Geschmacksache – Folge 3

Wer hier an Frühstück denkt, liegt völlig daneben: eine der so unzähligen wie empfehlenswerten Variationen mit Carnaroli-Reis.

Geschmacksache

Risotto aus dem Früchtekorb

Mittelkornreis ist enorm flexibel. Werden seine Prinzipien respektiert, geht er auch mit Erdbeeren eine sinnstiftende Beziehung ein. Geschmacksache, Folge 3.

Von Michael Rüegg (Text), Robin Kranz (Bilder) und Volker Hobl (Foodstyling), 22.07.2020

Es war der Sommer 2002. Ein Mensch stand in meiner Küche und rührte in der Pfanne. «You need to stir constantly», kommentierte er sein Handeln.

In der Pfanne befanden sich Carnaroli-Reis, angeschwitzte Zwiebeln, klein geschnittene Erdbeeren und reduzierter Champagner. Vielleicht war es auch Prosecco – damals hatte ich den Unter­schied noch nicht ergründet.

Die Zutaten waren mir etwas suspekt, aber der Mensch, der mit ihnen hantierte, schien sein Hand­werk zu beherrschen. In regel­mässigen Abständen goss er Bouillon nach, nie zu viel, immer so, dass die Körner nicht ins Schwimmen kamen.

Der «Strawberry Champagne Risotto», den ich schliesslich auf dem Teller hatte, schmeckte vorzüglich. Mit dem Mahl hatte der Mensch sich einen Platz in meinem Herzen erkocht. Fünf Monate später zogen wir in eine gemeinsame Wohnung, deren Herz­stück eine Küche war. Fortan luden wir zu jeder Gelegen­heit Freunde zum Essen ein, wobei ich jeweils eine Vorspeise sowie die Fleisch­gerichte, er die zweite Vorspeise und das Dessert zubereitete. Nach anfänglichen Konflikten harmonierten wir wunderbar in der Küche.

Ausserhalb der Küche harmonierten wir nicht so wunderbar. Nach drei Jahren teilten wir die angesammelten Küchen­geräte zwischen uns auf und gingen getrennter Wege. Er liess sich später in Texas zum Patissier ausbilden und heiratete in Los Angeles einen angehenden Kiefer­chirurgen, also eine wesentlich bessere Partie, als ich es je sein werde. Ich hatte als Folge ungezählter dinner parties meine Kompetenzen stark erweitert. Und in kulinarischer Hinsicht war dies die mit Abstand schönste Beziehung meines Lebens.

Ein Universalgericht

Seine Risottos waren eine grosse Inspiration für mich. Er war der Meinung, dass sich aus so ziemlich allen pflanzlichen Zutaten ein Risotto machen liesse, ganz egal, ob Gemüse oder Frucht. Ich tendiere dazu, ihm beizupflichten. Als Beweis führe ich seinen Erdbeer-Champagner-Risotto ins Feld.

Daneben gibt es aber noch diverse weitere, zauberhafte Risotto-Variationen, mit denen sich experimentieren lässt, wenn die Bereit­schaft vorhanden ist, sich auf die Kombination von Reis und Früchten einzulassen:

  • Der Apfel-Fenchel-Risotto oder für Fleisch­nostalgiker der Apfelrisotto mit Estragon und gebratenen Speckstreifen

  • Der Birnenrisotto mit Gorgonzola und grob gehackten gerösteten Haselnüssen

  • Der Risotto mit Saturno-Pfirsich und frischen Steinpilzen

  • Der Melonen-Risotto mit gebratenem Parmaschinken

  • Als Hommage an Spanien ein Risotto mit Peperoni und Chorizo, abgelöscht mit trockenem Sherry

Bislang nicht ausprobiert habe ich meine Idee von Blaubeere und gebratenen Reh­streifen sowie – aus naheliegenden Gründen – den Toast-Hawaii-Risotto mit Ananas, Bein­schinken und Raclette­käse. Falls ich letzteren je kochen sollte, bestehe ich darauf, im Anschluss öffentlich ausgepeitscht zu werden.

Ein Grundprinzip mit Variations­möglichkeiten

Wichtig ist bei all diesen Variationen, dass bei der Haupt­zutat kein Kompromiss eingegangen wird: Es muss Risotto­reis erster Güte sein. Bei den gehackten Zwiebeln können Sie entscheiden, ob Sie sie glasig schwitzen oder leicht anbräunen wollen. Je nachdem, was sonst noch ins Risotto kommt, passt das eine oder das andere besser. Einfluss aufs Resultat hat auch die Wahl des Koch­weins. In der Regel ist das ein trockener Weisser, doch auch Rotwein, Apfel­wein oder Birnen­most ist denkbar. Selbst mit Frucht- und Gemüse­säften lässt sich experimentieren, etwa mit ungesüssten Direkt­säften wie Cranberry, Granat­apfel, Heidelbeere.

Einige Köchinnen schwören darauf, unabhängig von der angepeilten Menge mindestens eine Flasche Wein zu verwenden. Ich würde als Faust­regel bei vier Personen von einer halben bis einer Flasche (0,75 l) ausgehen. Rezepte, in denen von kümmerlichen 1,5 dl Weiss­wein die Rede ist, werfe ich arrogant lachend in die Mülltonne.

Betrachten wir den Reis mal nicht als Haupt­zutat, sondern als Träger­masse. Dann setzt die geschmackliche Haupt­zutat, allenfalls im Plural, den wichtigsten Akzent des jeweiligen Risottos. In der Mehrheit der Risottos auf den Speise­karten Europas ist das irgendein Gemüse oder Pilze. Die Haupt­zutat gelangt meist vor dem 18-minütigen Rühren in die Pfanne, kann aber auch später oder in zwei Gaben dazustossen.

Das Grundprinzip ist immer dasselbe: Zwiebeln anschwitzen, Reis dazu, ablöschen, Zutat(en) hinein, rühren, Bouillon nach­giessen, rühren. Und so fort. Am Schluss ein Stück Butter und geriebener Parmesan hinein, und, wer mag, ein kleiner Schluck Grappa oder Frucht­­brand sowie Kräuter, Pfeffer, Salz. Der Parmesan kann durch einen anderen Hart­käse ersetzt werden, wenn es einen guten Grund dafür gibt. Im Falle unserer Frucht­risottos kann ein Teil der Früchte nach dem Ablöschen zugegeben werden, der Rest kurz vor dem Servieren. Dadurch werden unter­schiedliche Konsistenzen erlangt.

Der Risottoreis und seine Eigenschaften

Für Risotto verwendet man Mittelkorn­reis. Den besten Ruf hat Carnaroli, bekannt sind auch Arborio und der als etwas bon marché verschriene Vialone. In hiesigen Feinschmecker­kreisen ist etwa auch der Aquarello-Reis bekannt, bei dem es sich um einen besonders hoch­preisigen gealterten Carnaroli handelt.

Diese Sorten teilen die Eigen­schaft, dass sie bei Reibung in der Pfanne viel Stärke abgeben und bei geeigneter Koch­zeit bissfest bleiben. Wünscht man einen etwas flüssigeren Risotto, reicht es also, weniger manisch zu rühren.

Damit hätten wir uns ausreichend den grund­legenden Fragen gewidmet und können nun zur Tat schreiten. Vorausgesetzt, es ist noch immer Erdbeer­saison. Glücklicher­weise erstreckt die sich ja selbst bei inländischer Ware von Mai bis Mitte Herbst.

Erdbeer-Champagner-Risotto: Das Rezept

Zutaten (gerechnet für 4 Personen als Haupt­gang): 400 g bester Risotto­reis, 1 Schale Erdbeeren (250 g), zwei Schalotten, 1 Flasche Champagner, 1 l Gemüse­bouillon, ein Stück Parmesan, Crème fraîche, ein paar Blättchen Basilikum

  • Einige Stunden vor der Zubereitung zwei Drittel der Erdbeeren in kleine Würfel schneiden und mit dem Inhalt von etwas mehr als der halben Flasche Champagner in einer Schüssel in den Kühl­schrank stellen.

  • Etwa einen Liter heisse Bouillon in einer separaten Pfanne bereitstellen.

  • Am besten in einer beschichteten Brat­pfanne mit hohem Rand die fein gehackten Schalotten in etwas Öl bei mittlerer Hitze glasig werden lassen.

  • Hitze hochstellen, Reis dazugeben, rühren. Nach kurzer Zeit abgeseihten Champagner aus der Schüssel mit den Erdbeeren dazugiessen, Temperatur wieder leicht zurück­stellen, etwas einkochen lassen. Dann die eingelegten Erdbeeren dazugeben.

  • Ab jetzt wird viel gerührt. Dazu eignet sich ein Pfannen­wender oder Spatel aus Holz am besten, vor allem in beschichteten Pfannen. Schauen Sie, dass Ihre Gäste anderweitig beschäftigt sind, drücken Sie Ihnen, wenns sein muss, Alben mit Ihren Baby­fotos in die Hand. Der Reis benötigt nun Ihre volle Aufmerksamkeit.

  • Falls Sie den restlichen Champagner noch nicht ausgetrunken haben, geben Sie gegen Ende der Garzeit den einen oder anderen Schluck dazu, je nach Geschmack.

  • Von den übrig gebliebenen Erdbeeren einige zu Deko­zwecken heraus­picken, den Rest in kleine Würfel schneiden und kurz vor Schluss in den Risotto unterrühren. Kurz bevor der Reis mutmasslich perfekt al dente ist, noch einmal etwas Bouillon dazugeben und ein grosszügiges Stück Butter sowie geriebenen Parmesan einrühren. Der Reis zieht bis zum Servieren noch etwas nach, also lieber eine Minute zu früh als zu spät.

  • Vor dem Servieren je nachdem noch einmal etwas Bouillon einrühren, falls die Konsistenz zu pampig erscheint. Mit Fleur de Sel und frisch gemahlenem schwarzem Pfeffer (ein Freund der Erdbeere!) abschmecken.

  • Risotto auf Suppen­teller verteilen, fein geschnittenes Basilikum drüber­streuen und, weils so schön kitschig ist (Stichwort: strawberries and cream), mit flüssig gerührter Crème fraîche ein Muster draufzeichnen. Mit vier schönen Erdbeeren schmücken.

Ein Tröpfchen dazu

«Wo Reis ist, ist Armut», lautete eine der Lieblings­weisheiten meines Vaters. Er trug sie jeweils mit gekräuselten Lippen vor, wenn Mutter Reis auftischte. Einer seiner liebsten Verse wiederum lautete: «Das Trinken lernt der Mensch zuerst, viel später erst das Essen. Drum soll er auch aus Dankbar­keit das Trinken nicht vergessen.»

Zu unserem Risotto können wir, da wir ja etwas tacky unterwegs sind, einen frucht­betonten Rosé servieren, beispiels­weise einen Œil de Perdrix aus heimischen Gefilden, der aus Pinot-noir-Trauben gemacht wird und daher im Idealfall nach Erdbeeren duftet. Schöne Rosés findet man auch im Süden Frankreichs, Bandol, Côtes du Rhône oder Côtes de Provence. Auch mit einem Rosé-Champagner liegen Sie hier goldrichtig. Das ist meist ein zu 100 Prozent aus Pinot noir gekelterter Schaum­wein, der unter Zugabe eines Schlückleins Rotwein nicht nur seine Farbe ändert, sondern auch einen mirakulösen Preisanstieg erfährt.

Geschmacksache

Sie lesen: Folge 3

Risotto aus dem Früch­te­korb

Folge 4

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Nek­ta­ri­nen­sa­lat

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Cannelloni

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Macadamia Nut Pie

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Ki­cher­erb­sen zum Apéritif

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Mapo-Tofu

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Kartoffeln mit bunten Saucen

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Weih­nach­ten in Zeiten ku­li­na­ri­scher Monogamie

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Mu­schel­pa­sta

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Mohnkuchen

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Boeuf Bour­gu­i­gnon

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Chipotle Suppe

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Orec­chiet­te mit Cima di Rapa und Salsiccia

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Cholera

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Baba au Rhum

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Grünes Curry

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Paneer mit einer Tomaten-Butter-Sauce

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Mi­ni­ma­li­sti­sche Ki­cher­erb­sen­sup­pe