Griff nach dem Himmel
Trump, Brexit und Sky: Auf dem Höhepunkt seiner Macht setzt Rupert Murdoch dreimal alles auf eine Karte. Zweimal gewinnt er. Sein dritter Einsatz könnte ihn sein Vermächtnis kosten. Die Geschichte einer Mediendynastie, Teil 2.
Von Jonathan Mahler, Jim Rutenberg («New York Times Magazine», Text), Anne Vonderstein (Übersetzung) und Joan Wong (Illustrationen), 31.05.2019
Rupert Murdoch arbeitet sich hoch zum mächtigsten Medienmogul der Welt. Als er nach einem Sturz ins Spital eingeliefert wird, rechnet seine Familie mit dem Schlimmsten. Kann sein Imperium ohne ihn funktionieren? Murdoch überlebt – und bindet seine Söhne immer enger ins Unternehmen ein. Anfang 2015 steht der Konzern am Scheideweg. Der Auslöser: Die Tochter eines anderen Moguls möchte Rupert Murdoch sprechen. Ivanka Trump. Es geht um ihren Vater.
VI. Die Rückkehr
Im Verlauf der Vorwahlen zur Präsidentschaftswahl 2016 schärft Trump sein politisches Profil mit Schimpfkanonaden gegen militärische Interventionen, Freihandelsabkommen und Immigration. All das steht in direktem Gegensatz zu den eher neokonservativen Einstellungen von Rupert Murdoch.
Murdoch ist überzeugter Befürworter der Invasion im Irak, setzt sich mit geradezu missionarischem Eifer für eine offene Einwanderungspolitik ein – sogar in Australien, wo er vor einer «selbstzerstörerischen» Stimmung gegen Immigration warnt. Er spricht sich für internationale Freihandelsabkommen wie die Transpazifische Partnerschaft TPP aus.
Dass er von Trumps Ideologie, die allmählich Kontur annimmt, nichts hält, machen kritische Leitartikel unmissverständlich klar, die regelmässig im «Wall Street Journal» erscheinen. Murdoch, dem diese Zeitung gehört, steht in ständigem Kontakt mit dem verantwortlichen Redaktor für die Seite, wie ehemalige Kollegen berichten. Und dennoch trägt Murdoch in gewisser Hinsicht die Verantwortung dafür, die Kräfte freigesetzt zu haben, die im Begriff sind, Trump zum Aufstieg zu verhelfen.
In den Obama-Jahren treibt Fox News seine Einschaltquote und den Profit mit intensiver Berichterstattung über Kundgebungen der Tea-Party-Bewegung sowie Meinungsshows in die Höhe, die zur Delegitimierung des ersten afroamerikanischen Präsidenten der USA beitragen. Je weiter die Vorwahlen für den republikanischen Präsidentschaftskandidaten voranschreiten, umso mehr scharen sich nun rechtspopulistische Kräfte und Bürger mit Wut auf das Establishment um den Aussenseiter Trump.
Serie «Die Dynastie Murdoch»
Wie viel Macht haben Medien? An keinem Beispiel lässt sich das besser sehen als am Murdoch-Konzern. Fest in Familienhand, macht er Präsidenten und Premierministerinnen, beeinflusst Gesetze, entscheidet mit über das Schicksal von Menschen. Rupert Murdochs Geschichte beginnt in Australien und führt über die USA nach England. Es ist eine Geschichte über territoriale Gewinne und ökonomische Verluste.
Im März 2016 ist Donald Trump, der Mann, den Murdoch ein Jahr zuvor hat kalt abblitzen lassen, zum Spitzenkandidaten der Republikaner aufgestiegen. Murdoch unternimmt die ersten, noch zaghaften Schritte, sich auf seine Seite zu schlagen.
«Wenn kein Weg mehr an ihm vorbeiführt», schrieb Murdoch in einem Tweet, «wäre es verrückt von der Partei, sich nicht in geschlossenen Reihen hinter ihn zu stellen.»
Auch jenseits des Atlantiks ist zu diesem Zeitpunkt eine rechtspopulistische Welle entstanden, in deren Folge der Ausstieg Grossbritanniens aus der Europäischen Union droht. Und auch dabei hat Murdoch seine Hände im Spiel. «The Sun», sein einflussreichstes Boulevardblatt, setzt sich im Kampf um den Brexit wie sein Eigentümer bereits seit langem für einen Bruch mit der EU ein. Der Grund für Murdochs antieuropäische Einstellung ist ein ganz einfacher, wie an einer Bemerkung gegenüber einem Kolumnisten des «Evening Standard» deutlich wird: «In Downing Street wird gemacht, was ich sage. In Brüssel nimmt keiner auch nur Notiz von mir.» (Murdoch bestreitet diese Aussage später; aber der Kolumnist Anthony Hilton hält am Zitat fest.)
Nach einer Erklärung des britischen Premierministers John Major vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss soll Murdoch 1997 ihm gegenüber geäussert haben, er könne ihn nicht unterstützen, wenn er nicht von seiner proeuropäischen Haltung abweiche – Major interpretiert das als indirekte Aufforderung, ein Referendum für oder gegen den Verbleib in der EU abzuhalten. (Auch das bestreitet Murdoch.) Im Frühsommer 2016 steht dieses Referendum schliesslich vor der Tür.
Die Idee vom Ausstieg des Vereinigten Königreichs aus der EU ist nicht neu, aber bislang hat sie ihr Dasein als quasi vererbter Wunschtraum gefristet, mit nur geringen Aussichten darauf, es jemals auf die Agenda der Realpolitik zu bringen. Das ändert sich 2016. Wie ein Blick um die Welt den Befürwortern des Brexit zeigt, besteht inzwischen Anlass zu Optimismus.
In den USA verzeichnet Trump mit seinem Wahlkampf immer grössere Erfolge, aber auch überall sonst befinden sich reaktionäre, nationalistische Kräfte wieder auf dem Vormarsch: In Österreich verliert der Kandidat der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ), die von ehemaligen Nazi-Offizieren gegründet wurde, nur knapp die Bundespräsidenten-Stichwahl. Auf den Philippinen hat Rodrigo Duterte es soeben an die Macht gebracht, nach einem Wahlkampf, in dem er gegen die Eliten aus Wirtschaft und Politik seines Landes gewettert und versprochen hat, mit den Drogenkartellen so aufzuräumen, dass die Fische in der Manilabucht von all den Toten «fett» würden. Und in Ungarn hat Ministerpräsident Viktor Orbán mit kilometerlangen Stacheldrahtzäunen seine Version einer Mauer errichtet, zur Abwehr von, wie er später zu Protokoll gibt, «muslimischen Invasoren».
In den Wochen vor dem Referendum trommelt die «Sun» an vorderster Front der Londoner Boulevardpresse für den Brexit. Es gehe dabei, so trichtert sie ihrer Leserschaft ein, um die Wahl zwischen «arroganten Proeuropäern» und der britischen Arbeiterklasse, um den Widerstand gegen eine «Masseneinwanderung», die zu Niedriglöhnen führe und «einen unerträglichen Druck auf unsere Schulen, Krankenhäuser, Strassen und den Wohnungsmarkt ausübt». Murdochs zweites britisches Presseorgan – die «Times», die sich in nüchternerer Sprache an eine wohlhabendere und der politischen Mitte angehörende Leserschaft wendet – veröffentlicht dagegen Appelle für den Verbleib in der EU. Aber Murdochs Herz schlägt so, wie die «Sun» textet. Und über sie macht er auch mehr Einfluss geltend.
Es ist allerdings nicht ausgemacht, wie gross Murdochs Einfluss auf die britische Politik zu diesem Zeitpunkt überhaupt noch ist. Fünf Jahre zuvor hat Murdoch nach einer der schwersten Krisen in seiner Laufbahn London geradezu fluchtartig verlassen müssen: Er war unter Beschuss geraten, weil sich herausgestellt hatte, dass Redaktoren seines Boulevardblatts «News of the World» jahrelang private Telefongespräche von Politikern, Prominenten, der königlichen Familie und sogar eines 13-jährigen Mädchens abgehört hatten, um Schmuddelgeschichten auszugraben. Der Abhörskandal, der seinerseits die Schlagzeilen beherrscht, hat einschneidende Auswirkungen auf die Familie und ihr «Empire».
Die Chefredaktorin Rebekah Brooks, für Murdoch so etwas wie sein siebtes Kind, wird verhaftet, vor Gericht gebracht und freigesprochen. Andy Coulson, ehemals Chefredaktor bei «News of the World», dann Pressesprecher von David Cameron, wandert sogar vorübergehend ins Gefängnis, weil man ihm nachweisen kann, dass er die Reporter zu der illegalen Abhörpraxis aufgefordert hat. Die vergeblichen Bemühungen um Schadensbegrenzung kosten den Medienkonzern mehrere Millionen US-Dollar Vergleichszahlungen an die Abhöropfer.
Vater Rupert und Sohn James Murdoch, der zu diesem Zeitpunkt das Europa- und das Asiengeschäft der Holdinggesellschaft News Corp. von London aus leitet, werden vor einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss zitiert und müssen eine öffentliche Vernehmung über sich ergehen lassen. James sagt dort aus, er habe nicht gewusst, dass das illegale Abhören von Telefonen bei «News of the World» weit verbreitete Praxis gewesen sei. Aber man konfrontiert ihn mit einer E-Mail, aus der hervorgeht, dass er schon 2008 auf das mögliche Ausmass des Problems aufmerksam gemacht wurde. (James erklärt, er habe «den E-Mail-Verlauf nicht in seiner Gänze zur Kenntnis genommen».)
Der Abhörskandal betrifft zwar Vorgänge im Medienkonzern Murdoch, aber aufgrund der engen Verknüpfung zwischen dem Konzern und der Familie Murdoch wird er unweigerlich auch zum Familienskandal. Es kommt zu gegenseitigen Beschuldigungen. James wirft seinem Vater vor, er habe es unterlassen, etwas gegen die freibeuterische Gesetzlosigkeit in der Redaktion zu unternehmen. Und nun versuche er, seine eigene Verantwortung für die Geschehnisse einfach auf ihn, den Sohn, abzuwälzen, obwohl er zum Zeitpunkt der Vorfälle noch gar nicht im Amt gewesen sei. Das sei nichts anderes als eine Racheaktion, weil er nicht bereit gewesen sei, sich an der Vertuschung des Skandals zu beteiligen. James geht sogar so weit, einigen Vorstandsmitgliedern zuzustecken, er frage sich, ob sein Vater psychisch noch ganz gesund sei.
Rupert Murdoch wiederum wirft James vor, dieser habe sich mit kritiklosen und handlungsunfähigen Beratern umgeben, die es nicht verstanden hätten, die Affäre unauffällig zu regeln, bevor sie sich zum Skandal auswachsen konnte. Mittendrin bringt sich plötzlich Elisabeth, die seit langem jeden Anspruch an die Thronnachfolge aufgegeben hat, ins Spiel. Sie fordert ihren Vater auf, James von seinen Posten zu entfernen und sie mit den Aufgaben zu betrauen – so jedenfalls nach Aussage von vier Zeugen, die bei den betreffenden Gesprächen persönlich zugegen waren. (Elisabeth lässt uns mitteilen, sie habe zu keinem Zeitpunkt derartige Forderungen erhoben.)
Murdoch verspricht ihr zwar, er werde James von seinen Aufgaben entbinden, macht seine Entscheidung aber rückgängig, bevor sie an die Öffentlichkeit dringt. Denn auch Lachlan nutzt die Gunst der Stunde, um sich als Retter in der Not zu präsentieren. Auf seinem Weg von Australien nach London meldet er sich telefonisch vom Zwischenstopp Bangkok und bekniet den Vater, er möge um Himmels willen keine übereilten Entscheidungen treffen. Als er schliesslich braungebrannt, topfit und tiefenentspannt – die lange Flugreise ist spurlos an ihm vorbeigegangen – im Büro seines Vaters auftaucht, scheint dieser sich auf der Stelle zu beruhigen.
Aber die öffentliche Demütigung hat auch dann noch kein Ende, als die Details über den Abhörskandal – der monatelang auf der ganzen Welt für Schlagzeilen sorgt – weitgehend bekannt sind und die Anhörung vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss abgeschlossen ist. Es folgt eine langwierige richterliche Untersuchung, in deren Verlauf das Beziehungsgeflecht und die Praktiken der britischen Presse und insbesondere der Murdoch-Zeitungen minutiös unter die Lupe genommen werden.
Das Abschlussdokument, der Leveson-Report, zeichnet das Bild eines Landes, in dem eine einzige Familie eine derartige Machtfülle auf sich vereint hat, dass sie meint, über dem Gesetz zu stehen. Der Bericht kommt zu dem Ergebnis: «Echte Macht bedarf oft keiner Worte.» Kein Politiker habe es mehr gewagt, sich Murdoch in den Weg zu stellen, weil auch ohne explizite Drohung feststand, dass ihn das «die Unterstützung seiner Person und seiner Politik in Murdochs Massenblättern» gekostet hätte.
Als der Leveson-Report 2012 veröffentlicht wird, hat Murdoch die «News of the World» bereits eingestellt und ist untergetaucht, um in Grossbritannien, so gut es eben geht, in Vergessenheit zu geraten. Dass sich das 2016 wieder ändert, liegt an seiner neuen Ehefrau, der Schauspielerin Jerry Hall. Kennengelernt haben sich die beiden, als Hall mit ihrem Sohn im Teenageralter in Australien weilt, um als Mrs. Robinson auf der Bühne zu stehen. Das Anwesen, das sie dort mit ihrem Ex-Partner, dem Rolling-Stones-Chef Mick Jagger, besitzt, bietet mit 26 Zimmern genügend Platz, um viele gemeinsame Stunden mit Murdoch zu verbringen.
Murdoch kehrt mit ihr wieder zurück nach London, wo er einst Margaret Thatcher umworben hat. Diesmal wirbt er mithilfe der auflagenstärksten Boulevardzeitung um die Zustimmung der Briten zum Austritt aus der EU. Am 23. Juni 2016, dem Tag des Brexit-Referendums, erscheint die «Sun» mit einem Titelblatt, auf dem die beiden Zweige des Medienkonzerns symbiotisch miteinander verschmelzen: In Anlehnung an das Plakat für den von 21st Century Fox produzierten Film «Independence Day», dessen zweiter Teil am selben Tag in die englischen Kinos kommt, zeigt es die Erdkugel, über der die Sonne aufgeht, und die Überschrift: «Independence Day: Britain’s Resurgence» («Wiederkehr») – begleitet vom Aufruf, das Königreich aus den Klauen der EU zu befreien.
Am Wahltag fliegt Murdoch von Cannes nach London, lässt sich voller Schadenfreude in der Redaktion der «Times» blicken, die für den Verbleib in der EU eingetreten ist, und amüsiert sich über die langen Gesichter der Reporter. Später am Tag vergleicht er die britische Entscheidung für den Brexit mit einem «Ausbruch aus dem Gefängnis» und feiert das Wahlergebnis gemeinsam mit Nigel Farage – einer der Hauptarchitekten des Brexit (und zukünftiger Mitarbeiter von Fox News) – auf einer Gartenparty des russischen Oligarchen Jewgeni Lebedew in dessen Londoner Residenz.
Mit dem Referendum ist für Murdoch ein lang gehegter Traum in Erfüllung gegangen. Es eröffnet ihm ausserdem etwas, was noch wenige Jahre zuvor völlig undenkbar gewesen wäre: den Weg zurück zu Einfluss in der britischen Politik. Nicht nur hat die «Sun» eine wichtige Rolle beim Zustandekommen des Brexit gespielt, ihre Unterstützung hat ausserdem entscheidend dazu beigetragen, dass Theresa May aus dem darauf folgenden politischen Chaos auch als Premierministerin hervorgeht. Eine ihrer ersten Reisen führt May zu den Vereinten Nationen nach New York. Gerade einmal 36 Stunden hält sie sich in der Stadt auf, aber sie findet Zeit, um Murdoch ihre Aufwartung zu machen.
Ein paar Tage nach dem Brexit-Votum besucht US-Präsidentschaftskandidat Donald Trump Schottland. Wenige Wochen zuvor hat er in einem Interview mit der «Sun» noch seine liebe Mühe offenbart, den Brexit auch nur in Grundzügen zu verstehen, nun aber verkündet er lauthals: «Ich habe gesagt, dass es so kommen wird, und finde, der Brexit ist eine tolle Sache.» Und auch er nimmt sich Zeit für Murdoch. Trump lädt ihn und Jerry Hall zu einem gemeinsamen Abendessen mit Kushner und Ivanka auf seinen Golfplatz bei Aberdeen ein. Pressefotos zeigen beide Männer zusammen im Golfwagen. Trump sitzt am Steuer, Murdoch entspannt auf der Rückbank.
VII. Trommeln für Trump
Für einen Nachrichtensender mit einem rechtskonservativen Publikum ist der Sommer 2016 also eigentlich eine gute Zeit. Doch ausgerechnet jetzt steht die Zukunft von Fox News erstmals auf dem Spiel.
Murdochs Flaggschiff unterstützt inzwischen einen republikanischen Präsidentschaftskandidaten, der sich weit vom Grundsatzprogramm der Republikanischen Partei entfernt hat und dessen Niederlage bei den Wahlen in wenigen Monaten so gut wie sicher sein dürfte. Ausserdem verliert der Sender seinen Starmoderator Roger Ailes, der wegen mehrerer Vorwürfe der sexuellen Belästigung alle Funktionen bei Fox News niederlegen muss.
Dafür haben James und Lachlan gegen den ursprünglichen Widerstand ihres Vaters gesorgt – ein weiteres Beispiel für einen der seltenen Anlässe, bei denen die Brüder gemeinsame Sache machen. Allerdings haben sie unterschiedliche Gründe für ihre Abneigung gegen Ailes. Lachlan ist in seinen Anfangsjahren in New York oft mit diesem aneinandergeraten. Einigen Freunden erzählt er, dass es zum Bruch mit dem Vater gekommen sei, als ihm zu Ohren kam, Rupert Murdoch habe für seinen Kompagnon Ailes Partei ergriffen und gesagt: «Den Jungen lass mal meine Sorge sein.»
Für James wiederum ist Ailes ein prolliger Selbstdarsteller, die Personifizierung all dessen, was der Sender an rückschrittlichem Weltbild aufzubieten hat: Patriotismus, Panikmache gegen Muslime und illegale Einwanderung; Verschwörungstheorien und, vielleicht der wichtigste Punkt für James, Leugnung des Klimawandels.
James glaubt, mit Ailes’ Vertreibung werde der Weg für eine Neuausrichtung des Senders frei. Ihm schwebt vor, an seine Stelle einen erfahrenen Moderator zu setzen, der den Sender vom Krawall-Konservatismus befreit und ihm ein seriöses Gesicht gibt – der freie Meinungsäusserung nicht als Einladung versteht, seinen Aggressionen öffentlich freien Lauf zu lassen, sondern sich an die Grundregeln journalistischer Genauigkeit, Fairness und Anstand hält. Ein möglicher Kandidat dafür ist CBS-News-Präsident David Rhodes, ehemaliger Mitarbeiter von Fox News und Bruder von Ben Rhodes, einem aussenpolitischen Berater Obamas.
Aber Vater und Bruder Murdoch wollen von dieser Idee nichts wissen. Sie setzen auf Kontinuität statt auf Wandel. Lachlan hält den Plan seines Bruders, das Programm, das die meisten Gewinne einfährt, radikal zu verändern, für geradezu aberwitzig. Den Chefposten, den Ailes geräumt hat, besetzt daher kurzentschlossen Vater Rupert selbst. Es ist eine Zwischenlösung zur Beruhigung der Aktionäre und der Führungsriege. Bald schon ist Rupert zurück in der Nachrichtenredaktion, hält Meetings ab und schaut in den Studios vorbei – «meinen Einstieg in die Rente» nennt er das –, und er stürzt sich mit grösserer Begeisterung in die Arbeit als je zuvor.
Ein frischer Wind weht bei Fox nun auch für den einst von Rupert Murdoch abgelehnten Präsidentschaftskandidaten. In der letzten Phase des Wahlkampfs wirft sich der Sender mit aller Kraft hinter Trump, kritische Kommentare oder Analysen gegen Trump kommen so gut wie nicht mehr vor, dafür werden die Attacken gegen Hillary Clinton immer schärfer. In seiner Polittalkshow verbreitet Sean Hannity Gerüchte, die sonst nur in rechtsradikalen Internetportalen und vermutlich von Russland infiltrierten Social-Media-Accounts kursieren – einmal heisst es, Clinton leide an einer lebensbedrohlichen Krankheit, ein andermal, einer ihrer Bodyguards sei in Wahrheit ein Sicherheitsagent, der eine Diazepam-Spritze gegen Panikattacken bei sich trage. (In Wahrheit handelt es sich um eine Taschenlampe.)
Für besondere Aufmerksamkeit sorgt das Interview mit Jeff Rovin, dem langjährigen Chefredaktor der «Weekly World News», eines Gratisblatts für Supermärkte, das es zu grotesker Berühmtheit bringt mit der Behauptung, Hillary Clinton sei vom Teufel besessen und unterhalte eine Affäre mit einem Ausserirdischen namens P’lod.
Auch andere Murdoch-Medien stellen sich hinter Trump: Im «Wall Street Journal» sehen sich die Verfasser von Trump-kritischen Leitartikeln zusehends unter Druck, ihre Haltung zu modifizieren. (Obwohl im Nachrichtenteil landesweit zuerst über Trumps Schweigegeldzahlung an eine angebliche frühere Sexpartnerin berichtet wurde.)
Dennoch spricht kurz vor den Wahlen alles dafür, dass Hillary Clinton den Sieg davontragen wird. James und Kathryn veranstalten einen Empfang in ihrem Haus in der Upper East Side mit einem Gastredner: Admiral James Stavridis, ein Demokrat, der als möglicher Vizepräsident für Clinton gehandelt wird. Zu den Gästen zählen auch Jared Kushner und Ivanka Trump. Während des Abhörskandals in London haben die Gastgeber am eigenen Leib erfahren, wie es sich anfühlt, öffentlich blossgestellt zu werden. Nun möchten sie sich solidarisch zeigen und Ivanka und Jared signalisieren, dass sie auch nach der Niederlage Donald Trumps in den gehobenen Kreisen Manhattans gern gesehene Gäste sind.
Als in der Wahlnacht die ersten Hochrechnungen eintreffen, erhält Kathryn eine SMS von ihrem Schwiegervater, der den Abend in der Redaktion verbringt. «Sieht ganz so aus, als würde dein girl gewinnen.»
VIII. Die Aufspaltung
Im Laufe weniger Monate hat Rupert ein Ex-Model geheiratet, den Brexiteers im britischen Referendum zum Sieg verholfen und sich äusserst erfolgreich in den US-Präsidentschaftswahlkampf eingemischt. Mit der britischen Premierministerin Theresa May verbindet ihn eine enge Beziehung; mit dem künftigen Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika, Donald J. Trump, eine noch engere.
Nur sein Medienimperium schwächelt mehr denn je. Netflix, Amazon, Apple und eine Reihe innovativer Tech-Unternehmen präsentieren mit ihren Streamingdiensten eine schier unendliche Menge an Content, die jederzeit verfügbar ist. Die Zahl der Nutzer dieser Angebote wächst weltweit in rasanter Geschwindigkeit. Für traditionelle Medienunternehmen wie 21st Century Fox werden sie zu einer existenzbedrohenden Konkurrenz. Murdochs einstiges Riesenimperium erscheint neben ihnen plötzlich wie ein Zwerg. Um in diesem Wettbewerb bestehen zu können, muss Murdoch international expandieren. Es liegt auf der Hand, wie er das am leichtesten erreichen kann: Er braucht die volle Kontrolle über das britische Medienunternehmen Sky Broadcasting Group, kurz Sky.
Mit einem Jahresumsatz von rund 16 Milliarden US-Dollar ist Sky der grösste Pay-TV-Anbieter Europas. Die Murdochs besitzen zum damaligen Zeitpunkt einen 39-Prozent-Anteil an dem Unternehmen, der ihnen dreimal so viel Umsatz einspielt wie Fox News. Aber es geht nicht nur um Geld. Zur Sky-Gruppe gehört auch der britische 24-Stunden-Nachrichtensender Sky News, der sich zu einem weltweiten Nachrichtennetzwerk ausbauen lässt und Murdoch Gelegenheit verschafft, es mit seinem grossen Konkurrenten aufzunehmen – der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt BBC.
Für James, den designierten Verwaltungsratsvorsitzenden von Sky, bietet die avisierte Übernahme der Pay-TV-Gruppe auch die Chance auf Wiedergutmachung einer persönlichen Schmach. Fünf Jahre vorher hat er schon einmal versucht, den Satellitensender zu kaufen. Dafür hat er mit David Cameron – damals noch konservativer Abgeordneter im britischen Unterhaus mit Ambitionen auf das Amt des Premiers – von langer Hand eine Allianz geknüpft. Es beginnt mit einer Stippvisite Camerons auf der Jacht vor Santorini, wo die Murdochs ihren Sommerurlaub verbringen, und wird nach und nach zu einer für beide Seiten profitablen Freundschaft. Die Ziele beider Partner liegen dabei offen auf dem Tisch: Cameron ist bei seinem Anlauf auf das Amt des Premiers auf die Unterstützung der Murdochs angewiesen. Und James möchte sich die Regulierungsbehörde Ofcom vom Hals schaffen, die vor der geplanten Übernahme zu prüfen hat, ob die Murdochs «charakterlich geeignet» sind, den Sender zu übernehmen.
Kurz vor den Wahlen 2010 erklärt Cameron öffentlich, dass «Ofcom in seiner gegenwärtigen Form bald nicht mehr existieren wird». Kurz darauf bittet James um ein Treffen im «George», einem exklusiven Privatklub im Londoner Stadtteil Mayfair. Dort teilt er Cameron mit, die «Sun» habe beschlossen, nach zwölf Jahren das Lager zu wechseln; die Zeitung werde nun nicht mehr die Labour-Regierung unterstützen, sondern seine Kandidatur. (Sowohl James Murdoch als auch David Cameron bestreiten, die konservative Partei habe sich die Unterstützung Murdochs mit medienpolitischen Versprechen erkauft.)
Der Deal ist so gut wie in trockenen Tüchern, als der Abhörskandal über die Murdochs hereinbricht. James und sein Vater werden vor das Parlament gezerrt, James muss das Angebot in Höhe von 12 Milliarden US-Dollar für die übrigen Anteile an Sky zurückziehen. Ofcom hört nicht auf zu existieren.
Bei 21st Century Fox zweifelt nicht nur Lachlan, dass James der richtige Mann für den zweiten Übernahmeversuch ist. Schliesslich ist sein Image durch die Verwicklung in den Abhörskandal und den ersten gescheiterten Versuch der kompletten Übernahme beschädigt. Aber James insistiert; niemand kenne sich mit Sky so gut aus wie er. Im Dezember 2016 liegt ein neuer Vertragsentwurf für die Übernahme von Sky vor. Allen & Overy, die Kanzlei, die 21st Century Fox vertritt, erläutert in einem Schreiben an Karen Bradley, die damalige Ministerin für Kultur, Medien und Sport, die wesentlichen Unterschiede zum ersten Kaufangebot: Man habe Konsequenzen aus dem Abhörskandal gezogen und «News of the World» eingestellt sowie das Medienimperium in zwei rechtlich getrennte Einheiten aufgeteilt, News Corp. und 21st Century Fox. Damit sei der Unternehmenszweig, der für den Erwerb von Sky zuständig sei, vollkommen unabhängig vom Zeitungsgeschäft.
Weiter heisst es in dem Schreiben, die Unternehmenskultur habe sich seit dem Abhörskandal grundlegend verändert. Man habe «strenge Steuerungs- und Kontrollmassnahmen eingeführt, um sicherzustellen, dass die höchsten unternehmerischen Verhaltensstandards eingehalten werden». Dasselbe unerschütterliche Selbstbewusstsein klingt auch aus den Worten, die James bei einer Telefonkonferenz mit Wall-Street-Beobachtern findet: «Wir gehen fest davon aus, dass der Vertrag den gesetzlichen Anforderungen entspricht.»
Noch einen anderen Vorteil bietet der neu ausgehandelte Deal: Gemäss Vertragsentwurf haben die Murdochs für die Komplettübernahme des Senders nun nur noch den Schnäppchenpreis von knapp 14,8 Milliarden Dollar zu zahlen – dem Brexit sei Dank. Denn seit dem Referendum liegen die britischen Regierungsgeschäfte brach. Niemand weiss, in welcher Form der Ausstieg aus der EU vollzogen werden soll. Die Abwanderung ausländischer Unternehmen aus Grossbritannien führt zu einer Destabilisierung des britischen Arbeitsmarktes und der Wirtschaft des Landes, auch das britische Pfund verliert an Wert – und mit ihm der Kurs für Sky-Aktien.
Einer Übernahme von Sky scheint also diesmal nichts mehr im Weg zu stehen. Nur eine letzte Hürde ist noch zu nehmen: Die britische Regierung muss dem Kaufvertrag zustimmen. Diese hat erneut die Regulierungsbehörde Ofcom eingeschaltet, um die Details des Vertrags prüfen zu lassen. Um das britische Establishment davon zu überzeugen, dass der Sender bei ihm und dem Familienunternehmen in guten Händen ist, macht James sich auf den Gang nach Canossa durch das britische Establishment. Mit Demuts- und Reuebekundungen versucht er zu beweisen, dass die Murdochs «charakterlich befähigt» sind, Sky zu betreiben.
IX. Die Eroberung
Noch hat James in London keinen endgültigen Zuschlag auf die Gesamtübernahme von Sky erhalten, da schliesst die australische Unternehmenseinheit – Lachlans Domäne – einen zwar kleineren, aber keineswegs unbedeutenden Deal ab. Er sichert den Murdochs die volle Kontrolle über die Sky-Tochtergesellschaft Sky News Australia, an der bisher zwei weitere australische Medienunternehmen beteiligt sind. Mit der Gesamtübernahme des einzigen Kabelnachrichtenkanals in Australien, der rund um die Uhr auf Sendung ist, stehen den Murdochs nun auch noch auf einem dritten Kontinent bislang ungenutzte Einflussmöglichkeiten zur Verfügung.
Den australischen Zeitungsmarkt dominiert Murdoch bereits mit Beteiligungen an rund 60 Prozent der australischen Printpresse und dem Besitz des «Australian», der einzigen landesweiten Tageszeitung. Lachlan, das öffentliche Gesicht des Konzerns in Australien, verfügt über grossen politischen Einfluss.
In den letzten zehn Jahren haben Murdoch-Zeitungen an der Amtsenthebung zweier Premierminister mitgewirkt, Kevin Rudd und Julia Gillard. Als Wayne Swan, Finanzminister im Kabinett Gillard, befürchtet, die Schmutzkampagnen in der Murdoch-Presse könnten die Wirtschaft des Landes schwächen, wendet er sich, wie er uns im Gespräch mitteilt, einmal persönlich an Lachlan, um ihn zu einer Kursänderung zu bewegen.
Auch Lachlan weiss Bündnisse zu knüpfen. Er sucht die Nähe zu Tony Abbott, einem Abgeordneten der konservativen Liberalen Partei, der sich mit seiner rechtsgerichteten, auf Konfrontation setzenden Politik häufig Vergleiche mit Newt Gingrich einhandelt. Aus den Memoiren des früheren «Australian»-Chefredaktors Chris Mitchell geht hervor, dass Abbott in seiner Zeit als Premierminister (2013 bis 2015) Gesetzesvorhaben erst dann öffentlich vorlegt, wenn er sie zuvor mit den Chefredaktoren der Murdoch-Blätter – und gelegentlich auch mit den Murdochs persönlich – besprochen hat.
Mit dem Erwerb von Sky News Australia wird dem Murdoch-Imperium nun noch ein Kabelnachrichtensender einverleibt. Rein theoretisch steht er in Konkurrenz zur öffentlich-rechtlichen Australian Broadcasting Corporation, dem wichtigsten Nachrichtensender in Australien, der nach dem Vorbild der BBC gestrickt ist und auch eine ähnlich kühle, nüchterne Berichterstattung pflegt. Allerdings ist das wirklich nicht mehr als reine Theorie, denn selbst für australische Verhältnisse hat Sky News Australia – die Programme werden auch in Neuseeland ausgestrahlt – ein verschwindend kleines Publikum.
Doch die Übernahme von Sky bietet auch dem älteren Murdoch-Sohn eine Chance zur Wiedergutmachung einer persönlichen Niederlage. Nach dem Zerwürfnis mit seinem Vater ist Lachlan nämlich vor Jahren daran gescheitert, den australischen Fernsehsender Ten vor der Insolvenz zu retten. Zu seinen fehlgeschlagenen Rettungsaktionen gehörte es, dass er seine Frau als Moderatorin einer Reality-TV-Tanzshow einsetzte und den umstrittenen rechtsradikalen Kommentator Andrew Bolt für eine Wochenschau verpflichtete. Bolt hatte bei Lachlan auf einem Betriebsausflug der zum Murdoch-Imperium gehörenden «Herald Sun» im kalifornischen Pebble Beach vor Jahren grossen Eindruck gemacht, als er, damals noch Kommentator des Blattes, Al Gore nach einem Diavortrag über den Klimawandel ins Kreuzverhör nahm.
Als der streitbare Journalist einen Sendeplatz auf Ten erhält, ist gegen ihn bereits eine Klage wegen Verletzung des australischen Anti-Diskriminierungs-Gesetzes anhängig. In Artikeln in der «Herald Sun» hatte er behauptet, manche hellhäutigen Ureinwohner bezeichneten sich nur deshalb als Ureinwohner, weil ihnen das politische oder finanzielle Vorteile verschaffe. (Bolt wird schuldig gesprochen und die Zeitung zum Abdruck einer Stellungnahme verpflichtet, in der sie sich zum Gesetzesverstoss bekennt.)
Mit der Übernahme von Sky News Australia erhält Lachlan nun seine zweite Chance. Im Dezember 2016 sind die Verträge unter Dach und Fach, und das Netzwerk ist im alleinigen Besitz der Murdochs. Zu diesem Zeitpunkt steht die Entscheidung in London über James’ Übernahmeangebot noch aus. Traditionell pflegt Sky News Australia eine politisch ausgewogene Berichterstattung, aber je näher die Übernahme durch die Murdochs rückt, umso öfter treten dort zur Primetime rechtspopulistische Kommentatoren auf.
Das beginnt mit Andrew Bolt, dem ehemaligen Ten-Moderator von Lachlans Gnaden, der kurz vor der Übernahme des Senders durch die Murdochs eine allabendliche Politik-Talkshow auf Sky News Australia bekommt. Bald darauf wird die Journalistin Caroline Marcus verpflichtet, die sich als Kolumnistin für den «Daily Telegraph of Sydney» für das Burkini-Verbot in Frankreich ausgesprochen hat und der Ansicht ist, in vielen kulturpolitischen Diskussionen habe sich inzwischen die «umgekehrte Diskriminierung» von Weissen durchgesetzt.
Bei «The Outsiders» übernimmt Ross Cameron die Co-Moderation. Er ist ehemaliger Abgeordneter im australischen Parlament mit einem Hang zu schwulenfeindlichen Kommentaren und später Redner auf einer Veranstaltung einer rechtsextremen Organisation, die sich stolz «Australiens führende Anti-Islamismus-Vereinigung» nennt. Das rein männlich besetzte Moderatorenteam bezeichnet sich selbst als «Trump’s Aussie Mates» und verspricht, nur halb im Scherz, in dieser Sendung werde es «garantiert einseitig und absolut unausgewogen» zugehen.
Nachdem einer der Moderatoren der Show, Mark Latham, wegen anstössiger Kommentare gefeuert wurde – darunter ist eine homophobe Bemerkung über einen Schüler in einem Video zum Internationalen Frauentag –, erlangt er als Kandidat auf der Liste der rechtsextremen Anti-Immigrations-Partei One Nation einen Parlamentssitz.
Kurz nach der Übernahme des Senders durch Lachlan stösst schliesslich noch eine alte politische Verbündete zur Riege der Primetime-Moderatoren auf Sky hinzu: Tony Abbotts ehemalige Stabschefin Peta Credlin. Sie ist Tony Abbott nach wie vor verbunden und nutzt diese Plattform, um offensiv für ihre wichtigsten Anliegen zu werben: Australien solle seine Bemühungen zur Bekämpfung des Klimawandels zurückfahren, die Immigration stärker regulieren und sich den liberalen Tendenzen von Premierminister Malcolm Turnbull, einem erbitterten innerparteilichen Kontrahenten von Tony Abbott, widersetzen.
Ein derart meinungsstarkes, fast ausschliesslich rechtslastiges Moderatorenteam wie bei «Sky After Dark» hat es im australischen Fernsehen noch nie gegeben. Schon bald gehören die Sendungen zum Pflichtprogramm der politischen Klasse im Land, und die Zuschauerraten schiessen in die Höhe.
X. Die Gleichschaltung
In den ersten Monaten des Jahres 2017 sieht alles danach aus, als sei die Übergangslösung bei Fox News nun auf Dauer gestellt. Murdoch behält die oberste Führung und setzt zwei langjährige getreue Mitstreiter von Ailes auf dessen kurz vor den Präsidentschaftswahlen frei gewordenen Chefsessel. Das neue Führungsduo besteht aus Jack Abernethy, der die Bereiche Finanzen, Werbung und Vertrieb übernimmt, und Bill Shine, einem engen Freund von Sean Hannity, der für Programmplanung, Produktion, Technik und die Talentschmiede verantwortlich ist. Keiner der beiden ist für eigenständiges Denken bekannt.
Shine handelt sich etwa von einem seiner Rivalen den Spitznamen «der Butler» ein, weil er wie aus dem Nichts an der Seite seines Chefs Ailes aufzutauchen pflegt, sobald es einen Wunsch zu erfüllen gibt. Kurz nach der Beförderung Shines werden die ersten Beschuldigungen ehemaliger Mitarbeiter bekannt – unter anderem in den Gerichtsverfahren gegen Ailes –, er habe Vorwürfe der sexuellen Belästigung gegen den ehemaligen Fox-News-Chef Roger Ailes übergangen und dazu beigetragen, im Sender eine frauenfeindliche Atmosphäre zu schaffen. (Shine bestreitet diese Vorwürfe.)
Nach Trumps Wahlsieg wirft Murdoch sich noch entschiedener für ihn ins Zeug. Als Greta Van Susteren, eine ehemalige CNN-Nachrichtenmoderatorin und ideologisch eine eher unberechenbare Grösse in der Rechtsaussen-Mannschaft, ihren Platz bei Fox News räumt, geht Murdoch begeistert auf den Vorschlag ein, ihren Sendeplatz um 19 Uhr dem Talkshow-Moderator Tucker Carlson zu übergeben – einem konservativen Journalisten und dem Gründer der Website «Daily Caller», der mehrfach Beifall von den Trump-treuen weissen Nationalisten erhalten hat. Anlässlich der feierlichen Gelegenheit lädt Murdoch den neuen Mitarbeiter Carlson zu einem Lunch im Beisein von Jerry Hall ein. Megyn Kelly verlässt Anfang 2017 den Sender – der heftige Schlagabtausch mit Trump hat ihre Karriere dort besiegelt. Der Platz für diese Trump-kritische Stimme bleibt frei.
Auch zum Weissen Haus hält Murdoch engen Kontakt. Mit Kushner spricht er ohnehin regelmässig, aber jetzt telefoniert er auch häufig mit Trump. Und der freut sich über die Anrufe. Trump, der Reichtum und Macht bewundert, blickt seit je zu Murdoch auf. Wann immer er in den letzten Jahrzehnten Ratschlag brauchte, hat er sich an ihn gewandt. Aber bisher war immer er es, der die Anrufe tätigen musste. Jetzt ist es Murdoch, der zuerst den Hörer in die Hand nimmt. «Rupert, Rupert», hört ein Mitarbeiter von Trumps Stab im Weissen Haus den Präsidenten am Telefon sagen, «du liebst den Trubel, oder? Du kannst gar nicht genug davon kriegen!»
Lange Telefongespräche führt Trump ausserdem mit Sean Hannity, meist meldet sich der Moderator gleich im Anschluss an die Sendung bei ihm. Laut Aussage eines anderen Mitarbeiters im Weissen Haus ist Hannity Trump eigentlich zu devot, er bevorzugt Interviews mit Bill O’Reilly, der ihn härter anfasst und damit – findet Trump – seine Kampflust besser zur Geltung bringt. Hannitys Loyalität jedoch weiss Trump zu schätzen.
Der Fox-Moderator hat sich im Wahlkampf bewährt, als sei er ein Teil des Trump-Teams. Von ihm erhält Trumps Rechtsanwalt Michael Cohen etwa den Tipp, er solle Ausschau nach Ex-Liebschaften oder Mitarbeitern halten, die dem Kandidaten im Wahlkampf schaden könnten, wie zwei Personen berichten, die bei den Gesprächen zugegen waren. (Hannity lässt das über einen Fox-Vertreter abstreiten.)
Hannitys einstündige Polittalkshow wächst sich zu einer bei loyalen Trump-Anhängern beliebten allabendlichen Dauerwerbesendung für Trump aus. In einem Interview mit der «New York Times» bezeichnet Ailes das Programm als «Sendung für ein Nischenpublikum» aus konservativen Hardlinern. Dieses Nischenpublikum ist offenbar gross genug, um Sean Hannity zum Starmoderator bei Fox aufsteigen zu lassen. Er ist jetzt der Tonangeber unter den Moderaten im Abendprogramm, das sich schnell zum exakten Kontrapunkt der Trump-Berichterstattung in den Mainstream-Medien entwickelt.
Als ehemaliger Medienberater erkennt Ailes, dass die Marke Fox News sich nur durchsetzen und bestehen kann, wenn sie als glaubwürdige Alternative zu den linksliberalen Medien wahrgenommen wird. Wenn dieses Image in Gefahr gerät, weil sich einer seiner Moderatoren rhetorisch zu weit aus dem Fenster lehnt, pfeift Ailes ihn deswegen auch schon einmal zurück. Ausserdem hält er es für schlechtes Fernsehen, wenn jeden Abend ein und dieselbe Meinung über den Äther geht. Deswegen sorgt er dafür, dass sich unter den Fox-Moderatoren auch immer einige befinden, die republikanische Grundüberzeugungen zumindest gelegentlich infrage stellen.
Solche Überlegungen sind Murdoch fremd. In den Nachrichtensendungen erscheinen zwar weiterhin immer mal wieder Berichte, die einen Gegenpol zu Hannitys Polittalk bilden. Moderator Shepard Smith etwa schlägt einen zusehends schärferen Ton in seiner Kritik an Trump an und äussert sich fassungslos darüber, dass die Regierung «eine Lüge nach der anderen» verbreitet. Die Interviews, die Fox-Nachrichtensprecher Chris Wallace mit Mitarbeitern aus Trumps Regierung führt, sind ebenfalls recht erbarmungslos; und auch Bret Baiers nüchterne Berichterstattung bringt Trump weiterhin regelmässig zur Weissglut.
Aber für die Quote, von der Fox lebt, sorgen vor allem die Moderatoren im Abendprogramm. Und im Herbst 2017 befindet sich unter ihnen – anders als noch bei Ailes – kein einziger Trump-Kritiker mehr. Der Sendeplatz um 20 Uhr ist mit Carlson besetzt, um 21 Uhr folgt Hannity, und um 22 Uhr übernimmt die rechtskonservative Laura Ingraham, eine der berühmtesten Radio-Moderatorinnen des Landes. Flankierend springen ihnen im Frühstücksfernsehen Gleichgesinnte bei «Fox & Friends» bei, der Sendung, mit der Trump seinen Tag beginnt.
XI. Das Seilziehen
Über das Verhältnis von Medien und Politik hatte sich James ein paar Jahre zuvor noch ganz anders geäussert. Während er noch mitten in dem ersten, gescheiterten Versuch zur Übernahme von Sky steckte, ritt er heftige Attacken gegen die Gefährdung eines unabhängigen Journalismus durch staatliche Regulierung und einen öffentlich finanzierten Rundfunk. Die altehrwürdige BBC, eine nationale Institution, bezeichnete er als einen «Medienmonolithen» mit einem gefährlichen Monopol auf die öffentliche Meinung. In seiner Rede auf dem Edinburgh TV Festival hiess es: «Ohne Profit gibt es keine sichere und dauerhafte Garantie für unabhängige Medien.»
Als er im Frühjahr 2017 in London bei Staatsbeamten und Geschäftsleuten die Runde macht, schlägt er bereits einen deutlich versöhnlicheren Ton an. Er findet nichts als lobende Worte für die BBC und versichert, er habe grosse Achtung vor der britischen Medienaufsicht und ihrem Bemühen, Überparteilichkeit zu gewährleisten. Auf einer Jahreskonferenz, die die einflussreiche Medienanalystin Claire Enders organisiert – eine lautstarke Warnerin vor seinem ersten Versuch zur Übernahme von Sky –, beteuert James, «immer besser werden zu wollen» und sich «in Zukunft so zu verhalten, wie wir es von uns selbst verlangen und andere es von uns erwarten».
Mitten in diese Charmeoffensive hinein aber platzt ein neuer Skandal bei Fox News, der dazu angetan ist, auch den zweiten Sky-Deal scheitern zu lassen. Im April 2017 berichtet die «New York Times», dass eines der bekanntesten Fernsehgesichter Amerikas, der Nachrichtenmoderator Bill O’Reilly, und sein Sender Fox News 13 Millionen US-Dollar an Frauen gezahlt haben, um sie davon abzuhalten, ihren Vorwurf der sexuellen und verbalen Belästigung öffentlich zu machen. Trotzdem wird O’Reillys Vertrag mit einem Jahresgehalt von 25 Millionen US-Dollar noch einmal verlängert. Es dauert nicht lange, bis der britischen Aufsichtsbehörde Ofcom Beweismittel von O’Reillys Opfern vorliegen. Die Rechtsanwältin Lisa Bloom, die eines der Opfer vertritt, zieht einen direkten Vergleich zwischen den Sexskandalen bei Fox und dem Abhörskandal bei «News of the World». Beide, so schreibt sie, bewiesen «einen Mangel an Kontrolle, Intervention und Anstand».
James und andere Führungskräfte von 21st Century Fox werden in das Hauptquartier der Ofcom mit Blick über die Themse zitiert und dort einer eingehenden Befragung über die Unternehmenskultur bei Fox unterzogen. Die Murdochs werfen alles in den Ring, um die Sky-Übernahme nicht zu gefährden. O’Reilly wird umgehend entlassen, er erhält eine Abfindung von 25 Millionen US-Dollar. Dann kursieren plötzlich Gerüchte, der Ailes-Vertraute Bill Shine könne der Nächste sein, der den Hut nehmen müsse. Hannity versucht, seinen alten Freund und Verbündeten zu schützen, weil er den Eindruck hat, hier werde jemand zum Opfer der globalen Murdoch-Agenda. Er setzt einen Tweet ab, der vermutlich auf James zielt: «Jemand GANZ WEIT OBEN versucht, einen Unschuldigen zu schassen.» Doch es hilft nicht mehr. Auch Shine muss gehen.
Im Juni 2017 endlich ist es so weit: Die britische Medienaufsicht Ofcom veröffentlicht ihren Bericht und empfiehlt, die Übernahme von Sky einem weiteren Prüfverfahren zu unterziehen. Die Wettbewerbsbehörde sollte untersuchen, ob die Murdoch-Familie durch den Erwerb von Sky zu grossen Einfluss auf die britischen Medien erhalten würde.
Diese Entscheidung löst weiteren Aktionismus aufseiten der Murdochs aus. Um mögliche Probleme mit der britischen Medienaufsicht aus dem Weg zu räumen, bescheiden Fox-Manager einem wutentbrannten Hannity, er habe seine Berichterstattung über die Ermordung von Seth Rich, einem jungen Mitarbeiter der Demokratischen Partei, herunterzufahren. (Der Mordfall hatte diverse Verschwörungstheorien und massive Kritik an der Berichterstattung durch Fox ausgelöst und zu Einbussen an Werbeeinnahmen geführt.)
Aus England ziehen sich die Murdochs mit Fox News zurück, denn mehrere Beschwerdeverfahren wegen «unfairer und unzutreffender Berichterstattung» sind anhängig. (Die Beschwerden werden in einem separaten Verfahren von Ofcom untersucht. Die Aufsichtsbehörde kommt zu dem Ergebnis, dass Sean Hannity und Tucker Carlson gegen den im britischen Mediengesetz geltenden Grundsatz der Unparteilichkeit verstossen haben: Hannity, weil er sich über Kritiker von Trumps Plan eines Einreiseverbots für Bürger aus islamisch geprägten Ländern lustig machte, aber weder ihre Standpunkte ausführlich erläuterte noch ihnen die Gelegenheit gab, selbst Stellung zu nehmen; und Carlson, weil er Nigel Farage die Gelegenheit gab, haltlose Vorwürfe gegen britische Behörden zu erheben, die es angeblich versäumt hatten, «Tausende von minderjährigen Mädchen» vor Vergewaltigung und Missbrauch durch Muslime zu schützen.)
Im September 2017 hält James Murdoch die Eröffnungsrede auf der Jahreskonferenz der Royal Television Society in Cambridge. Er nutzt den Anlass, um seine Argumente für die Vorteile des Sky-Deals zu entfalten und das Zukunftsbild eines globalen Medienunternehmens zu entwerfen, das er zu leiten gedenkt. Im Verlauf der Argumentation geht er auf einige namhafte Marken von 21st Century Fox ein – National Geographic, FX, Fox Sports, Sky Atlantic –, die sich ausführlich mit Themen wie «Opioidkrise, Genderidentität und Beziehungen zwischen ethnischen Gruppen» beschäftigten und «mitreissende Geschichten über die Sklaverei in Amerika, die Frauenrechte in Pakistan und die unmittelbar bevorstehende Erforschung des Mars» geliefert hätten.
Mit keinem Wort erwähnt er in dieser Aufzählung und in der gesamten Rede eine noch viel bekanntere Marke von 21st Century Fox: Fox News. In der anschliessenden Diskussion fragt eine Zuhörerin ihn, warum sich die Verhandlungen über die Übernahme von Sky seiner Ansicht nach nun schon so lange hinzögen. «Ich könnte mir vorstellen, dass darin auch die Botschaft steckt», sagt sie, «dass es unter Ihrer Führung bei News International und später auch bei Fox News zu einem ungeheuerlichen Verfall der Unternehmenskultur gekommen ist und dass man Ihnen schlicht und ergreifend nicht vertraut. Was meinen Sie?»
Im November des Jahres 2017 erscheint eine parteiübergreifende Koalition britischer Abgeordneter zu einer Anhörung in Victoria House in Southampton Row, dem Sitz der britischen Wettbewerbsbehörde, um dort ihre Bedenken gegen den Sky-Deal vorzutragen. Angeführt wird die Gruppe von Ed Miliband, dem ehemaligen Vorsitzenden der Labour-Partei und Befürworter der Anti-Monopol-Mediengesetzgebung. Vor Jahren ist er mit den Murdochs aneinandergeraten, als die «Sun» mit aller Macht seine Anwartschaft auf das Amt des Premierministers zu untergraben versuchte und ihn als «Red Ed» oder «Shameful Mili» verunglimpfte.
Mit Hinweis auf die Verschwörungstheorien um Seth Rich, die auf Fox verbreitet wurden, sowie auf die Berichterstattung über angebliche «Scharia-Zonen» in einigen Londoner Stadtteilen warnen sie davor, den Murdochs volle Kontrolle über den britischen Satellitensender zu geben. Dies könne zur Folge haben, dass aus dem Nachrichtensender Sky News, der das Land rund um die Uhr mit politischer Berichterstattung versorgt, die britische Variante von Fox News werde. Die Frage, ob man den Murdochs Einfluss auf die Medien gebe, laufe unweigerlich darauf hinaus, ob man ihnen auch die Macht einräumen wolle, Einfluss auf die britische Politik zu nehmen. «Ich kenne Rupert gut», sagt der konservative Abgeordnete Kenneth Clarke. «Allein die Vorstellung, dass Rupert es in irgendeinem Land, in dem er Medien besitzt, bei einer unparteiischen Berichterstattung belassen könnte ... jeder, der ihn kennt und das hört, kann darüber nur sehr breit grinsen.»
Im Januar 2018 kommt die Wettbewerbsbehörde zu einer Entscheidung in der Frage, ob der zu 21st Century gehörige Sender Fox das Recht hat, Sky zu übernehmen: Die Wettbewerbshüter äussern Bedenken, dass die Familie Murdoch mit einer vollen Übernahme «zu viel Kontrolle über die grossen Nachrichtenanbieter in allen Segmenten (Fernsehen, Radio, Online und Print) in Grossbritannien und damit zu viel Einfluss auf die öffentliche Meinung und die politische Agenda erlangen könnte». Aus dieser Ablehnung folgt auch die endgültige Entscheidung darüber, dass kein Mitglied der Familie eine Position bei Sky bekleiden darf – nicht einmal im Vorstand des Unternehmens. Das ist insbesondere für James, der zu diesem Zeitpunkt Vorstandsvorsitzender von Sky ist, ein harter Schlag.
Lachlan fühlt sich durch diese Entscheidung in seinem Urteil bestätigt, dass James als Vertreter für die Übernahme von Sky der Falsche war, weil er Erinnerungen an den Abhörskandal und die negativen Schlagzeilen über die Murdochs in Grossbritannien weckte. Aus der Perspektive von James bestätigt der gescheiterte Übernahmeversuch die Befürchtung, dass das Familienimperium an seiner eigenen Politik und der mangelnden Unternehmenskultur zu zerbrechen droht.
Bildnachweis Coverillustration von Joan Wong für «New York Times Magazine»: Paolo Tre/A3/Contrasto/Dukas; Alessia Pierdomenico/Bloomberg/Getty Images; Reuters/Mike Segar
Viele Schlachten gewonnen – und doch den Krieg verloren? Die gescheiterte Sky-Übernahme hat Konsequenzen: Die Murdochs stossen einen Teil ihres Imperiums ab. Übrig bleibt eine knallharte rechte Nachrichtenmaschine – mit Ruperts Sohn Lachlan Murdoch an der Spitze. Kann er den Konzern in eine profitable Zukunft führen? Und zerreisst seine Rivalität mit Bruder James die Familie? Derweil werfen die US-Wahlen 2020 erste Schatten voraus.
Dieser Text erschien zuerst unter dem Titel «How Rupert Murdoch’s Empire of Influence Remade The World» im «New York Times Magazine». Er wurde von Anne Vonderstein aus dem Englischen übersetzt.