Aus der Redaktion

Die Cum-Ex-Recherche

38 Reporter und Reporterinnen von 19 Medien: Die Entstehungsgeschichte der Cum-Ex-Files.

Von Sylke Gruhnwald und Ariel Hauptmeier, 19.10.2018

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Die Correctiv-Redaktion ist in einer Fabriketage in Berlin, unweit des Alexanderplatzes. An einem zugigen Tag im Februar 2018 treffen sich dort fünfzehn Journalisten. Sie arbeiten für «Follow the Money» in den Niederlanden, «El Confidencial» in Spanien, «Addendum» und «News» in Österreich, für Reuters in Frankfurt und «Le Monde» in Paris. Dabei ist auch Sylke Gruhnwald von der Republik.

«In Spanien hat noch nie jemand das Wort Cum-Ex gehört», erzählt die Reporterin aus Spanien mittags, als alle Pizza essen.

Einige Monate zuvor ist ein USB-Stick aufgetaucht mit Unterlagen aus Banken, Hedgefonds und Wirtschaftskanzleien. Darunter: eine E-Mail aus dem Jahr 2007, in der Hanno Berger (einer derjenigen, die diese fragwürdigen Deals entscheidend vorangetrieben haben) all jene Länder auflistet, in denen man Cum-Ex-Deals probieren könnte: Finnland, Spanien, Frankreich, Österreich – und die Schweiz.

Die Frage liegt auf der Hand: Was wurde daraus? In vielen europäischen Ländern wurde nie über Cum-Ex geschrieben. Weil es keine Deals gab – oder weil sie nie entdeckt wurden?

Die Antwort kann nur eine internationale Recherchekooperation herausfinden. Journalisten können, anders als Staatsanwälte, jederzeit über Grenzen hinweg miteinander reden. Früher behielten Rechercheure ihre Informationen in der Regel für sich. Heute schliessen sie sich zusammen, gerade dann, wenn Unmengen an Daten aus mehreren Ländern im Spiel sind. Sie legen ihre Quellen offen, teilen die Arbeit, vermitteln einander Kontakte.

Acht Monate lang zieht sich die Recherche hin. Alle sechs Wochen treffen sich die Kollegen nun im Büro von Correctiv in Berlin und diskutieren, wie es weitergeht. Am Ende umfassen die Cum-Ex-Files mehr als 180’000 Seiten. Es ist ein Blick in den Maschinenraum der Cum-Ex-Welt. Interne Gutachten von Banken, Steueranwaltskanzleien und Wirtschaftsprüfungsgesellschaften. Kundenkarteien, Tabellen mit gehandelten Aktien, E-Mails, Kontoauszüge sowie Durchsuchungsprotokolle und Aufzeichnungen von abgehörten Telefonaten. Dazu kommen Interviews mit Whistleblowern und Insidern.

Dann ist das Puzzle fertig. 28. September 2018, das letzte Treffen bei Correctiv. 38 Reporter und Reporterinnen von 19 Medien sind inzwischen an Bord. Die verschlüsselte Kommunikationsplattform, über die sie sich austauschen, ist zuletzt übervoll gewesen mit Nachrichten und angehängten Dokumenten. Kurz vor Schluss suchen immer mehr Kollegen gleichzeitig in der riesigen Datenbank – weshalb sich die Files manchmal während Stunden nicht durchsuchen lassen.

Eine Kollegin aus Dänemark projiziert eine Excel-Tabelle an die Wand, eine Liste mit Banken und Fonds. Über Stunden fragt sie die Tischrunde ab und trägt Kreuze in die Tabelle ein. Ein «x» für jede Bank, die erwiesenermassen Cum-Ex oder Cum-Cum gemacht hat. Ein «(x)» für die, die entsprechende Pläne hatten, wo aber der Beleg für die Durchführung fehlt. Am Ende gibt es kaum eine Bank ohne «x» oder «(x)».

Hanno Berger erstellte ähnliche Tabellen.

Nun, 2018, zeigt sich, wie erfolgreich der Griff in die Steuerkassen war. Neben der Schweiz sind nachweislich mindestens zehn weitere europäische Länder betroffen – von Cum-Cum, Cum-Ex und anderen Formen von Dividendenstripping.

Der Schaden: mindestens 55,2 Milliarden Euro. Mindestens.

Vier Beispiele zur Berichterstattung bei Partnermedien

  • Das deutsche Recherchezentrum Correctiv hat die Medienkooperation koordiniert – und auch einen funkelnden Text dazu abgeliefert. Oliver Schröm, Correctiv-Chefredaktor, und ARD-Reporter Christian Salewski haben sich als potenzielle Investoren ausgegeben und einen Trader getroffen. Sie decken auf: Ganz ähnliche Geschäfte wie Cum-Cum und Cum-Ex laufen immer noch in mehreren europäischen Ländern.

  • Auch Danmarks Radio hat die Recherche massgeblich mit angestossen. Dessen Reporter waren es, die sich an die Fersen des Briten Sanjay Shah geheftet hatten – des wohl skrupellosesten Cum-Ex-Traders. Allein Dänemark soll er um über eine Milliarde Euro geschädigt haben. Hier erzählen die Journalisten Niels Fastrup und Thomas Svaneborg, wie sie vorgegangen sind.

  • Das Onlinemedium «Addendum» hat sich die Szene in Österreich angeschaut und mit einem Insider gesprochen. Dessen Einschätzung: «Österreich galt [für diese Geschäfte] immer als sicher – im Unterschied zu Deutschland.» «Addendum» kommt zum Schluss: «Ganz offensichtlich wurde auch Österreich systematisch abgezockt.»

  • «Zeit» und «Zeit Online» zeichnen nach, wie Deutschland es versäumte, seine Partnerländer vor dem Steuerraub zu warnen. Und sie erzählen, wie der Zögling von Cum-Ex-Koryphäe Hanno Berger die Seiten wechselte – nun dient er der Staatsanwaltschaft als Kronzeuge.

Debatte: Wie weit darf Steueroptimierung gehen?

Teile der Finanzelite bereicherten sich europaweit mit Cum-Ex-Deals beim Fiskus. Sie berufen sich darauf, dass alles legal war. Sie hätten eine Lücke in den Steuergesetzen ausgenutzt. Was ist Ihre Meinung dazu? Diskutieren Sie mit!