge.
Der Handel mit Schuhen und Kleidern ist einer der vom Lockdown am meisten betroffenen Sektoren des Detailhandels. Im April sind die Umsätze im Bereich Bekleidung, Apotheken, Uhren und Schmuck im Vergleich zum Vorjahresmonat um rund 55,5 Prozent eingebrochen. Beim Detailhandel insgesamt sind es rund 20 Prozent. Immobilienhändlerinnen stufen das Insolvenzrisiko für Modegeschäfte ähnlich hoch ein wie für Gastronomiebetriebe.
Insolvenz? Nein, davor müsse sie keine Angst haben, sagt Zöbeli.
Warum nicht?
Sale Sale Sale
In fast allen Schaufenstern der Stadt hängen Schilder: Ausverkauf; 30, 40, 50 Prozent Rabatt; zwei zum Preis von einem; Sale Sale Sale.
Das Herunterschreiben der Saisonware hat dieses Jahr fast zwei Monate früher begonnen als sonst. Das ist kein gewöhnlicher Sommer-Sale – es ist ein Covid-Ausverkauf.
Bei «Thema Selection» stehen neben den Schaufensterpuppen mannshohe Pinocchio-Figuren, aber Rabatte sucht man vergebens. «Dass wir da nicht mitmachen, das haben wir entschieden, noch bevor es hier richtig losging», sagt Sissi Zöbeli.
Der Löwenanteil des Angebots von «Thema Selection» sind Zöbelis Eigenkreationen – nur wenig ist zugekauft. Wie die meisten Modegeschäfte hatte auch sie die neue Kollektion für den Sommer gerade mal zwei Wochen im Laden, als der Lockdown kam.
«Nicht wirklich motivierend, wenn du in einem vollen Laden sitzt, auf deiner Ware, und schon die nächste Kollektion machen musst», sagt die Designerin. «Das braucht dann schon noch ein gesundes Selbstbewusstsein.»
Dass sie bei der Rabattschlacht trotzdem nicht mitmacht, hat zwei Gründe: «Einerseits muss ich den Schaden begrenzen, andrerseits habe ich gute Lieferanten – teuerste Stoffe. Die vertschutte ich doch nicht einfach so.»
Dass sie bei der Rabattschlacht nicht mitmachen muss, hat drei Gründe:
«Kluge», treue Kundinnen, die gute Ware zu schätzen wissen.
Kleider, die «verheben» – mit hoher Qualität und Basic-Designs – die nicht nach einer Saison vorbei sind oder die Form verlieren.
«Regulierte Arbeitsverhältnisse.»
Beim Ausfüllen der Formulare und Anträge um Kurzarbeit und Mieterlass bei der Stadt habe sie sich bei jedem Schritt überlegt, was es bedeuten würde, hätte die Schweiz nicht all die Regulationen, die sie für Arbeitgeberinnen – aber vor allem Arbeitnehmer – hat. Zöbelis Mitarbeiterinnen haben alle einen GAV. Aber: «Gerade in Italien arbeiten Hunderttausende Praktikantinnen in der Modebranche vertragslos – da wird es einem übel.»
Gibt es in der Schweizer Modebranche viele unreglementierte Arbeitsplätze?
«Die Arbeitsbedingungen in Pop-up-Stores sind ungenügend reguliert. Und die Logistiker, die für den Onlinehandel unterwegs sind, arbeiten teilweise auch in prekären Verhältnissen.»
Die Covid-Krise kommt zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt für die Detailhändler von Schuhen und Kleidern. Seit bald zehn Jahren befindet sich der Branchenzweig im Abwärtstrend – ein Viertel der Umsätze ist gemäss der Detailhandelsumsatzstatistik des Bundes zwischen 2010 und 2019 weggebrochen, Tausende Stellen sind verloren gegangen. Auch das viel beschworene Lädelisterben trifft die Modehändler besonders hart: Gemäss dem Retailmarktbericht der Firma Immocompass ist die Zahl der Filialen im Bekleidungssektor seit 2017 um 12,5 Prozent gesunken – das sind mehr Schliessungen als bei allen andern Detailhandelsbranchen.
Besonders der Onlinehandel macht den Modeläden zu schaffen. Eine Entwicklung, die sich in Zeiten, in denen man das Haus im Zweifel besser nicht verlässt, zusätzlich beschleunigen dürfte.
Im Laden ist es weiter ruhig, Zöbeli ist hinten im Lager, das auch Büro und Werkstatt ist. Auf dem Lavabo stehen 13 angebrochene Parfumflaschen und zwei Desinfektionsmittel, im Gang stapeln sich Bücher, Bilder, Nippes und Memorabilien. Der Schreibtisch steht auf der Galerie, darauf liegen Skizzen für neue Kollektionen, Collagen, Stoffmuster – und Plastikspielzeug. Psychedelisch anmutende Rehkitze, blaue Elefanten, schräge Giraffen – 25 Stück. Es sind Sammlerstücke aus der Sowjetunion. «Mein Lockdown-Kaufrausch», sagt sie, als würde sie sich über sich selbst wundern.
Die Spielzeuge sind etwas vom Wenigen, das Zöbeli in ihrem Leben online bestellt hat. Kleider bestellt sie nie online. «Thema Selection» hat auch keinen Onlineshop. «Brauchen meine Kundinnen nicht.»
Ihre Kundinnen beschreibt die Designerin so: im Schnitt gut ausgebildete Frauen, die ihr Geld selber verdienen, früher im Studium Jeans und T-Shirt trugen, sich zwar schon da für Mode interessierten, aber das Geld lieber für anderes sparten, die irgendwann älter geworden sind und einen Job gekriegt haben, für den sie sich besser kleiden müssen und können und die sich nun Beratung von jemandem wünschen, der sich in ihre Situation hineindenken kann. Keine fashion victims. Und solidarisch.
Als der Lockdown Mitte März beschlossene Sache ist, ruft Zöbeli beim Arbeitsinspektor an und holt sich die Erlaubnis, im geschlossenen Geschäft private Dates mit einzelnen Stammkundinnen, Maske und Abstand durchzuführen. Zwei bis drei Kundinnen kann sie so in der Woche ausstatten. Sie kaufen grosszügig ein. Auch das habe dafür gesorgt, dass sie bislang glimpflich aus der Krise gekommen sei, sagt sie.
Zöbeli empfindet den Onlinehandel nicht als Bedrohung für sich selbst. Für andere – ja. Aber die Analyse, dass die Covid-Krise die Digitalisierung des Modehandels weiter vorantreiben wird und ihre Branche deshalb weiter in die Krise rutscht, greift für sie zu kurz: «Schliesslich haben teilweise auch die Onlinehändler im Bereich Mode in den letzten Monaten Minus gemacht.»
Woher kommt das?
«Man kann halt lange ohne neue Kleider», sagt Zöbeli, «das haben die Leute spätestens im Lockdown gemerkt. Und wozu neue Kleider kaufen, wenn man sowieso nur im Pyjama zu Hause sitzt?» Sie unterbricht, um eine Bekannte zu grüssen, und sagt dann: «Aber das ist nicht das grundlegende Problem, genauso wenig wie der Onlinehandel, der durchaus seine Daseinsberechtigung hat.»
Was ist das grundlegende Problem?
«Die Schweiz importiert seit Jahren Kleider, als wäre der Markt doppelt so gross, wie er ist. Viele Produkte werden direkt ohne Gewinnmarge verkauft – reine Lockvogelstrategie, denn die Nachfrage ist eigentlich längst übersättigt.»
Pause.
«Aber eben – diese Krise hatten wir schon vor Covid. Und sie betrifft auch nicht nur die Schweiz.»
Politische Mode
Der Laden ist noch immer leer, Zöbeli arbeitet in der Werkstatt weiter. Dort hängen Kleider, die sie in Brockenstuben oder auf Reisen entdeckt und mitgenommen hat, weil sie die Schnitte interessieren. In der Werkstatt demontiert sie die Stücke und nimmt die Muster ab. Der Schnitt eines Kleides ihrer aktuellen Kollektion stammt von einem indischen Kinderkleid.
Bei einem anderen Kleid stammt der Stoff aus dem Archiv eines Händlers – original Siebzigerjahre, ein stark vergrössertes, verzerrtes Blümchenmuster in Grün- und Orangetönen.
Zöbeli sagt, sie kenne die Trends, beobachte jede noch so komische Strömung – «aber dann filtere ich und ignoriere das meiste davon». Ihre Designs sollen auch Jahre später tragbar sein.
Sie zieht ein paar ihrer Kreationen hervor. Den schwarzen Tellerrock aus Satintaft, das blau-weiss gepunktete Sommerkleid im Stil der Vierziger, das bodenlange Leinenkleid, das man auf beiden Seiten tragen kann. An den Kleiderbügeln wirkt die Mode schlicht, unspektakulär.
«Meine Kleider wirken erst dadurch, dass sie getragen werden.» Deshalb arbeitet sie immer noch an zwei Nachmittagen in der Woche im Verkauf. Sie müsse die Kollektionen an der Frau sehen, sehen, wie der Stoff fällt, die Kundin reagiert.
Fragt man ihre Kundinnen, heisst es, Sissi Zöbeli macht Mode, bei der man auf der Strasse nicht wegen des Kleides zurückblickt, sondern wegen der Frau, die es trägt.
«Den Status, den ein schöner Anzug beim Mann hat – ich will immer das Gegenstück dazu für die Frau schaffen», sagt Zöbeli.
Dieser Gedanke war von Anfang an in der DNA von «Thema Selection». Mode als Instrument der Emanzipation, als Empowerment für die arbeitstätige Frau, die Anfang der Siebziger, als der Laden gegründet wird, noch immer eine Neuerscheinung ist.
Ist Mode politisch?
«Alles ist politisch. Für uns 68er sowieso. Wir glaubten damals ja, wir hätten mit allem recht», sie zieht an der Zigarette und verdreht die Augen. «Fürchterlich anstrengend! Aber damit hatten wir wohl tatsächlich recht: Das Private ist politisch.»
Sissi Zöbeli ist selbstständig, seit sie 21 Jahre alt ist. Ursprünglich will sie einmal Kindergartenlehrerin werden, doch nach der Töchternschule vergeht ihr die Lust aufs Seminar. Stattdessen geht sie nach Italien, macht ein Jahr an der «Fremdenuniversität», einer Universität für Ausländer, und landet schliesslich zurück in Zürich in der Hausbesetzerszene. Mode interessiert sie zwar überdurchschnittlich, aber es ist Zufall, dass sie dann dort Karriere macht: In einem der besetzten Häuser lernt sie Ursula Rodel und durch diese Katharina Bebié kennen. Die beiden sind Stylistinnen und Ausstatterinnen beim Globus. Zu dritt eröffnen sie ein Geschäft für Designerkleider.
Das Zielpublikum des Ladens und das Umfeld der jungen Gründerinnen stehen diametral zueinander – hier die revolutionäre Jugend, die Mode für einen luxuriösen Überbau der Bourgeoisie hält, dort die wohlhabenden Kundinnen, denen noch nicht einmal die Französische Revolution wirklich geheuer ist.
In den ersten Jahren läuft das Geschäft holprig. Doch dann publiziert die amerikanische «Vogue» in ihrer Juli-Ausgabe von 1974 eine Reisereportage zur Schweiz – und schreibt «Thema Selection» zur «IN boutique» Zürichs hoch: «truly a find». 61 Wörter, mehr sind es nicht, doch sie genügen, dem Laden zum Durchbruch zu verhelfen.
Tagsüber ein gut gehendes Geschäft für betuchte Zürcherinnen, nachts der Treff für die jungen Wilden der Siebziger- und Achtzigerjahre.
«Es klingt immer nach Sensation, wenn man zehn Jahre in ein paar Sätzen zusammenfasst», sagt Zöbeli, die als Einzige der Gründerinnen bei «Thema Selection» geblieben ist, «besonders wenn es um die Achtziger geht.» Sie schiebt mit dem Handrücken die Luft vor ihrem Gesicht weg und gibt zu verstehen, dass sie zu diesem Thema schon genug erzählt hat.
Vielleicht ist das, was sie hier und jetzt beschäftigt, aber auch einfach dringlicher. Auch wenn die Krise älter als Covid sei: «Es wird brutal werden für die Modebranche.»
Von Männern lernen
«The Business of Fashion», eine amerikanische Onlinezeitung der Modebranche, prophezeit selbst den grossen Labels von Gucci bis H&M substanzielle Umsatzeinbussen. Eine rosigere Zukunft sieht das Branchenblatt dafür in der Nische – dort, wo auch Zöbeli und ihr Laden stehen.
Warum ist die Modebranche sogar bei den Marktführern so krisenanfällig?
«Systemobsolet? Sicher.» Das übertriebene Angebot und der Konsum von Kleidern überstiegen längst die Notwendigkeit, auf die man sich in Krisenzeiten zurückbesinne. «Am Ende landen wir bei der grossen Wachstumsfrage.»
Sie schüttelt ratlos den Kopf. Nach einer Pause: «Wir von der Modebranche waren ja die Ersten, die das Suchtpotenzial bei alltäglichen Konsumgütern entdeckt und bewirtschaftet haben. Für diese durchgeknallte Vorstellung von exponentiellem Wachstum, die uns jetzt einholt, sind wir mitverantwortlich.»
Reich sei sie mit ihrem Laden nicht geworden, sagt Zöbeli. Sie verdiene nicht besser als ein mittelprächtiger Angestellter, «aber ein eigenes Ding durchzuziehen – das ist ein grosser Lustgewinn. Das entschädigt für viel.»
«Thema Selection» macht seit jeher zwei Kollektionen pro Jahr – Frühling/Sommer und Herbst/Winter – 12 bis 15 Stücke pro Serie gibt es, mehr nicht.
Die Modebranche hat sich demgegenüber in den letzten Jahrzehnten extrem beschleunigt. Unterdessen sind bis zu acht Kollektionen pro Jahr Standard – Frühling, Sommer, Herbst, Winter und vier Zwischenjahreszeitenkollektionen.
«Fast Fashion» nennt sich das Geschäftsmodell der Discounter, gemäss dem ständig neue Ware in den Laden gespült wird, um neue Kaufanreize zu schaffen. «Trashige Fähnli, die unter himmeltraurigen Bedingungen für Mensch und Umwelt hergestellt werden», nennt sie Zöbeli.
Jetzt nach Covid und Lockdown sitzen alle auf vollen Lagern. Mehr noch als sonst.
Seit Jahren behaupten NGOs, dass übrig gebliebene Kollektionen verbrannt werden – von Discountern, aber auch von Edellabels. Diese weisen die Vorwürfe zurück.
«Es ist zu befürchten, dass das Gerücht wahr ist», sagt Zöbeli. «Sogar ich gebe die wenigen Kleider, die vorig bleiben, irgendwann vergünstigt raus, einfach erst ein Jahr später. Wenn ich beobachte, dass gewisse Luxusmarken gar nie Ausverkauf haben … da frage ich mich schon, wohin die Ware verschwindet.»
Wo wird die Krise der Modebranche am härtesten zuschlagen?
«Dort, wo die Zustände am schlimmsten sind. In den Textilfabriken in Asien; Indien, Bangladesh. Die ersten Produktionsaufträge wurden bereits storniert – die Krise wird abgewälzt.»
Die meisten Stoffe, die Zöbeli verwendet, stammen aus Italien oder Schottland. Ihre Kleider lässt sie zu einem grossen Teil in Zürich, Italien und Ungarn nähen, früher auch im Tessin, «aber die nehmen unterdessen keine Aufträge mehr von so Kleinen wie mir. Rentiert nicht mehr.»
Viele ihrer Fabrikanten und Produzenten sind Familienbetriebe, zu denen sie jahrelange Geschäftsbeziehungen pflegt. Auch das mache sie krisenresistent: nicht nur auf die Qualität der Produkte, sondern auch auf diejenige der Produzenten zu achten.
Was muss die Modebranche tun, damit sie krisenresistenter wird?
«Entschleunigen. Radikal.»
Wie?
«Die Mode muss von den Männern lernen.»
Zöbeli verwendet für ihre Frauenkleider oft Männerstoffe, arbeitet mit Männerschneidern zusammen. Männermode sei widerstandsfähiger, die Männerfabrikation viel gründlicher, sorgfältiger, langsamer gewachsen. «Männer wollen nicht alle sechs Monate etwas Neues – allein die Stoffe, die für ihre Kleidung verwendet werden, sind kaum zu töten.»
Doch sie beobachtet auch bei der Männermode die ersten Anzeichen von Beschleunigung – breitere Angebote, billigere Stoffe, markantere Farben und Muster, die in der nächsten Saison vielleicht schon wieder untragbar sind. «Vielleicht hat die Männermode einen positiven Einfluss, vielleicht ist auch dort bald alles so wie bei den Frauen. Wir werden sehen, welcher Trend sich durchsetzt.»
Könnten Covid und die Entschleunigung, die zwangsläufig damit einhergegangen ist, einen Einfluss auf den Ausgang dieses Rennens haben?
«Weiss ich nöd», sagt Zöbeli. Was ihr aufgefallen ist: «Viele haben im Lockdown den Kleiderschrank ausgemistet, alte Stücke neu entdeckt. In solchen Momenten schätzt man dann natürlich gute Ware, die zeitlos ist und lange hält.» Vielleicht der Anfang einer Rückbesinnung auf das Wesentliche? «Gewohnheiten zu ändern, dauert lange. Das ist wie eine rehab – clean aus der Klinik zu kommen, ist erst der Anfang.»
Sie nickt mit dem Kopf in Richtung einer Gruppe junger Männer, die auf dem Platz unter ihrem Laden einen Fussball herumgehen lassen – sie tragen Trainerhosen mit Streifen, Turnschuhe, bunte T-Shirts. «Wahnsinn, wie modisch diese Burschen sind.» Den fragenden Blick beantwortet Zöbeli mit einem kurzen Exkurs in die jüngere Modegeschichte:
Ende der Achtziger und Anfang der Neunziger eroberten Street- und Sportsware die High Fashion. Die Wurzeln der legeren Kleidungsstile liegen im Hip-Hop und im Basketball. Zwei Disziplinen, die in den USA bis heute von Schwarzen dominiert werden und in denen damals viele junge Afroamerikaner ihre einzige Chance sahen aufzusteigen, es zu schaffen – entsprechend ihren Idolen kleideten sich die Kids der Innenstädte.
«Es ist immer die Strasse, die die Mode macht», sagt Zöbeli. «Jeder gesellschaftliche Wandel, der dort passiert, setzt sich früher oder später bei uns in der Branche durch.» Sie zuckt die Schultern. Die heranwachsende Generation – die Generation Z –, die gefällt ihr. Herrlich wütend seien sie, und grossartig bewusst. «Das wird Impact haben. Irgendwann.» Sie lächelt. «Bin gespannt, wie es weitergeht.»