Was diese Woche wichtig war

Krise in Venezuela, Assange verurteilt – und ein ruinierter Ruf

Woche 18/2019 – das Kurzbriefing aus der Republik-Redaktion.

Von Oliver Fuchs und Christof Moser, 03.05.2019

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Gescheiterter Putsch­versuch in Venezuela

Darum geht es: Venezuelas selbst ernannter Interims­präsident Juan Guaidó rief am Vorabend des 1. Mai per Videobotschaft die «Operation Freiheit» aus und versuchte, mit einigen desertierten Soldaten an seiner Seite einen Putsch gegen Machthaber Nicolás Maduro anzuzetteln. Es kam zu gewaltsamen Unruhen zwischen Regierungs­gegnern und Sicherheits­kräften, in der Hauptstadt Caracas fielen Schüsse. Unabhängige Beobachter melden eine Tote, mindestens 77 Menschen wurden verletzt. Den Aufständischen gelang es, den seit Jahren inhaftierten Oppositions­führer Leopoldo López aus dem Hausarrest zu befreien. Doch der Umsturzversuch scheiterte. Die Armee verweigerte Guaidó die Gefolgschaft. «Wer in den Präsidenten­palast will, muss nur eine Anforderung erfüllen: Wahlen gewinnen», sagte Maduro am 1. Mai vor seinen Anhängern. «Kugeln und Gewehre werden niemals einen Präsidenten bestimmen.»

In Caracas kam es am 1. Mai zwischen den oppositionellen Demonstranten und der Nationalgarde zu gewaltsamen Auseinandersetzungen mit mindestens 77 Verletzten. Michael Robinson Chavez/The Washington Post/Getty Images

Warum das wichtig ist: Die Krise in Venezuela spitzt sich zu, seit sich der 35-jährige Juan Guaidó Ende Januar zum Staatschef erklärte. Die humanitäre Lage im Land ist bereits seit längerem angespannt. Unter Guaidós Führung hatte die Opposition Hilfsgüter­transporte für die Not leidende Bevölkerung organisiert. Die Regierung unter Maduro sieht in den Transporten hingegen Vorbereitungen für eine US-Invasion und blockiert sie. Seither herrscht im Land eine Art Patt. Die Opposition wirft Maduro vor, im vergangenen Jahr die Wahlen manipuliert zu haben und seine Befugnisse derart ausgebaut zu haben, dass Venezuela inzwischen als Diktatur gelten müsse. Maduro wiederum sieht sich als legitimer Präsident des sozialistisch regierten Staats. Die US-Regierung, die meisten latein­amerikanischen Staaten und die wichtigsten EU-Länder stellen sich hinter Guaidó und erkannten ihn als Interims­präsidenten an. Inzwischen ist die Lage in Venezuela längst Welt­politik, Erinnerungen an den Kalten Krieg werden wach. Präsident Maduro wird von Kuba und Russland unterstützt. Russlands Aussen­minister drohte mit «drastischen Konsequenzen», sollten die USA weitere «aggressive Schritte» in Venezuela unternehmen. Die USA wiederum schlossen eine militärische Intervention nicht aus.

Wie es jetzt weitergeht: Offen ist, wie lange das Maduro-Regime den oppositionellen Gegenspieler Juan Guaidó gewähren lässt. Nach dem vorerst gescheiterten Umsturz­versuch teilte Venezuelas General­staatsanwalt mit, es würden Beweise gesammelt gegen alle, die «in diese illegale Verschwörung verwickelt sind». Guaidó kündigte derweil eine Serie von Streiks an, die in einen General­streik münden sollen.


Julian Assange muss ins Gefängnis

Darum geht es: Der Aktivist und Wikileaks-Gründer Julian Assange wurde am Mittwoch zu 50 Wochen Haft verurteilt. Dies, weil er gegen Kautions­auflagen verstossen hat. Weitere Gerichts­verhandlungen stehen an.

Warum das wichtig ist: Dieser Schuldspruch ist keine Überraschung. Assange hatte sich vor fast sieben Jahren in die ecuadorianische Botschaft geflüchtet, um einer drohenden Auslieferung nach Schweden zu entgehen. Am 11. April 2019 hatte Ecuador sein politisches Asyl aufgehoben, und er wurde verhaftet – und nun für diese Flucht verurteilt. Der eigentliche Kampf steht erst an: Denn die USA haben einen Antrag auf Assanges Auslieferung gestellt. Basis dafür: Assange soll einen Informanten zum Knacken eines Passwortes angestiftet haben. Er wird sich mit allen Mitteln gegen diese Auslieferung wehren, weil er in den USA eine lange Haft und im Extremfall sogar die Todes­strafe zu befürchten hat. Offenbar arbeiten die amerikanischen Behörden bereits an neuen und weit härteren Anklagen gegen ihn. Ecuador hat sein Asyl nur unter Zusicherungen aufgehoben – aber es ist fraglich, wie viel diese noch wert sind, wenn Assange einmal auf amerikanischem Boden ist.

Wie es jetzt weitergeht: Das Auslieferungs­verfahren hat bereits begonnen, könnte sich aber lange hinziehen. Es ist ebenfalls möglich, dass die Schweden ihrerseits wieder eine Auslieferung anstreben. Assange ist einerseits eine komplizierte Figur – und die Vorwürfe wegen sexuellen Missbrauchs sind ernst. Andererseits könnten die USA mit ihrem Vorgehen gegen ihn die Pressefreiheit ernsthaft untergraben. Bekannte Journalisten, Aktivistinnen und Whistle­blower sprechen sich denn auch entschieden gegen seine Auslieferung aus. Mehrere namhafte Schweizer Juristen fordern in einem Aufruf an den Bundesrat Asyl in der Schweiz für Assange.


Sozialisten gewinnen die Wahlen in Spanien

Darum geht es: Minister­präsident Pedro Sánchez hat seine Sozialistische Arbeiterpartei (PSOE) nach Jahren des Siechtums zurück an die Spitze geführt. Am Sonntag holte sie 123 der 350 Sitze im spanischen Parlament. Die Konservativen verloren die Hälfte ihrer Mandate. Und die ultrarechte Partei Vox zieht ins Parlament ein.

Leicht beunruhigter Blick nach rechts? Pedro Sánchez, Regierungschef und Vorsitzender der Sozialistischen Arbeiterpartei, nach seinem Wahlerfolg in Madrid. Angel Navarrete/Bloomberg/Getty Images

Warum das wichtig ist: Der alte Minister­präsident ist der neue Minister­präsident. Pedro Sánchez ist vor zehn Monaten an die Macht gekommen, nachdem der Konservative Mariano Rajoy ein Misstrauens­votum verloren hatte. Die Konservativen stürzten denn auch regelrecht ab – und fuhren die grösste Niederlage in ihrer Geschichte ein. Im Vorfeld der Wahl berichtete Michael Kuratli, wie die ultrarechte Partei Vox mit nationalistischen und populistischen Themen auf Stimmenfang ging. Offensichtlich hat das verfangen: Die Partei holte 10 Prozent der Stimmen, zieht ins Parlament ein. Es ist bereits der dritte Urnengang in Spanien innert nur vier Jahren. Das Land wurde hart von der Finanzkrise getroffen und hat sich bis heute nicht richtig erholt. Die Katalonien­krise schwelt weiterhin. Und mehrere Korruptionsskandale haben das Land gespalten. Das Wahl­resultat spiegelt all das wider: Spaniens Parlament ist fragmentierter und polarisierter geworden.

Wie es jetzt weitergeht: Spanien ist traditionell beinahe ein Zwei­parteien­staat. Das ist vorbei. In diesem fragmentierten Parlament wird die Regierungsbildung schwierig. Exponenten der Sozialisten haben bereits angekündigt, dass sie sich eine Minderheits­regierung vorstellen könnten. Selbst dann könnten sie auf die Unterstützung von katalanischen Separatisten angewiesen sein. Spanien steht zudem bald wieder eine Wahl bevor. In drei Wochen sind Regional­wahlen in Spanien – zeitgleich mit den Europa­wahlen.


Zum Schluss: Lowering the Barr

Rick Wilson, langjähriger Partei­soldat der Republikaner, hat ein Buch über den US-Präsidenten geschrieben. Der Titel ist nicht gerade subtil: «Everything Trump Touches Dies», also «Alles, was Trump berührt, stirbt». Aber er hat durchaus etwas. Nach zwei Jahren Präsidentschaft zeigt sich: Kaum jemand übersteht es ohne Reputations­schaden, zu lange im Orbit von Donald Trump zu schweben. Generäle, Wirtschafts­bosse, angesehene Beamte – alle sind sie in Trumps Regierung eingetreten und haben sie mit ruiniertem Ruf wieder verlassen. Neustes Beispiel: der Justizminister William Barr. Dieser war bis vor ein paar Wochen ein verdienter Staatsangestellter und Anwalt. Dann verwandelte er sich innert kürzester Zeit in einen glühenden Verteidiger von Präsident Trump. Das ist problematisch, denn eigentlich ist Barr in seiner Rolle dem Rechts­staat verpflichtet, nicht dem Präsidenten. Bei Anhörungen vor dem Kongress zeigte sich diese Woche, wie sehr Barr den Untersuchungs­bericht von Sonder­ermittler Robert Mueller zurecht­gebogen hatte, um den Präsidenten zu schützen. Darum, und wegen möglicher Falsch­aussagen vor dem Kongress, wollen ihn führende Demokraten nun seines Amtes entheben. Er wäre bereits der dritte Attorney General, der Trumps erste Amtszeit nicht überstehen würde.


Top-Storys: Fünfmal etwas mit Medien

Hoch- und runterschaukeln: «Sie beklagen einerseits eine Überreizung der Debatte und dass man sich nicht mehr ruhig über politische Ideen austausche. Andererseits befeuern Sie auch gern einen Shitstorm.» Die deutsche Medienkritik-Seite «Übermedien» hat eines der lohnenswerteren Politiker-Interviews der letzten Zeit geführt, mit dem Chef der Liberalen, Christian Lindner. Über Provokation, Shitstorms, Medienlogik – und Greta Thunberg.

Was du letzten Sommer gekauft hast: Sie googeln einmal Gran Canaria – und werden dann wochenlang von Anzeigen für Pauschal­reisen verfolgt. Targeted Advertising nennt sich das. Ein Grossteil der Online­werbung funktioniert so. Die «New York Times» hat solche Anzeigen geschaltet, um herauszufinden, was genau diese Anzeigen über unser Surfverhalten wissen. Zum Beispiel für Menschen, die abnehmen möchten, aber immer noch Bäckereien lieben.

Sick advisor: «Es gibt Gourmet- und Weinführer, Buch­rezensionen und Theater­kritiken, aber bei einer Reise durch die Spitäler müssen Sie ohne Baedeker auskommen.» Der Schweizer Schriftsteller Thomas Hürlimann hat Abhilfe geschaffen. In der «Neuen Zürcher Zeitung» erzählt er von seiner Reise durch die Krankenhaus­landschaft der Schweiz – und vergibt Sternchen für den Service. Anlass: seine Krebserkrankung.

Oh dear: Roger Scruton ist ein britischer Schriftsteller und Philosoph. Und bis vor kurzem war er Berater der konservativen Regierung. Nach antisemitischen und rassistischen Äusserungen in einem Interview mit dem «New Statesman» wurde er in Windes­eile entlassen. Nur: Hat er das alles wirklich gesagt? Der konservative «The Spectator» hat die Aufnahme im Original aufgetrieben.

All access: Wie ist es, die deutsche Bundes­kanzlerin Angela Merkel zu sein? Und wie war es, als plötzlich der griechische Finanz­minister Yanis Varoufakis die politische Bühne in Brüssel betrat? Wie läuft das Ringen um Lösungen in Europa auf höchster politischer Ebene? Eine ARD-Dokumentation zeigt die Zerreiss­proben der EU zwischen Finanz­krise 2008 und Flüchtlingskrise 2015 aus der Perspektive der europäischen Staats- und Regierungs­chefs – eine sehr aufschlussreiche Nahaufnahme. Nur noch sechs Tage in der Mediathek.

Was diese Woche wichtig war

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