Ein Urteil zur Sterbehilfe – und Neues zu Cum-Ex und Ibiza
Woche 28/2019 – das Kurzbriefing aus der Republik-Redaktion.
Von Ronja Beck und Sylke Gruhnwald 12.07.2019
Linke Regierung wird in Griechenland abgewählt
Darum geht es: Die konservative Partei Nea Dimokratia hat am Sonntag die Parlamentswahlen in Griechenland gewonnen. Mit knapp 40 Prozent der Stimmen und über der Hälfte der 300 Parlamentssitze ist sie neu alleinige Regierungspartei. Parteichef Kyriakos Mitsotakis wurde am Montag zum Premierminister vereidigt. Er folgt auf den 2015 gewählten Alexis Tsipras vom Linksbündnis Syriza.
Warum das wichtig ist: Das Wahlergebnis sorgt für einen massiven politischen Umschwung in Griechenland. Nach vier Jahren mit dem früheren Sozialisten Tsipras entschieden sich die Griechen für den Harvard-Absolventen und Banker Mitsotakis. Er stammt aus einer alten politischen Familie. Überraschend kam das Ergebnis nicht. Nach der Schlappe an der Europawahl im Frühling hatte Tsipras den Termin für die nationalen Wahlen vorverlegt. Die Umfragen in den Wochen davor kündeten einen Absturz für die Syriza an. Unter Tsipras hat Griechenland zwar seine Staatsverschuldung abgebaut, aber er zahlte dafür politisch einen hohen Preis. Denn er hat die unbeliebten Sparauflagen der EU immer wieder kritisiert, schlussendlich aber mitgetragen. Auch die Einigung im Namensstreit mit Nordmazedonien kostete ihn wohl Stimmen.
Was als Nächstes geschieht: Der wirtschaftsliberale Mitsotakis will die Sparauflagen der Geldgeber nun lockern. Nur so könne die Wirtschaft wachsen, argumentiert er. Ob die EU darauf eingehen wird, ist fraglich.
EU-Börsenaufsicht geht Cum-Ex-Geschäften nach
Darum geht es: Die EU-Börsenaufsicht Esma nimmt die europäischen Finanzmärkte unter die Lupe. Grund für die Untersuchung ist der Steuerskandal rund um sogenannte Cum-Cum- und Cum-Ex-Geschäfte. Dabei wird ein Verfahren, das eigentlich Steuerzahlerinnen vor doppelter Besteuerung schützen sollte, durch clevere Transaktionen so umgepolt, dass Steuern vermieden (Cum-Cum) oder mehrfach vom Staat zurückgefordert werden können (Cum-Ex). Die Republik veröffentlichte dazu im Oktober 2018 die Recherche «Cum-Ex-Files» – zusammen mit 18 Medienhäusern und koordiniert vom Berliner Recherchezentrum «Correctiv». Das Ergebnis dieser Recherche: Insgesamt erleichterten Banker, Anwälte und Investoren die Finanzämter in der EU, Norwegen und der Schweiz um mindestens 55 Milliarden Euro.
Warum das wichtig ist: Das eigentlich schockierende Ergebnis der «Cum-Ex-Files» ist, dass sich eine neue Generation von Aktienhändlern bereits für die nächste Runde warmläuft. Die Modelle zur Steuererstattung, mit denen sie die nächsten Länder attackieren wollen, sind ausgearbeitet, nun suchen sie nach Investoren. Europäische Parlamentarier forderten auch deshalb bei der in Paris ansässigen EU-Börsenaufsicht einen Bericht an. Der wurde am 2. Juli publiziert. «Es ist eindeutig, dass die Steuermodelle an den Finanzmärkten praktiziert werden», zitiert die «Frankfurter Allgemeine Zeitung» daraus. Und weiter: Es gebe keine eindeutigen Hinweise auf systematische Verstösse gegen Gerichtsurteile oder Gesetzgebungen der europäischen Länder. Zudem forderten europäische Parlamentarier die EU-Bankenaufsichtsbehörde Eba auf, ebenfalls eine Untersuchung einzuleiten. Die Behörde soll Vorwürfe der Geldwäscherei prüfen, die gegen mehrere europäische Banken erhoben werden.
Was als Nächstes geschieht: Die Esma soll nun klären, ob und inwieweit solche Steuererstattungsmodelle auf den europäischen Finanzmärkten weiterhin praktiziert oder gar systematisch gefördert werden. Wann die Ergebnisse der Untersuchung dem Europäischen Parlament vorgelegt werden, ist noch offen. Derweil ermitteln Strafverfolgungsbehörden in Europa weiter gegen die mutmasslichen Drahtzieher von Cum-Cum- und Cum-Ex-Geschäften.
Österreichische Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Parteispenden
Darum geht es: Das sogenannte Ibiza-Video zog Ermittlungen gegen die gefilmten FPÖ-Politiker Heinz-Christian Strache und Johann Gudenus nach sich. Wie der österreichische «Falter» berichtet, sind diese Untersuchungen deutlich umfangreicher als bisher bekannt. Auch die Parteien SPÖ und ÖVP sollen im Visier der Behörden sein. So soll das illegale Abwickeln von Parteispenden über Vereine, wie es Strache im Video erklärt, untersucht werden. Zudem wird laut Akten, die dem «Falter» vorliegen, auch gegen Verantwortliche von namhaften Konzernen wie Novomatic und Glock ermittelt. Diese hatte Strache auf Ibiza als Grossspender identifiziert.
Warum das wichtig ist: Das von «Falter», «Spiegel» und «Süddeutsche Zeitung» veröffentlichte Video brachte das politische Parkett in Österreich zum Beben. Die Koalition aus FPÖ und ÖVP zerbrach, die Regierung trat zurück, Kanzler Sebastian Kurz verlor eine Misstrauensabstimmung im Parlament. Straches Äusserungen hallten wochenlang in den Medien nach. Ein Fixpunkt in der Sache war die Parteifinanzierung «am Rechnungshof vorbei», wie der ehemalige Vize-Kanzler es nannte. Mitte Juni wurde schliesslich bekannt, dass die Wiener Staatsanwaltschaft gegen Strache und Gudenus wegen Verdachts auf Untreue ermittelt.
Was als Nächstes geschieht: Sollten sich Partei- und Wirtschaftsakteure in Österreich breitflächig der Untreue schuldig gemacht haben, würde sich der Politskandal um das Ibiza-Video nochmal um ein Vielfaches ausweiten. Laut «Falter» gebe es erste Indizien in diese Richtung. Derweil ist seit dieser Woche eine Gesetzreform gültig: Neu sind Spenden mit einer Obergrenze gedeckelt, SPÖ und FPÖ machten dafür im Parlament gemeinsame Sache.
Gericht fällt Urteil zur Sterbehelferin Erika Preisig
Darum geht es: Die Baselbieter Sterbehelferin Erika Preisig hat sich weder der fahrlässigen noch der vorsätzlichen Tötung strafbar gemacht. Das Strafgericht in Muttenz sprach sie am Dienstag von diesen Hauptanklagepunkten frei. Dennoch erhielt die Ärztin eine bedingte Freiheitsstrafe von 15 Monaten und eine Busse von 20’000 Franken wegen Verstoss gegen das Heilmittelgesetz. Zudem muss sie einen Grossteil der Verfahrenskosten tragen. Preisig hatte 2016 eine psychisch kranke Person in den Suizid begleitet, ohne zuvor deren Urteilsfähigkeit von einem Spezialisten prüfen zu lassen.
Warum das wichtig ist: Die Sterbehilfe ist in der Schweiz nicht gesetzlich geregelt. Ein Entscheid des Bundesgerichts aus dem Jahr 2006 hält jedoch fest, dass psychisch erkrankte Menschen nur nach einem psychiatrischen Gutachten in den Suizid begleitet werden dürfen. Preisig, Gründerin der drittgrössten Sterbehilfeorganisation der Schweiz, hatte sich mit ihrem Vorgehen diesem Entscheid widersetzt. Ein Gutachten post mortem attestierte ihrer Patientin, aufgrund einer schweren Depression nicht urteilsfähig gewesen zu sein. Die Staatsanwaltschaft warf der Ärztin deshalb vorsätzliche Tötung vor und forderte fünf Jahre Haft. Das Baselbieter Strafgericht hat das nachträgliche Gutachten anders ausgelegt und eindeutig milder geurteilt. Die Sterbehilfeorganisation Exit, die deutlich konservativer vorgeht als Preisig, zeigte sich zufrieden über das Urteil.
Was als Nächstes geschieht: Preisig darf trotz Verurteilung weiterhin Sterbehilfe leisten und tödliche Medikamente an ihre Patienten verschreiben. Bei psychisch erkrankten Personen verhängte das Gericht jedoch eine vierjährige Sperre für die Ärztin. Nach Urteilsverkündung hatte Erika Preisigs Anwalt sogleich verlautet, das Urteil anfechten zu wollen. Von politischer Seite wurde nach dem Urteil zum wiederholten Mal der Ruf nach Regulierungen in der Sterbehilfe laut.
Zum Schluss: «Equal Pay! Equal Pay! Equal Pay!»
Die amerikanischen Fussballerinnen haben am Sonntag in Lyon die Weltmeisterschaft zum zweiten Mal in Folge gewonnen – und eigentlich ist das schon Grund zur Freude genug. Doch damit geben sich die Spielerinnen nicht zufrieden. Die Siegesparade am Dienstag in New York nutzten die Frauen nicht nur, um sich selbst zu feiern, sondern auch, um für Toleranz und Gleichberechtigung einzustehen. Und am Mittwoch sagte Megan Rapinoe, Co-Kapitänin des amerikanischen Nationalteams, dem Fernsehsender CNN: Man würde auf eine Einladung ins Weisse Haus pfeifen und auf Trump sowieso. Neu ist dieser Aktivismus nicht. Da die Fifa weibliche Spielerinnen – verglichen mit den Männern – massiv schlechter bezahlt, haben Rapinoe und ihr Team bereits vor der WM Klage gegen den Verband eingereicht. Nun schallten ihnen im Stadion von Lyon «Equal Pay»-Rufe entgegen. Kurzum: Die US-Spielerinnen tun all das, womit die männlichen Kollegen in den USA grösstenteils Mühe haben: Probleme benennen, sich politisch engagieren – und, natürlich, gewinnen.
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