Black Hawk Down
Unsere Reporter lassen sich von SVP-Nationalrat Claudio Zanetti reinen Weisswein einschenken und sitzen über die Zürcher GLP – vertreten durch Co-Kantonalpräsident Nicola Forster – zu Gericht. Wahljahr-Serie «Homestory», Folge 8.
Von Daniel Ryser, Olivier Würgler (Text) und Goran Basic (Bilder), 25.07.2019
Die SVP hat Ende März im Kanton Zürich eine historische Wahlniederlage eingefahren, und wir sind zur Wahlanalyse mit SVP-Nationalrat Claudio Zanetti verabredet in seinem Haus in Gossau ZH.
Das Treffen hatte er eigentlich kurzfristig mit einer wütenden SMS abgesagt. Grund dafür war ein Kommentar in der «Wochenzeitung» WOZ, wo eine Journalistin der SVP eine Mitschuld am rechtsextremen Terroranschlag im neuseeländischen Christchurch gab, weil sie mit ihrer Hetze gegen Muslime ein Klima des Hasses schaffe. «Das geht zu weit», schrieb Zanetti. Wir riefen ihn an und erklärten ihm, dass wir seit über einem Jahr nicht mehr für die WOZ arbeiten.
Am anderen Ende der Leitung war es lange still. Dann sagte Zanetti: «Ach so, Sie arbeiten nicht mehr für die WOZ? Dann können Sie vorbeikommen.»
Claudio Zanetti ist Schweizer Meister im Twittern. Vorzugsweise twittert er gegen die Klimajugend, gegen den Feminismus und die bevorstehende Islamisierung. Soeben hat er die Marke von 78’000 abgefeuerten Tweets überschritten.
Jetzt präsentiert uns Zanetti den Hauptschuldigen für den «Riesenerfolg», wie er es nennt, den Einbruch der SVP im Kanton Zürich um 5 Prozent. Es ist – etwas überraschend – die Economiesuisse. Diese habe das gute Verhältnis im bürgerlichen Lager zerstört. Als Folge dieser Zwietracht hätten die Freisinnigen jetzt ihren zweiten Regierungsratssitz im Kanton Zürich verloren. Die Economiesuisse-Kampagne gegen die Selbstbestimmungsinitiative sei «vom Affen gebissen» gewesen. «Sie haben uns als Verbrecherbande hingestellt und behauptet, wir wollten die Schweiz zerstören», sagt Zanetti und klingt dabei wie ein Patient in einer Paartherapie: «Da ist ein Zerwürfnis da, wo ich sagen muss: Ich weiss nicht, wie wir das noch heilen können.» Ein besonderer Dorn im Auge scheint Zanetti dabei Monika Rühl zu sein, die Direktorin des Dachverbandes der Schweizer Wirtschaft und ehemalige Generalsekretärin im Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung. «Eine Chefbeamtin als Direktorin des wichtigsten Wirtschaftsverbandes!», ruft Zanetti aus. «Früher wollte man dort die Verwaltung vor sich hertreiben, heute möchte man sich mit ihr arrangieren.»
Zwei seriöse Republik-Reporter touren kreuz und quer durch die Schweiz und suchen Politikerinnen heim. Sie wollen die Demokratie retten … obwohl, nein, eigentlich wollen sie sich vor allem betrinken und dass die Politiker sie nicht mit Floskeln langweilen. Das ist «Homestory» – die Wahljahr-Serie. Zur Übersicht.
Folge 3
Protestantische Disziplin, katholischer Genuss
Folge 4
Lust for Life
Folge 5
Highway to the Danger Zone
Folge 6
Und täglich grüsst das Murmeltier
Folge 7
Like a Prayer
Sie lesen: Folge 8
Black Hawk Down
Folge 9
Brokeback Olten
Folge 10
Kommando Leopard
Folge 11
In einem Land vor unserer Zeit
Folge 12
Straight White Male
Folge 13
When the Man Comes Around
Folge 14
Die Posaune des linksten Gerichts
Folge 15
Guns N’ Roses
Folge 16
Wir Sonntagsschüler des Liberalismus
Folge 17
Alles wird gut
Folge 18
Höhenluft
Folge 19
Im Osten nichts Neues
Folge 20
Here We Are Now, Entertain Us
Der zweite Grund für den SVP-Wahlflop, weniger überraschend: die politische Grosswetterlage. Das Christentum und konservative Werte würden niedergemacht, dafür kämen die Klimareligion und der Islam, sagt der praktizierende Katholik und ehemalige Klosterschüler Zanetti: «Die Summe der Religiosität bleibt konstant.»
Dabei sei es doch so: Die Gletscher in Grönland würden wachsen, und auf den Malediven würden neue Flughäfen gebaut, auch wenn sie laut Al Gore schon längst hätten untergegangen sein sollen.
Wir sitzen an seinem Tisch im Wohnzimmer, und ständig streift Zanettis Hund Gioia um uns herum. Nach einer Stunde Gespräch wechseln wir in seine Bibliothek im ersten Stock mit Blick auf das Zürcher Oberland und seinen Swimmingpool voller Laub. Neben dem Fernseher liegt eine DVD des Horrorfilms «The Purge». Wir trinken viel zu süssen Weisswein, und um seine liberale Haltung zu demonstrieren, lädt uns Nichtraucher Zanetti zum Rauchen ein, und wir sagen, dass wir auch nicht rauchen, und er sagt, dass seine Eltern geraucht hätten «wie die Bürstenbinder», drei bis vier Packungen Gauloises Blau ohne Filter am Tag.
«Wir kennen niemanden, der so viel twittert wie Sie», sagen wir.
«Ich auch nicht. Höchstens Donald Trump.»
«Ist das nicht anstrengend?»
«Ich habe einfach so verdammt viele Ideen. Ich wäre ein Gewinn. Auch für die Republik. Oder die NZZ. Aber man kann mich nirgends brauchen. Auch beim SRF nicht.»
«Sie wären gerne Journalist?»
«Das habe ich schon bei der Matura gesagt. Aber das geht nicht, wenn man gebrandet ist. Kürzlich habe ich mich beim ‹Echo der Zeit› beworben. Die haben einen Produzenten gesucht. Ich wurde noch nicht einmal eingeladen. Es ist ja klar, warum die mich nicht wollten: Die wollen niemanden, der anders denkt.»
«Sie suchen einen Job?»
«Nicht aktiv, aber wenn sich mir eine neue Möglichkeit bieten würde, würde ich nicht Nein sagen. Ich habe so viele Ideen. Ich hänge auch nicht an der Politik. Früher habe ich in der PR gearbeitet oder als Division Manager bei der heutigen Swissmem. Es ging mir sehr gut. Dann kam das Telefon von Christoph Blocher, ob ich im Kanton Zürich das Parteisekretariat übernehmen würde. Ich habe Ja gesagt. Und das war wahrscheinlich der grösste Fehler meines Lebens.»
«Warum war das der grösste Fehler Ihres Lebens?»
«Weil sich damit die Weichen gestellt haben.»
«Das bereuen Sie?»
«Ja, ich bereue das.»
«Sie wären lieber Journalist geworden als Politiker?»
«Ja. Aber schauen Sie, ich hätte auch in der Wirtschaft Karriere machen können. Ich bin nicht auf den Kopf gefallen. Ich bin Jurist und spreche mehrere Sprachen.»
Das Gespräch endet, wieder etwas überraschend, wie es begonnen hat: mit der Economiesuisse. Zanetti hätte sich nämlich gut vorstellen können, deren Direktor zu werden: «Als 2013 Pascal Gentinetta als Direktor abgetreten ist, habe ich angeklopft und gesagt: Das wäre vielleicht etwas für mich. Aber da war ich schon zu sehr in Blochers Fahrwasser. Man machte mir deutlich: Die Nähe zu Christoph Blocher ist toxisch.»
An einem sonnigen Frühlingsnachmittag im hippen Zürcher «Kosmos», wo sich die Kulturschaffenden aller Welt vereinigt haben und auf ihren Macbooks vor sich hin dümpeln, tagt der Volksgerichtshof. Die Richter: wir. Die Anklageschrift: verfasst von einer WOZ-Journalistin. Angeklagte: die Wahlsiegerin Grünliberale – oder in den Worten der «Wochenzeitung» in ihrer Wahlanalyse: «die Grünasozialen». Vertreten werden die Grünliberalen an diesem geschichtsträchtigen Nachmittag vom Zürcher Co-Kantonalpräsidenten Nicola Forster.
Wir hatten uns so gefreut über die GLP, diese trendige Alternative zu den verstaubten Grünen, die uns Marktwirtschaft und Ökologie im Doppelpack verkaufen wollten. «Grünliberale, das sind Freisinnige auf Fahrrädern», hat uns Grünen-Politikerin Aline Trede zwar gewarnt, und doch sind wir Windfahnen diesem tollen Lifestyleprodukt beinahe auf den Leim gekrochen. Am Wahlabend waren wir nur eine Haaresbreite davon entfernt, wie der Tessiner Lega-Politiker Giuliano Bignasca (R. I. P.) zum Sturmgewehr 90 zu greifen und mit ein paar Salven in den Zürcher Nachthimmel den sensationellen grünliberalen Wahlsieg zu feiern. Und nun das: Auf einer ganzen Seite zerpflückte die WOZ die GLP als eine Partei, die nicht nur mehr Strassen bauen wollte, sondern als einzige Partei die Mindestfranchise auf 500 Franken erhöhen wollte und sich für Sozialdetektive aussprach. Schon vor der Verhandlung steht das Urteil deshalb fest: schuldig in allen Anklagepunkten.
«Ich möchte darauf hinweisen, dass …», sagt Forster.
«Antrag abgewiesen!»
«Die WOZ hat eine Liste zusammengetragen, die zeigt, dass ihr Grünliberalen in der sozialen Frage häufig sehr rechts steht. Erstes Beispiel: Krankenkassenprämien. Bis zum Schluss haben die Grünliberalen die Erhöhung der Wahlfranchise auf mindestens 500 Franken verteidigt. Das ist ja schon noch krass: Die Kassenlobby sitzt in der CVP, der FDP und der SVP, und sogar die sind vor euch eingeknickt.»
«Dieses Beispiel wird uns jetzt von links laufend um die Ohren gehauen», sagt Forster. «Aber ich bin nach wie vor der Meinung, dass es aus sozialer Sicht die richtige Entscheidung war. Sozialpolitik sollte nicht über die Franchise gemacht werden, denn das heisst ja: Egal, wer die tiefe Franchise wählt – er wird subventioniert. Egal, wie gut er verdient. Die tiefsten Einkommen entlastet man viel besser über die Prämienverbilligung. Gezielte Entlastungen von tiefen Einkommen tragen wir hundertprozentig mit. Wenn es Menschen schlecht geht, sollen sie vom Staat unterstützt werden. Aber eine tiefe Franchise bedeutet eben nicht automatisch, dass die Armen entlastet werden. Ich bin gegen das Giesskannenprinzip.»
«Aber gab es denn auf kantonaler Ebene Bestrebungen, die Prämienverbilligungen zu erhöhen? Wenn Sie einfach die Mindestfranchise auf 500 Franken erhöhen, ohne mehr Prämienverbilligung auszuschütten, trifft Ihre Politik eben doch die Menschen mit wenig Kohle am härtesten …»
«Wir waren im Kantonsrat die Mehrheitenbeschafferin für 2 Prozent mehr Geld für die Prämienverbilligung. Man kann uns vorwerfen, dass wir das schlecht kommuniziert haben. Aber bei genauer Betrachtung ist das hier ganz sicher kein Beispiel für asoziale Politik. Die Beispiele wurden sehr einseitig ausgewählt. Die WOZ steht den Sozialdemokraten nahe …»
«Wir bezweifeln, dass die betreffende Journalistin Sozialdemokratin ist. Sie ist Raucherin, aber Sozialdemokratin wohl eher nicht …»
«Ich weiss es nicht. Aber ich kann verstehen, dass linke Kreise im Wahljahr die neue sozialliberale Konkurrenz bekämpfen.»
«Nächster Punkt: Sie haben im nationalen Parlament diverse Sparpakete mitgetragen, etwa beim Bundespersonal oder in der Entwicklungshilfe.»
«Das Bundespersonal hat im Schnitt einen Lohn von 120’000 Franken …»
«Das Bundespersonal ist uns egal, da kann man nicht genug kürzen. Die Frage stellt sich für uns betreffend Entwicklungshilfe.»
«Das Gegenteil ist wahr: Wir haben uns in den letzten beiden Jahren im Parlament für eine Aufstockung der Entwicklungsgelder auf ein halbes Prozent starkgemacht. Grundsätzlich kann man sagen, dass wir gegen das Giesskannenprinzip sind. Wir sind dagegen, dass man einfach überall Geld verteilt. Wir fordern, dass man genauer hinschaut und beim Budget strikter ist. Nur so haben wir nachher das Geld, um Bedürftigen zu helfen und in Zukunftsthemen zu investieren. Das macht uns nicht zu einer asozialen Partei.»
Wir schieben die Vollstreckung des Urteils auf unbestimmte Zeit auf. Nicola Forster hat uns verunsichert. Er hat uns in der vergangenen Stunde dargelegt, wie er in allen aufgeführten Punkten anders politisiert hatte, als es den Grünliberalen im Artikel vorgeworfen wurde, etwa auch bei den Sozialdetektiven, wo zwar die Bundeshausfraktion das Gesetz zuerst befürwortet hatte, sich dann aber alle Kantone dagegengestellt und die Partei eine Nein-Parole gefasst hatte. Desillusioniert trotten wir beiden verkappten Politkommissare mit unseren Fellmützen und langen Mänteln zurück ins ZK an der Ecke Sihlhallen- und Langstrasse.
In einer früheren Version wurde Monika Rühl fälschlicherweise als Präsidentin von Economiesuisse bezeichnet. Rühl ist Vorsitzende der Geschäftsleitung, Präsident ist Heinz Karrer.