Was diese Woche wichtig war

Erdogan probt die Diktatur, Uber ausgebremst – und Orbán stänkert

Woche 19/2019 – das Kurzbriefing aus der Republik-Redaktion.

Von Ronja Beck, Oliver Fuchs und Christof Moser, 10.05.2019

Teilen4 Beiträge4

Erdoğan hebelt die Demokratie aus

Darum geht es: Ende März verlor die Regierungs­partei AKP von Präsident Recep Tayyip Erdoğan die Kommunal­wahlen und damit auch das Amt des Bürger­meisters in Istanbul. Die islamisch-konservative Partei hatte die Metropole 25 Jahre lang regiert. Erdoğan sprach schon kurz nach der verlorenen Wahl von «Diebstahl an den Urnen» und «organisiertem Verbrechen». Trotz Einspruch der AKP erklärte die türkische Wahl­behörde den Oppositions­politiker Ekrem Imamoğlu von der Mitte-links-Partei CHP zum Wahl­sieger. Eine Neuauszählung der Stimmen hatte ergeben, dass Imamoğlu den AKP-Kandidaten um 15’000 Stimmen übertraf. Imamoğlu zog daraufhin ins Rathaus ein. Diese Woche hat jetzt eine Wahl­kommission unter dem Druck von Erdoğan und seiner Partei entschieden, dass die Wahl wegen «Unregelmässigkeiten» wiederholt werden muss.

Stellt sich Erdoğan entgegen: Der gewählte Bürgermeister von Istanbul, Ekrem Imamoğlu, will die Präsidentenwahl 2018 annullieren lassen. Burak Kara/Getty Images

Warum das wichtig ist: Die Annullierung der Wahl in Istanbul ist ein weiterer Schritt der Türkei weg von der Demokratie. Entsprechend heftig fallen die inter­nationalen Reaktionen aus. Die EU-Aussen­beauftragte Federica Mogherini verlangte umgehend eine Erklärung für die Wahl­wiederholung. Und der österreichische Bundes­kanzler Sebastian Kurz forderte erneut das Ende der EU-Beitritts­verhandlungen mit der Türkei: «Wer demokratische Wahlen nicht akzeptiert, hat in der EU nichts verloren.» Auch das Schweizer Aussendepartement EDA teilte mit, man betrachte die Entwicklungen «mit grosser Sorge».

Wie es jetzt weitergeht: Die Bürgermeister­wahl in Istanbul soll am 23. Juni wiederholt werden. Ob das Kalkül von Erdoğan aufgeht, ist fraglich. Istanbuls abgesetzter Bürger­meister Ekrem Imamoğlu hat nach der Annullierung der Wahl eine «Revolution» für Demokratie angekündigt. Ausserdem will die Oppositions­partei CHP den Präsidenten mit seinen eigenen Waffen schlagen – und stellte einen Antrag auf die Annullierung der Präsidenten- und Parlamentswahlen 2018, die Erdoğan die Wiederwahl eingebracht hatten.


Atomabkommen schwer angeschlagen

Darum geht es: Der iranische Präsident Hassan Rohani setzt das internationale Atomabkommen teilweise aus und droht mit weiteren Schritten. So sollen im Iran wieder vermehrt Uran und Plutonium produziert werden. Rohani reagiert mit dieser Drohung primär auf die harten Sanktionen durch die US-Regierung – und setzt die restlichen Vertrags­parteien unter Druck.

Warum das wichtig ist: Das Atom­abkommen war 2015 zwischen dem Iran, den USA, China, Russland, Gross­britannien, Frankreich und Deutschland geschlossen worden – nach jahrelangen Verhandlungen. Der Iran, damals nah am ökonomischen Abgrund, verpflichtete sich, sein atomares Programm bis zu 25 Jahre lang massiv einzudämmen und so die Produktion von atomaren Waffen zu verunmöglichen. Im Gegenzug lockerten die restlichen Vertrags­parteien ihre Sanktionen. Seit Trumps Amtsantritt 2017 gerät das Abkommen zunehmend in Gefahr: 2018 traten die USA aus dem Vertrag aus und verhängen seitdem immer weitere Sanktionen gegen den Iran.

Wie es jetzt weitergeht: Im Streit zwischen den USA und dem Iran müssen sich die übrigen Parteien nun entscheiden. Halten sie am Abkommen fest, drohen ihnen, wie dem Iran, Sanktionen durch die USA. Steigen sie aus, muss sich der Iran an nichts mehr halten. Die Situation ist gefährlich. Rohani hat in seiner Rede den Europäern eine Dead­line von 60 Tagen gesetzt, um einen Weg aus den US-Sanktionen zu finden. Die Europäer wiesen das Ultimatum zurück, betonten aber, am Abkommen festhalten zu wollen.


Schweizer Gericht bremst Uber aus

Darum geht es: Heute Freitag will der Fahrdienstvermittler Uber an die Börse gehen. Ein Schweizer Gericht hat dem Konzern derweil einen – möglicherweise schweren – Dämpfer verpasst. Es urteilte, dass Uber-Fahrer ein ähnliches Verhältnis zu Uber haben wie Taxifahrer zu Taxiunternehmen. Mit anderen Worten: ein Angestellten­verhältnis. Zuvor streikten in Australien, Grossbritannien und den USA Uber-Fahrerinnen. Sie fordern bessere Arbeits­sicherheit und tiefere Kommissions­abgaben an den Konzern.

Kämpfen für mehr Arbeitnehmerrechte: Streikende Uber-Fahrer am 8. Mai vor dem Firmenhauptsitz in San Francisco. Michael Short/Bloomberg/Getty Images

Warum das wichtig ist: Disruption – das ist das Zauberwort im Silicon Valley. Es bedeutet so viel wie «weg mit Ineffizienz und Überholtem, alle Macht dem freien Markt». Oft hat das allerdings einen hohen Preis. Denn auch Arbeiter­gesundheit, Ferien, Kündigungs­schutz sind dabei per se «ineffizient». Uber behandelt seine Fahrerinnen in vielen Ländern nicht als Angestellte, sondern als freie Vertrags­partnerinnen. Heisst auch: keine vollen Arbeitnehmer­rechte. Genau das sieht das Lausanner Arbeitsgericht nun anders. Weitere Klagen könnten folgen. Tech­unternehmen wie Uber können zudem mit dem Risiko­kapital ihrer Investoren jahrelang Verluste machen und die etablierte Konkurrenz mit Dumping­preisen aus dem Markt drängen. So hat etwa Uber in seiner Firmengeschichte noch nie Gewinn erwirtschaftet.

Wie es jetzt weitergeht: Ubers Geschäfts­modell beruht auf minimalen Margen und prekären Arbeits­bedingungen. Die Streiks und das Lausanner Urteil dürften die Debatte um Regulierungen darum weiter befeuern. Besonders Europa ist nicht mehr gewillt, Tech­konzernen weitgehend freie Hand zu lassen. Lesen Sie dazu auch die Analyse von Adrienne Fichter.


Eskalation in Israel und dem Gazastreifen

Darum geht es: In Israel und Gaza ist es am Wochen­ende zu schwerer Gewalt gekommen. Die palästinensischen Terror­organisationen Hamas und Islamischer Jihad feuerten rund 700 Raketen aus Gaza. Israel reagierte mit Luft­angriffen. In Gaza starben über 20 Menschen, darunter Kämpfer und Kinder. In Israel starben 4 Zivilisten.

Insgesamt rund 700 Raketen wurden aus dem Gazastreifen Richtung Israel abgefeuert. Majdi Fathi/NurPhoto/Getty Images

Warum das wichtig ist: Die jüngste Eskalation im Nahen Osten ist nicht die erste in diesem Jahr. Aber sie ist die heftigste seit 2014, als bei einer israelischen Militär­operation laut den Vereinten Nationen über 2000 Menschen starben. 2005 war Israel aus dem Gaza­streifen abgezogen, aber die Region ist deswegen nicht zur Ruhe gekommen. Immer wieder feuern palästinensische Extremisten Raketen in Richtung israelische Städte.

Wie es jetzt weitergeht: Wenige Stunden nach den Kämpfen haben sich der israelische Minister­präsident Benjamin Netanyahu und die Hamas am Montag­morgen auf einen Waffenstillstand geeinigt. Wie lange dieser anhält, ist allerdings ungewiss. Ein Sprecher der Hamas verlautete, dass der Waffen­stillstand wieder kollabieren werde, wenn Israel die besetzten Gebiete nicht freigebe. Netanyahu signalisierte derweil Härte. Für ihn sei die Schlacht nicht vorbei, und er sei bereit, sie weiterzuführen.


Zum Schluss: Fragile Brücken

Im EU-Parlament ist diese Woche die eine oder andere Brücke eingestürzt: Manfred Weber, EU-Politiker und stellvertretender Partei­vorsitzender der deutschen CSU, der sich «Brücken­bauer» nennt, hatte sich für die kommende Europa­wahl eigentlich gute Chancen ausgerechnet, Jean-Claude Juncker als Kommissions­präsident zu beerben. Nun hat ihm der ungarische Präsident Viktor Orbán die Brücke gesprengt und ihm öffentlich die Unterstützung entzogen. Zur Klärung: Weber geht für die Europäische Volks­partei (EVP) ins Rennen, Orbáns rechts­populistische Partei Fidesz ist ebenfalls Teil der EVP. Also so halb jedenfalls: Ende März wurde Fidesz bis auf weiteres von der EVP suspendiert – mit Webers Stimme. Die EVP, bei der lange nicht klar war, wie weit nach rechts sie gehen würde, hatte ein Statement gesetzt. Lesen Sie dazu den Bericht von Solmaz Khorsand. Orbán jetzt allerdings auch.


Top-Storys: Auf dem Schirm

Gangsta: Die international erfolgreiche Rapperin Loredana wurde am 7. Mai in Luzern verhaftet. Zusammen mit ihrem Bruder soll sie über Jahre hinweg ein Walliser Ehepaar erpresst und um 700’000 Franken erleichtert haben. «20 Minuten» zeichnet den schockierenden Fall (mit ungewöhnlich vielen Zeichen) präzise nach.

Demolikratie: Der Handy­bildschirm ist voller Push-Meldungen – kennen Sie das? Das ist im ersten Moment nervig. Aber die heutige Allgegenwärtigkeit von Nachrichten nervt nicht nur. Sie könnte, so nachzulesen im «Guardian», sogar unsere Demokratie gefährden.

Im Westen was Neues: Dass nach dem Mauer­fall viele Deutsche von Ost nach West gingen, ist keine Neuigkeit. Aber wohin gingen sie genau? Und wie viele gehen heute? «Zeit online» liefert erstmals Antworten in einem datenjournalistischen Glanzstück.

Frühlingsputz: Im Kampf gegen Miss­information auf den eigenen Platt­formen steht Facebook meist auf verlorenem Posten. Jetzt handelt das Tech­unternehmen proaktiv, wie «Atlantic» berichtet: Auf den Netzwerken Facebook und Instagram hat es Profile von amerikanischen Rechtsextremen und Verschwörungstheoretikern gelöscht.

Mus♀️k: Liebe Punk­musik, wo zur Hölle sind deine Frauen? Hier sind sie, und sie haben viel zu sagen über Vorurteile, Sexismus und Widerstand im Business. Eine Multimedia­story der «New York Times» mit taffen Frauen und gutem Sound, eingebettet in richtig gute 90er-Jahre-Grunge-Optik.

Was diese Woche wichtig war

Wir beobachten für Sie das Weltgeschehen, filtern das Wichtigste heraus, ordnen es ein – und schicken es Ihnen jeden Freitag ansprechend verpackt in Ihre Inbox.