Was diese Woche wichtig war

Globale Pandemie, die Krise auf Lesbos – und die Revolution ist abgesagt

Woche 11/2020 – das Kurzbriefing aus der Republik-Redaktion.

Von Ronja Beck und Oliver Fuchs, 13.03.2020

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Coronavirus, die erste: Das ist auf der Welt passiert

Darum geht es: Mindestens 133’000 Menschen haben sich weltweit mit dem neuen Corona­virus Sars-CoV-2 infiziert. Italien ist mit mehr als 12’000 Krankheits­fällen nach China das inzwischen am stärksten betroffene Land. Die italienische Regierung hat deshalb das gesamte Land am 10. März zur Sperrzone erklärt. Am Folgetag hat die Weltgesundheits­organisation (WHO) den Ausbruch als Pandemie charakterisiert. Und Präsident Trump hat sich an die Nation gewandt, um in einer wirren, fremdenfeindlichen Rede die weitgehende Abschottung von Europa anzukünden.

Ausnahmezustand: Der menschenleere Platz vor dem Dom in Mailand. Fabrizio Di Nucci/NurPhoto/Getty Images

Warum das wichtig ist: Italien gerät im Kampf gegen das Virus an seine Grenzen. Vor allem in Norditalien seien die Kliniken laut dem Personal am Rande ihrer Kapazitäten. Indem sie das Land unter Quarantäne setzt, versucht die Regierung unter Minister­präsident Giuseppe Conte, den exponentiellen Anstieg an Erkrankten zu bremsen. Neu darf die Bevölkerung nur noch aus beruflichen, gesund­heitlichen oder sehr dringenden Gründen ihren Wohnort verlassen. Am Donnerstag wurde zudem beschlossen, alle Geschäfte ausser Lebensmittelläden und Apotheken zu schliessen. Am selben Tag erklärte die WHO den Ausbruch von Sars-CoV-2 zur Pandemie. «Dies ändert nichts an der Einschätzung der WHO hinsichtlich der Gefahren, die durch das Virus drohen», sagte der General­direktor an der Medien­konferenz. Epidemiologen sprechen schon seit Wochen von einer Pandemie. Während die Fallzahlen an Erkrankten weltweit steigen, gehen sie im Ursprungs­land China sowie im stark betroffenen Südkorea zurück. Die Quarantäne in Wuhan, wo das Virus Ende 2019 zum ersten Mal identifiziert wurde, wurde diese Woche gelockert. Am Mittwoch traute sich gar der chinesische Präsident Xi Jinping als Vertrauensbeweis nach Wuhan. Derweil steht die US-Regierung für ihr Krisen­management stark in der Kritik. Die Test­kapazitäten sind in weiten Teilen des Landes nicht ausreichend. Am Mittwoch­abend kündigte Präsident Trump an, ab Freitag Mitternacht dürften – mit Ausnahme von Briten – keine Europäer mehr einreisen.

Was als Nächstes geschieht: Mehrere Länder versuchen mit zum Teil drakonischen Massnahmen, die Ausbreitung von Sars-CoV-2 zu verhindern. Indien hat am Mittwoch entschieden, bis zum 15. April alle Visa auszusetzen; Israel setzt alle Einreisenden in eine 14-tägige Quarantäne; Guatemala hat Menschen aus Europa sowie China, Iran, Nord- und Südkorea ab Donnerstag die Einreise verboten; Griechenland und die Ukraine haben alle Schulen geschlossen. In ihrer ersten längeren Ansprache zur Lage am Mittwoch sagte die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel, dass sich bis zu 70 Prozent aller Menschen in Deutschland infizieren könnten. Die Hoffnung der Forscher weltweit besteht zurzeit darin, durch die getroffenen Massnahmen die Wachstums­kurve möglichst abzuflachen, um eine Überlastung der Gesundheits­systeme zu verhindern.

Coronavirus, die zweite: Das ist mit der Wirtschaft passiert

Darum geht es: Das Coronavirus schickt die Börsenkurse weltweit in den Sinkflug: Die US-amerikanischen Leitindizes Dow Jones und S&P 500 stürzten am Donnerstag so heftig ab wie seit dem grossen Börsencrash 1987 nicht mehr. Die Bank of England hat in einer Notfall­massnahme ihren Leitzins auf ein historisches Tief hinabgesetzt. Derweil hat Saudiarabien beschlossen, die Ölproduktion hochzufahren. Der Ölpreis sank daraufhin am Montag stark.

Warum das wichtig ist: Die Lage erinnert derzeit an den Ausbruch der Finanzkrise 2008. Die Kurse an der Wallstreet fielen am Montag und am Mittwoch so heftig, dass die New Yorker Börse den Handel jeweils für 15 Minuten aussetzte – eine automatisch ausgelöste Bremse, die nach dem Börsencrash 1987 installiert und nach dem sogenannten Flash Crash 2010 angepasst wurde, um eine zerstörerische Ketten­reaktion zu verhindern. Die amerikanische Zentral­bank Fed hatte deshalb bereits vergangene Woche den Leitzins um einen halben Prozentpunkt gesenkt. Das brachte nur kurzweilige Beruhigung. Dennoch zog die Bank of England am Mittwoch nach, in der Hoffnung, den Geldfluss zu garantieren und die Märkte zu beruhigen. Die Kurs­einbrüche vergangene Woche wurden zusätzlich befeuert durch die Saudis. Der Deal zwischen der von Saudi­arabien angeführten Organisation Öl exportierender Länder (Opec) und Russland, der die Ölpreise oben hielt, war vergangenes Wochenende geplatzt. Das Coronavirus liess auch die Nachfrage nach dem Öl zurückgehen. Weil sie sich nicht auf neue Massnahmen einigen konnten, kündigte Saudi­arabien eine verstärkte Produktion an. Der Ölpreis stürzte folglich in der Nacht auf Montag um 30 Prozent und rüttelte die globalen Märkte durch. Am Donnerstag begann auch der Schweizer Börsenindex SMI einzubrechen.

Was als Nächstes geschieht: Für Unternehmen in der Reisebranche wird es besonders hart, speziell für Flugunternehmen und Airlines. Zigtausende Jobs sind in Gefahr. Dass der Ölpreis, der normaler­weise als Stabilisator gilt, ebenfalls gefallen ist, lässt Finanz­analystinnen eine Rezession fürchten. Für die Europäische Zentral­bank wird es schwierig: Bei ihrem wichtigsten Instrument, dem Leitzins, hat sie bei den jetzigen 0,0 Prozent keinen Spielraum mehr.

Situation an der türkisch-griechischen Grenze eskaliert

Darum geht es: In der Ägäis spielt sich eine humanitäre Katastrophe ab. Seit der türkische Staats­chef Recep Tayyip Erdoğan die Grenze nach Griechenland geöffnet hat, versuchen täglich Menschen per Boot die griechische Insel Lesbos zu erreichen. Die griechische Küsten­wache hindert sie daran – und rechts­extreme Gruppen machen gemäss Augen­zeugen offen Jagd auf Schutz­suchende. Ein Krisen­treffen zwischen EU-Spitzen und Präsident Erdoğan endete am Montag ergebnislos.

Warum das wichtig ist: Griechen­land reagierte Anfang März umgehend auf die türkische Grenz­öffnung. Das Land sistierte das Asylrecht, schickte Soldaten an die Grenze und lässt offenbar radikale Bürger­milizen teilweise gewähren. Helfer werden bedroht und Hilfswerke angezündet, mutmasslich auch von Rechts­extremen, die aus anderen europäischen Ländern angereist sind. Bereits vor Aufflammen der Krise waren die Zustände auf der Insel Lesbos katastrophal. Im Flüchtlings­lager von Moria leben Tausende Menschen zusammen­gepfercht. Diese Woche vermeldeten die Behörden die erste Infektion mit Sars-CoV-2 auf der Insel, eine lokale Anwohnerin. Sie liegt einige Kilometer von Moria entfernt im Spital in Quarantäne.

Was als Nächstes geschieht: Kommende Woche wollen Kanzlerin Merkel und Präsident Macron nach Ankara reisen, um erneut mit Präsident Erdoğan zu verhandeln. Sollte das Virus sich auch in Moria verbreiten, wären ihm die Menschen dort fast komplett schutz- und hilflos ausgeliefert.

Afghanistan: Zwei Präsidenten und ein Friedensplan

Darum geht es: Am Montag wurde Afghanistans Präsident Ashraf Ghani für eine weitere Amtszeit vereidigt. Sein Rivale Abdullah Abdullah erkennt das Ergebnis nicht an – und liess sich selbentags ebenfalls vereidigen. Trotzdem leiteten die USA diese Woche den schrittweisen Abzug aus dem Land ein.

Bleibt er Präsident von Afghanistan? Ashraf Ghani an seiner Vereidigungszeremonie – die aber nicht die einzige an diesem Tag in Kabul war. Jawad Jalali/EPA/Keystone

Warum das wichtig ist: Mit der doppelten Vereidigung ist die bittere Fehde zwischen Ghani und Abdullah eskaliert. Monatelang hatten sich die beiden über die Auszählung der Stimmen von den Wahlen vom letzten Herbst gestritten. Im Februar dieses Jahres hatte die Wahl­kommission Ghani äusserst knapp zum Sieger erklärt, aber sein Konkurrent hat den Entscheid nicht akzeptiert. Die neuen Spannungen in der Hauptstadt Kabul kommen zur Unzeit. Einerseits wollen die USA ihre Truppen innert weniger Monate um rund ein Drittel reduzieren. Andererseits sollen bald direkte Gespräche mit den Taliban stattfinden. Beides sieht das Friedensabkommen vor, das vor zwei Wochen in Doha unterzeichnet worden ist.

Wie es jetzt weitergeht: Am Wochenende sollen erste gefangene Taliban-Kämpfer freigelassen werden, so sieht es das Friedens­abkommen vor. Ob die direkten Gespräche wie geplant stattfinden, ist derzeit unklar. Der Streit zwischen den beiden Präsidenten blockiert den Prozess – so ist bis jetzt keine offizielle Delegation für die Verhandlungen bestimmt worden.

Mit Tränengas gegen die Rechte der Frauen

Darum geht es: Zum Internationalen Frauentag am 8. März standen weltweit Millionen Frauen und Männer für Gleichberechtigung und gegen Gewalt an Frauen ein. In mehreren Städten kam es dabei zu gewalt­tätigen Auseinander­setzungen zwischen den Demonstrierenden und der Polizei.

Gut gepanzert gegen wütende Frauen: Der Versuch des Sturms auf den Präsidentenpalast in Santiago de Chile. Esteban Felix/AP Photo/Keystone

Warum das wichtig ist: In der chilenischen Hauptstadt Santiago versuchten Demonstrierende, die Absperrung zum Präsidenten­palast zu überwinden. Die Polizei setzte Wasserwerfer und Tränengas ein. Mehr als 125’000 Menschen sollen an der Demonstration teilgenommen haben. Auch in der Türkei setzten die Polizisten Tränengas ein gegen die mehreren hundert Menschen, die ohne Bewilligung durch die Strassen von Istanbul zogen. In Pakistan sollen die Frauen teilweise mit Steinen und Stöcken beworfen worden sein, wie die Nachrichtenagentur AFP berichtet. Die meisten Demonstrationen verliefen jedoch friedlich, so auch in der Schweiz, wo in verschiedenen Städten mehrere hundert Menschen demonstrierten.

Was als Nächstes geschieht: In verschiedenen Ländern wurden die Proteste genutzt, um die Regierungen direkt zu kritisieren. Protestierende in Bangkok forderten angesichts des Coronavirus einen besseren Arbeits­schutz für Frauen. Auf den Philippinen wurde der Tag genutzt, um gegen Präsident Rodrigo Duterte zu protestieren. In Jakarta skandierte die Menge für Gesetze gegen sexuelle Gewalt.

Zum Schluss: Mit einer Absage ist zu rechnen

Messen, Konzerte, Sportanlässe … die Liste von abgesagten Versammlungen wird täglich länger. Wahrscheinlich wächst sie bald um den Eintrag «Political Revolution». Diese hatte Bernie Sanders als Kandidat für die US-Präsidentschaft angekündigt. Nach zwei Wahl­schlappen liegt er nun aber gegen Konkurrent Joe Biden fast uneinholbar zurück. Joe Biden (Wahl­programm: «Ich war Obamas Vize! Und Obama, Obama und übrigens: Obama. PS: Obama.») räumte nach dem «Super Tuesday» am Dienstag auch den «Big Tuesday» ab. Er gewann zum Beispiel im nord­westlichen Michigan – ein Bundesstaat, der vor vier Jahren noch Sanders gewählt hatte. Ganz vorbei ist die Sache dennoch nicht. Sanders’ Anhänger hoffen, dass mit einer guten TV-Debatte die Stimmung drehen kann. Die soll am Sonntag­abend wie geplant stattfinden. Als Corona-Vorsichtsmassnahme allerdings ohne Studiopublikum.

Was sonst noch wichtig war

Top-Storys: Die Empfehlungen aus der Verlegerschaft

Von Talisman und schwarzer Katze Der Glaube, dass bestimmte Gegenstände und Handlungen Glück oder Unglück bringen, taucht in allen Kulturen und Zeitaltern auf. Die Radiosendung «SWR2 Glauben» hat sich dieses Phänomens angenommen und fragt: Wie abergläubisch sind wir? Verleger C. J. empfiehlt die 25-minütige Sendung und schreibt: «Eine wunderbare Anregung zum Weiterdenken!»

Die Unsichtbaren Republik-Journalist Elia Blülle empfiehlt diese Recherche von «BuzzFeed-Deutschland». Das Online­magazin hat in den letzten Jahren eine schlagkräftige Recherche­redaktion aufgebaut. In ihrem neusten Artikel zeigen sie auf, wie ukrainische Gastarbeiter ausgenutzt werden und sie von kriminellen Vermittlern mit falschen Versprechen nach Deutschland und Polen gelockt werden.

Lieber frei als ängstlich Am letzten Wochenende hat sich Schwinger Curdin Orlik als erster Schweizer Profi­sportler als schwul geoutet. Im «Magazin» erzählt er seine Geschichte. «Ich will frei sein», sagt er. «Viel zu lange habe ich verdrängt, wer ich wirklich bin.»

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Illustration: Till Lauer

Was diese Woche wichtig war

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