An die Verlagsetage

Zehn Learnings aus zwei Jahren Republik

Vor dem Start der Republik haben wir eine ganze Reihe Annahmen getroffen. Was davon deckt sich mit der Realität? Was nicht – oder noch nicht? Eine (benotete) Zwischenbilanz.

Von Ihrem Expeditionsteam, 04.02.2020

In den hektischen Anfangs­zeiten der Republik war es manchmal so: Wir rannten von einer Baustelle zur nächsten, lösten den ganzen Tag Probleme und hatten nicht immer genug Zeit, aus unseren Fehlern zu lernen. Und auch nicht immer, um aus den Erfolgen zu lernen.

Das wollen wir ändern und die Republik als lernende Organisation stärken. Wir wollen nichts mehr machen, ohne daraus systematisch Schlüsse fürs nächste Mal zu ziehen. Hier haben wir die wichtigsten zehn Lernfortschritte aus den ersten zwei Jahren Republik aufgeschrieben.

1 – Es funktioniert!

Worum geht es? Die Republik ist als Experiment gestartet. Niemand konnte vor drei Jahren sagen, ob es in der Schweiz eine genügend grosse Nachfrage (inklusive Zahlungs­bereitschaft) für ein unabhängiges und werbefreies Magazin im Netz gibt, das konsequent auf professionellen Journalismus setzt.

Wo stehen wir jetzt? Wir wissen, dass die Nachfrage da ist. Ob sie genug gross ist und ob die Republik dieses Bedürfnis langfristig bedienen kann, wissen wir noch nicht und können wir auch nur in der Praxis herausfinden.

Lernfortschritt? 7/10

2 – Fokus ist zentral

Worum geht es? Wir haben – vor allem im ersten Jahr – zu viel gleichzeitig gewollt und dadurch vieles nicht so gut gemacht, wie wir gern wollten. Statt uns darauf zu konzentrieren, die Firma, die Redaktion und das Magazin aufzubauen, haben wir gleichzeitig noch ganz viele andere Dinge getan, die wir auch im zweiten oder dritten Jahr hätten tun können: vier Trainees ausbilden, ein Feuilleton lancieren, einen Genossenschafts­rat wählen. Und dann gibt es da noch Dinge, die wir besser ganz hätten bleiben lassen: zum Beispiel das Experiment mit der wechselnden Chefredaktion.

Wo stehen wir jetzt? Wir sind auch heute noch in der Situation, dass wir zu viel machen für die Ressourcen, die wir haben – aber nicht mehr viel zu viel. Wir sind in der Budgetierung vorsichtiger geworden. Wir sehen uns derzeit in einer Phase der Stabilisierung und nicht des Ausbaus. Das heisst, wir verzichten aktuell darauf, grössere Produkt­erweiterungen zu lancieren. Wir fokussieren uns auf die Heraus­forderung, in einem neuen Markt mit einem neuen Produkt und einem neuen Geschäfts­modell die richtigen Prioritäten zu setzen. Zum Teil fehlen uns dafür auch noch die gut etablierten Prozesse.

Lernfortschritt? 5/10

3 – Transparenz lohnt sich

Worum geht es? Wir wollten ein transparentes Unternehmen sein. Weil wir überzeugt waren, dass die Leute interessiert, wie Journalismus entsteht und hergestellt wird, wie die Republik aufgebaut ist und wie wir finanziert sind. Und wir merken klar: Das lohnt sich nicht nur ideell, sondern auch finanziell. Jedes Mal, wenn wir offen und ehrlich über uns selbst berichten, gewinnen wir besonders viele neue Verlegerinnen. Transparente Kommunikation löst zudem viele Rückmeldungen aus, die unabdingbar sind für uns, weil wir die Republik nur gemeinsam mit Ihnen weiterentwickeln können. Wir gewinnen dadurch viel Expertise, Kreativität und ein wertvolles Korrektiv. Transparenz herzustellen, ist jedoch auch sehr aufwendig. Nicht zuletzt, weil wir restlos alle Rückmeldungen lesen und hören.

Wo stehen wir jetzt? Wir sehen uns bestätigt und sind überzeugt, dass dieser Ansatz der Transparenz in der Medien­branche grössere Bedeutung haben müsste. In der Redaktion verteilt sich deren Herstellung nach und nach, aber viel zu langsam, auf mehrere Schultern. Dafür, wie wichtig sie ist, haben wir noch zu wenig Ressourcen für die Transparenz.

Lernfortschritt? 7/10

4 – Mehr Struktur, weniger Überraschung

Worum geht es? Wir bauten ein Magazin auf der grünen Wiese und hatten dort vor allem eins: viel Freiheit. Wir hatten keine Altlasten, einiges an Zeit und Erfolg, gute Journalistinnen, und statt der Einschränkungen von Papier hatten wir die wunderbare Weite des Internets vor uns. Das schien uns eine perfekte Ausgangs­lage für begeisternden Journalismus. Dabei haben wir unterschätzt, wie viel Struktur nötig ist, damit die Leserinnen nicht verloren sind. (Und auch nicht die Journalisten.) Nur wenn sich die Leser zurechtfinden und Gewohnheiten aufbauen, kann die Republik im Alltag wirklich nützlich sein.

Wo stehen wir jetzt? Wir halten an den wichtigsten Strukturen seit dem Start fest, den regelmässigen Formaten, Briefings und Kolumnen, und wollen diese weiter stärken. Die Redaktion wurde in grobe thematische Gruppen eingeteilt, was dabei hilft, in der Themen­setzung verlässlicher zu sein. Für das Problem der gelegentlich zu ausschweifenden Beiträge haben wir noch keine gute Lösung – ausser immer noch bessere redaktionelle Abläufe. Das Ziel ist gut erzählter, präzise formulierter, clever verdichteter Journalismus.

Lernfortschritt? 7/10

5 – Wie können wir unsere Leistung messen?

Worum geht es? Eine gemeinsame Bewertung der Leistung ist wichtig für die interne Diskussion und die Entscheidungs­prozesse. Wir bewerten die Qualität unserer journalistischen Arbeit nicht durch Klickzahlen (weil wir werbefrei sind, ist die nackte Reichweite nicht besonders relevant). Trotzdem nützt der beste Journalismus nichts, wenn er nicht gelesen wird: Hier haben wir Zahlen und Fakten zu unserer Reichweite und den Lesegewohnheiten der Leserschaft zusammengetragen. Wir hören sehr genau auf die Rückmeldungen von innen und aussen (Blattkritiken, Dialog, monatliche Zusammenfassung der Kontakt-Mails, systematisches Erfassen des Medienechos etc.). Das ist sehr wichtig, aber es ist halt auch kompliziert und widersprüchlich und hat viel Interpretations­spielraum.

Wo stehen wir jetzt? Publizistisch wird unsere Arbeit inzwischen auch von unabhängiger Seite bewertet. Eine Studie des Bakom attestiert der Republik eine hohe Glaubwürdigkeit und Kompetenz. Bei der Relevanz haben wir noch viel Potenzial, sie hat aber auch mit Reichweite zu tun. Durch die Reifung des Teams und des Produkts haben wir mittlerweile ein viel besseres gemeinsames Gefühl für unsere Leistung und die Qualität der Arbeit. Aufgrund unseres Geschäfts­modells haben wir drei zentrale, messbare Kriterien, um unseren wirtschaftlichen Erfolg zu bewerten: Erneuerungs­rate, Akquise (also Anzahl neuer Mitglieder und Abonnenten) und die durchschnittlichen Einnahmen pro Mitglied. Wir haben noch nicht die richtigen Instrumente gefunden, um diese Messwerte mit dem publizistischen Alltag zu verbinden.

Lernfortschritt? 4/10

6 – Dialog ist wichtig und funktioniert

Worum geht es? Wir legen grossen Wert auf die Debatten mit unseren Leserinnen und sehen den Dialog als wichtigen Bestandteil unseres Journalismus. Wir sind überzeugt, dass die Republik besser wird, wenn möglichst viele Menschen mitmachen – als Leserinnen mit Lob, Kritik und Fragen sowie darüber hinaus als Experten. Für viele Journalisten ist es neu, selber in der Debatte zum eigenen Beitrag zu moderieren und diskutieren. Gleichzeitig ist es unabdingbar, damit gute Debatten entstehen.

Wo stehen wir jetzt? Wir haben den Dialog-Bereich mehrmals überarbeitet. Die Autoren sind mittlerweile in der Regel in den Debatten präsent. Wir haben positive Erfahrungen mit Experten­debatten gemacht. Wir stellen fest: Natürlich müssen wir moderieren und manchmal auf die Netiquette hinweisen, aber meistens sind die Debatten anständig, gehaltvoll und konstruktiv – das hat sicher auch damit zu tun, dass allfällige Stören­friede zuerst ein Abonnement lösen müssten. Die Beteiligung an den Debatten steigt langsam, aber kontinuierlich, und beim partizipativen Journalismus sehen wir viel Potenzial. Wermuts­tropfen: Auch bei uns beteiligen sich in den Debatten proportional zu wenig Frauen. Was wir gelernt haben: Ja, es ist möglich, online konstruktiv zu debattieren. Und ja, es bringt das Team und den Journalismus weiter, braucht aber auch Ressourcen.

Lernfortschritt? 7/10

7 – Lancieren ist einfacher als Abschaffen

Worum geht es? Eine neue Kolumne, ein neues Format, eine Produkt­erweiterung zu entwickeln, ist anspruchsvoll. Aber etwas wieder abzuschaffen, ist noch viel schwieriger. Auch Flops haben Liebhaberinnen – interne wie externe. Und wer will schon jemandes anderen Darling töten?

Wo stehen wir jetzt? Wir haben das Problem erkannt und üben eine mögliche Lösung jetzt im Februar. Wir werden zum ersten Mal klar als Experimente deklarierte Projekte umsetzen. Das heisst: Wir definieren im Vorfeld die Erfolgs­kriterien, kündigen das Experiment an, es hat eine bestimmte Laufdauer, dann analysieren wir und kommunizieren unsere Erkenntnisse und Entscheide, ob wir das Experiment weiterziehen, abschiessen oder etwas dazwischen. Es besteht also Hoffnung.

Lernfortschritt? 2/10

8 – Wir sind demokratisch – und auch nicht

Worum geht es? Wir sind ein Medium mit demokratischer Basis. Alle Jahres­abonnenten sind Mitglieder der Project R Genossenschaft mit klar demokratischen Prinzipien (one woman, one vote). Die Genossenschaft wiederum ist Hauptaktionärin der Republik AG. Das ist langfristig wichtig, weil Abhängigkeit auf möglichst viele Personen verteilt uns als die grösstmögliche Unabhängigkeit erschien. Aber es führt immer wieder zu Verwirrung, intern wie extern. Denn ein demokratisches Fundament bedeutet nicht, dass wir alles demokratisch entscheiden. Wir haben drei Einschränkungen: Erstens sind wir ein Unternehmen. Das heisst, es müssen schon nur aus juristischen Gründen ein paar wenige Leute (Verwaltungsrat, Geschäfts­leitung, Chefredaktion etc.) die wichtigen Entscheide treffen. Zweitens haben wir den Anspruch, professionellen Journalismus zu liefern und im Zweifel auch noch weniger und nicht mehr. Dies schränkt uns ein, wenn es darum geht, allen eine Plattform zu bieten. Drittens gilt die Redaktions­freiheit. Die Redaktion nimmt Anregungen auf, aber keine Weisungen an.

Wo stehen wir jetzt? Wir verstehen Vorteile (Unabhängigkeit, Transparenz, Partizipation) und Nachteile (Aufwand, Missverständnisse, Verzettelung) unserer Strukturen immer besser. Auch im Umgang mit den partizipativen Elementen werden wir langsam besser. Wir haben gute Instrumente, um die vielen Stimmen zu sammeln (Dialog, Umfragen, E-Mails, Kündigungs­gründe, Veranstaltungen, Genossenschafts­rat, Urabstimmungen) – auch wenn es da noch Luft nach oben gibt. Wir brauchen jetzt vor allem noch Instrumente, um die Rückmeldungen systematischer auszuwerten und transparent zu machen, wo und wie diese in Entscheide einfliessen. Denn das tun sie.

Lernfortschritt? 5/10

9 – Die publizistische Linie entsteht nicht auf dem Papier

Worum geht es? Am Anfang war das publizistische Konzept. Auf dem Papier. Und überall sonst war Chaos: in den Köpfen, in der Redaktion und der Publikation. Wir haben es nicht geschafft, ein publizistisches Konzept zu schreiben, das über diffuse Begriffe hinaus («Neugierde und Mut») der Redaktion Orientierung geben konnte. Uns über andere zu definieren («Wie die ‹Zeit online›, aber …»), war nie eine Strategie, dafür sind wir zu anders. Wir wollten uns nicht über eine formale Einschränkung definieren («Wir machen hauptsächlich Erklär­artikel»), und auch thematisch sind wir breit, nur Sport und People lassen wir mehr oder weniger konsequent aus. Im politischen Links-rechts-Spektrum wollen wir uns aus unserem journalistischen Selbst­verständnis heraus nicht klar verorten. Diese Breite in allen Dimensionen ist unsere Stärke, braucht aber auch sehr starke Nerven.

Wo stehen wir jetzt? Es ist mittlerweile klar: Für eine so vielseitige Publikation, wie wir sie sein wollen, gibt es kein einfaches Konzept. Wir mussten und müssen uns kontinuierlich über unsere Arbeit definieren und uns ein Profil erarbeiten. Das bedeutet, dass geschriebene Konzepte nur eine beschränkte Bedeutung haben. Die Definitions­macht liegt in der konkreten, alltäglichen, redaktionellen Arbeit. Wenn wir den Rückmeldungen unserer Leserinnen und unserer eigenen Einschätzung trauen, dann wird unsere Linie langsam klarer. Der Wunsch nach einer einfachen Definition des publizistischen Konzepts der Republik – am besten in einem Satz – bleibt unerfüllt. Damit können wir mittlerweile leben.

Lernfortschritt? 6/10

10 – Programmierer und Journalistinnen sind zusammen wirklich gut

Worum geht es? Wir hatten die These, dass es für ein digitales Medium wichtig ist, dass die Zusammen­arbeit zwischen Programmiererinnen und Journalisten möglichst eng ist. Weil wir überzeugt sind, dass Form und Inhalt ein stimmiges Ganzes sein müssen, um mit einem Medium digital erfolgreich zu sein, zumal die Möglichkeit der Interaktion den Journalismus fundamental verändert. Das bedeutet, möglichst viel Tech-Know-how im Haus zu haben und nur punktuell mit externen Agenturen zu arbeiten.

Wo stehen wir jetzt? Wir sehen uns bestätigt. Aber es war ein weiter Weg. Was erstaunlich schlecht funktioniert hat: dass Journalistinnen an den Prozessen der Produkt­entwicklung teilnehmen und mitbestimmen, wie die Plattform konzipiert wird. Dann hat es gedauert, bis die Programmierer mehr als nur punktuell Zeit hatten, an konkreten Geschichten mitzuarbeiten, und ein journalistisches Verständnis entwickelt haben. Dafür, dass wir bei der interdisziplinären Zusammen­arbeit immer noch viel lernen müssen, sind wir schon weit gekommen. Noch fehlt uns ein eng verzahnter Ablauf von Programmier­team zu Produktion und Qualitäts­sicherung. Die Tatsache, dass wir für interaktive Geschichten und für die Weiter­entwicklung der Plattform das gleiche Team und die gleichen Technologien nutzen, wird immer mehr zu einem Vorteil.

Lernfortschritt? 6/10

Somit erreichen wir gemäss Selbsteinschätzung derzeit einen Republik-Lernfortschritts­quotienten – den sogenannten RLQ – von 5,6.

Jetzt würde es uns wundernehmen, wie Sie unseren Lernfortschritt beurteilen. Und vor allem: In welchen Bereichen müssen wir aus Ihrer Sicht in den nächsten Jahren noch dazulernen? Welche Lernziele wollen Sie uns für den Republik-Lernplan 2020 vorschlagen?