Nervensägen, die man schnell lieb gewinnt: Jeffrey Tambor und Alexandra Billings in «Transparent». Amazon

Love me Gender

TV-Serien leisten längst fällige Aufklärungs­arbeit: Sie gehen erfrischend unverkrampft mit Transgender-Personen um – und zeigen deren höchst unterschiedliche Lebensentwürfe.

Von Karin Cerny, 21.11.2019

Es ist nicht allzu lange her, da war die Darstellung von Homo­sexualität im Fernsehen ein Tabuthema. Als sich die TV-Figuren Carsten Flöter (Georg Uecker) und Robert Engel (Martin Armknecht) anno 1990 in der beliebten ARD-Serie «Linden­strasse» küssten, folgte in der Boulevard­presse eine Welle der Empörung. Ganz Bayern war ausser Rand und Band.

Beide Darsteller erhielten Morddrohungen. «Die Leute sind auf der Strasse übergriffig geworden, haben mich beschimpft: ‹Du schwule Sau, ab ins KZ›», erinnerte sich Armknecht in einem Interview. Uecker bekam damals sogar kurzfristig Personen­schutz zur Seite gestellt. Eine Wieder­holung der Folge wurde tunlichst unterlassen.

Neue Selbstverständlichkeit

Inzwischen ist diese Aufregung kaum mehr nachvollziehbar. Schwule und lesbische Lebens­entwürfe sind in Fernseh­serien selbst­verständlich geworden. Man staunt eher, wenn mal keine queeren Figuren vorkommen. Vor allem aber: Sie werden nicht mehr als die kuriosen Sonderlinge oder gar als bedauerns­werte Problem­fälle dargestellt. Und es herrscht Vielfalt: Sie sind Singles, verheiratet oder allein­erziehende Mütter, Teenager oder pensioniert, sehen nicht anders aus als alle anderen, haben Alltags­probleme, die jeder kennt. Schwule und Lesben sind die netten Nachbarn von nebenan.

Identitäten und Lebens­entwürfe, aber auch ihre mediale Darstellung, wurden im vergangenen Jahrzehnt komplexer und vielschichtiger. Unter dem immer länger werdenden Kürzel LGBTIQ fasst man im englischen Sprach­raum lesbian, gay, bisexual, trans, intersex und queer zusammen. Manchmal hängt auch noch ein A+ dran, damit sich asexuelle Menschen ebenfalls inkludiert fühlen.

Viele Jugendliche wollen sich ohnehin nicht mehr festschreiben lassen auf tradierte Labels wie Mann oder Frau, die meist mit bestimmten Rollen­klischees behaftet sind. Sie bezeichnen sich als genderfluid, was bedeutet, dass sich ihre Geschlechts­identität mit der Zeit oder in bestimmten Situationen ändert. Oder man spricht von einem «nicht binären Geschlecht», wenn man sich mit mehreren Geschlechtern identifizieren kann – oder sich gar keinem Geschlecht zugehörig fühlt.

Individuelle Biografien

TV-Serien leisten wesentliche Aufklärungs­arbeit, wenn es um die Darstellung solch multipler Gender­identitäten geht. Gerade Trans­personen standen lange im Abseits. Man wusste vage, es handelt sich um Menschen, die sich mit ihrem biologischen Geschlecht nicht eins fühlen. Transfrauen oder -männer waren in Kino­filmen und Serien darauf reduziert, Aussen­seiter zu sein.

Meist ging es um Unglückliche, die Suizid begehen (Rainer Werner Fassbinders «In einem Jahr mit 13 Monden», 1978), oder Menschen, die ihre gefühlte Identität zwar leben, aber dafür von der Umwelt bestraft, mitunter sogar ermordet werden («Boys Don’t Cry», 1999). Transfrauen werden häufig als Prostituierte gezeigt («Tangerine L.A.», 2015). Oder als psychotische Serien­killer in Sende­formaten wie «CSI» und im Erfolgs­film «Das Schweigen der Lämmer» (1991).

Als Transgender noch Unglück bedeutete: Volker Spengler 1978 in «In einem Jahr mit 13 Monden». imago images/Prod.DB

«Es gibt nicht nur die eine Trans­geschichte», sagt US-Schau­spielerin und Trans­aktivistin Laverne Cox, die durch ihre Darstellung in der Erfolgs­serie «Orange Is the New Black» (oft abgekürzt mit OITNB) einem breiten Publikum bekannt wurde. «Es geht darum, Individuen zuzuhören; mehr und mehr Trans­menschen sind bereit, ihre persönliche Geschichte zu erzählen.»

Gerade TV-Serien sind offener als andere Medien, diese Trans-Geschichten auch zu erforschen und darzustellen. In der Knastserie OITNB steht die bisexuelle Piper Chapman im Zentrum. Sie wird von ihrer Vergangenheit eingeholt: Im College war sie mit ihrer damaligen Geliebten Alex in Geschäfte mit Drogengeld­wäsche verwickelt. Laverne Cox spielt eine weitere Gefangene, und zwar die schwarze Friseurin Sophia, die wegen Kreditkarten­betrugs von ihrem Sohn angezeigt wurde. Sie brauchte das Geld, um ihre Hormon­therapie und die Geschlechts­anpassung zu finanzieren. Sophia ist eine Figur mit vielen Nuancen. Zu Beginn der Serie wird ihre Hormon­dosis reduziert. Wir kriegen die damit verbundenen Schwierigkeiten mit, die Angst, was das mit ihrem Körper machen wird.

In Rückblenden erfahren wir Sophias Geschichte: Sie war vor ihrer Transition mit einer Frau verheiratet, Sohn Michael kommt mit der Veränderung überhaupt nicht klar. Familien­probleme, der Wunsch, sich zu verändern und doch nicht alles zu verlieren: Die Zuschauerinnen können sich mit Sophia identifizieren, was sicher zum schlagenden Erfolg der Serie beigetragen hat.

Medienstars als «role models»

Auch im echten Leben ist die transsexuelle Schau­spielerin Laverne Cox role model und Vorkämpferin für Trans-Rechte. Sie war am 9. Juni 2014 auf dem Cover des renommierten amerikanischen Nachrichten­magazins «Time» und damit die erste offen lebende Transperson, die es dorthin geschafft hatte. Im selben Jahr erhielt sie eine Emmy-Nominierung für die Rolle der Sophia in OITNB – für eine Transperson ein weiteres Novum.

Vorkämpferin für Trans-Rechte: Laverne Cox (Mitte) in «Orange Is the New Black» (links Kate Mulgrew). Ali Goldstein/Netflix/Courtesy Everett Collection/Keystone

Verstärkt sensibilisiert für die Trans-Thematik wurde die Öffentlichkeit mit dem Outing von Caitlyn Jenner 2015 als Transfrau, die als Bruce Jenner Olympia­sieger im Zehnkampf und als Mitglied des Kardashian-Clans ein TV-Star war. Heute kann man in Sachen medialer Präsenz überspitzt sagen: Transgender steht dort, wo schwul und lesbisch Ende der 1990er-Jahre standen.

Es herrscht Aufbruch­stimmung. Einem breiteren Publikum wird klar, dass jede Transperson ihre ganz individuelle Geschichte hat. Liebt Caitlyn Jenner weiterhin Frauen wie bisher als Bruce Jenner, oder schliesst die Geschlechts­anpassung eine andere sexuelle Präferenz ein? Auch diese Frage interessierte die Fernseh­zuschauer. Darin blieb sich Jenner nämlich als Frau treu: Das eigene Leben wollte medial möglichst gut vermarktet werden.

Grundsätzlich ist Transgender unabhängig von der sexuellen Orientierung zu betrachten. Transfrauen können also Männer oder Frauen lieben, ihr Begehren ist, wie bei allen anderen Menschen ja auch, nicht äusserlich erkennbar. In der aktuellen Teenie-Serie «Euphoria» spielt Hunter Schafer, amerikanisches Model und LGBTIQ-Aktivistin, eine Schülerin, die entdeckt, dass sie sowohl Männer als auch Frauen attraktiv findet. In Interviews betont Schafer, sie sei stolz darauf, trans zu sein, und wolle nicht als Cis-Girl durchgehen (mit «cis» bezeichnet man Menschen, deren Gender­identität mit ihrem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht übereinstimmt).

Sichtbarkeit heisst noch nicht Akzeptanz

In Sachen neues Trans-Selbstbewusstsein verändert sich einiges: Während viele Transmenschen früher möglichst unsichtbar bleiben und als cis wahrgenommen werden wollten, geht es heute darum, die volle Akzeptanz ihrer Geschlechts­identität einzufordern. Allerdings soll das nicht darüber hinweg­täuschen, dass diese Akzeptanz nach wie vor oft verweigert wird.

«In den USA ist die Sichtbarkeit von Trans­menschen so gross wie nie zuvor», sagte Cox 2015 in einem Interview mit dem «Spiegel». «Dennoch ist die Mordrate unter Transmenschen nach wie vor sehr hoch, sie werden über­proportional häufig Opfer von Gewalt­taten, sind oft arbeitslos und werden von der Polizei drangsaliert.» Weder die Vorurteile noch die daraus resultierenden Aggressionen und Diskriminierungen haben sich aufgelöst.

Transgender kann schon Nebensache sein: «Sense8» mit Freema Agyeman (links) und Jamie Clayton. Merie Weismiller Wallace/Netflix/Courtesy Everett Collection/Keystone

Serien können eine Plattform sein, um diese Vorurteile abzubauen. Dabei müssen Gender­identität und Sexualität gar nicht im Zentrum stehen. Die Netflix-Sci-Fi-Serie «Sense8» macht das exemplarisch vor: Eine der Haupt­figuren (gespielt von Jamie Clayton) ist eine junge Transgender-Frau, die als politische Bloggerin und Hackerin aktiv ist und eine Freundin hat. Ihre Trans-Biografie und die lesbische Liebes­geschichte sind aber nur der Hintergrund für Wichtigeres. Nämlich: die Welt zu retten.

Viele Serien ziehen nach. Es gehört fast schon zum Standard, eine Transgender-Figur im Cast zu haben. Sogar bei der eher braven Musical-Serie «Glee» ist eine Transgender-Lehrerin an der Schule tätig.

Trans-Family, Trans-Comedy

Herausragend ist die Golden-Globe-Gewinner-Serie «Transparent» (ein Kunstwort, zusammen­gesetzt aus «Transgender» und «Parent»). Sie erzählt von einem pensionierten Universitäts­professor aus Los Angeles, der seine Familie damit konfrontiert, als Frau leben zu wollen.

Der bekannte Schauspieler Jeffrey Tambor verkörpert diese Trans­sexuelle. Wenn ein Familien­mitglied eine Transition mache, dann müsse die ganze Familie sich verändern, heisst es einmal sinngemäss in der Serie, die zeigt, wie sehr eine solche Entscheidung das ganze Familien­leben umkrempelt.

Das Besondere an «Transparent» ist, wie unsentimental die Thematik verhandelt wird. Im Grunde sind alle Mitglieder der Familie notorische Nerven­sägen und reichlich egomanisch. Und trotzdem gewinnt man sie schnell lieb. «Transparent» verharmlost aber auch nichts. Es stellt sich heraus, dass der Professor mit seinen 70 Jahren einfach zu alt und körperlich nicht mehr fit genug ist für die Geschlechts­angleichungs-OP.

«Transparent» ist die perfekte Mischung aus Drama und Komödie. Immer wenn es zu rührend wird, schlägt die Geschichte einen Haken: Auch Transsexuelle können ihrer Umwelt ziemlich auf die Nerven gehen. Nichts wird beschönigt, gerade daraus entsteht der Witz.

Eine Trans-Nebenrolle wird übrigens von Trace Lysette verkörpert, für die diese Rolle auch eine Art Outing war. Sie begann ihre Karriere als Showgirl, spielte später beim Fernsehen (etwa in «Law & Order: Special Victims Unit»), erzählte aber keinem am Set, dass sie nicht schon immer als Frau gelebt hatte: Sie befürchtete, ihre persönliche Geschichte könnte auffliegen. Ihre Kollegin Laverne Cox ermutigte sie, zu dieser zu stehen.

Fiction und Friktionen

Dass der hetero­sexuelle Cis-Schauspieler Jeffrey Tambor in «Transparent» eine Transperson spielt, hat anfangs sicher zur Akzeptanz der Serie beigetragen. Obwohl es natürlich auch ein Problem ist: Hollywood­stars brillieren als Trans-Figuren, echte Trans­sexuelle dürfen bloss die Neben­rollen übernehmen, obwohl ihre Geschichten verhandelt werden. Gern wird betont, dass es nun mal Schauspiel sei und man sich auf der Leinwand nicht selbst verkörpern müsse. Diese Argumentation hinkt – sie würde nur stimmen, wenn Trans-Schauspielerinnen und -Schauspieler auch grosse Cis-Rollen in Mainstream-Filmen angeboten bekämen. Was leider selten der Fall ist.

2017 schlitterte «Transparent» in eine Krise. Sowohl von seiner Assistentin als auch von seiner Kollegin Lysette wurde Jeffrey Tambor sexuelle Belästigung am Set vorgeworfen. Der Schau­spieler verliess die Serie daraufhin. Lange war nicht klar, ob es eine finale fünfte Staffel überhaupt geben würde. Das am 27. September bei Amazon Prime angelaufene Ende besteht nun bloss aus einer Folge, einem Musical-Special – ohne Tambor.

Als in den 80ern das Voguing erfunden wurde: «Pose» mit Indya Moore. Michael Parmalee/FX/Everett Collection/Keystone

Eine spannende neue Serie ist «Pose», die von der Ballroom-Kultur in den 1980er-Jahren berichtet, als Schwule und Trans­sexuelle in New Yorker Clubs in Harlem das berühmte Voguing erfanden. Popstars wie Madonna machten den Tanzstil später massentauglich.

Die Serie erzählt aber auch vom Aufkommen der Immun­krankheit Aids und vom damaligen Total­versagen der US-Politik, von gesellschaftlicher Ausgrenzung und dem Finden einer neuen Familie in den Clubs. «Pose» beeindruckt mit einem Cast, der viele Transgender-Schauspielerinnen aufweist: von MJ Rodriguez über Dominique Jackson bis zu Indya Moore.

Serien wie «Pose» sind eine ideale Plattform für Trans-Schauspielerinnen, denen man eine grosse Karriere wünscht. Und zwar nicht nur in Filmen, in denen sie Figuren verkörpern, die ihre eigene Geschichte widerspiegeln.

Zur Autorin

Karin Cerny lebt in Wien. Sie schreibt regel­mässig über Theater, Literatur und Kultur­politik im Wochen­magazin «Profil» sowie Reise- und Mode­geschichten für «Rondo», die Beilage der Tages­zeitung «Der Standard». Für die Republik schrieb sie zuletzt über die HBO-Produktion «Euphoria».