Europa vs. Big Tech

Milliardenbussen, Digitalsteuern, Urheberrechte: Die EU geht gegen Internet­konzerne vor – und ändert die Spielregeln der digitalen Wirtschaft. Mit welchen Folgen? Analyse eines politischen Projekts, das noch vor kurzem als undenkbar galt.

Von Adrienne Fichter (Text) und Luis Mazón (Illustration), 03.05.2019

Banken, Verteidigung, Flüchtlinge: In vielem sind sich die Mitglieder der Europäischen Union (EU) uneinig oder gar zerstritten. Doch es gibt ein Politikfeld, in welchem Europa geeinter denn je auftritt: die Netzpolitik.

In keinem Bereich wurden in der vergangenen Legislatur so viele Regel­werke verabschiedet und wegweisende Urteile gefällt. In keiner anderen Domäne scheint sich die Bevölkerung so einig zu sein. Die Privat­sphäre muss im Internet geschützt werden: Über 70 Prozent der Europäer befürworten gemäss einer Umfrage eine strenge Kontrolle von Algorithmen. Dieses Anliegen durchzusetzen, hat sich Brüssel auf die Fahne geschrieben. Und tritt dazu als neue regulatorische Super­macht auf.

Eine Macht, die von den Big-Tech-Playern zunehmend respektiert, ja sogar umschmeichelt wird. So weibelt Microsoft-Chef Satya Nadella neuerdings für strenge Regeln bei der Gesichtserkennung. Apple-Chef Tim Cook erhebt die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) sogar zum Menschenrecht. Und selbst Facebook-Chef Mark Zuckerberg propagiert das europäische Modell seit neuestem als globalen Standard.

Auch die US-Politik springt auf den Zug auf: Kalifornien, die Heimat der meisten Tech-Konzerne, hat im vergangenen Juni ein Äquivalent zur DSGVO verabschiedet. Die demokratische Senatorin Elizabeth Warren wurde sogar so weit von Europa inspiriert, dass sie die Zerschlagung der GAFA (steht für: Google, Apple, Facebook, Amazon) in ihr Wahl­programm fürs Präsidenten­amt aufgenommen hat.

Mehr Europa wagen: Emmanuel Macrons Wahl­kampf­slogan wird jetzt im Silicon Valley zum Modetrend. Der Wind hat gedreht: Anfangs belächelten amerikanische Journalismus­professoren wie Jeff Jarvis die «German Angst» vor Technologien noch. Heute, nach fünf Jahren Fake-News-Debatte und Datenraub­skandalen, nehmen sie die Ideen des «alten Europa» ernst.

Zu Recht – denn die EU und ihre Mitglieder meinen es tatsächlich ernst. Für die Big-Tech-Konzerne steht nicht weniger als die Grund­regeln der digitalen Daten­wirtschaft auf dem Spiel.

Kein Konzern bekam dies so stark zu spüren wie Google beziehungs­weise dessen Mutter­konzern Alphabet.

1. Milliardenbussen gegen Google und Co.

Die EU-Kommission hat den Internet­riesen gleich mehrfach gebüsst: Für die Ausnutzung seiner markt­beherrschenden Stellung, für die prominente «Google Shopping»-Platzierung, für die Vorinstallation eigener Apps auf dem Android-Betriebs­system und wegen der Ausnutzung des eigenen Werbenetzwerks AdSense musste der Konzern insgesamt 8,2 Milliarden Euro bezahlen. Selbst für Google ist das eine schmerzhafte Summe.

Auch Facebook wurde von der EU gebüsst. 110 Millionen Euro muss das soziale Netzwerk wegen falscher Angaben zur Übernahme von Whatsapp im Jahr 2014 hinblättern. Europa hatte den Deal nur unter einer Voraussetzung durchgewinkt: Die Telefon­nummern dürfen nicht mit dem Mutter­konzern verknüpft werden. Doch genau das hat Facebook zwei Jahre später getan.

Das deutsche Bundeskartellamt beobachtet derzeit sehr kritisch, ob die geplante technische Zusammen­führung von Instagram, Whatsapp, Facebook Messenger und Facebook zu einem nahezu abgeschlossenen Kommunikations­raum einen Missbrauch von Markt­macht darstellt.

Führende Figur bei all den Urteilen aus Brüssel ist die EU-Wettbewerbs­kommissarin Margrethe Vestager. Sie gilt als Superstar des Juncker-Kabinetts. Vor fünf Jahren erbte sie den Sitz von Joaquín Almunia, der das Verfahren gegen Google eröffnet hatte – und schaltete gleich einen Gang höher. Ab 2016 erfolgten die ersten Urteile gegen die Tech-Konzerne, Schlag auf Schlag ging es mit Steuer­urteilen gegen Luxemburg und Irland weiter.

Vestagers Ziel: mehr fairer Wettbewerb. Das Mittel: schmerzhafte Bussen.

Milliardenbussen gegen GAFA

Mittel: Unternehmen, die ihre marktbeherrschende Stellung missbrauchen, müssen gebüsst werden.

Zweck: Die Marktmacht der grössten Konzerne zu brechen und einen faireren Wettbewerb zu ermöglichen.

Folgen: Sie können von der Abspaltung einzelner Geschäfts­felder bis zur Zerschlagung grösserer Konzerne reichen.

Vestager hat schon durchblicken lassen, dass sie weitere Klagen gegen Google prüft: wie beispielsweise jene des Konkurrenten Yelp zu «Local Search» und «Jobs». Sie hat auch eine vorläufige kartellrechtliche Untersuchung gegen den E-Commerce-Riesen Amazon eingeleitet. Ihr Team sammelt derzeit Beweis­material von Anbietern, die ihre Produkte auf dem Portal vertreiben. Der Verdacht: Amazon werte sensible Verkaufs­daten von Drittparteien aus und nutze dieses Wissen für die Entwicklung eigener Produkte.

Aus Vestagers Sicht missbraucht Amazon damit seinen Wissens­vorteil. Die Dänin möchte das EU-Kartellrecht umfassend reformieren. Google und Amazon sollen gar nicht erst auf die Idee kommen, eigene Produkte zu entwickeln. Denn sie seien wie Sport­verbände: Sie setzten die Spiel­regeln fest, ethische Standards, wie mit Doping umzugehen sei. «Sie haben aber keine eigenen Mannschaften, die in Wettbewerben antreten.» Eine ähnliche Beschwerde ist von Spotify gegen den Konzern Apple eingegangen.

In den Brüsseler Urteilen gegen die GAFA manifestiert sich eine grundsätzliche Differenz zu anderen Wirtschafts­räumen. In den USA werden Monopole nur dann als Gefahr betrachtet, wenn es einen nachweisbaren Schaden für die einzelne Bürgerin gibt.

Auch in der Schweiz geht die Wettbewerbs­kommission sogar davon aus, dass die gigantische Grösse der GAFA in erster Linie etwas Gutes ist. «Eine solche kann das gewünschte Resultat einer besseren Leistung für die Kundinnen und Kunden sein und ist an sich kein Problem», sagt der stellvertretende Weko-Direktor Frank Stüssi zur Republik. Dazu kommt, dass man bei geplanten Fusionen eher grosszügig ist: Hierzulande war etwa die Facebook-Übernahme von Whatsapp nicht einmal meldepflichtig.

In der EU ist man ungleich skeptischer gegenüber der Markt­macht, die sich aus der schieren Anzahl der Nutzer auf einer Plattform ergibt. Wer einen populären Markt­platz anbietet, so Vestagers Überzeugung, soll darin nicht noch eigene Produkte verkaufen dürfen.

Die Politik in der Europäischen Union – einem Markt von 500 Millionen Menschen – scheint fest entschlossen, dem Silicon Valley die Stirn zu bieten.

Gerade auch in einem ökonomischen Schlüssel­bereich: bei den Steuern.

2. Eine neue Digitalsteuer

Hier ist die Ausgangs­lage eindeutig: Daten­konzerne zahlen in der EU zu wenig Unternehmens­steuern. Oder zumindest nicht den Steuersatz, den andere, gewöhnliche Betriebe zahlen. Die Chef­etagen von Google und Co. rechtfertigen das meistens so: Die Wert­schöpfung – die Auswertung und algorithmische Verarbeitung von Daten – finde nicht in Europa statt.

Das Argument verfängt in Ländern wie Frankreich und Deutschland nicht mehr. Darum wird hier intensiv über eine sogenannte Digital­steuer diskutiert. Sie will Unternehmen, die europäischen Konsumenten Internet­werbung anzeigen, unabhängig von deren Firmen­sitz stärker zur Kasse bitten.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron gibt dabei das Tempo vor. Die Abgeordneten haben jüngst einem entsprechenden Vorhaben zugestimmt, Frankreich erhofft sich davon 400 Millionen Euro Einnahmen. Bereits zuvor hatte Macron rückwirkend für die vergangenen zehn Jahre über 500 Millionen Euro an Steuer­nachzahlungen von Amazon und Apple erfolgreich eingefordert.

Digitalsteuer

Mittel: Globale Internet­konzerne, die sich mit Online­werbung finanzieren, sollen eine Digital­abgabe von 3 Prozent ihres Umsatzes entrichten.

Zweck: Gerechtere Abschöpfung und Umverteilung der Gewinne, die Internet­konzerne mit den Daten von europäischen Nutzern erzielen.

Folgen: Schrumpfende Gewinne für die Internet­konzerne, falls das Modell von der OECD anerkannt wird und in der ganzen Welt zur Anwendung kommt.

Unterstützung erhält der Franzose von Österreichs Bundes­kanzler Sebastian Kurz. Seine Regierung veröffentlichte vor wenigen Wochen eigene Pläne für eine Digital­steuer. Kritik daran wurde allerdings laut, weil das Gesetz Google und Facebook gezwungen hätte, IP-Adressen zur Identifizierung von Österreichern im Internet sieben Jahre lang aufzubewahren. Und dies nicht einmal anonym. Der Vorschlag wird derzeit wieder überarbeitet.

Ob eine Digital­steuer auf EU-Ebene eingeführt wird, ist offen. Steuer­fragen verlangen Einstimmigkeit. Und mehrere EU-Staaten treten beim Thema auf die Bremse: Insbesondere die Finanz­minister von Irland (europäischer Sitz von Facebook, Google und Apple) und Luxemburg, aber auch von Schweden (Sitz von Spotify) sind skeptisch. In Brüssel wartet man daher ab und spekuliert auf die OECD. Diese könnte bis 2020 eine Digital­steuer für verbindlich erklären. Dadurch würde Europa keine Standort­nachteile erleiden.

Die Schweiz hat es bei der Digital­steuer dagegen nicht eilig. Finanz­minister Ueli Maurer war zwar noch 2017 sehr angetan von der Idee. Sein Departement relativierte aber diesen Januar. Solche neuen Interims­massnahmen könnten zu einer «Überbesteuerung» führen, sagt Sprecher Frank Wettstein zur Republik. Trete die OECD-Vorgabe aber im Jahr 2020 in Kraft, so werde der Bundesrat seine Position sicherlich wieder korrigieren.

Egal ob die Schweiz mitmacht, absehbar ist: Die Staaten­gemeinschaft wird – angeführt von der Europäischen Union – die Steuer­schrauben anziehen.

Doch die EU will noch mehr. Nicht nur an den Staat sollen mehr Gelder fliessen: Auch die Künstlerinnen und Autoren sollen stärker an den Bezahl­strömen beteiligt werden. Denn mit deren Inhalten verdienen sich Google, Facebook und Co. eine goldene Nase. Dies beschlossen die EU-Institutionen vor kurzem.

3. Geschützte Urheberrechte

Und zwar mit der sogenannten Urheber­rechts­reform. Sie wurde im März vom Europäischen Parlament abgesegnet und am 15. April im EU-Minister­rat formell bestätigt. Die Richtlinie enthält insgesamt 22 Artikel. Die heftigsten Diskussionen entstanden wegen deren zwei: Artikel 15 und 17.

Artikel 15 (vormals 11) besagt, dass Google News in seiner Link­vorschau keine Artikel von Medien mehr zusammen­fassen darf – es sei denn, der Konzern bezahlt dafür.

Artikel 17 (vormals 13) stellt Plattformen wie Youtube gewissermassen ein Ultimatum: Entweder schliessen sie Lizenz­verträge mit allen Künstlern ab, oder sie leiten «angemessene und verhältnismässige Massnahmen» ein, um die Werke von ihren Usern angemessen vor Gratis­kopien zu schützen. Es ist davon auszugehen, dass dieser Schutz nur durch Vorab-Scanning, sprich: mit automatisierten Filter­systemen bewerkstelligt werden kann.

Hinter dem Gesetz steckt eine hehre Absicht. Im Internet soll nicht mehr die uneingeschränkte Copy-Paste-Wirtschaft herrschen, sondern ein System, das auf die eigentlichen Urheber von Inhalten mehr Rücksicht nimmt.

Urheberrechtsreform

Mittel: Wenn über Such­maschinen oder Video­plattformen Material gezeigt wird, soll der Urheber dieses Materials entschädigt werden.

Zweck: Eine bessere Balance der Einnahmen; Künstler und Medien­häuser sollen mehr Geld, die Plattformen weniger Geld erhalten.

Folgen: Schwer absehbar: Sie reichen von einer Link­steuer bis zu Upload­filtern, die die Plattformen installieren würden. Kritiker sprechen von drohender Zensur.

Kritikerinnen fürchten allerdings ein «kaputtes Internet», in dem die kreative Weiter­bearbeitung in Form von zum Beispiel Remixes oder Memes nicht mehr möglich sein wird. Filter seien zudem fehlerhaft und würden Parodie und Satire nicht erkennen, wird bemängelt. Die Ängste sind begründet: Zwar kommt das Wort Upload­filter im Entwurf nicht vor. Doch wie sonst sollen Plattformen das hinaufgeladene Video- und Song­material – 400 Stunden Inhalt pro Minute auf Youtube – sichten?

Pikant ausserdem: 2012 hat der Europäische Gerichts­hof Upload­filter für grundrechtswidrig erklärt. Es könnte daher bald erneut zu einer Klage­welle kommen.

Die Kommission Juncker hat die Urheber­rechts­reform aufgegleist. Im Rechts­ausschuss federführend und in der öffentlichen Debatte sehr präsent war der deutsche CDU-Abgeordnete Axel Voss. Er hat sich für Artikel 17 besonders starkgemacht. Als geistiger Vater des Leistungs­schutz­rechts für Medien­häuser, Artikel 15, gilt der deutsche Verlags­chef Mathias Döpfner. In Deutschland existiert das Leistungs­schutz­recht seit 2013, es warf jedoch aufgrund von Gratis­lizenzen für Google bisher noch keinen Cent ab.

Die Länder haben nun rund zwei Jahre Zeit, die Reform in nationales Recht zu übersetzen. Im dümmsten Fall entstehen 27 unterschiedliche Gesetze.

Die Schweizer Verlage müssen wohl auf den potenziellen neuen Geldtopf verzichten. Hier hat die Medien­lobby die Gelegenheit gepackt und das Leistungs­schutz­recht in eine eigene Urheberrechtsreform gesteckt. Die entsprechenden Passagen sind Artikel 37a (Leistungs­schutz­recht für die Verleger) und der Zusatz­artikel 13b (Vergütung für die Werke von Journalisten). Die Ständerats­kommission strich die beiden Artikel diese Woche.

So oder so wird Europas Artikel 17 aber auch für hiesige Youtuberinnen oder Blogger Folgen haben. Denn die Technologie­firmen werden die Schweiz nicht anders behandeln als die EU-Länder. Genau so, wie es schon bei der DSGVO der Fall gewesen ist.

4. Datenschutz für die Nutzer

Es ist ein Monster-Regelwerk, das am 24. Mai 2018 in Kraft getreten ist. An diesem Datum wurde die Beweis­last in Sachen Daten­schutz umgekehrt: Nicht mehr der Internet­nutzer sollte sich ständig wehren müssen, sondern die Unternehmen sollten haftbar gemacht werden können – für unnötige Daten­erhebungen, für Daten­lecks und für die Sicherheit ihrer Kunden.

Damit Vergehen auch wirklich wehtun, sollen künftig Buss­gelder fliessen: bis zu 4 Prozent des Umsatzes. Und die Unternehmen müssen liefern. Die Daten­schutz­richtlinien sind für das digitale Zeit­alter upgedatet worden.

Datenschutz-Grundverordnung DSGVO

Mittel: Plattformen müssen explizite Zustimmung von Nutzern zum Speichern ihrer Daten einholen und eine Kopie davon den Nutzern zur Verfügung stellen.

Zweck: Die Rechte von Nutzern zu stärken und den Wettbewerb unter den Plattformen zu stärken. Das Prinzip «The Winner Takes All» soll gebrochen werden, damit es weniger Monopole im Internet gibt.

Folgen: Daten­sammlungen über Europäer wurden minimiert. Ob die Idee funktioniert, mittels DSGVO den Wettbewerb zu stärken, ist noch unklar.

Als einer der Väter der DSGVO gilt Jan Philipp Albrecht, ein grüner Politiker, der sich auf IT-Recht spezialisiert hat. 2012 wurde er Bericht­erstatter des Europäischen Parlaments. Albrecht handelte einen Kompromiss aus 4000 Änderungsanträgen aus und konnte sich gegen die mächtige Lobby der Technologie­konzerne durchsetzen. Sie können nun eingeklagt werden.

Der Klagen angenommen hat sich eine Reihe von Aktivisten. Der grösste Coup gelang dem österreichischen Juristen Maximilian Schrems, bekannt als der Sieger des Safe-Harbour-Prozesses. Seine Rüge: Obwohl von der DSGVO explizit verboten, verfolgten die grossen Daten­konzerne weiterhin den «Friss oder stirb»-Ansatz – entweder setzte die Nutzerin überall ihr Häkchen hin, oder sie wurde gezwungen, ihr Benutzer­konto zu löschen.

Dies widersprach dem Geist der DSGVO: Genau mit diesen Spielchen sollte eigentlich Schluss sein. Schrems reichte vier Klagen ein gegen diesen «nord­koreanischen Einwilligungs­prozess». Und gewann mit seiner Organisation NOYB («none of your business») bereits die erste Runde.

Nach einer Klage von NOYB hat die französische Daten­schutz­behörde CNIL eine Busse über 50 Millionen Euro gegenüber Google verhängt. Es ist bisher die höchste Strafe einer europäischen Daten­schutz­behörde. Facebook und ihre Tochter­firmen Instagram und Whatsapp sind als Nächstes dran. Das grösste soziale Netzwerk wird sich aufgrund seines schwerwiegenden Datenlecks von September 2018 zudem auf eine Geldstrafe von 1,63 Milliarden Dollar gefasst machen müssen. Die Untersuchung der irischen Datenschutz­behörde ist demnächst abgeschlossen. Wegen mangelnder DSGVO-Kompatibilität will sich die Organisation NOYB auch Streamingdienste wie Netflix vorknöpfen. In einem Test zeigte sich, dass das «Recht auf Auskunft» gemäss Artikel 15 der Verordnung ungenügend umgesetzt sei.

In der EU soll Mitte 2019 die E-Privacy-Verordnung weiter­verhandelt werden. Sie konkretisiert das sehr abstrakt formulierte DSGVO-Regelwerk. Damit soll endgültig klar sein, wann Tracking auf Websites erlaubt ist und wann nicht.

Die europäischen Daten­schutz­initiativen sind ein politischer Erfolg. Noch nicht erfüllt haben sich jedoch die ökonomischen Erwartungen an die DSGVO.

Es gibt kaum geeignete Software für die Portabilität persönlicher Daten. Zwar hatten Google, Twitter, Microsoft und Facebook 2017 gemeinsam das Data Transfer Project angekündigt: Damit sollte es möglich werden, beispielsweise Fotos mit wenigen Klicks von Google zu Microsoft zu migrieren. Um das Vorhaben wurde es jedoch erstaunlich ruhig.

Die Schweiz ziert sich. Ihr Daten­schutz­recht aus dem Jahr 1992 wurde zwar einem digitalen Update unterzogen, wird aber erst nach den eidgenössischen Wahlen endgültig legiferiert. Die Wirtschafts­verbände hatten einen ersten EU-kompatiblen Entwurf des Bundes­rats kritisiert. Der zweite Entwurf wurde entschärft und verwässert: Grundsätze wie «Privacy by Design» wurden zwar übernommen, bleiben aber bei Nicht­einhaltung aufgrund von niedrigen Sanktions­möglichkeiten zahnlos. Die genaue Ausgestaltung der Revision wird einer der wichtigsten Schwer­punkte der neuen Legislatur.

Fazit

Mit ihren Regulierungs­bestrebungen verfolgt die EU zwei Ziele: den Schutz der Privat­sphäre und mehr Wettbewerb. Digitale Bürger­rechte sind also kein Selbstzweck, sondern sollen gleichzeitig den Binnen­markt stimulieren. Hinter der Datenschutz­bürokratie steckt somit auch ein ökonomisches Kalkül: Die Daten­silos der GAFA-Konzerne sollen gebrochen und die Chancen von kleinen Start-ups vergrössert werden.

Das ist nicht uneigennützig: Auf einer Liste der 200 grössten Internet­firmen figurieren gerade mal acht Europäer. Es gibt ausser SAP, Soundcloud und Spotify kaum bekannte und erfolgreiche europäische Tech-Konzerne.

Die mächtigen Tech-Konzerne aus dem Silicon Valley verfolgen mit ihrem Schrei nach mehr Regulierung ebenfalls ein ökonomisches Kalkül: Je umfangreicher die Regel­werke, desto grösser werden auch die IT-Budgets, die für Dinge wie eine sichere Daten­speicherung und -migration nötig sind. Für neue Konkurrenten mit daten­getriebenen Geschäfts­modellen könnte sich der Markt­zugang dadurch sogar noch erschweren. Neue Gesetzes­werke bedeuten auch höhere Eintritts­hürden. Und das hatten Europas Politikerinnen sicher nicht beabsichtigt.

Immerhin hat Brüssel eine Lektion aus der DSGVO gelernt: Die unerbittliche deutsche Abmahnindustrie knöpfte sich kurz nach Inkraft­treten vor allem die «Kleinen» vor. Deswegen wurde bei der Urheber­rechts­reform in diesem Punkt nachgebessert: Artikel 17 gilt nur für Plattformen mit mindestens 10 Millionen Euro Umsatz und mindestens 5 Millionen Besuchern pro Monat. Sprich: für GAFA.

EU vs. Big Tech – Wettbewerb gegen Monopol: Wer sich durchsetzt, ist offen.

Ziemlich sicher ist, dass der Regulierungs­elan auch über die anstehenden EU-Wahlen hinaus Bestand haben wird. Die Konservativen, Sozial­demokraten, Liberalen und Grünen bekennen sich fast unisono zum Daten­schutz. Sie haben die meisten Gesetzes­projekte zur Internet­regulierung vorangetrieben. Die prognostizierten Sitz­gewinne von Rechts­populisten dürften kaum ausreichen, um diese Mehrheit zu brechen.