Was tun gegen steigende Mieten?
Warum in Basel erfolgreiche Volksinitiativen gegen Luxussanierungen und Massenkündigungen das Gegenteil bewirken. Und was andere Städte daraus lernen können.
Eine Reportage von Ronja Beck und Jeremias Schulthess, 07.08.2019
Februar 2019, ein trüber Wintermorgen. Am Basler Schorenweg steht ein schwer beladener Pöstler. Er klingelt die Mieter aus den Wohnungen, hunderte Umschläge sind in seiner Tasche. Der Mann hat Tränen in den Augen, so will es eine Anwohnerin beobachtet haben.
Denn er weiss genau, was drin ist in den Briefen. Es sind Kündigungsschreiben an die rund 200 Parteien, die in den zwei grau-beigen Wohntürmen im Hirzbrunnen-Quartier eingemietet sind. Die Bauwerke aus den 1960er-Jahren sollen saniert werden. Die Eigentümerin, ein Anlagefonds der Credit Suisse, will 28 Millionen investieren. Brandschutz, Erdbebensicherheit, umfassender Sanierungs- und Modernisierungsbedarf seien die Gründe.
Vreni Parisi und Pia Erb, zwei alte Schulfreundinnen, wohnen im 14. und im 16. Stock. Sie führen uns durch ihre Wohnungen, die sie bald verlassen müssen. Moderne Küche, einwandfreies Bad, beides 2002 saniert. Sie fühlen sich veräppelt und rausgeekelt, sagen die beiden Mieterinnen. Und sie sind wütend.
Eine Stadt erlebt einen Sanierungsboom. Doch dabei werden viele alteingesessene Einwohner verdrängt.
Der Schorenweg hat in Basel bereits Berühmtheit erlangt: Es ist die grösste Massenkündigung seit Jahren. Aber längst nicht die einzige: 34-mal kam es in den letzten zwölf Monaten zu Kündigungen, bei denen sämtliche Mieter einer Liegenschaft auf einen Schlag ihre Wohnung verloren haben. Total 2600 Mietparteien sind betroffen, schätzt der Mieterverband.
Bei den 34 Massenkündigungen handelt es sich nur um die grösseren Fälle mit über acht Parteien pro Haus. Dazu kommen kleinere Fälle und solche, bei denen gar keine Kündigungen ausgesprochen wurden – und die Mieterinnen nach einer Kündigungsdrohung von sich aus gingen.
Manche der Gekündigten finden rasch eine neue Wohnung. Wie Parisi und Erb, die beide in eine preisgünstige Genossenschaft ziehen werden. Sie hatten Glück.
Andere zahlen in ihren neuen Stadtwohnungen deutlich höhere Mieten. Viele – häufig Familien – ziehen auch aus der Stadt, weil sie keine vergleichbare Wohnung mehr finden. Das geht aus der neuesten Wanderungsbefragung hervor, die der Kanton alle zehn Jahre macht.
Kürzlich wurde die neueste Ausgabe präsentiert. Befragt wurden Personen, die aus Basel weg- oder zuziehen. Auffallend: Mieter haben neuerdings Mühe, neue Wohnungen zu finden. Nur 5 Prozent der Zuzügerinnen finden das aktuelle Wohnungsangebot sehr gut. 2008 waren es noch 18 Prozent. Bei Wohnungsbesichtigungen stehen Interessenten bis auf die Strasse an.
In anderen Schweizer Metropolen sind solche Szenen normal. Für Basel ist die Erfahrung neu. Dabei gilt hier wie anderswo: Immer mehr Menschen wollen zentral wohnen. Die Wohnqualität in den Städten steigt, viele Arbeitsplätze entstehen in den Zentren. Die Entwicklung, die Zürich und Genf schon lange durchgemacht haben, holt Basel gerade im Eiltempo nach. Die Probleme dabei sind dieselben: Wohnungsmangel, steigende Mieten, Aufwertung und die Verdrängung langjähriger Anwohner.
Wo es eine Nachfrage gibt, verändert sich auch das Angebot. Pensionskassen, Fonds und Private investieren momentan, wie sie nur können. Das Geld fliesst in Neubauten, aber auch in Sanierungen. Kündigungen aussprechen, Renovationen durchführen, die Miete hochschrauben: Es ist die einfachste Methode, um als Immobilienanleger die Rendite zu steigern. In Zeiten der tiefen Zinsen erfreut sie sich hoher Beliebtheit. Das führt dazu, dass Umbauten in der Tendenz früher als nötig erfolgen – nicht nur in Basel.
Die Bewohner der Stadt setzen ein Zeichen – und nehmen im Sommer 2018 gleich vier Volksinitiativen an.
Was Basel allerdings abhebt: Die Bevölkerung steht im Stadtkanton voll und ganz hinter dem Mieterschutz. In Zürich oder Bern, wo die Hausbesitzer aus dem Umland mitreden, haben Mieteranliegen wenig Chancen. Anders in Basel: Hier errangen die Mieter letztes Jahr einen historischen Sieg.
Der Kanton Basel-Stadt nahm gleich vier Mieterinitiativen an:
die Formularpflicht, die Vermieter verpflichtet, der neuen Mieterin den vorigen Mietzins zu nennen
Mieterschutz am Gericht: Mieter müssen bei Gerichtsverfahren nur die eigenen Kosten tragen
ein «Recht auf Wohnen», das in der Verfassung jedem in Basel-Stadt Wohnenden eine Wohnung garantieren soll; ein Novum in der Schweiz
die «Wohnschutz-Initiative», die Mieter besser vor Kündigungen und Mieterhöhungen schützen soll
Die Annahme der Initiativen war eine Sensation. In Zürich, Genf und im benachbarten Ausland fragten sich die Stadtentwickler: Macht Basel nun vor, wie Mieterprobleme gelöst werden können? Gilt die Nordwestschweizer Stadt bald als Vorbild für mieterfreundliche Politik in der ganzen Welt?
Seither ist wenig passiert. Die Formularpflicht und der Mieterschutz am Gericht wurden zwar umgesetzt. Die zwei spannenderen Initiativen sind aber noch weit davon entfernt:
Der Regierungsvorschlag, wie ein «Recht auf Wohnen» umgesetzt werden soll, ist alles andere als revolutionär: mehr Genossenschaften und eine kantonale Stiftung für gemeinnützigen Wohnungsbau. Also das, was in Zürich bereits Realität ist.
Der Vorschlag zur Wohnschutz-Initiative geht so: Wer ein Haus mit günstigen Mietwohnungen besitzt, darf nur mit Bewilligung sanieren – die Behörde kontrolliert dabei, dass der Mietzins nicht zu stark steigt. Das Gesetz gilt für die Hälfte der Basler Wohnungen.
Während das Parlament diese Vorschläge prüft, machen Investoren munter weiter. Seit dem Frühjahr rollt eine Kündigungswelle, wie sie die Stadt noch nicht erlebt hat.
Warum stockt die Umsetzung der Initiativen? Der Stadtentwickler sagt: Man muss die Ziele abwägen.
Wie kommt es zu dieser Welle? Lukas Ott, Basler Stadtentwickler und für die Umsetzung der Initiativen zuständig, hat eine Erklärung. «Wenn neue Regulierungen in Aussicht stehen, entsteht ein Zeitfenster, um noch rasch zu handeln.»
Das habe man zum Beispiel kürzlich in Berlin beobachten können, als der Senat über einen Mietendeckel entschied und einige Vermieter wenige Tage vor dem Entscheid Briefe mit Mieterhöhungen verschickten. Genau gleich sei es denkbar, dass Investoren in Basel jetzt Sanierungsprojekte vorziehen würden, weil dies in ein, zwei Jahren nicht mehr so einfach gehen könnte.
Ott, die grauen Haare gleichmässig über den Scheitel gekämmt, betrachtet das Problem von vielen Seiten. Der studierte Soziologe und ehemalige Stadtpräsident von Liestal spricht, wie andere eine Dissertation schreiben.
Wir stehen mit ihm vor den Wohnblöcken am Schorenweg. Ott versucht, den Ärger der Bewohnerinnen nachzuempfinden: «Wir nehmen die Betroffenheit, die sich hier artikuliert, ernst. Die Bevölkerung hat ein klares Zeichen gesetzt.»
Man habe rasch und differenziert gehandelt, sagt Ott mit ruhiger Stimme und streicht sich die vom Wind verwehten Haare zurecht.
Doch der Umsetzungsvorschlag, den er ausgearbeitet hat, geht vielen zu wenig weit. Seit Dezember liegt er auf dem Tisch. Als Nächstes diskutiert ihn der Grosse Rat, das Kantonsparlament. Ott findet, es brauche einen Eingriff in den Markt. Aber es brauche auch Investitionen, damit auf lange Sicht genügend Wohnraum zur Verfügung stehe. «Es gilt, verschiedene Zielsetzungen und Massnahmen in Bezug zueinander zu setzen.»
Der Basler Mieterverband, der die Wohnschutz-Initiative lancierte, findet keinen Gefallen an Otts Reflexionen. Co-Präsident Beat Leuthardt drohte schon zehn Tage nach der Annahme mit einer neuen Initiative, falls die Regierung zu langsam handle. Seit Juni macht er nun ernst und sammelt Unterschriften für ein Baumoratorium. Dieses würde praktisch alle Bauvorhaben an Mietwohnungen bis zur Initiativumsetzung auf Eis legen.
Leuthardt, der sich sonst gerne in Rage redet, klingt am Telefon beherrscht und kurz angebunden – zu oft musste er den Journalisten schon erklären, wie die «Grüselvermieter» ihre Mieter rauswerfen und wie er das verhindern will. Das Moratorium, das er jetzt per Initiative fordert, ist eigentlich das, was in der Wohnschutz-Initiative fehlte: eine Übergangsbestimmung. Leuthardt sagt, man habe das Fuder damals nicht überladen wollen. Für einige lokale Politiker ist es jedoch eine Farce, dass die Übergangsbestimmung fehlt. Sie sehen die Schuld für die aktuellen Massenkündigungen vor allem beim Mieterverband selbst: Dieser habe seine Initiative zu wenig gut durchdacht.
Derweil auf der anderen Seite des Rheins, im Quartier St. Johann: Ryffstrasse, ein Wohnblock aus Backstein mit 33 Mietparteien. Auch hier haben die Bewohnerinnen im März die Kündigung erhalten. Die meisten gehen ohne viel Aufsehens. Anders als am Schorenweg ist hier kein Widerstand spürbar.
«Ich werde in ein Altersheim gehen», sagt eine ältere Dame, die nicht mit Namen genannt werden will. In ihrer Wohnung stehen Umzugskisten, eine Spitex-Angestellte schlängelt sich vorbei. Sie hat Heidelbeeren und Waschmittel eingekauft. «Nochmals eine neue Wohnung zu suchen, wäre mir zu stressig», so die Mieterin, die seit über 20 Jahren dort wohnt.
Wie alle Mieter an der Ryffstrasse hat sie das Angebot erhalten, nach der Sanierung zurückkehren zu dürfen. Für ihre Drei-Zimmer-Wohnung würde sie dann 1600 Franken zahlen. Heute kostet eine solche Wohnung im Schnitt 1300 Franken – ein Aufschlag von über 20 Prozent. Zu viel für die Frau – und auch für alle anderen Bewohner der Ryffstrasse, die wir gefragt haben.
Der Mieter in Nummer 19 will keine Journalisten empfangen. Über die Gegensprechanlage scheppert seine Stimme: «Mit der Kündigung? Da lief alles sauber, tipptopp. Aber die rot-grüne Regierung, die sollte man in die Mangel nehmen! Wofür haben wir vor einem Jahr denn abgestimmt?»
Die Vergangenheit zeigt: Es gäbe durchaus Mittel, um die Mieten zu bremsen. Doch sie haben Nebenwirkungen.
Schweizer Städte haben in der Vergangenheit bereits einige Regulierungen ausprobiert. Genf kennt seit 30 Jahren ein Wohnschutzgesetz: Vermieterinnen erhalten nur eine Sanierungsbewilligung, wenn die Mieter in den Wohnungen bleiben dürfen. In den ersten drei Jahren dürfen sie die Mieten auch nicht übermässig erhöhen, was von der Behörde überwacht wird.
Der Genfer Mieterverband sagt, das Gesetz funktioniere. Der lokale Hauseigentümerverband sieht dagegen das Problem, dass Eigentümer keinen Anreiz zur Sanierung hätten und ihre Häuser verlottern liessen. Das Wohnschutzgesetz konnte jedenfalls nichts daran ändern, dass die Mieten in Genf seit 2000 so stark gestiegen sind wie in keiner anderen Schweizer Stadt.
In Zürich gab es bis 1998 ein Wohnerhaltungsgesetz. Dieses kam de facto fast nie zur Anwendung, weil für Investoren sehr umfangreiche Ausnahmeregeln galten. Das Statistische Amt der Stadt Zürich zählte von 2500 Abbruch- und Umbaugesuchen nur vier Prozent, die aufgrund des Gesetzes abgelehnt wurden.
Der Kanton Zürich hat zweimal über eine Wohnschutz-Initiative abgestimmt. 1982 wurde die Initiative knapp verworfen, obwohl die Stadt Zürich damals deutlich Ja sagte. 1998 stimmte die Zürcher Bevölkerung – auch in der Stadt – ein weiteres Mal gegen ein solches Gesetz. Der Grund für die diesmal klare Ablehnung dürfte vor allem die damalige Rezession gewesen sein. Der Sog in die Städte war gering, der Druck auf den Immobilienmarkt ebenfalls.
Die Vergangenheit zeigt auch, was ein effektives Mittel gegen steigende Mieten ist: Preiskontrolle. Vom Bundesrat 1939 als Notrecht eingeführt, galt in der Schweiz bis 1950 eine Mietzinskontrolle. In dieser Zeit stieg der Mietindex um 8 Prozent, während allgemein die Inflation 59 Prozent betrug.
Danach wurde die Mietzinskontrolle gelockert, und der Mietindex schoss in die Höhe: von 1950 bis 1972 um 158 Prozent. Das dürfte mit Aufholeffekten zu tun haben, aber auch damit, dass die Wirtschaft in dieser Zeit florierte.
Carlo Sommaruga, Genfer SP-Nationalrat und Präsident des Mieterverbands Schweiz, findet es eine Überlegung wert, wieder eine Mietzinskontrolle einzuführen. Dabei müssten Vermieter die Behörden bei Mieterhöhungen um Erlaubnis fragen. «Das heutige System, in dem Mieter einen missbräuchlichen Mietzins anfechten müssen, ist nicht genügend effektiv.»
Ganz anders sieht es der ehemalige Basler Stadtentwickler und FDP-Nationalratskandidat Thomas Kessler. Er sagt: «Willkürliche Deckelungen und Eingriffe sind hochgradig kontraproduktiv.» Wer ehrlich sei, komme zum Schluss, dass man gerade in Ballungszentren mehr Wohnungen bauen müsse. «Ein grösseres Angebot nimmt den Druck vom Wohnungsmarkt.»
Tatsächlich hinkt das Angebot der Nachfrage in Basel stetig hinterher. Zwischen 2005 und 2015 ist in Basel die Zahl der Arbeitsplätze um 20’000 gestiegen. Im gleichen Zeitraum sind nur 3300 neue Wohnungen entstanden.
Entspannung ist nicht in Sicht. Der Kanton rechnet bis 2035 mit rund 30’000 neuen Arbeitsplätzen, gleichzeitig bestehe ein Potenzial bei den Wohnflächen für 14’000 neue Einwohner. Das schrieb der Regierungsrat letzten Herbst in einem Erläuterungsbericht.
Das Wundermittel gegen die Verdrängung von Mieterinnen ist noch nicht gefunden – vorerst verändert sich wenig
Der Druck auf den Wohnungsmarkt erlebte Rebekka Bernasconi sehr nahe. Sie musste vor zwei Jahren ihre Zwei-Zimmer-Wohnung verlassen, weil eine Immobilienfirma das Haus kaufte und rundum sanierte. Ihre Wohnung an der Klybeckstrasse hatte 1045 Franken gekostet. Jetzt ist Bernasconis alte Wohnung neu ausgeschrieben. Der Vermieter verlangt nun 1690 Franken – eine Mietsteigerung von rund 60 Prozent.
Die ehemalige Mieterin hat die sanierte Wohnung gesehen. Sie sagt: «Die Wohnungen hatten vorher Charakter, einen Plättliboden, den man fast nirgends mehr findet. Nun haben sie einen neuen gelegt. Es tut weh, das zu sehen.» Für Bernasconi ist klar, dass die Sanierung in diesem Ausmass nicht nötig gewesen wäre. «Ein Architekt, der im Haus wohnte, hat sich die Situation angeschaut. Es gab ein paar Dinge zu tun, Kleineres an den Wänden oder am Dach.» Aber eine Totalsanierung sei überflüssig gewesen.
Vermieterin ist die Pensionskasse der SBB. Sie hat die Liegenschaft, die rund 20 Wohnungen umfasst, nach der Sanierung gekauft. Warum die Miete in diesem Fall um 60 Prozent erhöht wurde, will die SBB-Pensionskasse nicht beantworten. Sie verweist auf die vorherige Besitzerin, die Immro AG, die die Sanierung ausführte und das Haus dann verkaufte. Die Immro AG ihrerseits reagiert nicht auf die Anfrage der Republik.
Das Beispiel Basel – es ist noch nicht das Vorzeigemodell für andere Städte, wie es manche wohl erwartet hatten. Während Berlin, Amsterdam und Barcelona über rigide Kursänderungen in der Wohnpolitik diskutieren oder sie bereits umgesetzt haben, suchen Schweizer Städte nach austarierten Kompromissen. Bis jetzt bleibt es bei vorsichtigen Feldversuchen wie in Basel, wo sich für Mieter in Zukunft nichts Grundlegendes ändern wird.