Love me Gender
TV-Serien leisten längst fällige Aufklärungsarbeit: Sie gehen erfrischend unverkrampft mit Transgender-Personen um – und zeigen deren höchst unterschiedliche Lebensentwürfe.
Von Karin Cerny, 21.11.2019
Es ist nicht allzu lange her, da war die Darstellung von Homosexualität im Fernsehen ein Tabuthema. Als sich die TV-Figuren Carsten Flöter (Georg Uecker) und Robert Engel (Martin Armknecht) anno 1990 in der beliebten ARD-Serie «Lindenstrasse» küssten, folgte in der Boulevardpresse eine Welle der Empörung. Ganz Bayern war ausser Rand und Band.
Beide Darsteller erhielten Morddrohungen. «Die Leute sind auf der Strasse übergriffig geworden, haben mich beschimpft: ‹Du schwule Sau, ab ins KZ›», erinnerte sich Armknecht in einem Interview. Uecker bekam damals sogar kurzfristig Personenschutz zur Seite gestellt. Eine Wiederholung der Folge wurde tunlichst unterlassen.
Neue Selbstverständlichkeit
Inzwischen ist diese Aufregung kaum mehr nachvollziehbar. Schwule und lesbische Lebensentwürfe sind in Fernsehserien selbstverständlich geworden. Man staunt eher, wenn mal keine queeren Figuren vorkommen. Vor allem aber: Sie werden nicht mehr als die kuriosen Sonderlinge oder gar als bedauernswerte Problemfälle dargestellt. Und es herrscht Vielfalt: Sie sind Singles, verheiratet oder alleinerziehende Mütter, Teenager oder pensioniert, sehen nicht anders aus als alle anderen, haben Alltagsprobleme, die jeder kennt. Schwule und Lesben sind die netten Nachbarn von nebenan.
Identitäten und Lebensentwürfe, aber auch ihre mediale Darstellung, wurden im vergangenen Jahrzehnt komplexer und vielschichtiger. Unter dem immer länger werdenden Kürzel LGBTIQ fasst man im englischen Sprachraum lesbian, gay, bisexual, trans, intersex und queer zusammen. Manchmal hängt auch noch ein A+ dran, damit sich asexuelle Menschen ebenfalls inkludiert fühlen.
Viele Jugendliche wollen sich ohnehin nicht mehr festschreiben lassen auf tradierte Labels wie Mann oder Frau, die meist mit bestimmten Rollenklischees behaftet sind. Sie bezeichnen sich als genderfluid, was bedeutet, dass sich ihre Geschlechtsidentität mit der Zeit oder in bestimmten Situationen ändert. Oder man spricht von einem «nicht binären Geschlecht», wenn man sich mit mehreren Geschlechtern identifizieren kann – oder sich gar keinem Geschlecht zugehörig fühlt.
Individuelle Biografien
TV-Serien leisten wesentliche Aufklärungsarbeit, wenn es um die Darstellung solch multipler Genderidentitäten geht. Gerade Transpersonen standen lange im Abseits. Man wusste vage, es handelt sich um Menschen, die sich mit ihrem biologischen Geschlecht nicht eins fühlen. Transfrauen oder -männer waren in Kinofilmen und Serien darauf reduziert, Aussenseiter zu sein.
Meist ging es um Unglückliche, die Suizid begehen (Rainer Werner Fassbinders «In einem Jahr mit 13 Monden», 1978), oder Menschen, die ihre gefühlte Identität zwar leben, aber dafür von der Umwelt bestraft, mitunter sogar ermordet werden («Boys Don’t Cry», 1999). Transfrauen werden häufig als Prostituierte gezeigt («Tangerine L.A.», 2015). Oder als psychotische Serienkiller in Sendeformaten wie «CSI» und im Erfolgsfilm «Das Schweigen der Lämmer» (1991).
«Es gibt nicht nur die eine Transgeschichte», sagt US-Schauspielerin und Transaktivistin Laverne Cox, die durch ihre Darstellung in der Erfolgsserie «Orange Is the New Black» (oft abgekürzt mit OITNB) einem breiten Publikum bekannt wurde. «Es geht darum, Individuen zuzuhören; mehr und mehr Transmenschen sind bereit, ihre persönliche Geschichte zu erzählen.»
Gerade TV-Serien sind offener als andere Medien, diese Trans-Geschichten auch zu erforschen und darzustellen. In der Knastserie OITNB steht die bisexuelle Piper Chapman im Zentrum. Sie wird von ihrer Vergangenheit eingeholt: Im College war sie mit ihrer damaligen Geliebten Alex in Geschäfte mit Drogengeldwäsche verwickelt. Laverne Cox spielt eine weitere Gefangene, und zwar die schwarze Friseurin Sophia, die wegen Kreditkartenbetrugs von ihrem Sohn angezeigt wurde. Sie brauchte das Geld, um ihre Hormontherapie und die Geschlechtsanpassung zu finanzieren. Sophia ist eine Figur mit vielen Nuancen. Zu Beginn der Serie wird ihre Hormondosis reduziert. Wir kriegen die damit verbundenen Schwierigkeiten mit, die Angst, was das mit ihrem Körper machen wird.
In Rückblenden erfahren wir Sophias Geschichte: Sie war vor ihrer Transition mit einer Frau verheiratet, Sohn Michael kommt mit der Veränderung überhaupt nicht klar. Familienprobleme, der Wunsch, sich zu verändern und doch nicht alles zu verlieren: Die Zuschauerinnen können sich mit Sophia identifizieren, was sicher zum schlagenden Erfolg der Serie beigetragen hat.
Medienstars als «role models»
Auch im echten Leben ist die transsexuelle Schauspielerin Laverne Cox role model und Vorkämpferin für Trans-Rechte. Sie war am 9. Juni 2014 auf dem Cover des renommierten amerikanischen Nachrichtenmagazins «Time» und damit die erste offen lebende Transperson, die es dorthin geschafft hatte. Im selben Jahr erhielt sie eine Emmy-Nominierung für die Rolle der Sophia in OITNB – für eine Transperson ein weiteres Novum.
Verstärkt sensibilisiert für die Trans-Thematik wurde die Öffentlichkeit mit dem Outing von Caitlyn Jenner 2015 als Transfrau, die als Bruce Jenner Olympiasieger im Zehnkampf und als Mitglied des Kardashian-Clans ein TV-Star war. Heute kann man in Sachen medialer Präsenz überspitzt sagen: Transgender steht dort, wo schwul und lesbisch Ende der 1990er-Jahre standen.
Es herrscht Aufbruchstimmung. Einem breiteren Publikum wird klar, dass jede Transperson ihre ganz individuelle Geschichte hat. Liebt Caitlyn Jenner weiterhin Frauen wie bisher als Bruce Jenner, oder schliesst die Geschlechtsanpassung eine andere sexuelle Präferenz ein? Auch diese Frage interessierte die Fernsehzuschauer. Darin blieb sich Jenner nämlich als Frau treu: Das eigene Leben wollte medial möglichst gut vermarktet werden.
Grundsätzlich ist Transgender unabhängig von der sexuellen Orientierung zu betrachten. Transfrauen können also Männer oder Frauen lieben, ihr Begehren ist, wie bei allen anderen Menschen ja auch, nicht äusserlich erkennbar. In der aktuellen Teenie-Serie «Euphoria» spielt Hunter Schafer, amerikanisches Model und LGBTIQ-Aktivistin, eine Schülerin, die entdeckt, dass sie sowohl Männer als auch Frauen attraktiv findet. In Interviews betont Schafer, sie sei stolz darauf, trans zu sein, und wolle nicht als Cis-Girl durchgehen (mit «cis» bezeichnet man Menschen, deren Genderidentität mit ihrem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht übereinstimmt).
Sichtbarkeit heisst noch nicht Akzeptanz
In Sachen neues Trans-Selbstbewusstsein verändert sich einiges: Während viele Transmenschen früher möglichst unsichtbar bleiben und als cis wahrgenommen werden wollten, geht es heute darum, die volle Akzeptanz ihrer Geschlechtsidentität einzufordern. Allerdings soll das nicht darüber hinwegtäuschen, dass diese Akzeptanz nach wie vor oft verweigert wird.
«In den USA ist die Sichtbarkeit von Transmenschen so gross wie nie zuvor», sagte Cox 2015 in einem Interview mit dem «Spiegel». «Dennoch ist die Mordrate unter Transmenschen nach wie vor sehr hoch, sie werden überproportional häufig Opfer von Gewalttaten, sind oft arbeitslos und werden von der Polizei drangsaliert.» Weder die Vorurteile noch die daraus resultierenden Aggressionen und Diskriminierungen haben sich aufgelöst.
Serien können eine Plattform sein, um diese Vorurteile abzubauen. Dabei müssen Genderidentität und Sexualität gar nicht im Zentrum stehen. Die Netflix-Sci-Fi-Serie «Sense8» macht das exemplarisch vor: Eine der Hauptfiguren (gespielt von Jamie Clayton) ist eine junge Transgender-Frau, die als politische Bloggerin und Hackerin aktiv ist und eine Freundin hat. Ihre Trans-Biografie und die lesbische Liebesgeschichte sind aber nur der Hintergrund für Wichtigeres. Nämlich: die Welt zu retten.
Viele Serien ziehen nach. Es gehört fast schon zum Standard, eine Transgender-Figur im Cast zu haben. Sogar bei der eher braven Musical-Serie «Glee» ist eine Transgender-Lehrerin an der Schule tätig.
Trans-Family, Trans-Comedy
Herausragend ist die Golden-Globe-Gewinner-Serie «Transparent» (ein Kunstwort, zusammengesetzt aus «Transgender» und «Parent»). Sie erzählt von einem pensionierten Universitätsprofessor aus Los Angeles, der seine Familie damit konfrontiert, als Frau leben zu wollen.
Der bekannte Schauspieler Jeffrey Tambor verkörpert diese Transsexuelle. Wenn ein Familienmitglied eine Transition mache, dann müsse die ganze Familie sich verändern, heisst es einmal sinngemäss in der Serie, die zeigt, wie sehr eine solche Entscheidung das ganze Familienleben umkrempelt.
Das Besondere an «Transparent» ist, wie unsentimental die Thematik verhandelt wird. Im Grunde sind alle Mitglieder der Familie notorische Nervensägen und reichlich egomanisch. Und trotzdem gewinnt man sie schnell lieb. «Transparent» verharmlost aber auch nichts. Es stellt sich heraus, dass der Professor mit seinen 70 Jahren einfach zu alt und körperlich nicht mehr fit genug ist für die Geschlechtsangleichungs-OP.
«Transparent» ist die perfekte Mischung aus Drama und Komödie. Immer wenn es zu rührend wird, schlägt die Geschichte einen Haken: Auch Transsexuelle können ihrer Umwelt ziemlich auf die Nerven gehen. Nichts wird beschönigt, gerade daraus entsteht der Witz.
Eine Trans-Nebenrolle wird übrigens von Trace Lysette verkörpert, für die diese Rolle auch eine Art Outing war. Sie begann ihre Karriere als Showgirl, spielte später beim Fernsehen (etwa in «Law & Order: Special Victims Unit»), erzählte aber keinem am Set, dass sie nicht schon immer als Frau gelebt hatte: Sie befürchtete, ihre persönliche Geschichte könnte auffliegen. Ihre Kollegin Laverne Cox ermutigte sie, zu dieser zu stehen.
Fiction und Friktionen
Dass der heterosexuelle Cis-Schauspieler Jeffrey Tambor in «Transparent» eine Transperson spielt, hat anfangs sicher zur Akzeptanz der Serie beigetragen. Obwohl es natürlich auch ein Problem ist: Hollywoodstars brillieren als Trans-Figuren, echte Transsexuelle dürfen bloss die Nebenrollen übernehmen, obwohl ihre Geschichten verhandelt werden. Gern wird betont, dass es nun mal Schauspiel sei und man sich auf der Leinwand nicht selbst verkörpern müsse. Diese Argumentation hinkt – sie würde nur stimmen, wenn Trans-Schauspielerinnen und -Schauspieler auch grosse Cis-Rollen in Mainstream-Filmen angeboten bekämen. Was leider selten der Fall ist.
2017 schlitterte «Transparent» in eine Krise. Sowohl von seiner Assistentin als auch von seiner Kollegin Lysette wurde Jeffrey Tambor sexuelle Belästigung am Set vorgeworfen. Der Schauspieler verliess die Serie daraufhin. Lange war nicht klar, ob es eine finale fünfte Staffel überhaupt geben würde. Das am 27. September bei Amazon Prime angelaufene Ende besteht nun bloss aus einer Folge, einem Musical-Special – ohne Tambor.
Eine spannende neue Serie ist «Pose», die von der Ballroom-Kultur in den 1980er-Jahren berichtet, als Schwule und Transsexuelle in New Yorker Clubs in Harlem das berühmte Voguing erfanden. Popstars wie Madonna machten den Tanzstil später massentauglich.
Die Serie erzählt aber auch vom Aufkommen der Immunkrankheit Aids und vom damaligen Totalversagen der US-Politik, von gesellschaftlicher Ausgrenzung und dem Finden einer neuen Familie in den Clubs. «Pose» beeindruckt mit einem Cast, der viele Transgender-Schauspielerinnen aufweist: von MJ Rodriguez über Dominique Jackson bis zu Indya Moore.
Serien wie «Pose» sind eine ideale Plattform für Trans-Schauspielerinnen, denen man eine grosse Karriere wünscht. Und zwar nicht nur in Filmen, in denen sie Figuren verkörpern, die ihre eigene Geschichte widerspiegeln.
Karin Cerny lebt in Wien. Sie schreibt regelmässig über Theater, Literatur und Kulturpolitik im Wochenmagazin «Profil» sowie Reise- und Modegeschichten für «Rondo», die Beilage der Tageszeitung «Der Standard». Für die Republik schrieb sie zuletzt über die HBO-Produktion «Euphoria».