CO2-Vorschlag, Majorzärger, Frauenpower – und eine Versetzung
Das Wichtigste in Kürze aus dem Bundeshaus (65).
Von Andrea Arezina, Elia Blülle, Dennis Bühler und Urs Bruderer, 22.08.2019
Beim griechischen Dichter Äsop vergnügt sich die Heuschrecke, während die Ameise Wintervorräte anlegt. Die Römer haben Lehrer als Esel dargestellt und ihre Schüler als Affen. Politische Karikaturen sind seit vielen Jahrhunderten ein natürlicher Lebensraum für Schweine, Kraken, Hunde und Krokodile.
Die Welt wäre sehr viel ärmer, wenn es keine Tiere gäbe, mit denen wir uns vergleichen könnten. Dumme Gans, blöde Schnepfe, eitler Pfau – den Tiervergleich haben nicht die Nazis erfunden. Aber auch sie hatten ihre helle Freude daran und verglichen ihre Gegner gern mit Ratten und Würmern.
Ist die Schweiz jetzt dem Faschismus noch einen Tick näher gekommen, weil die SVP auf ihren Wahlplakaten alle anderen Parteien mit Würmern vergleicht?
Ach was.
Hat sich die SVP in einem Wahlkampf, der völlig an ihr vorbeizieht, wieder ins Gespräch gebracht?
Ja, aber wie.
Vergleiche sagen oft mehr aus über den, der sie zieht, als über den Verglichenen. Sogar in den Reihen der SVP spüren viele, dass dieses Plakat in seiner groben Hässlichkeit auf sie zurückfällt.
Die Partei konnte das auch schon besser. Etwa als ein weisses Schäfchen ein schwarzes Schäfchen mit einem gezielten Tritt aus der Schweiz bugsierte. Zu ihren besten Zeiten hatten die SVP und ihre Propaganda die verspielte Brutalität einer Wildkatze. Dieses Jahr erinnert die Partei an einen räudigen Kläffer.
Und damit von den derzeitigen Niederungen des Wahlkampfs zum Briefing aus Bern.
Majorz: Bundesgericht weist Bündner in die Schranken
Worum es geht: Beim Majorz (Mehrheitswahl) werden die Kandidatinnen gewählt, die am meisten Stimmen erhalten; beim Proporz (Verhältniswahl) werden zuerst Parteien gewählt und erst dann die Kandidatinnen. Achtmal in den vergangenen 82 Jahren stimmten die Bündnerinnen über eine Änderung des kantonalen Wahlverfahrens ab. Achtmal lehnten sie einen Wechsel vom Majorz zum Proporz ab. Nun weist sie das Bundesgericht in die Schranken. Es hiess eine Beschwerde gegen die Durchführung von Grossratswahlen nach dem Majorzverfahren teilweise gut.
Warum das wichtig ist: Das Urteil des Bundesgerichts verhilft der Bundesverfassung zur Geltung und verbessert zugleich die Funktionsweise der Demokratie. Als einziger Kanton neben Appenzell Innerrhoden hält Graubünden bis heute am antiquierten Majorz fest. Damit verletzt der Bergkanton die Bundesverfassung gleich auf zweierlei Art, wie das höchste Gericht des Landes nun festgestellt hat: in seinem kleinsten Wahlkreis und in seinen sechs bevölkerungsreichsten Wahlkreisen. Während ein Mitglied des Bündner Grossen Rates durchschnittlich 1342 Personen repräsentiert, vertritt der im Wahlkreis Avers für die BDP gewählte Landwirt und Skilehrer Robert Heinz bloss 160 Schweizer – ein Verstoss gegen die in der Verfassung garantierte Stimmkraftgleichheit. In den verhältnismässig grossen Wahlkreisen wiederum kann laut Bundesgericht angesichts der grossen Anzahl zu vergebender Sitze nicht mehr davon ausgegangen werden, dass die Kandidatinnen einer Mehrzahl der Wähler persönlich bekannt sind. Ausschlaggebend sei dort die Parteizugehörigkeit – und das Majorzprinzip entsprechend sachlich nicht länger zu rechtfertigen.
Wie es weitergeht: Das absehbare Ende des Majorzes ist vor allem für die Mitteparteien FDP, CVP und BDP ein herber Schlag, die im Bündner Grossen Rat bis anhin stark überrepräsentiert sind. Von der nun vom Kanton aufzugleisenden Wahlrechtsreform dürfte vor allem die SVP profitieren, die trotz ihres Wähleranteils von rund 30 Prozent in der laufenden Legislatur bloss 9 von 120 Sitzen hält.
CO2-Gesetz: Bestimmt, aber immer noch zaghaft
Worum es geht: Im vergangenen Dezember stürzte das neue CO2-Gesetz im Nationalrat ab. Der Grund: Die FDP hat mit ihrer bürgerlichen Mehrheit sämtliche Massnahmen zur Reduktion der Treibhausgasemissionen dermassen abgeschwächt, dass der zuvor austarierte Konsens auch für die Linken nicht mehr tragbar war. Nun hat die Ständeratskommission einen nächsten Anlauf genommen und einen Vorschlag präsentiert, der in wesentlichen Punkten weiter geht als die alte Vorlage.
Warum das wichtig ist: Will die Schweiz die Pariser Klimaziele einhalten und damit aktiv gegen die drohende Katastrophe einer drastischen Klimaerwärmung vorgehen, muss sie so schnell wie möglich ihre Treibhausgasemissionen reduzieren. Das CO2-Gesetz ist dafür ein wichtiges Steuerungsinstrument. Mit der neuen Vorlage verlangt die ständerätliche Umweltkommission höhere Abgaben auf fossilen Treibstoffen, eine Flugticketsteuer und ein fixes Inlandziel von 20 Prozent. Das heisst, ab 2025 müsste ein Fünftel aller CO2-Einsparungen durch Massnahmen in der Schweiz kompensiert werden. Es wäre ein wichtiger, aber immer noch zaghafter Schritt hin zu einer klimafreundlichen Politik.
Wie es weitergeht: Die Vorlage hat gute Chancen. Beim Klimathema will im Moment links von der SVP keine Partei als Bremsklotz dastehen. Die Vorlage wird in der kommenden Herbstsession im Ständerat verhandelt – kurz vor den Wahlen.
Wahlen 2019: Weit entfernt von einer Frauenmehrheit
Worum es geht: Gemäss einer Analyse der NZZ zeichnet sich bei den nationalen Parlamentswahlen ein «Frauenrutsch» ab. Auf den Listen der Parteien kandidieren im kommenden Herbst 6 Prozent mehr Frauen als beim letzten Wahlgang. Entscheidend für eine bessere Frauenvertretung dürfte zudem auch die bessere Platzierung sein. Viele Frauen belegen aussichtsreichere Positionen auf den Wahllisten als noch vor vier Jahren.
Warum das wichtig ist: Aktuell beträgt der Frauenanteil im Nationalrat 31,7 Prozent und im Ständerat deren 13. Eine dermassen tiefe Frauenquote ist einer repräsentativen Demokratie nicht würdig.
Wie es weitergeht: Am 20. Oktober finden die Wahlen statt. Entscheidend für eine bessere Frauenvertretung im Parlament wird vor allem auch das Wahlverhalten der Stimmbürgerinnen sein. So wurden Frauen in vergangenen Jahren oft schlechter gewählt, als sie von ihren Parteien ursprünglich platziert wurden. Insbesondere auf den Listen der FDP und der BDP strichen Wähler weibliche Kandidatinnen von der Liste und ersetzten sie durch Männer.
Gesundheitswesen: Kosten sind zu hoch
Was bisher geschah: Der Bundesrat hat sich auf neun Massnahmen geeinigt, die die Kosten im Gesundheitswesen dämpfen sollen. Die grössten Einsparungen sieht der Bundesrat bei den Preisen von Medikamenten. Sobald drei oder mehr Medikamente mit den gleichen Wirkstoffen auf dem Markt sind, legt der Bundesrat einen Referenzpreis fest. Er stützt sich dabei auf die Medikamentenpreise im Ausland. Die Krankenkasse vergütet maximal den Referenzpreis. Wer dennoch ein Produkt wählt, das mehr kostet, muss den Aufschlag selber bezahlen. Von diesem System verspricht sich der Bundesrat jährliche Einsparungen von 300 bis 500 Millionen Franken. Mit den übrigen Massnahmen will der Bundesrat erreichen, dass die Tarife für medizinische Leistungen sinken oder leichter angepasst werden können. Auch das soll zu einigen hundert Millionen Franken Einsparungen führen. Die Krankenkassenprämien könnten damit um 2 bis 3 Prozent gedrückt werden, schätzt Bundesrat Alain Berset.
Warum das wichtig ist: Die Kosten im Gesundheitswesen steigen seit vielen Jahren an, und zwar steil: In den letzten 25 Jahren haben sich die Gesundheitsausgaben pro Kopf in der Schweiz verdoppelt. Das ist zum Teil erklärbar: Die Bevölkerung ist älter geworden, die Medizin hat Fortschritte gemacht und für viele Krankheiten neue, gute, aber auch teure Therapien entwickelt. Doch es gibt auch ein «medizinisch nicht erklärbares Mengenwachstum» von Behandlungen, die von den Krankenkassen übernommen werden. Für über ein Drittel aller Schweizer Haushalte ist die Krankenkasse (trotz Prämienverbilligungen) inzwischen teurer als die Steuerrechnung. Kein Wunder, ist das Thema ein politischer Dauerbrenner.
Wie es weitergeht: Das Paket von neun Vorschlägen des Bundesrates muss noch durchs Parlament. Viele Ständerätinnen und Nationalräte sind mit der Gesundheitsbranche eng verbandelt. Und wo Kosten eingespart werden, verliert jemand Geld. Mit intensivem Lobbying ist zu rechnen. Was von der Vorlage des Bundesrates am Schluss übrig bleibt, ist schwer vorauszusagen. Doch der Bundesrat wird nicht lockerlassen. Ein zweites Paket mit weiteren Massnahmen zur Kostendämpfung ist bereits in Arbeit.
Versetzung der Woche
Getrennt, was nie zueinander passte: FDP-Bundesrat Ignazio Cassis hat Staatssekretärin Pascale Baeriswyl gestern zwar nicht in die Wüste, aber immerhin nach New York geschickt. Dort übernimmt sie ab dem kommenden Frühjahr die Leitung der Ständigen Mission der Schweiz bei den Vereinten Nationen. Ein Abstieg nach drei Jahren an der Spitze des Aussendepartementes EDA, wo sie direkt hinter Cassis die Nummer zwei war. Und doch ein Befreiungsschlag – zumindest atmosphärisch. Zuletzt nämlich sollen die einst von Didier Burkhalter ins Amt gehobene Sozialdemokratin und überzeugte Völkerrechtlerin Baeriswyl und ihr Vorgesetzter fast gar nicht mehr miteinander gesprochen haben, wie aus dem EDA zu hören ist. Und auch bei der gestrigen Medienkonferenz war offenkundig, wie wenig Cassis ihr und über sie noch zu sagen hat: Nach exakt dreieinhalb Minuten und einem knappen Danke schwieg er. Baeriswyl hingegen nutzte die Gelegenheit, um während zwölf Minuten ausführlich ihre Einschätzung der Weltlage zum Besten zu geben. «Seit dem Zweiten Weltkrieg wurde ein kollektives Sicherheitssystem etabliert», sagte die 51-Jährige. «Inzwischen aber sind die Zündschnüre kurz und die Verantwortungsträger, die mit dem Feuer spielen, zahlreich geworden.» Alle Anwesenden dachten bei diesen Worten an Donald Trump. Manche auch an Cassis.