«Wir fahren Richtung Konfrontation»
Der Kalte Krieg ist zurück? Für Staatssekretärin Pascale Baeriswyl klingt das wie eine Verharmlosung. «Eine schwierige geopolitische Zeit steht uns bevor», sagt die Schweizer Chefdiplomatin. Ein Porträt.
Von Viktor Parma (Text) und Guadalupe Ruiz (Bilder), 19.04.2018
Lange genug erinnerte sie an Kassandra, die Seherin der griechischen Mythologie, die das Unheil früher als alle voraussah, aber kein Gehör fand. Wie die antike Sagengestalt hat auch Pascale Baeriswyl, Staatssekretärin des EDA, des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten, ein «disruptives Ereignis» vorausgesehen, eine internationale Zäsur, die den Lauf der Welt ändert.
Bis heute weiss die Chefdiplomatin nicht genau, was es sein, wer es auslösen und woher es kommen wird – ob vom Nahen Osten her, von der koreanischen Halbinsel oder von ganz woanders. «Eine schwierige geopolitische Zeit steht uns, denke ich, bevor.» Baeriswyl ist nicht nur besorgt. Sie ist alarmiert. Ihr Eindruck: «Wir fahren Richtung Konfrontation.»
Im Bundeshaus beginnt man nun auf sie zu hören. Alle für die Aussen- und Sicherheitspolitik wichtigen Fäden laufen heute bei ihr zusammen. Hinter den Kulissen leitet sie seit Sommer 2017 die interdepartementale Kerngruppe Sicherheit, die für den bundesrätlichen Sicherheitsausschuss arbeitet (Guy Parmelin, Simonetta Sommaruga und Ignazio Cassis). Baeriswyl gehört zu den bestinformierten Schweizerinnen und Schweizern überhaupt.
Weshalb hat gerade diese Sozialdemokratin so viel Macht bekommen? Wieso hat ihr ausgerechnet ein FDP-Bundesrat, Didier Burkhalter, per April 2017 auch noch das EU-Dossier überantwortet? Und warum hat es ihr sein Nachfolger, FDP-Bundesrat Ignazio Cassis, im Januar 2018 schon wieder entzogen und neu einem Europa-Staatssekretär, Roberto Balzaretti, zugeteilt?
Für Pascale Baeriswyl ist das bereits Schnee von gestern. Was sie in Atem hält, ist die dramatische Zuspitzung der Weltlage. Und was sie dabei besonders umtreibt, sind nicht so sehr die Konflikte an sich, als dass die Regeln immer weniger gelten, auch jene, die im Kalten Krieg noch respektiert wurden. Das sei es, was die Situation so brandgefährlich mache. Insofern – nur insofern – ähnelt ihre Lagebeurteilung jener Donald Trumps, der am 11. April twitterte, die Beziehungen zwischen den USA und Russland seien schlechter als je zuvor – und das schliesse, setzte er hinzu, die Periode des Kalten Kriegs mit ein. Auch in Baeriswyls Ohren klingt die geläufig gewordene Redensart, der Kalte Krieg sei zurück, wie eine Verharmlosung.
Das Netzwerken als Stärke
Aber passive Ohnmacht ist für Pascale Baeriswyl keine Option, im Gegenteil. Sie hat alle Hände voll zu tun, die von ihr für die Schweiz diagnostizierten Gefahren zu adressieren. Generell geht es dabei stets um dasselbe, um Kriegsgefahr, Friedensförderung, Menschenrechte, Allianzen und – last but not least – schweizerische Interessen, dies alles aber von Fall zu Fall, immer neu miteinander vermischt und verknüpft.
In Bern empfängt sie amerikanische Parlamentarier, iranische Emissäre und chinesische Exzellenzen, telefoniert mit ihren türkischen und russischen Amtskollegen, trifft sich mit dem Pfarrer des Zürcher Grossmünsters und andern Vertretern der Zivilgesellschaft. Ihre Stärke, meint sie, sei das Netzwerken, grenzüberschreitend. Nach Beijing besucht sie in den nächsten Wochen und Monaten die Uno in New York, Brasília, Lima und Moskau, hernach Teheran, Washington, Tokio und Singapur.
Im Ausland hält sie sich fast überall höchstens zwei, drei Tage auf, dauernd drängt der nächste Termin. Bei alledem möchte sich die Sozialdemokratin letzten Endes nur für eine «gerechtere Welt» einsetzen, in der sich «Menschen unabhängig von sozialer, kultureller, ethnischer oder religiöser Herkunft und vom Geschlecht in einer demokratischen Gesellschaft – frei von Existenzängsten – entfalten und ihren Beitrag leisten können».
Diese Utopie spiegelt Hoffnungen, die wohl auf ihre Jugend im Basler Dreiländereck zurückgehen. Ihr Vater arbeitete im Bahngüterverkehr. Auf ihr Herkommen habe sie so reagiert, dass sie leistungsstark und widerstandsfähig geworden sei, so Baeriswyl. «I’m a survivor.» Sie sei «die einzige aus meinem ganzen Umfeld, die je eine höhere Ausbildung genossen hat, wofür ich unendlich dankbar bin». Sie schloss ihr Studium in Basel 1994 mit dem Lizenziat in privatem und öffentlichem Recht, 1998 mit dem Lizenziat in Geschichte, französischer Literatur und Linguistik ab.
Sie übt ihren Job mit Herzblut und vollem Einsatz aus, mitunter aber, in stillen Momenten, fragt sie sich, ob sie nicht eher ein Flüchtlingslager in der jordanischen Wüste zu leiten versuchen sollte.
Das Problem mit der Institution Ehe
Ihr Engagement hat jedenfalls immer dieselbe Stossrichtung. Für Gewaltopfer setzte sie sich schon in den 1990er-Jahren in Basel ein, als die diplomatische Laufbahn erst ihr Fernziel war. Für den Nationalfonds untersuchte sie «Gewalt im Alltag». Als nebenamtliche Richterin am Zivilgericht bekam sie Eheprobleme noch und noch zu sehen. In ihrer Funktion als Rechtsberaterin und Leiterin der baselstädtischen Interventionsstelle gegen häusliche Gewalt sprach sie sich dafür aus, Täter, wenn nötig, durch 24-stündigen Polizeigewahrsam oder 48-stündige Festnahme unschädlich zu machen.
Die Ungerechtigkeiten, die sie zu Gesicht bekam, empörten sie dermassen, dass sie die Institution der Ehe boykottieren wollte. Sie ist mit ihrem Partner, René, seit 1992 glücklich, wie sie sagt. 1995 brachte sie ihren Sohn Laurent zur Welt. Doch war sie damals entschlossen, nie im Leben zu heiraten.
Als sie sich 1998 beim Aussendepartement in Bern zu ihren Prüfungen für die Zulassung zur diplomatischen Karriere meldete, war sie schon mit ihrem zweiten Kind schwanger. Sie bestand auf ihren eigenen Grundrechten als unverheiratete Mutter, sogar dem EDA gegenüber, ihrem – wie sie doch so dringend hoffte – künftigen Arbeitgeber.
Im Herbst tritt sie hochschwanger zur ersten Prüfungsrunde in Bern an. Im Winter hat sie schon ihr Töchterchen, Florence, an der Brust, und der Prüfer fragt sie ins Gesicht, warum sie nicht verheiratet sei. Da feuert sie auf ihn eine Salve ab. Sie setzt ihm die Geschichte der Geschlechterdebatte auseinander, vom römischen Recht bis zur häuslichen Gewalt.
Nach alter Schule hätte ihr Auftritt, urteilt sie heute, wohl gereicht, sie zu disqualifizieren. «Ich wusste, ich riskierte damit meinen Traumberuf, aber ich wollte mich nicht verstellen. Entweder verträgt es das, fand ich, oder ich will den Beruf doch nicht ausüben, weil ich sonst den Rest der Karriere darunter gelitten hätte.» Lächelnd fügt sie bei: «Nun bin ich ja Staatssekretärin geworden, was zeigt, dass es das eben doch vertragen hat.» Sie hatte Glück gehabt. Das traditionsbewusste EDA änderte und öffnete sich gerade, sie hatte den goldrichtigen Moment erwischt. Mit Annahme der neuen Bundesverfassung durch Volk und Stände 1999 wurde die Förderung der Menschenrechte erstmals zum verfassungsmässigen Auftrag des Bundes und zu einem von fünf aussenpolitischen Zielen aufgewertet.
In den Mitteln passte sich Pascale Baeriswyl an. 2001 heiratete sie ihren Partner doch noch – «eine grosse Konzession von mir» –, weil sie als Stagiaire Diplomatique nach Vietnam versetzt wurde, er aber, um sie dorthin zu begleiten, seinen Job in der Schweiz aufgab und dann nicht mehr abgesichert gewesen wäre. «Wir kapitulieren vor den Gesetzen und Traditionen der internationalen Gemeinschaft», gab sie in ihrer Einladung zum Hochzeitsfest bekannt und erklärte den Gästen in ihrer Festrede, jede und jeder dürfe selber entscheiden, ob er oder sie an einem Hochzeits- oder Abschiedsfest sei.
Sie war die erste Schweizer Diplomatin, die mit kleinen Kindern in die Karriere einstieg. Unterstützt wurde sie von ihrem über Jahre pendelnden Mann, der als Computerspezialist ein Basler Gymnasium betreut, und ihrer Mutter, die sie viele Dutzend Male im Ausland besuchte. Eigentlich, so Baeriswyl, habe sie mit ihrem Mann ein Leben lang über drei Kontinente hinweg auf fünf Posten versucht, für ihre Kinder in vier Schulsystemen mit drei Sprachen «eine hundsgewöhnliche Familie zu sein» – und «falls uns dies mehr oder minder gelungen ist, wäre dies der grösste Erfolg unseres Familienkonstrukts».
Ihren Kampf für die ihr wichtigen Grundrechte setzte sie Posten für Posten fort, mit diplomatischen Mitteln und kalkuliertem Risiko zugleich.
In Vietnam lancierte sie zusammen mit der einstigen Leibärztin von Ho Chi Minh das erste nationale Programm gegen häusliche Gewalt. Und nach ihrer Rückkehr in die Berner Zentrale setzte sie sich als stellvertretende Sektionschefin Menschenrechtspolitik erfolgreich dafür ein, dass die Schweiz den Menschenrechtsdialog mit Vietnam wieder aufnahm und dessen Gesetzgebung zu häuslicher Gewalt unterstützte.
Im Menschenrechtsdialog mit China trieb sie die Freilassung des am längsten inhaftierten tibetischen Gefangenen, Takna Jigme Sangpo (37 Jahre im Drapchi-Gefängnis), voran. Dies gelang ihr, weil die Schweiz den USA, die seine Freilassung bei China erwirkten, vorgängig seine Aufnahme – im Tibet-Institut in Rikon – zusagte. Diskret half sie 2005 in Bern die einzigen Verhandlungsgespräche zu organisieren, die zwischen China und den Tibetern je ausserhalb Chinas stattfanden.
Nepal brachte sie mit ihren Kollegen in Genf und Kathmandu durch Androhung einer kritischen Resolution bei der Uno-Menschenrechtskommission dazu, eine Feldmission unter Hochkommissarin Louise Arbour zuzulassen, die im Friedensprozess wichtige Impulse setzte. Am Ende konnte Nepal unter der neuen Verfassung erstmals nationale Wahlen durchführen.
Nach und nach wuchs Pascale Baeriswyl in die multilaterale Diplomatie hinein. Als Erste Botschaftssekretärin der Schweizer EU-Mission 2005 bis 2008 in Brüssel bereitete sie das Schweizer Engagement in den EU-Friedensoperationen im Kontext der Unabhängigkeitserklärung des Kosovo 2008 vor. Ihre liebe Mühe hatte sie nur mit den gängigen Lobreden zur Mustergültigkeit der Schweiz. Bisweilen ging es ihr, wie sie öffentlich eingestand, «ein wenig wie Mani Matter im Lied, in dem er einen Terroristen von den Werten der Schweiz überzeugt und von seinem Plan, das Bundeshaus zu sprengen, abbringt. Ob seiner Rede kommen ihm Zweifel.»
Auf ihrer Flugreise 2008 nach New York bereitet sie sich in Gedanken auf ihre Arbeit im Uno-Sicherheitsrat vor und ahnt nicht, dass wenig später der für die internationale Zusammenarbeit folgenschwere Georgienkrieg ausbricht. Ihr Flugzeug nimmt Kurs auf eine geballte Ladung Weltgeschichte, während sie ahnungslos, wie sie später erzählt, am Wasserglas nippt.
Small Five vs. Big Five
Über die geopolitischen Verschiebungen, die im Sicherheitsrat laufend sichtbar wurden, berichtete Baeriswyl sozusagen live an die Berner Zentrale, nach dem Georgienkonflikt auch über die arabischen Revolten oder das Nukleardossier mit dem Iran. Die Big Five, die fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates (USA, Russland, China, Frankreich und Grossbritannien), verloren gerade zusehends das nötige Vertrauen zueinander. Als Vetomächte begannen sie wieder häufig, wie vor 1990, ihr Vorrecht zu nutzen und Beschlüsse zu verhindern. Dadurch blockierten sie die Uno, der die Schweiz seit 2002 als souveränes Vollmitglied angehört.
Baeriswyl arbeitete während fünf Jahren als Botschaftsrätin und Leiterin des politischen Teams der Schweizer Uno-Mission so zielstrebig, dass sie den Vetomächten zunehmend ins Gehege kam. Sie koordinierte für die Schweiz die Small Five, eine 2005 gegründete Gruppe von Kleinstaaten, zu der auch Liechtenstein, Singapur, Jordanien und Costa Rica zählten. Und sie warb offensiv für eine Einschränkung des Vetorechts der alten Grossmächte. Diese sollten in Fällen von Genozid, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit freiwillig auf ihr Vetorecht verzichten. Immer mehr Staaten schlossen sich dem Vorschlag der Small Five an. Am Ende, 2012, schien eine Zustimmung der Generalversammlung möglich. Jetzt hatten aber die Big Five genug.
Baeriswyl & Co. wurden von den Botschaftern der Vetomächte ins Büro der Amerikanerin Susan E. Rice zitiert. In einer filmreifen Szene erklärten die Big Five den Small Five und ihren Freunden den Tarif. Sie sollen sich hüten, mit ihrer Resolution ernst zu machen. Unisono verdonnerten die Grossmächte eine Stunde lang das Bündnis der Zwerge. Baeriswyl erlebte, nach ihren Worten, ein Lehrstück in Machtpolitik. Die Schweiz musste den Small-Five-Vorschlag zurückziehen und das Pionierprojekt würdig abschliessen.
Am meisten lernte Baeriswyl vom russischen Botschafter, Witali Tschurkin. Von ihm fühlte sie sich ernst genommen, anders als von andern, die dachten, «jö, eine Schweizerin». Tschurkin suchte den Brückenschlag und war für Baeriswyl zugleich bester und härtester Gegenspieler. Er beherrschte das Handwerk der multilateralen Diplomatie. Von ihm lernte sie, wie sie sagt, «unendlich viel» – von den Prozessen über die Inhalte bis zu den Methoden. Tschurkin war ein Meister der strategischen List. Nicht so sehr auf das Was kommt es demnach an, sondern mehr auf das Wie. Erfolge seien nur mit den jeweils genau richtigen Allianzen und den exakt passenden Methoden möglich.
Ehe Baeryswil 2013 wieder nach Bern versetzt wurde, baute sie, nach schicklicher Beerdigung der Small Five, zusammen mit 20 weiteren Staaten bei der Uno ein anderes, erfolgreicheres Bündnis auf, die Gruppe ACT (Accountability, Coherence and Transparency). So trug die neue Gruppe über öffentliche Hearings, die sie als Erste forderte, massgebend bei zur Wahl eines kompetenten Uno-Generalsekretärs, des portugiesischen Sozialdemokraten Antonio Gutteres. Baeriswyl arbeitet mit ihm gut zusammen. Er schlug in seiner jüngsten Neujahrsrede buchstäblich Alarm und warnte die Welt feierlich vor einer Kriegskatastrophe.
Beim EDA in Bern kehrte Baeriswyl in die Direktion für Völkerrecht zurück. Dort unterstützte sie Aussenminister Didier Burkhalter im Kampf gegen die internationale Korruption. Sie half ihm bei der Rückgabe von Potentatengeldern und kooperierte dabei für ihn mit der Schweizer Finanzbranche. Sie bereitete das Abkommen über die Rückgabe der Abacha-Gelder mit Nigeria vor, das Burkhalter 2016 in dessen Hauptstadt Abuja unterzeichnen konnte. Der Aussenminister konnte sich auf sie verlassen.
Er entschied sich deshalb für sie, als er Staatssekretär Yves Rossier, der 2016 zur Botschaft in Moskau wechselte, ersetzen musste. FDP-Bundesrat Burkhalter kannte ihren Werdegang und Hintergrund genau, wusste auch, dass seine eigene Partei ihr misstrauen würde, und kürte sie trotzdem per 1. Dezember zur ersten Frau an der Spitze seines Staatssekretariats. Ihn überzeugte besonders ihre multilaterale Kompetenz.
Anfang 2017 beförderte er sie per 1. April auch noch zur Chefunterhändlerin für die Beziehungen Schweiz-EU, eine Aufgabe, in der sie Jacques de Watteville, Staatssekretär im Eidgenössischen Finanzdepartement, ablöste. Diese Weichenstellung Burkhalters war ein taktischer Fehler.
Kesseltreiben gegen die linke Chefunterhändlerin
Sie veränderte die Berner Mechanik an einer politisch heiklen Stelle. Baeriswyls Vorgänger (Yves Rossier, Peter Maurer, Michael Ambühl und Franz von Däniken) hatten als Staatssekretäre die Verhandlungen der Schweiz mit der EU praktisch nie mehr selber geführt – dies war Sache von Henri Gétaz, Chef der EDA-Direktion für europäische Angelegenheiten (EDA, bis 2012 «Integrationsbüro»), und seiner Vorgänger. So aber, durch die Kür der profilierten SP-Diplomatin Pascale Baeriswyl zur Chefunterhändlerin, erhielten die Gegner des bundesrätlichen EU-Kurses eine Chance zum politischen Angriff. Sie nutzten sie weidlich. In ihren Kreisen setzte ein Kesseltreiben gegen die neue linke, feministische und angeblich so europhile Chefunterhändlerin ein.
Nach zehn Monaten wurde Baeriswyl von Burkhalter-Nachfolger Ignazio Cassis prompt ihrer Funktion in Sachen EU wieder entkleidet – eine geradezu demonstrative Teilentmachtung seiner höchsten Diplomatin. Bundesrat Cassis übertrug diese Aufgabe dem Tessiner Roberto Balzaretti, den er zum Nachfolger von DEA-Direktor Gétaz erkor und darüber hinaus auch noch zum Staatssekretär machte. Er stilisierte Balzaretti zum Problemlöser vom Dienst, im Militärjargon: «Eine Person, eine Truppe, eine Aufgabe.» Baeriswyl freilich bleibe, setzte Cassis hinzu, als Staatssekretärin «verantwortlich für den Rest des Planeten ausserhalb der EU».
Der frischgebackene Aussenminister machte einen kleinen Denkfehler. Der Versuch, das EU-Dossier von den anderen Bereichen der Aussenpolitik abzutrennen und dadurch besser zu verwalten, kann schon deshalb nicht gelingen, weil es eine Zweiteilung zwischen Europa und dem Rest der Welt nicht gibt. Dafür sind die europäischen und aussereuropäischen Dimensionen der schweizerischen Aussenbeziehungen viel zu eng miteinander verflochten und verschränkt. Noch kannte Cassis die multilateralen Zusammenhänge zu wenig.
Hinter vorgehaltener Hand räumen ihm nahestehende FDP-Parlamentarier ein, dass Baeriswyl im Moment für ihn das Bauernopfer war, das er als neuer EDA-Chef der parteipolitischen Räson schuldig zu sein glaubte.
Seine diplomatische Krisenmanagerin selber hat sich dadurch nicht ins Bockshorn jagen lassen. Umso bereitwilliger will sich Baeriswyl auf die Aufgabenteilung mit dem neuen Europa-Staatssekretär einlassen. Sie stellt sich in der Führung ihres Apparats auf eine intensive Zusammenarbeit mit ihrem Kollegen ein. Die globale Krisensituation lässt ihr gar keine Wahl. «Wir sind zu einer globalen Familie zusammengewachsen und leben in einem globalen Dorf», meint sie, «aber es gibt inzwischen viele merkwürdige Familienmitglieder, und unsere Weltfamilie ist superchaotisch geworden.» Die «Neue Welt-Unordnung» überfordere «uns alle, uns Diplomaten wie unsere weltpolitischen Leader».
Pascale Baeriswyl macht sich, was den «Rest des Planeten» angeht, auf alles gefasst.