Staatshilfe nur für die Grossen
In profitableren Zeiten schimpfen Wirtschaftsvertreter gerne auf den Staat – in der Krise darf er dann zahlen. Nur nicht an Selbstständige.
Von Olivia Kühni, 22.06.2020
Ende Mai zog der Bundesrat die Notbremse. In einer Mitteilung, der man den Schrecken ansieht, informierte er, dass er dem Parlament einen «ausserordentlichen Nachtragskredit» über 14,2 Milliarden Franken für die Arbeitslosenversicherung (ALV) beantragt habe. Der Grund: Schweizer Unternehmen hatten derart ausgiebig Kurzarbeit bezogen, dass die ALV ohne eine sofortige Geldspritze so tief in die roten Zahlen fallen würde, dass sie einen Sanierungsplan bräuchte.
190’000 Unternehmen hatten sich gemeldet, fast 2 Millionen Angestellte bezogen ihren Lohn teilweise vom Staat. Das sind 37 Prozent aller Arbeitnehmerinnen.
Mit anderen Worten: Zehntausende Firmen, die zuvor über Jahre hinweg Gewinne schrieben, Dividenden auszahlten, je nach Branche auch noch Subventionen zogen, sahen sich ohne staatliche Unterstützung offensichtlich nicht in der Lage, ihre Arbeitnehmer für ein paar Monate durch die Krise zu tragen. Derselbe Staat, der sonst gerne lautstark beschimpft und zu grösstmöglicher Zurückhaltung angehalten wird, musste einspringen.
Wie heisst es so schön? Den Gewinn der Firma, das Risiko dem Staat. Es ist das älteste Erfolgsrezept der Welt.
Der etwas gar enthusiastische Run auf die Kurzarbeit ist an sich nicht tragisch. Schliesslich zahlt man ja ALV-Beiträge, Abgaben und Steuern unter anderem genau dafür, dass der Staat Planungssicherheit schafft, manche Risiken auffängt und im Notfall Rückendeckung gibt. Nur in einem funktionierenden Staat – das geht gerne vergessen – können sich Unternehmerinnen auf ihr Geschäft konzentrieren. Ausserdem: Schwamm drüber! Grosszügigkeit in der Krise lohnt sich. Das Ziel von Kurzarbeit ist schliesslich nicht Fairness, sondern die Konjunktur zu stützen und Massenarbeitslosigkeit zu verhindern.
Ärgerlich daran ist nur, dass diese Nonchalance ganz offensichtlich nicht für alle gilt.
Am exakt selben Tag, an dem der Bundesrat über den nachträglichen Milliardenkredit für die Kurzarbeit informierte, verkündete er noch etwas anderes: dass nämlich Einzelunternehmer innerhalb von rasant knappen 10 Tagen kein Anrecht auf Kurzarbeit mehr hätten – Selbstständigen waren die Taggelder bereits kurz zuvor gestrichen worden. Bis heute gibt es für beide keine Lösung.
Grosszügigkeit in der Krise gilt also offenbar nur, wenn es um Grosse geht. Für die Kleinen gilt die viel beschworene Eigenverantwortung.
Es waren schliesslich die Sozialdemokratinnen, die die sogenannt wirtschaftsfreundlichen Parteien daran erinnern mussten, dass zur Wirtschaft auch jene 1,5 Millionen Menschen gehören, die in Mikrofirmen oder als Selbstständige arbeiten, und sich dafür einsetzten, dass zwei entsprechende Motionen zur Verlängerung der Unterstützung so schnell wie möglich behandelt werden.
Es waren sie, nicht die Liberalen, die mahnten, dass eine grosszügig ausgeschüttete Staatshilfe an Private eigentlich an Bedingungen geknüpft sein müsste – und vergeblich ein Dividendenverbot bei Kurzarbeit vorschlugen.
Und es waren wiederum sie, die am stärksten darauf pochten, dass auch private Vermieter, nicht nur der Staat, einen Teil der Krisenhilfe stemmen und auf einen Teil ihrer Einnahmen verzichten sollten.
Vielen Bürgerinnen dürfte das nicht entgangen sein.
Hinweis: In einer früheren Version schrieben wir, die Motionen zur Verlängerung der Unterstützung seien von der SP eingereicht worden. Korrekt ist: Sie wurden von der Kommission für soziale Sicherheit des Nationalrats eingereicht. Wir entschuldigen uns für den Fehler.