«Wenn du gibst, dann gibt dir Gott»
Sobhy Kaber, Restaurantbesitzer.
Von Amir Ali (Text) und Heba Khamis (Bilder), 13.12.2019
Im Kairoer Stadtteil Shubra, nur ein paar hundert Meter von der brandneuen Prestigebrücke über den Nil, steht das Restaurant von Sobhy Kaber. Vor dem Eingang, entlang der Hauswand, sitzen Leute in einer Reihe und warten, bis ihre reservierten Tische frei werden. Auf dem Trottoir stehen Dutzende weitere herum, die keine Reservation haben und hoffen, doch noch einen Platz ergattern zu können.
Im Innern herrscht auf drei Stockwerken eine Atmosphäre wie in einem Ameisenhaufen: Unzählige Kellner tragen Tabletts mit riesigen Fleischbergen herum und fischen Getränke aus Kühlschränken, die so gross sind wie Telefonkabinen. Um die laufend hereinströmenden Gäste zu platzieren, leuchten sie einander mit Laserpointern durch die mehrere hundert Quadratmeter grossen Räume an – sich durch das Gewusel zuzurufen, wäre ein hoffnungsloses Unterfangen.
Diese Serie entstand aus drei Recherchereisen, zu denen die Republik-Reporter Amir Ali und Monika Bolliger Ende August aufbrachen. Sie reisten vom Libanon nach Ägypten, in den Sudan und in den Irak und sind der Frage nachgegangen: Was haben die Menschen in der arabischen Welt heute für Perspektiven, bald neun Jahre nach dem Arabischen Frühling? Zur Übersicht mit allen Episoden.
Auf den Bildschirmen, die auf jedem Stockwerk verteilt sind, flimmern in Endlosschlaufe Aufnahmen von Promis, die dem Restaurant schon die Ehre gegeben haben: Sänger, Schauspielerinnen, Fussballer. Und immer wieder Sobhy Kaber, in Kochkleidung und mit einem Häubchen auf dem Kopf, wie er in einer blitzblanken Küche eine riesengrosse Hammelkeule mariniert.
Kaber ist in Kairo selbst zum Promi geworden, ja, in ganz Ägypten. Fast jeder, den man darauf anspricht, kennt die Geschichte vom Jungen aus dem Armenviertel, der zum wohlhabenden Geschäftsmann geworden ist. Es ist buchstäblich die Geschichte eines Tellerwäschers, der sich Reichtum erarbeitet hat – in der ägyptischen Klassengesellschaft eine eher seltene Geschichte.
Er machte den Slum hip
«Ich fing als Tellerwäscher an, als ich zwölf Jahre alt war», beginnt Sobhy Kaber zu erzählen. Es ist kurz nach Mitternacht. Er sitzt auf einem Plastikstuhl im Strassencafé neben seinem Restaurant. Auf der anderen Seite der Gasse, neben dem Hinterausgang des Restaurants, leuchtet hell das Schaufenster seiner Metzgerei. Einer seiner Angestellten schneidet mit geübten Handgriffen Tierhälften auseinander, die an schweren Metallhaken aufgehängt sind.
«Danach lieferte ich Essensbestellungen aus, schliesslich wurde ich Hilfskoch. Mit achtzehn ging ich nach Libyen und begann in einem Hotel in Benghazi zu arbeiten. Dort lernte ich alles, was man in der Küche können muss. Nach drei Jahren in Libyen ging ich nach Saudiarabien, wo ich als Privatkoch für eine Prinzessin der Königsfamilie arbeitete.»
Kaber spricht schnell, sein ungehobelter Kairoer Dialekt verrät, wo er herkommt: Rod al-Farag, das Quartier, wo er aufwuchs, ist eine informelle Siedlung mit unasphaltierten, engen Strassen und verwinkelten Häusern. Als er zurück war aus dem saudischen Prinzessinnen-Palast, fing Sobhy Kaber hier auf der Strasse mit seinem eigenen Geschäft an. Ein kleiner Imbiss, den sie vitrina nennen. Ein Glaskasten mit Spiessen, daneben ein Grill. Rasch sprach sich herum, dass es hier leckeres Essen gab. So wurde daraus ein kleines Lokal mit zwei Tischen, bis irgendwann die ganze Strasse ein einziges Freiluftrestaurant war und das halbe Quartier bei Kaber arbeitete.
Sobhy wurde über sein Viertel hinaus bekannt. Es wurde hip, bei Sobhy im Slum zu essen. Prominente kamen, um seine gefüllten Tauben oder die molokheyya, eine Suppe aus Spinat ähnelnden Blättern, zu kosten. Mittlerweile hat er etwas über 1000 Angestellte, vom Putzjungen bis zum Buchhalter, vom Delivery-Fahrer bis zum Chefkoch, und zahlt je nach Monat ein bis zwei Millionen Pfund an Löhnen, umgerechnet rund 60’000 bis 120’000 Franken.
Ganz problemlos scheint Sobhy Kabers Aufstieg nicht verlaufen zu sein. So ranken sich etwa Gerüchte um den Grund dafür, dass er vor einiger Zeit sein Restaurant vorübergehend schloss und sich in die Türkei absetzte. Er sei in Konflikt geraten mit einer anderen Wirtefamilie, die gute Beziehungen zur Regierung habe und von seinem Erfolg profitieren wollte, heisst es. Kaber selbst spricht nicht über Politik. Nur so viel:
«Ägypten ist auf dem aufsteigenden Ast. Die Wirtschaft zieht an, vor allem der Tourismus. Und wenn der Tourismus läuft, dann zieht er alles andere hinter sich her. Alle profitieren, die Taxifahrer, die Hotels, die Gastronomie. Mein Erfolgsrezept? Der Segen Gottes, nichts mehr. Die Promis? Die schickt mir Gott. Das Geld, das ich verdiene, teile ich zwischen mir und ihm auf. Ich habe Mitarbeiter, die jeden Tag Anträge von Bedürftigen prüfen und schauen, wem wir mit etwas Geld helfen können. Jedes Jahr im Ramadan richte ich eine Gratis-Essensausgabe für Arme ein. Ich habe alles Gott zu verdanken, das ist mein Geheimnis.»
Ebenfalls streng geheim sind allerdings Kabers Rezepte für die Fleischgerichte, die in seinem Restaurant jeden Tag zentnerweise verspeist werden. Mittlerweile hat er ins Ausland expandiert, hat zwei Ableger in Dubai und bald je einen in Kuwait und in Saudiarabien.
Der Lohn aus dem Plastiksack
«Ich stehe morgens früh auf, um sechs bin ich bereits beim Schlachter oder beim Gemüselieferanten und wähle die Waren aus, die wir hier verarbeiten. Das ist Chefsache. Gegen zehn Uhr morgens lege ich mich schlafen, und um fünf Uhr nachmittags gehe ich in die Küche. Die Zubereitung des Fleisches, das ist das Wichtigste. Natürlich arbeite ich da nicht allein, aber ich muss dabeistehen, sonst kommt es nicht gut. Deshalb will ich auch keine zweite Filiale in Ägypten eröffnen. In den Läden in Dubai arbeiten sie strikt nach meinen Rezepten und Anweisungen, da kann man einfach einen Geschäftsführer einsetzen, und gut ist. Die wissen, was sie zu tun haben. Hier in Ägypten muss man immer dabei sein.»
Ein guter Chef, sagt Sobhy Kaber, der müsse seine Angestellten gut behandeln. So einfach sei das. Während des Gesprächs wird er immer wieder unterbrochen, Angestellte kommen vorbei, wechseln locker ein paar Worte mit Kaber. Aus dem Plastiksack zwischen seinen Füssen zieht der dann ein paar Banknoten und drückt sie seinen Leuten in die Hand. Einmal im Monat schickt er sie alle zum Friseur und in die Maniküre. Seine Angestellten sollen sauber daherkommen.
Sobhy Kaber kennt die unterschiedlichsten Seiten des Lebens: Kairos Slums, die Arbeit auf der Strasse und in Palästen, und jetzt das Dasein als erfolgreicher Patron. Reichtum oder Armut, was ist besser, Sobhy Kaber?
«Es geht nicht darum, was besser ist. Du lebst, gehst durch die Welt und lernst immer dazu: Warum ist das so und jenes anders? Warum will Gott die Dinge so, wie sie sind? Wenn du gibst, dann gibt dir Gott. Wenn du den Leuten hilfst, dann hilft dir Gott. Wenn jeder, dem es gut geht, sich um ein paar kümmern würde, denen es nicht so gut geht, ich schwöre dir, dann gäbe es keine Armut mehr.»
Die Arabistin Monika Bolliger arbeitet als Analystin und Forscherin in Beirut und Zürich. Zuvor war sie als Nahostkorrespondentin der NZZ in Jerusalem, Kairo und Beirut tätig. Amir Ali, der ebenfalls fliessend Arabisch spricht, war fünf Jahre Co-Leiter des Strassenmagazins «Surprise». Seit diesem Sommer ist er als freier Journalist tätig, der Schwerpunkt seines Interesses gilt den Ländern im Nahen Osten.
Heba Khamis, geboren 1988, dokumentiert in ihren Langzeitprojekten vorwiegend heikle gesellschaftliche Themen, die mit dem Körper zu tun haben. In ihren jüngsten Arbeiten widmet sie sich etwa heterosexuellen Flüchtlingen in Deutschland, die auf den Schwulenstrich gehen. Khamis wurde für ihre Arbeit mehrfach mit internationalen Preisen ausgezeichnet, zuletzt mit einem World Press Photo Award.