Das Klima und die Kühe
Niemand ist vom Klimawandel stärker betroffen als die Bauern. Trotzdem tun die meisten praktisch nichts, um weniger Treibhausgase zu verursachen. Woran liegt das? Drei Hofbesuche.
Von Jeremias Schulthess (Text) und Joan Minder (Bilder), 18.02.2020
Jetzt auch noch unsere Kühe.
Wie kaum etwas anderes gehören die Wiederkäuer zum Heimatinventar der Schweiz. Aber sie schaden dem Klima. Und zwar gewaltig. Gut ein Zehntel der Treibhausgase in der Schweiz fällt auf das Rindvieh zurück – ein Teil davon ist Methan, ein Teil Lachgas aus der Gülle.
Müssen wir wegen der Klimakrise nun ganz auf unsere Kühe verzichten? Seit Jahrhunderten wirtschaften die Schweizer Bauern mit ihnen. Eine Schweiz ohne Käse und Glockengebimmel – ist das überhaupt vorstellbar?
Ich will wissen, wie Landwirte darüber denken. Meine Suche führt mich auf den Hof eines Bauern, der neue Wege geht, zu traditionellen Landwirten, die von Greta nichts wissen wollen, und zum obersten Schweizer Bauern, der jede Kritik am eigenen Stand abblitzen lässt.
Vor allem erfahre ich: Das Potenzial für eine klimaschonende Landwirtschaft ist gross, aber fast niemand will etwas am bestehenden System ändern.
Aber zuerst zum Problem.
Kühe furzen und rülpsen Methan – ein Gas, dessen Treibhauseffekt etwa 25-mal so gross ist wie der von CO2. Im Stall und auf den Weiden entsteht aus den Kuhfladen Lachgas. Zwar nur in sehr kleinen Mengen, dafür ist der Treibhauseffekt bei diesem Gas etwa 300-mal so gross wie der von CO2.
Die Wiederkäuer sind die grössten Verursacher von Treibhausgasen in der Landwirtschaft. Insgesamt ist die Landwirtschaft laut Treibhausgasinventar für genau 13 Prozent der klimaschädlichen Gase in der Schweiz verantwortlich – 75 Prozent davon entfallen laut einer Studie von Agroscope auf das Rindvieh.
In den 1990er-Jahren gingen die Emissionen zurück, weil auch die Viehbestände stark zurückgingen. Seit 2000 blieben die Emissionen jedoch etwa gleich. Die Zahl der Bauern und der Kühe nimmt indes weiterhin ab.
Eine Kuh ist aber nicht eine Kuh – in Hinsicht auf das Klima zumindest. Hochleistungskühe verursachen mehr Methan als weniger produktive Kühe. Es gilt vereinfacht gesagt: Je mehr Milch eine Kuh gibt, desto mehr Methan stösst sie aus. Und da die Bauern immer mehr Hochleistungskühe halten, sinken die Treibhausgase nicht proportional zur Abnahme der Rinderzahl.
Praktisch unveränderter Ausstoss
Treibhausgas-Emissionen in der Landwirtschaft
Quelle: Bundesamt für Umwelt
Auch die Gleichung «weniger Bauern gleich weniger Emissionen» geht nicht ganz auf. Es gibt zwar weniger Betriebe, die bestehenden werden aber immer grösser, und die landwirtschaftliche Nutzfläche geht nur langsam zurück.
Ich frage mich, ob es Landwirte gibt, die sich um das Klima bemühen. Die Bauernvereinigung IP-Suisse vermittelt mir einen Milchbauern, der bewusst klimaschonend produziert.
Sein Hof liegt im luzernischen Schüpfheim. Ein Dorf in der Talsohle zwischen zwei Hügeln. Ein Bioladen, ein Denner und ein Döner-Imbiss säumen den Weg entlang der Hauptstrasse. In den Seitenstrassen lockert sich das Dorfbild auf. Der Nebel legt sich über das Tal und frisst ein Haus nach dem anderen auf.
Der Hof von Beat Emmenegger liegt auf einer Anhöhe über dem Dorf. Im Stall ist es hell, und es riecht angenehm frisch. Etwa 50 Kühe liegen, fressen und koten hier.
Futterzusatz und Ausmistroboter
Emmenegger, gross gewachsen, stellt sich auf den Mauervorsprung, der den Stall von der Scheune trennt, und blickt wie ein Dirigent über seine Kühe. «Vor 20 Jahren hat niemand über Methan gesprochen», sagt er. «Damals wusste gar niemand, was das ist.» Jetzt sei das anders. «Für manche ist es mehr ein Thema, für andere weniger.»
Für ihn ist es ein Thema.
Was Emmenegger fürs Klima tut, ist zunächst banal: Seine Kühe leben im Schnitt ein bis zwei Jahre länger als die Schweizer Durchschnittskuh. Die Kühe verursachen so in ihrer Lebenszeit weniger Methan pro Liter Milch. Grund dafür ist, dass eine Kuh erst nach etwa zweieinhalb Jahren Milch gibt, nachdem sie ihr erstes Kalb hatte. Und diese unproduktive Aufzucht fällt bei einer längeren Lebenszeit der Kuh weniger stark ins Gewicht, führt also zu einer besseren Methan-Bilanz pro produzierter Milchmenge.
Ausserdem verfüttert Bauer Emmenegger seinen Kühen Leinsamen, was dazu führt, dass im Pansenmagen weniger Methan entsteht. Und er lässt seine Kühe ausser im Winter jeden Tag auf der Weide grasen. Dort entstehen aus den Kuhexkrementen weniger klimaschädliche Gase als im Stall.
Es piepst im Stall. Ein Gefährt, das einem Staubsaugerroboter ähnlich sieht, fährt seine Bahnen ab. Die Kühe kennen das Geräusch und gehen zur Seite. Der Ausmistroboter, den Emmenegger 2009 als einer der ersten Landwirte in Europa erwarb, wischt zwei- bis dreimal pro Tag die dreckigen Flächen. Je schneller die Exkremente wegkommen, desto weniger Ammoniak und Lachgas entstehen im Stall.
Was der 47-Jährige tut, tut er aus Überzeugung. Denn klimafreundliche Landwirtschaft zahlt sich nicht aus. Im Gegenteil: Emmenegger hat einen Zusatzaufwand.
IP-Suisse lanciert nun ein Punktesystem, das Anreize für eine klimafreundliche Produktion schaffen soll. Die Vereinigung will damit die Treibhausgas-Emissionen bei ihren Mitgliedern um 10 Prozent senken.
Emmenegger macht bei einem Pilotprojekt von IP-Suisse mit. Dort gilt er als Vorzeigebauer. Möglichst viele Landwirte sollen künftig so produzieren wie er. Wie viel Treibhausgas der Luzerner Landwirt mit seinen Massnahmen einspart, lässt sich aber nicht sagen, da es auf seinem Hof keine Messungen gab.
Alles braucht seine Zeit
Einer, der solche Messungen auf einigen Höfen durchgeführt hat, ist Daniel Bretscher vom Forschungsinstitut Agroscope. Am Telefon zitiert der Biologe aus internationalen Studien, erklärt die Rahmenmethode des Treibhausgasinventars und hat auf jede noch so spezifische Frage eine ausführliche Antwort parat.
Bretscher hat 300 Betriebe auf ihre Treibhausgasbilanz untersucht und ist zum Schluss gekommen: Es gibt grosse Unterschiede. Manche Betriebe produzieren etwa fünfmal weniger Treibhausgase als andere – bei vergleichbarer Produktionsmenge.
Warum passen die Landwirte ihre Arbeitsweise nicht einfach an und produzieren nur noch klimafreundlich? Das sei nicht so einfach, erklärt Bretscher. Die Massnahmen, die sie ergreifen müssten, seien zum Teil schwer umsetzbar. Das heisst: aufwendig und teuer.
Was macht einen Betrieb klimafreundlich? Die Faktoren sind vielschichtig:
Der Umgang mit der Gülle. Beim Lagern und Ausbringen der Gülle entsteht unter bestimmten Umständen Lachgas. Bretscher spricht von Düngeeffizienz. Es werde häufig noch zu viel Gülle respektive Stickstoff verwendet, was die Natur belaste und schlecht fürs Klima sei.
Die Art des Stalles. Beim Anbindestall entsteht weniger Lachgas als beim Laufstall, weil die verschmutzte Oberfläche kleiner ist. Die Unterschiede punkto Treibhausgase seien zwischen den Stalltypen jedoch eher klein, sagt Bretscher.
Die Zusammensetzung der Herde. Betreibt der Bauer Mutterkuhhaltung oder Milchwirtschaft, und wie lange leben seine Kühe? Je nachdem, wie die Herde zusammengesetzt ist, ist auch die Treibhausgasbilanz besser oder schlechter. Je länger eine Kuh lebt, desto effizienter.
Bretscher schätzt, dass das Gesamtpotenzial zur Reduktion von Treibhausgasen bei etwa 20 Prozent liege – bei gleichbleibenden Tierbeständen. Aber das sei in erster Linie eine theoretische Annahme und in der Praxis nur schwer zu erreichen. «Bauern können nicht einfach von heute auf morgen ihren Stall umbauen, eine Biogasanlage installieren oder die Kuhrasse wechseln. Das braucht seine Zeit.»
Auch könne man nicht davon ausgehen, dass alle Landwirte ihren Kühen Leinsamen verfüttern würden. Denn diese sind verhältnismässig teuer. Grundsätzlich hätten es die erforderlichen Massnahmen schwer, da sie Know-how, Zusatzaufwand und ein grundsätzliches Umdenken erforderten.
Das effektivste Mittel zur Senkung der Treibhausgase ist für Bretscher klar: weniger Fleisch essen, weniger Kühe halten. «Um das Netto-null-Ziel wie vom Bundesrat vorgeschlagen bis 2050 zu erreichen, kommt die Landwirtschaft fast nicht darum herum, die Viehbestände zu reduzieren.»
Existenzangst im Berggebiet
Was halten Bauern in den entlegensten Berggebieten von dieser Idee? Von ihnen wird manchmal gesagt, sie seien immun gegen Veränderungen und Ideen aus dem Tal. Stimmt das wirklich, oder sind gerade Bergbauern, die noch stärker vom Klimawandel betroffen sind, für das Thema sensibilisiert?
Im Berner Turbachtal, nahe Gstaad, lebt das Ehepaar Bach. Laufstall, Fotovoltaikanlage auf dem Dach – alles andere als verschlossen, denke ich und rufe an: «Klimawandel? Ja klar, darüber können wir uns gerne unterhalten», sagt Christoph Bach und lädt mich zu sich ein.
Die einspurige Strasse schlängelt sich dem Turbach entlang immer tiefer ins Tal. Hier winken sich alle Autofahrer per Handgruss zu, und die Leute verwenden Wörter, die es nur hier oben gibt.
Dicke Schneeflocken wehen mir ins Gesicht, als ich den Hof der Bachs erreiche. Am Küchentisch gibt es warmen Tee. «Den Klimawandel, den spüren wir schon», sagt Daniela Bach. Es sei «chli wärmer» und trockener, und das Unkraut sowie die Büsche wüchsen schneller. Und das Wasser werde doch eher knapp.
Müssen die Bauern also etwas tun, um weniger Treibhausgase zu produzieren? «Ja, sicher», erklärt Christoph Bach und macht eine Pause. «Aber wir Bauern sind auch nicht an allem schuld.» Pestizide, schlechte Luft – die Bauern seien schon für so vieles der Sündenbock.
Dass nun plötzlich so viel über Treibhausgase und Methan gesprochen werde, findet Christoph Bach doch etwas seltsam: «Die Leute halten hier oben seit Jahrhunderten Kühe, und jetzt, seit zehn Jahren, soll das ein grosses Problem sein?» Natürlich gebe es Verbesserungspotenzial, ergänzt Daniela Bach. Zum Beispiel, die Gülle in einer Biogasanlage zu verwerten. Darüber werde im Tal gerade diskutiert, und die Bachs sind grundsätzlich dafür offen. Daniela Bach fügt aber an: «Man muss einfach sehen: Das System der Kuh ist nun mal so, dass sie dieses Gas produziert.»
Wie der Prozess funktioniere, wisse man schon, «aber was wir daran ändern können, wissen wir nicht». Die Bachs haben vor 16 Jahren einen Laufstall gebaut – alle anderen Bauern im Tal haben bis heute Anbindeställe. «Damals hiess es, das müssten alle Bauern haben, damit es die Tiere besser hätten. Heute heisst es, das ist schlecht fürs Klima.»
Dass nun eine junge Frau aus Schweden alles infrage stellt, was bisher gang und gäbe war, verstehen die Bachs nicht ganz. Greta habe «hia obna» wohl nicht so viele Anhänger.
Im Gespräch wird klar: Die Bachs haben andere Prioritäten als den Klimaschutz. Es geht um ihre Existenz. Und die wird immer wieder bedroht. Zum Beispiel durch neue Beschlüsse in Bern oder Vorstösse wie die Trinkwasserinitiative. Diese sei der «Tod für die produzierende Landwirtschaft», sagt Christoph Bach und drückt mir ein Faktenblatt des Bauernverbandes in die Hand.
Der bäuerliche Zielkonflikt
Ich studiere die Argumente und beschliesse, mir den Bauernverband etwas genauer anzuschauen. Was tut der mächtige Lobbyverband fürs Klima?
Worb, kurz nach Neujahr. Der Bauernverband lädt auf einen Schweinemasthof nahe bei Bern. Es ist Jahresmedienkonferenz. Die Autos parkieren in einer langen Schlange vor dem Hof. Journalisten werden per Shuttlebus angekarrt. Der Verbandspräsident, Markus Ritter, spricht vor Fernsehkameras, in der Scheune sitzen bereits die Delegierten der kantonalen Bauernvereinigungen. Die Veranstaltung ist fast eine reine Männerangelegenheit.
Ritter spricht von einem «Schicksalsjahr» für die Bauern. Seit er Verbandspräsident sei, könne er sich nicht erinnern, so radikale Vorstösse auf dem Tisch gehabt zu haben. Er meint die Trinkwasserinitiative, die praktisch alle Pestizide und den Zukauf von Futter verbieten will, und er meint die Initiative «Für eine Schweiz ohne synthetische Pestizide» (Pestizidinitiative), die er als etwas harmloser einstuft. Seine Botschaft: Werden diese Initiativen angenommen, können die Schweizer Bauern ihre Betriebe dichtmachen.
Im Anschluss an den offiziellen Teil gibt es Mostbröckli vom Duroc-Schwein und Rivella in Plastikbechern. Ein Delegierter spricht mich an und erklärt im lockeren Gespräch, dass das mit dem Klimawandel nicht so sei, wie wir Medien es verbreiten würden. Ich solle doch mal etwas über Sonnenaktivitäten lesen. Diese hätten sich in den letzten Jahren massiv verändert und würden ein ganz neues Licht auf die Klimadiskussion werfen.
Ich entscheide mich dafür, das Gespräch ohne Widerworte zu beenden und gehe nach draussen, um vom Verbandspräsidenten die offizielle Haltung zum Thema Klima zu erfahren.
Herr Ritter, Daniel Bretscher von Agroscope schätzt, dass die Landwirtschaft bis zu 20 Prozent der Treibhausgase reduzieren könnte, mit baulichen und nährstofflichen Massnahmen. Warum wird das nicht gemacht?
Wenn man zum Beispiel bauliche Massnahmen anschaut, wird deutlich: Hier gibt es einen Zielkonflikt zwischen Tierwohl und Umweltschutz. Im Laufstall können sich die Tiere frei bewegen. Die Exkremente werden dort aber direkt auf Betonplatten abgesetzt, und die entsprechenden Gase können direkt in die Atmosphäre entweichen. Auf der anderen Seite sind Anbindeställe eigentlich besser fürs Klima, weil die Gase in einem geschlossenen System bleiben. Dieser Zielkonflikt zwischen Tierwohl und Umwelt ist sehr schwer aufzulösen. Es geht darum, ein Optimum für beides zu erreichen.
Aber Freilaufställe schliessen doch nicht aus, dass man klimafreundlich produziert. Es gibt auch Massnahmen, die sich in Laufställen umsetzen lassen.
Welche denn?
Zum Beispiel Futterzusätze wie Leinsamen.
Da gebe ich Ihnen recht. Aber der Zielkonflikt bleibt. Wir sind darauf angewiesen, zusammen mit der Forschung Ziele zu konkretisieren und auf die verschiedenen Ansprüche abzustimmen.
Sie betreiben Klientelpolitik, deshalb ändert sich nichts – auch nicht in Richtung klimafreundliche Produktion.
Es ist grundsätzlich richtig, dass wir den eigenen Mitgliedern verpflichtet sind. Sonst hätten wir unseren Auftrag nicht richtig verstanden. Einen Teil der Verantwortung bei der Reduktion von klimaschädlichen Gasen haben wir, und diese Verantwortung versuchen wir auch wahrzunehmen, wie alle anderen auch – aber im Rahmen der realistischen Möglichkeiten. Wenn 75 Prozent der Gase aus natürlichen Prozessen entstehen, kann man nicht viel tun. Man kann nicht die Kühe abstellen oder aufhören, die Böden zu bewirtschaften. Das muss man realistisch sehen.
Sie bestreiten nicht, dass es Ihnen in erster Linie darum geht, den Status quo zu bewahren?
Nein, es geht nicht ums Bewahren. Aber es ist ganz klar unser Auftrag, für die Anliegen der Bauernfamilien einzustehen.
Ihre Existenz zu sichern.
Das ist sicher eines unserer Grundziele, die wir haben.
Was sagen Sie zur Forderung, es sollte in der Schweiz weniger Kühe geben?
Die Frage ist: Was wäre die Alternative? Wenn wir die Viehbestände reduzieren, bedeutet das, dass wir noch mehr Lebensmittel importieren müssen. Bereits heute importieren wir rund 40 Prozent – und zwar aus Ländern, bei denen wir keinen Einfluss auf die Produktion haben. Die andere Konsequenz ist, dass wir mehr Handelsdünger importieren müssten. Ich bin klar der Meinung, dass wir dort, wo wir sowieso stark vom Ausland abhängig sind, nicht noch mehr importieren sollten.
Der oberste Schweizer Bauer spricht gerne darüber, wie nachhaltig die Schweizer Bauern bereits sind und warum sie Veränderungen nur schwer ertragen.
Letzten Sommer lancierte Ritter eine Kampagne zum Thema Klima. Aber so vehement, wie er gegen einschneidende Massnahmen kämpft, kauft man ihm sein Engagement fürs Klima nicht wirklich ab.
Seine Killerargumente, Kühe verursachten halt Methan und weniger Kühe bedeuteten mehr Importe, heissen so viel wie: Wir tun genug fürs Klima, mehr liegt nicht drin.
Groteske Milchproduktion
Stimmt das denn, dass wir mehr importieren müssten, wenn weniger Kühe auf Schweizer Wiesen weideten? Das frage ich einen der grössten Kritiker der Schweizer Agrarpolitik, Andreas Bosshard vom Verein Vision Landwirtschaft.
Als ich anrufe, klingt er gehetzt, er ist gerade unterwegs. Wir vereinbaren einen späteren Telefontermin. Nun nimmt er sich eine Stunde Zeit, seine Positionen auszuführen. Bosshard widerspricht fast allem, was Ritter sagt.
Zum Import-Argument sagt er: «Wenn die Schweizer Landwirtschaft ihre Klimaziele erreichen will, geht es in einigen Regionen nicht anders als damit, die überhöhten Tierbestände abzubauen.»
Die Milchproduktion habe in der Schweiz «geradezu grotesk ineffiziente Züge angenommen». Jährlich werden Hunderttausende Tonnen Kraftfutter importiert, um noch mehr Kühe zu halten und «noch mehr Milch aus ihnen herauszupressen». Damit erziele die Schweiz einen Milchüberschuss – was unter anderem zu den immer tieferen Milchpreisen führe. Dabei verwerte die Kuh das Kraftfutter «extrem ineffizient».
Bosshard kritisiert die Subventionen für die Landwirtschaft: «Wir investieren Jahr für Jahr knapp 4 Milliarden Franken in die Landwirtschaft, aber schaffen es nicht, Anreize zu setzen, um eine effizientere und damit klimaschonendere Produktion zu fördern.»
Das Thema Klima müsste viel offensiver angegangen werden, sagt Bosshard. «Es ist nicht so, dass die Landwirtschaft nur in der Pflicht steht. Immer mehr Landwirte sehen das Thema als Chance, von der sie direkt profitieren könnten – sofern der Bund die Weichen richtig stellt.»
Die Landwirte könnten nicht nur klimaneutral produzieren, die Landwirtschaft könnte sogar klimapositiv sein – es würden also mehr Treibhausgase gebunden als ausgestossen. Das geht zum Beispiel, indem Landwirte gezielt den Humus im Boden aufbauen. Damit wird Kohlenstoff gespeichert. Der Boden funktioniert als CO2-Senke.
Darin könnten neue Geschäftsmodelle für Landwirte liegen. Denkbar sei zum Beispiel ein Handel mit Emissionszertifikaten: Bauern speichern Kohlenstoff im Boden und können damit wettmachen, was andere Branchen in ihren CO2-Reduktionszielen noch nicht erreichen.
Aber klar sei, dass bei jeder Umstrukturierung auch Verlierer resultierten. «Das läuft doch in der ganzen Wirtschaft so. Werden Elektroautos gefördert, verlieren die Hersteller von Brennstoffmotoren ihre Marktstellung. Warum sollte das in der Landwirtschaft anders sein?»
Müssten die Bachs also ihre Kühe aufgeben und neue Geschäftsbereiche suchen? Nein, sagt Bosshard. «Es sind meist nicht Kleinbetriebe, die die Probleme verursachen. Das Problem sind die Höfe, die stark expandieren, zu grosse Ställe bauen und jetzt auf Gedeih und Verderb ihre grosse Viehherde mit zugekauftem Futter über die Runden bringen müssen.»
Bosshard weist mich auch auf einen anderen landwirtschaftlichen Bereich hin. Einen, in dem die CO2-Reduktion ziemlich gut klappt.
Beim Gemüse klappts
Die Rede ist von der Gemüseproduktion. Hier ist der Strukturwandel schon voll im Gange. Bis vor 20 Jahren heizten Gemüsebauern ihre Gewächshäuser mit viel Öl und Gas – was im Winter zu einer verheerenden CO2-Bilanz der heimischen Tomaten und Gurken führte. Heute haben viele ihre Gewächshäuser besser isoliert und heizen mit Holzschnitzeln, Fernwärme oder Geothermie.
Die CO2-Emissionen sanken seit 2002 pro Fläche Gewächshaus um 35 Prozent, hat die Energie-Agentur der Wirtschaft berechnet. Die Gemüsebauern müssen sich wie die Industrie an verbindliche Reduktionsziele halten. Wenn sie diese nicht erreichen, fallen Kompensationszahlungen an.
Die Migros hat sogar angekündigt, sie wolle bis 2025 nur noch Schweizer Gemüse verkaufen, das CO2-neutral produziert wurde – was zu einem heftigen Disput mit den Gemüseproduzenten führte. Die PR-Aktion wirkt zwar etwas unverhältnismässig: 2017 verursachten Gewächshäuser nur 0,2 Millionen Tonnen CO2, Nutztiere hingegen 5,2 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente. Aber der Kontrast wird deutlich: Ähnliche Vorstösse zum Klimaschutz gibt es im Bereich der Nutztiere nicht.
Und was gibt die Politik den Bauern vor? Die Antwort ist einfach: nichts.
In der «Klimastrategie für die Landwirtschaft» aus dem Jahr 2011 werden 24 Massnahmen aufgezählt, mit denen die Landwirtschaft klimafreundlicher produzieren könnte. Es sind schon damals genau die Punkte, die Bretscher anspricht: weniger Gülle verwenden, die Herde anders zusammensetzen. Bei den Landwirten sind die Massnahmen bis heute aber grösstenteils unbekannt.
Der Bundesrat hat 2017 ein Reduktionsziel für die Landwirtschaft formuliert. Und vergangenen Herbst erklärte er, die Schweiz müsse bis 2050 klimaneutral sein. Welche Rolle dabei die Landwirtschaft spielt, bleibt aber unklar.
Gerade hat der Bundesrat die neue Agrarpolitik bekannt gegeben, die ab 2022 für vier Jahre gelten soll. Die Landwirtschaft soll ökologischer werden, erklärte der Bundesrat vergangene Woche. Das heisst: weniger Pestizide, weniger Treibhausgase.
Doch ob die skizzierten Massnahmen angenommen werden und tatsächlich greifen, bleibt offen. Die Massnahmen sollen freiwillig sein und finanzielle Anreize schaffen, damit Bauern ihre Kühe länger leben lassen und weniger Düngemittel verwenden.
Das seien allerdings noch viel zu zaghafte Schritte, findet Bosshard von der Vision Landwirtschaft. «Noch immer verpasst es der Bundesrat aufzuzeigen, wie die Landwirtschaft fit gemacht werden soll, um in Zukunft wenigstens das Umweltrecht einzuhalten.»
In anderen Ländern läuft die Diskussion deutlich radikaler als in der Schweiz. Dänemark beispielsweise will seine Landwirtschaft bis 2050 klimaneutral gestalten. Ähnlich grosse Anstrengungen sehen zum Beispiel auch die Niederlande, Irland oder Neuseeland vor.
Exot unter Bauern
Der Luzerner Bauer Emmenegger hat nicht auf politische Vorgaben gewartet. Er handelt aus Überzeugung. Wenn seine Arbeitsweise wertgeschätzt wird – umso besser.
Er sei wohl in mancher Hinsicht ein Exot, sagt Emmenegger, während wir in seiner Stube sitzen und über das Dorf schauen. Der Nebel hat sich mittlerweile verzogen, die Dächer glitzern im Sonnenlicht.
Andere Landwirte investieren in Traktoren, Emmenegger baut sich dafür ein neues Haus, das komplett mit Holz beheizt wird. Seine zwei Traktoren – Marken IHC und McCormick – sind über 40 Jahre alt, aber sie würden ihren Zweck noch einwandfrei erfüllen.
Ausserdem spielte Emmenegger viele Jahre Fussball beim FC Schüpfheim – etwas, das für manche seltsam wirke. Ein Bauer, der Fussball spielt? Bereits sein Vater, der aktiv war beim Verein, sei kritisch beäugt worden. Die Leute hätten damals gesagt: «Was hat der hier verloren, der muss doch seine Kühe melken!»
Vielleicht sei es das, was ihn von anderen unterscheide, sagt Emmenegger. «Ich verkehre nicht nur in Bauernkreisen, bin nebst dem Hof offen für Hobbys, informiere mich, wenn mich etwas interessiert.» So hat sein Engagement fürs Klima begonnen.
Zur Debatte: Müssen jetzt die Kühe weg?
Bedroht der Klima- und Umweltschutz das Überleben der Schweizer Bauern? Oder könnten sie – ganz im Gegenteil – nicht nur klimaneutral wirtschaften, sondern mehr Treibhausgase binden, als sie ausstossen? Läge darin gar die Zukunft der Landwirtschaft? Müssen die Viehbestände reduziert werden, wenn der Bund sein Netto-null-Ziel bis 2050 erreichen will? Oder ist es schlicht übertrieben, dass plötzlich so viel über Treibhausgase gesprochen wird, wo doch die Schweizer seit Jahrhunderten Kühe halten? Hier gehts zur Debatte.
Jeremias Schulthess ist freischaffender Journalist aus Basel. Seine früheren Stationen waren die «Basellandschaftliche Zeitung», die «Tageswoche» sowie die «Rundschau» vom Schweizer Fernsehen. Für die Republik schrieb er zuletzt über den Basler Wohnungsmarkt.