Geld, Gold, Geopolitik – wer hat welche Interessen in Venezuela?
Ob es einen friedlichen Regierungswechsel in Venezuela gibt, hängt nicht nur von den dortigen Politikern ab. Sechs Staaten mischen im aktuellen Machtkampf kräftig mit. Eine Übersicht.
Von Andreas Fink, 11.05.2019
Venezuela ist das Land mit den reichhaltigsten Erdölreserven der Welt. Das Land mit den vermutlich zweitgrössten Goldvorkommen, riesigen Vorräten an seltenen Metallen und viel brach liegender Landwirtschaftsfläche. Das Land mit der längsten – weitgehend ungenutzten – Küste aller Karibikstaaten.
Venezuela ist ein Land, für das sich viele andere Länder interessieren.
Welche Rolle diese Interessen in der aktuellen Auseinandersetzung zwischen dem Präsidenten Nicolás Maduro und dem Oppositionsführer Juan Guaidó spielen, ist zurzeit heiss umstritten.
Maduro, Guaidó und die Staatengemeinschaft
Die USA, die meisten Länder Lateinamerikas sowie die meisten europäischen Regierungen wollten Nicolás Maduros Wahl im Mai 2018 wegen offensichtlicher Manipulationen nicht akzeptieren. Anfang dieses Jahres erkannten 55 Staaten den Parlamentspräsidenten Juan Guaidó als Interimspräsidenten an. Nicolás Maduro wird dagegen von mehr als 120 Uno-Mitgliedsländern unterstützt.
Welchen Einfluss üben die USA bei den Putschversuchen gegen das Regime aus? Inwiefern wird dieses von Kuba, Russland und anderen Kräften unterstützt? Wird die venezolanische Bevölkerung am Ende sogar in eine militärische Auseinandersetzung hineingezogen, in einen von Grossmächten orchestrierten Bürgerkrieg?
Antworten auf diese Fragen zu finden, ist naturgemäss schwierig: Tag für Tag wechselt die Stimmung, die Dynamik ist unberechenbar – Venezuela steckt trotz seiner vielen Reichtümer in existenzieller Not, das Volk hungert.
Und doch gibt es feste Anhaltspunkte, um die Gemengelage einzuschätzen. Wir wissen, welche Länder in Venezuela präsent sind und warum. Wir kennen die Geschichte ihrer Beziehungen und die Motive ihrer Einmischung.
1. Kuba
Die Symbiose
Kuba war bereits die Schutzmacht der Chavistas, noch ehe diese die Macht erlangten. 1994, gleich nach seiner Haftentlassung, flog der vormalige Putschist Hugo Chávez nach Kuba und wurde von Fidel Castro wie ein Staatsgast empfangen. Das imponierte dem Offizier aus dem Hinterland-Staat Barinas ebenso wie die väterliche Zuneigung Castros, der erkannt hatte, dass unter Venezuelas Boden die Rettung für seine Revolution schlummerte.
Castro irrte sich nicht. Gleich nach Chávez’ Amtsübernahme begannen die Öllieferungen, die zunächst das kubanische Energieproblem lösten und bald auch eine weitere Einnahmequelle eröffneten: Die Regierung in Havanna kann bis heute einen Teil des Öls, das sie nicht bezahlt, auf dem Graumarkt verkaufen. Von den 700’000 Barrel, die Venezuelas sieche Ölindustrie heute noch fördert, bekomme Kuba 150’000, versichert der argentinische Anwalt Alvaro de Lamadrid, der im Vorjahr ein Buch über die venezolanischen Machthaber verfasst hat und seither einen Personenschützer beschäftigt.
Im Gegenzug schickte Kuba ein Heer aus Helfern südwärts. Bis zu 30’000 kubanische Ärztinnen, Zahnärzte und Krankenschwestern traten zum Dienst in den ranchos an, den Armenvierteln. Von diesen ist krisenbedingt nur noch ein Bruchteil in Venezuela und versucht Wunder zu vollbringen in einem Land ohne Arzneien. Die anderen Abgesandten der Insel, die nie so sichtbar waren wie die Volksdoktoren, sind weiter am Werk – in den Katasterämtern, den Staatsbetrieben, der Telefongesellschaft, der Leibwache des Präsidenten.
Kubaner kontrollieren die Kommunikationsbehörde, die jedes Mal das Internet ausschaltet, wenn Guaidó spricht. Der kubanische Auslandsgeheimdienst G2 werte sämtliche Telefonmitschnitte aus, ehe er sie den Venezolanern gebe, erklärte ein Überläufer 2017 gegenüber spanischen Behörden. Kubanische Emissäre sind in Militär, Polizei und Geheimdienst im Einsatz und steuern die Repression mit der Routine aus sechzig Jahren eigener Unterdrückung.
Nicolás Maduro, der Busfahrer, der als 24-Jähriger ein marxistisch-leninistisches Ideologietraining in Kuba absolvierte, wurde 2013 nach Chavez’ Tod von Fidel Castro als dessen Nachfolger empfohlen. Maduro hält stets Rücksprache mit Havanna und verlässt sich im Machtkampf gegen seinen chavistischen Opponenten Diosdado Cabello auf die kubanischen Berater und Personenschützer.
2017 schrieb Moisés Naím, der venezolanische Publizist und langjährige Direktor der Zeitschrift «Foreign Policy»: «Maduro ist nur der nützliche Idiot, die Marionette jener, die wirklich anschaffen in Venezuela.» Sprich: der Militärs, Drogenhändler und Kubaner. Er bezeichnet die Übernahme der Macht eines mittelgrossen, reichen Landes durch einen verarmten, isolierten Kleinstaat als eines der wundersamsten politischen Phänomene des 21. Jahrhunderts.
Kuba ist der älteste Verbündete von Venezuela. Doch es ist nicht der einzige Staat, der mit Venezuela eine besondere Wirtschaftsbeziehung pflegt.
2. China
Kredit gegen Rohstoffe
China war da, als Chávez’ Rechnung nicht mehr aufging – in der Finanzkrise. Stetig steigende Rohölpreise hatten es dem Comandante zuvor ermöglicht, sein Volk mit einer Konsum-Fiesta für seine Revolution zu begeistern. Doch nachdem der Ölpreis im Jahr 2008 von 150 auf 40 Dollar pro Barrel gefallen war, brauchte Venezuela sofort Kredit. In Peking erkannten die Mächtigen die Gunst der Stunde, um an vergünstigtes Öl für viele Jahre zu kommen. Zwischen 50 und 70 Milliarden Dollar hat China den Regierungen von Hugo Chávez und Nicolás Maduro geliehen – abzuzahlen mit Erdöl.
Diese Kredite versahen die Chinesen freilich mit einer Bedingung. Für einen Grossteil des vorgestreckten Geldes musste Venezuela in China einkaufen: Busse, Eisenbahntrassen, Wohnsiedlungen. Die Gelder aus Peking waren nach Hugo Chávez’ letzter und teuerster Wahlkampagne zwar aufgebraucht, aber die Rückzahlung mit Öl zieht sich wohl noch Jahrzehnte hin.
Schwer krank und hoch verschuldet, erteilte Chávez 2012 dem chinesischen Staatskonzern CITIC Group den Auftrag, einen geologischen Atlas zu erstellen, denn niemand in Caracas wusste bis dahin, wie viel Gold, Kupfer und Coltan unter Venezuelas Boden schlummern. Nun, nach jahrelangen Bohrungen, weiss zumindest Peking, was es in Venezuela noch zu holen gibt.
Nach Angaben der lokalen Consultancy Ecoanalitica hatte Venezuela Anfang dieses Jahres noch 21 Milliarden Dollar Schulden bei den Chinesen. Diese hatten in den vergangenen Jahren offensichtlich mehrere Auseinandersetzungen mit dem überforderten Maduro und drehten ihm 2016 zwischenzeitlich den Geldhahn zu. Im Machtkampf zwischen dem De-facto-Machthaber und dem Interimspräsidenten stellte sich Peking in der Uno hinter Nicolás Maduro.
Andererseits signalisierten Sprecher der Regierung in Peking, dass es China vor allem um die Begleichung seiner Aussenstände gehe. Darin erkannte das Umfeld von Juan Guaidó ein Signal, dass Peking einen Machtwechsel akzeptieren könnte, falls das Öl für die Schuldenlieferungen garantiert sei. Präsident Maduro muss zudem befürchten, zu Wechselgeld im neu aufgeflammten Zollkonflikt zwischen den USA und China zu werden.
3. Iran
Gemeinsame Umgehungsgeschäfte
Der Iran kündigte im April die Wiederaufnahme einer Flugverbindung von Teheran nach Caracas an. Wöchentlich soll eine Maschine der Mahan Air die beiden Hauptstädte verbinden. An Flugzeugen dürfte es der Airline nicht mangeln, denn deutsche und französische Behörden haben der zweitgrössten Fluggesellschaft des Iran erst Anfang dieses Jahres das Landerecht entzogen, wegen «Förderung illegaler Aktivitäten» beziehungsweise wegen des «Transports von Kämpfern und Militärgerät im Nahen Osten».
Von 2008 bis 2011 hatte es bereits eine Luftbrücke zwischen Caracas und dem Iran gegeben, auf der alle zwei Wochen Maschinen ohne Passagiere, aber mit gefülltem Frachtraum das Embargo gegen Teheran umflogen.
Über die einstige Flugverbindung, die Hugo Chávez spöttisch aeroterror genannt haben soll, kam neben Technik für das iranische Atomprogramm kolumbianisches Kokain in den Nahen Osten. Die Schiitenorganisation Hizbollah, deren Führer Hassan Nasrallah im Jahr 2007 in Damaskus mit Venezuelas damaligem Aussenminister Nicolás Maduro die Verteilung von Hizbollah-Zellen in ganz Venezuela vereinbarte, nutzte die Luftbrücke, um Kämpfer vor israelischen und amerikanischen Diensten in Sicherheit zu bringen.
In Venezuelas Botschaft in Damaskus wurden Pässe an mehr als 150 Iraner, Iraker, Syrer, Libanesen und Jordanier vergeben. Die «New York Times» bekam kürzlich Dokumente des venezolanischen Geheimdienstes zugespielt, die den Kopf der Kokain-Hizbollah-Connection benennen: Tareck El Aissami, Venezuelas Industrieminister. Der Sohn eines Syrers wurde im März von einem New Yorker Gericht wegen Drogenhandels angeklagt.
Die iranische Mahan Air, deren erste Maschine am 8. April nach sechzehn Stunden Direktflug auf dem venezolanischen Hauptstadtflughafen Maiquetía landete, könnte die alte aeroterror-Verbindung wiederbeleben, fürchten westliche Politiker. Nur eine Woche nach dem Jungfernflug deutete Irans Aussenminister Jawad Sarif an, welche Passagiere in die Karibik fliegen könnten: Er bot seinem Verbündeten Maduro an, ein Kontingent der Revolutionsgarden zu schicken.
4. Türkei
Gold gegen Konsumgüter
Die Türkei ist das zweite Land mit einer Luftbrücke nach Caracas. Einst flogen sechsundzwanzig internationale Airlines den Hauptstadtflughafen an. Aber weil Venezuela den Fluggesellschaften Milliarden Dollar aus Ticketverkäufen schuldet, landen nur noch sechs internationale Fluglinien in Maiquetía. Eine ist die Turkish Airlines, der Präsident Recep Tayyip Erdoğan nahesteht.
Am Neujahrstag 2018 begann die venezolanische Zentralbank mit dem Versand von Gold in die Türkei. Edelmetall im Wert von 36 Millionen Dollar kam auf die Ladefläche der Turkish-Maschine. Nach Angaben der Türkei empfing das Land vergangenes Jahr 900 Millionen Dollar in Gold aus Venezuela.
Einen Teil der Erlöse aus diesem Export nutzt das Maduro-Regime, um jene Lebensmittel einzukaufen, die von der venezolanischen Regierung verteilt werden. Die Ausgabe der monatlichen Notrationen durch lokale Komitees namens Clap (Comité Local de Abastecimiento y Producción) wird über eine Chipkarte abgewickelt. Weil dieses «Vaterlands-Carnet» auch bei Wahlen vorgelegt werden muss, kann die Regierung Ergebenheit mit Kalorien belohnen und Ungehorsam mit Hunger abstrafen.
Maduro und Erdoğan fanden einander erst Ende 2016, als Autokraten ohne ideologische Scheuklappen. Diese Amour fou tangiert auch die Schweiz. Bis Mitte 2016 waren hiesige Scheideanstalten, wo Goldwaren eingeschmolzen und aufbereitet werden, das Ziel des venezolanischen Goldstroms. Allein im Januar 2016 gelangten auf diesem Weg 36 Tonnen im Wert von 1,3 Milliarden Franken aus Venezuela in die Schweiz. Doch dann versiegte der wertvolle Fluss jäh.
Venezuelas Gold wurde seit Jahrzehnten jenseits aller Gesetze gefördert: von der Mafia, Guerillagruppen sowie korrupten Politikern und Militärs. Doch nun, konfrontiert mit nordamerikanischen und europäischen Embargos, hat sich der venezolanische Staat selbst der Fachkenntnis der Mafiosi bedient und schmuggelt das Gold mithilfe von deren Methoden aus dem Land.
Die rechtlosen Grabungen hinterlassen ein Desaster. Weite Gebiete im Regenwald sind mit Quecksilber verseucht. Mücken verbreiten unter den notgeplagten Goldschürfern Malaria, eine Krankheit, die eigentlich als ausgerottet galt.
5. Russland
Geostrategisches Interesse
Russland hat bereits Soldaten nach Venezuela geschickt. Ende März landeten 100 Militärs in Maiquetía, angeführt vom Vizekommandeur der russischen Landstreitkräfte. Schon vorher sollen 400 Mitglieder der russischen Söldnerkompanie Gruppe Wagner in die Karibik verlegt worden sein. Russland wurde in den vergangenen Jahren zu Nicolás Maduros Schutzherr und Sponsor.
Über die staatliche Ölkompanie Rosneft wickelt Venezuela nun seine Ölverkäufe ab. Russland interessieren in Venezuela nicht nur die Öl-, sondern auch die Rohstoffvorkommen. Im Regenwald hat Venezuelas Regierung ein Gebiet von 120’000 Quadratkilometern, eine Fläche fast so gross wie die Schweiz und Österreich zusammen, zur Ausbeutung freigegeben. Dort sollen 7000 Tonnen Gold, Kupfer, Eisen, Bauxit und Diamanten zu fördern sein, dazu das vom Elektroniksektor extrem begehrte Metall Coltan.
Mindestens 17 Milliarden Dollar hat Russland in Venezuela investiert. Es muss fürchten, bei einem Machtverlust Maduros auf etwa 9 Milliarden Dollar an ausstehenden Krediten sitzenzubleiben.
Hugo Chávez und Wladimir Putin verbanden eine gemeinsame Ideologie sowie die Vision, die Demokratie mit ihren eigenen Mitteln auszuhebeln. Seit Beginn der bolivarischen Revolution lieferte Russland die Waffen für deren Verteidigung. Doch erst als die staatliche Ölkompanie Petróleos de Venezuela (PDVSA) Ende 2015 vor der Zahlungsunfähigkeit stand, wurde Russland zu Maduros Mäzen. Rosneft bürgte für die PDVSA-Tochter Citgo, die viertgrösste US-Tankstellenkette.
Rosnefts Einstieg hatte offenbar eher politische als wirtschaftliche Gründe. Putin erkannte in dem angezählten Venezuela wohl ein günstiges Faustpfand auf dem amerikanischen Kontinent. So erklären russische Kommentatoren Moskaus diplomatische Rückendeckung für Maduro. Putin hat die USA mehrfach vor einem militärischen Angriff auf Venezuela gewarnt.
Doch ist seine Position trotz Hunderter russischer Soldaten und Söldner in der Karibik nicht zu vergleichen mit seiner Präsenz in Syrien. Putin hat wohl direkten Einfluss auf Maduro, aber nicht auf den Chef der Streitkräfte, Vladimir Padrino. Sollte dieser doch noch zu Guaidó überwechseln oder gar gegen Maduro putschen, könnte es sein, dass Putins riskantes Spiel nicht aufgeht.
Daher wird vermutet, dass Moskau Venezuela fallen lassen könnte, wenn Washington den richtigen Preis zahlt. Zum Beispiel in der Ukraine.
6. USA
Nicht in meinem Hinterhof
Die Vereinigten Staaten lassen im Gegensatz zu früheren Jahren keinen Zweifel daran, dass sie einen Regierungswechsel in Venezuela anstreben. Strittig sind freilich die Motive dafür.
Die Chavistas wiederholen auf allen Kanälen, dass es die USA auf Venezuelas Reichtümer abgesehen haben, vor allem aufs Öl. Aber die Tatsache, dass die Benzinpreise in den USA nicht anstiegen, nachdem Trump im Januar sämtliche Ölimporte gestoppt hatte, zeigt, dass die USA Venezuelas Petroleum gar nicht mehr brauchen. Die Schiefer von Texas bis Dakota liefern Öl und Gas bereits im Übermass.
Darum glauben viele, dass Trump Maduros Kopf als Jagdtrophäe für die Wiederwahl präsentieren will – speziell im swing state Florida, wo die Exilkubaner oft schon den Wahlausschlag gaben. Zudem wolle Trump den Vormarsch Chinas auf dem amerikanischen Kontinent stoppen, und die Amerikaner wollten Kubanern und Arabern die Drogeneinnahmen und Erdoğan die Goldgeschäfte entziehen. Vor allem solle verhindert werden, dass Flüchtlinge aus Venezuela in Massen an der US-Grenze auftauchen.
Im Gegensatz zu Trumps Vorgänger Barack Obama, der die antiimperialistischen Chöre aus Caracas weitgehend ignorierte, fährt das Weisse Haus heute einen harten Sanktionskurs, der 2017 mit dem Embargo gegen Venezuelas Finanzsystem begann und im Januar 2019 auch die Ölimporte traf.
Als Donald Trump am 20. Januar 2017 sein Amt antrat, gehörte die Tankstellenkette Citgo zu den grössten Spendern der Amtseinführungsfeier. 500’000 Dollar bezahlte die venezolanische Regierung, offenbar in der Hoffnung auf Wohlwollen des schwer auszurechnenden neuen Präsidenten. In der Hitliste von Maduros Fehlentscheidungen dürfte diese Spende weit oben erscheinen, denn nur wenige Wochen nach der Wahl empfing Trump Lilian Tintori öffentlich im weissen Haus: die Ehefrau des venezolanischen Oppositionellen Leopoldo López, der 2015 zu langer Haft verurteilt wurde.
Der Hausarrest von López endete am Morgen des 30. April. Aber schon ein paar Stunden später floh er in die chilenische Botschaft und in der folgenden Nacht in die spanische Botschaft.
Seine Odyssee ist ein Spiegel der erratischen US-Politik. Als Juan Guaidó und Leopoldo López an jenem Morgen vor dem Zaun der Luftwaffenbasis La Carlota die «Operation Befreiung» ausriefen, twitterte Trump: «Vamos Venezuela». Aber nur ein paar Stunden später wandte sich Sicherheitsberater John Bolton an die Weltpresse, um heikle Details auszuplaudern: Venezuelas Opposition habe in monatelangen Geheimverhandlungen mit dem Verteidigungsminister, dem obersten Richter und dem Chef der Maduro-Leibgarde vereinbart, dass der Machthaber abgesetzt werde. Doch im entscheidenden Moment hätten die drei ihre Zusagen nicht eingehalten.
Boltons Auftritt war ein Desaster. Er liess durchblicken, dass vor allem der Verteidigungsminister Vladimir Padrino ein doppeltes Spiel spielte – und gefährdete damit sämtliche weiteren Gesprächsversuche. Denn welcher hohe Chavista wird sich künftig auf Geheimverhandlungen mit Guaidó einlassen, wenn er fürchten muss, öffentlich in Washington denunziert zu werden?
Bolton bestätigte in aller Deutlichkeit auch, was alle Welt bereits vermutet hatte, seit der 35-jährige Hinterbänkler Juan Guaidó zum Präsidenten der entmachteten Nationalversammlung wurde: Der Oppositionsführer ist trotz aller Überzeugungen und des persönlichen Muts ein Vehikel Washingtons.
Das Spiel der Mächte
Kuba, China, der Iran und die Türkei: Die vier Länder eint der Hass auf Amerika und die Gier auf die Schätze Venezuelas. Werden sie ihre Pfründen militärisch verteidigen, sollten die Vereinigten Staaten in Venezuela einmarschieren?
Dagegen spricht, dass Venezuela zehntausend Kilometer vom Nahen Osten und zwanzigtausend von Peking entfernt ist. Truppen müssten über den Seeweg oder aus der Luft kommen. Ein Krieg in der Ferne wäre sehr teuer. China muss obendrein die Verluste durch den Zollkonflikt mit den USA einkalkulieren, die Türkei ist geschwächt durch die letzte Währungskrise, der Iran und Kuba fürchten die Verschärfung der US-Embargos.
Bleiben Russland und die Vereinigten Staaten. Donald Trump sagte erstmals Mitte 2017, dass er sich in Venezuela alle Optionen offenhalten werde, «auch die militärische». Diese Drohung stand und steht im krassen Widerspruch zu seiner sonstigen Politik. Wie im Wahlkampf versprochen, hat der America-First-Präsident amerikanische Truppen – auch gegen den Widerstand der eigenen Militärführung – aus Afghanistan und dem Irak heimgeholt.
Will Trump wirklich während des anlaufenden Wahlkampfes US-Truppen in der eigenen Hemisphäre einsetzen, vor den Augen der Presse und noch dazu in einem Gelände, das ähnlich unwegsam ist wie die Bergwälder in Vietnam?
Die negative Antwort darauf glauben Putin wie auch Maduro und dessen Mentoren in Havanna zu kennen. Juan Guaidó, der bislang stets zu friedlichen Protesten aufgerufen hatte, hat zuletzt eine ausländische Militärintervention «als letzte Möglichkeit» erwogen. Aber auch er dürfte wissen, dass Trump im Wahlkampf kaum Särge mit dem Sternenbanner sehen möchte.
So bleibt es vorerst beim Patt. Weder Guaidó noch Maduro sind stark genug, um eine Wende herbeizuführen – es braucht eine diplomatische Lösung. Doch dazu wird es ohne ein Ja der fremden Mächte nicht kommen.