Die Krise der Kleinen
Einen Monat nach Lockdown-Beginn hat der Bundesrat die Nothilfekriterien für die Wirtschaft massiv ausgeweitet. Ein Blick in die Statistiken zeigt: wohl keinen Moment zu früh.
Von Olivia Kühni, 20.04.2020
Kleinunternehmen halten die Wirtschaft und den Alltag lebendig. Wie ein Leben ohne Wirtinnen, Blumenverkäufer, Reparaturwerkstätten oder Physiotherapeutinnen aussehen würde, liessen die Lockdown-Wochen viele Menschen erahnen. Vor allem aber sind die Kleinsten eine wichtige volkswirtschaftliche Grösse: rund 9 von 10 Unternehmen in der Schweiz sind Mikrofirmen mit weniger als 10 Angestellten. Sie beschäftigen mehr als 1,1 Millionen Menschen. Hinzu kommen rund 380’000 Selbstständige, die ihre Tätigkeit nicht als Firma (also weder AG noch GmbH) organisiert haben, sondern einfach persönlich direkt abrechnen.
Insgesamt heisst das: Über 1,5 Millionen Menschen in der Schweiz arbeiten auf eigene Rechnung oder in einem Mikrounternehmen – etwas weniger als jeder Dritte im Land.
Und das bedeutet: Wie gut wir die sich jetzt anbahnende potenzielle Jahrhundertkrise wirtschaftlich und gesellschaftlich meistern, hängt wesentlich davon ab, wie wir mit den Kleinsten umgehen.
Der Bundesrat baute bereits in seinem ersten 40-Milliarden-Notprogramm mehrere Massnahmen ein, die auch Kleinen dienen – insbesondere die Möglichkeit zur Kurzarbeit, die auch Geschäftsinhaberinnen beziehen können. Am 16. April teilte er zusätzlich mit, dass nun doch auch Selbstständige Erwerbsersatz bekommen, falls sie wegen der Corona-Krise Einbussen hatten. Das leuchtet ein, denn ein Blick in die Statistiken zeigt: Der Lockdown trifft tatsächlich Zehntausende Kleine.
Ein Blick auf die Lockdown-Branchen
Mit seiner Verordnung vom 13. März schloss der Bundesrat offiziell die Türen von rund 124’000 Unternehmen in der Schweiz. Das betrifft über eine halbe Million Angestellte im Detailhandel, in der Gastronomie, in der Unterhaltungsbranche und bei den persönlichen Dienstleistungen.
Interessant ist es nun, eine andere Statistik hinzuzuziehen: jene der Tätigkeiten, auf die sich die Mikrounternehmen des Landes spezialisiert haben. Dabei zeigt sich, dass viele von ihnen ausgerechnet in diesen Lockdown-Branchen ihr Auskommen finden: als persönliche Dienstleister mit Körperkontakt, im Detailhandel, in der Gastronomie oder in der Unterhaltungsbranche. Viele andere von Kleinstunternehmen dominierte Branchen – Gartenbauer oder Taxifahrerinnen, als Beispiele – durften zwar offiziell die Türen offen lassen, doch wegen der Corona-Massnahmen bleiben ihre Aufträge aus.
Es ist also richtig, von einer «Krise der Kleinen» zu sprechen, wie das auch andere Kommentatoren bereits taten. Selbstverständlich sind auch grössere Unternehmen betroffen, auch die Exportindustrie und mit Verzögerung die kreditgebenden Banken werden zu kämpfen haben. Doch akut trifft es Zehntausende, die wegen vergleichsweise hoher Fixkosten im Vergleich zu ihrer Umsatzgrösse selbst bei vorbildlichem Wirtschaften wenig Reserve haben. Bekommen sie schnell und unbürokratisch Unterstützung, lässt sich ein potenzieller konjunktureller Schneeballeffekt frühzeitig auffangen.
Der Bundesrat hat darum richtig reagiert, als er Kurzarbeit für alle Mikrounternehmen und deren Inhaberinnen möglich machte – auch für jene, deren Betrieb nicht offiziell verordnet schliessen musste. Damit bekommen die Inhaber von Kleinstbetrieben – der Architekt etwa, der sein Büro als GmbH organisiert und sich selber Lohn ausbezahlt – Unterstützung (wenn auch mit einer Pauschale von monatlich 3320 Franken eine bescheidene).
Bei den Selbstständigen hingegen sah es zunächst anders aus: Sie sollten nur dann ein Taggeld bekommen, wenn sie direkt wegen der behördlichen Massnahmen schliessen mussten. Alle Selbstständigen ausserhalb der eingangs erwähnten Lockdown-Branchen, beispielsweise die oben erwähnten Gartenbauer und Taxifahrerinnen, wären leer ausgegangen. Mit dem Beschluss von vergangener Woche können nun auch sie bei den AHV-Kassen einen Erwerbsersatz von maximal 196 Franken pro Tag beantragen.
Trotzdem ist es hochinteressant, in welchen Branchen Unternehmerinnen eher als Firma (AG oder GmbH) unterwegs und darum in Krisen besser abgesichert sind und in welchen sie direkt auf eigene Rechnung arbeiten.
Die Analyse zeigt: Besser abgesichert sind tendenziell jene, die sowieso schon in Branchen mit höheren Margen unterwegs sind. Hätte man es bei der alten Regelung belassen, wären ausgerechnet sie besser aufgefangen worden.
Immobiliendienstleister, Supportdienste für Banken oder Versicherungen oder IT-Unternehmerinnen beispielsweise organisieren sich mehrheitlich als Firma und können nun schon länger Kurzarbeit einziehen. Kinderbetreuer, Yogalehrerinnen oder private Reinigungskräfte («Dienste für private Haushalte») hingegen sind öfter selbstständigerwerbend – und wären bis vor kurzem durch die Maschen gefallen.
Es ist sinnvoll, dass das jetzt angepasst wurde. Denn ein Konjunkturprogramm ergibt wirtschaftspolitisch nur dann Sinn – und ist staatspolitisch eigentlich auch nur dann gerechtfertigt –, wenn es nicht nur jene stützt, die auch ohne Staatshilfe ganz gut durch die Krise kämen.
Sondern vor allem die anderen.
PS: Der ausgeweitete Erwerbsersatz für Selbstständige ist auf zwei Monate beschränkt – weil der Bundesrat auch diesen als Notrecht erlassen hat. Allfällige weitere Massnahmen sind dann wieder Sache des Parlaments.