Eine Verschnaufpause für die Natur
Wegen der Corona-Pandemie steht die Wirtschaft nahezu still. Drei Beispiele zeigen, wie sich das auf die Umwelt auswirkt.
Von Arian Bastani, 13.04.2020
Seit Wochen lebt ein Drittel der Weltbevölkerung im Corona-Lockdown. Auf den Strassen fahren weniger Autos, am Himmel sind kaum noch Flugzeuge auszumachen. Die sonst so pulsierende Gesellschaft steht weitgehend – still.
Die Ruhe ist eine von verschiedenen Folgen der Corona-Pandemie für die Umwelt. Und sie hat wahrhaft planetarische Ausmasse.
Weniger seismische Vibrationen
Überall dort, wo sich Menschen bewegen, entsteht Lärm. Das ist bei den Nachbarn im oberen Stock nicht anders als bei der Gesellschaft insgesamt: Ihr Tun verursacht permanent Erschütterungen. Messen lassen sich diese mithilfe von Seismografen – denselben Geräten, die auch Erdbeben registrieren.
Der seismische Lärm, also das Grundrauschen der Zivilisation, hat im Zuge der Corona-Pandemie markant abgenommen. Das zeigen beispielsweise Messdaten aus Belgien, das sich seit Mitte März im Lockdown befindet.
Auch in Los Angeles vibriert der Boden seit dem Lockdown am 14. März weniger stark. Dies zeigt die folgende Grafik. Dargestellt ist die Intensität der Schwingungen im Bereich von 11, 12 und 13 Hertz, also knapp unter dem hörbaren Bereich.
Als Folge des Lockdown fiel die seismische Lärmbelastung je nach Wochentag um rund 10 bis 20 Dezibel. Das entspricht auf der logarithmischen Skala einer Verringerung um den Faktor 10 bis 100.
Das geringere Grundrauschen ist für Menschen im Alltag nicht spürbar. Doch für Geologen ist es ein Glücksfall: Die Ruhe erlaubt es ihren Instrumenten, mehr schwache Erdbeben und vulkanische Aktivitäten zu registrieren als sonst.
Der reduzierte Verkehr und die eingeschränkte Industrie machen sich aber nicht nur im Boden, sondern auch über der Erdoberfläche bemerkbar.
Weniger verbrauchtes Erdöl
Obwohl immer mehr Wind- und Solarstrom produziert wird, ist es weitgehend fossile Energie, welche die Wirtschaft in Gang hält. Über drei Viertel des Energiebedarfs werden noch immer durch Kohle, Erdöl und Erdgas gedeckt.
Doch mit der Corona-Pandemie hat die Nachfrage stark abgenommen. Im März wurden etwa 10 Prozent weniger Erdöl verbraucht als noch im Januar.
Die Internationale Energieagentur beschreibt die Marktlage als Schock von nie da gewesenem Ausmass. Die Produktion muss heruntergefahren werden und wird besonders relativ einkommensschwache Länder, die stark vom Ölhandel abhängig sind – Irak, Oman oder Nigeria – finanziell hart treffen.
Eine weitere Folge der weltweiten Lockdowns: Der verminderte Verbrauch fossiler Energieträger führt dazu, dass an vielen Orten weniger Schadstoffe in der Luft vorhanden sind.
Weniger Stickoxid in der Atmosphäre
Zu diesen Schadstoffen zählen etwa Stickoxide. Das sind stickstoffbasierte Verbindungen, die in Verbrennungsprozessen entstehen und schädlich für die Lunge sind. Sie sind unter der Sammelbezeichnung NOx bekannt.
In den Medien waren zuletzt öfter spektakuläre Satellitenbilder zu sehen, welche die aktuelle Stickoxidkonzentration jener aus dem Jahr 2019 gegenüberstellen. Vergleiche dieser Art zeigen auf, wie der Lockdown die Emission von Schadstoffen mindert. Und zwar auf der lokalen Ebene: Anders als etwa Lachgas oder Kohlendioxid, die über Jahrzehnte und Jahrhunderte in der Luft verbleiben und sich weltweit verteilen, sind Stickoxide relativ kurzlebig. Der lokale Ausstoss schlägt sich in den lokalen Messwerten nieder.
Allerdings sind solche Momentaufnahmen mit Vorsicht zu geniessen. Denn diverse Faktoren können die Messwerte der Satelliten verzerren. Dazu gehören Winde, welche die Schadstoffe wegwehen, und auch Wolken, welche die darunterliegenden Gase für die Satellitensensoren verbergen.
Bereinigt man die Messdaten um solche Verzerrungen, sehen die Bilder oft weniger spektakulär aus. Hier ein Beispiel dafür aus den USA: Es zeigt einerseits eine Gegenüberstellung ungefilterter Satellitenmesswerte und andererseits eine Gegenüberstellung, auf der nur qualitativ hochwertige Messungen berücksichtigt sind. Man sieht, dass der Unterschied zwischen 2019 und 2020 grösstenteils auf meteorologischen Faktoren beruht.
Dennoch sind die Verbesserungen der Luftqualität real. Auch in der Schweiz, wie sich in einer Datenaufbereitung der Materialprüfungs- und Forschungsanstalt Empa zeigt. Um den Effekt des Lockdown exakter zu bestimmen, kommen dort ausgefeilte Rechenmodelle zum Einsatz.
Dabei lernt ein Algorithmus anhand der Messwerte von Januar 2019 bis Februar 2020, wie die Schadstoffkonzentration normalerweise durch das Wetter beeinflusst wird. Anschliessend wird berechnet, wie hoch die Schadstoffkonzentrationen im März 2020 unter gewöhnlichen Bedingungen gewesen wären – das heisst, wenn die Wirtschaft normal gelaufen wäre.
Aus der Differenz der Messdaten zu diesen hypothetischen Daten ergibt sich schliesslich der tatsächliche Effekt des Lockdown. Er ist auf der folgenden Grafik als kumulierter Wert über die zweite Märzhälfte hinweg abgebildet.
Weniger Schadstoffe im Tessin
Stickoxidkonzentration, Abweichung vom Normalwert
Die täglichen Abweichungen zum NOx-Normalwert wurden über die zweite Märzhälfte aufsummiert. Lesebeispiel: An der A1 in Härkingen wurden vom 16. bis zum 31. März insgesamt 30 Prozent weniger Stickoxide gemessen, als sonst zu erwarten gewesen wären. Quelle: Empa
Fast in der ganzen Schweiz sind die Folgen der reduzierten Aktivität deutlich zu sehen. Im Tessin, wo zusätzlich der Lockdown in Norditalien die Messungen beeinflusst, waren fast 60 Prozent weniger Stickoxide in der Luft.
In den ländlichen Regionen sind die Unterschiede tendenziell kleiner als in der Stadt. Das ist nachvollziehbar, da dort auch in normalen Zeiten weniger Verkehrsbelastung herrscht und die absolute Konzentration recht gering ist. Bereits kleine Zu- oder Abnahmen der Konzentration können unter diesen Umständen zu grossen prozentualen Unterschieden führen (Resultate wie jenes in Beromünster können daher auch dem Zufall geschuldet sein).
Schluss
Vorderhand verschafft das Virus der Natur eine Pause: An vielen Orten, wo man sie messen kann, sinken die Schadstoffbelastungen. Die Treibhausgasemissionen gehen zurück – die Corona-Pandemie hilft den Staaten, ihre Klimaziele zu erfüllen.
Doch bleibt dies über den Lockdown hinaus so? Oder wird nach der Pandemie alles wieder wie vorher? Wir kommen in dieser Rubrik noch darauf zurück.