In der Pathologisierungsmaschinerie
Im dritten Teil dieser losen Serie befasst sich Sascha mit dem Thema Geschlechtsangleichung: Sascha hat Brüste ge- und ertragen – und trägt sie nun nicht mehr. Dafür hat unsere Gesellschaft wenig Verständnis.
Von Sascha Rijkeboer (Text) und Anne Gabriel-Jürgens (Bilder), 20.02.2019
Das wird so ein langersehnter Text. Das wird jetzt so ein Trans-Narrativ!
Das wird endlich so ein Text, in dem ich über trans und Geschlechtsangleichung sprechen will!
Sonst spreche ich bewusst nie darüber. Nie! Find ich nämlich doof. Ich will, dass auch andere Seiten des Transseins beleuchtet werden, dass eben nicht mit der immer gleichen Vorstellung an sie herangegangen wird (denn das führt unter anderem dazu, dass die*r nächste Journi wieder genau gliich umefrööget).
Ich möchte über anderes sprechen und zeigen, dass Transmenschen eine Privatsphäre haben, den Leuten sagen, dass sie einen Menschen, nur weil dieser trans ist, nicht einfach ausziehen dürfen. Transmenschen sind niemandem etwas schuldig. Ein ekelhaftes Gwundern ist das. Wie schauts da unten aus?, wollen die Leute wissen. War es schmerzhaft? Aha, keine OP? Aber die kommt noch, oder? Wird das bezahlt? Haben Sie Sex? Wie ist der Sex? Sind Sie orgasmusfähig? Wie finden das Ihre Eltern?
Manchmal, da spreche ich dann aber doch gern darüber. Mit Freund*innen, selten mit der Familie – nicht, weil sie die immer gleichen Fragen stellen, sondern einfach, weils mir unangenehm ist.
Meine Familie hat mir schliesslich beim Pubertieren zugesehen, wie kleine «Muggestichli» – wie sie meine Mutter liebevoll zu nennen pflegte – zu grossen, wohlgeformten (Porno-)Brüsten heranwuchsen. Dann gabs da natürlich den einen Onkel, der mir bei jedem Familienfest in meinen Ausschnitt schaute und mir davon erzählte, wie geil er Lesben fände, aber Schwule in die Wüste schicken wolle. Den Ausschnitt betonte ich zu dieser Zeit übrigens im Versuch, endlich Frau zu sein, was ich retrospektiv sowohl sexistisch als auch absurd finde.
Es ist mir bitzli unangenehm, mit meiner Familie darüber zu sprechen, weil sie ein Bild von mir im Kopf haben – oder nicht haben. Ich unterstelle es ihnen: Ich habe ein Bild im Kopf von ihnen mit einem Bild von mir im Kopf, das ich nicht mag.
Mit Freund*innen darüber reden ist anders: Wenn ich mit den richtigen Freund*innen, die nicht die ewig typischen Fragen stellen, drüber spreche, kann ich mit ihnen zusammen mehr über mich selbst herausfinden. Das tut mir gut. Es ist ein gemeinsames Erörtern der Fragen: Wie kommt eigentlich Körperdysphorie in einen Körper? War die schon immer da? Ist die angeboren? Wie hat sie sich entwickelt? Inwieweit ist Geschlecht diskursiv und konstruiert? Inwieweit unterliegt das Ganze einem biologischem Determinismus? Wie geht die Gesellschaft mit Körpern und Dysphorien um? Was löst das bei mir/uns aus? Inwieweit steuert das unser Begehren?
Je weniger lange ich jemanden kenne und je sensibilisierter auf die ewig typischen Fragen eine Person ist, desto wohler ist mir, darüber zu reden. Es macht mich ja aus: Es ist trotz all den anderen mich auszeichnenden ein wichtiger Teil für mich. Ein atypischer Lebensabschnitt, der sich zwar total richtig anfühlt, aber bei dem es kaum Anhaltspunkte gibt und man sich die Sicherheit und die Gewissheit, okay zu sein, einigermassen selber erarbeiten muss. Das geht mit Menschen, denen ich unterstelle, dass sie ein altes Bild von mir im Kopf haben, schlechter.
Ich habe das Gefühl, sie tragen etwas in sich, was ich viel zu lange ge- und ertragen habe.
Damit möchte ich nun endlich auf das versprochene Thema Geschlechtsangleichung kommen: Ich habe eine Mastektomie vorgenommen. Ich habe Brüste ge- und ertragen und trage sie nun nicht mehr.
Eine Mastektomie ist die Entfernung der (weiblichen) Brust. Dabei gibt es verschiedene Mastektomien: Menschen, die die Brüste aufgrund wahrscheinlicher Krebserkrankung oder aufgrund eingetretener Brustkrebserkrankung entfernen, machen eine Mastektomie. Bei ihnen ist es ein «krankes» oder «krankheitsanfälliges» Gewebe, das entfernt wird. Bei Transmenschen, die Körperdysphorien (das Gegenteil von Euphorie, also quasi eine «geballte Unfreude») erleben, sei es, weil sie sich als Männer, sei es, weil sie sich als non-binär identifizieren, handelt es sich um «gesundes» Gewebe, das entfernt werden möchte.
Ich habe auch eine Mastektomie durchgeführt, bei der «gesundes» Gewebe entfernt wurde.
Das war am 16. Dezember 2016. Meine grossen, wohlgeformten (Porno-)Brüste wurden entfernt und landeten – zum Leidwesen vieler Freundinnen, die mich um sie beneideten – auf dem Friedhof für organische Abfälle des Kantonsspitals Zug.
Eine Mastektomie wird üblicherweise von der Krankenkasse bezahlt. Transmenschen, bei denen gesundes Gewebe entfernt werden soll, müssen jedoch eine Pathologisierungsmaschinerie durchlaufen. Sie müssen erst als psychisch krank eingestuft werden, um eine sogenannte Indikation zu erhalten, mit der dann die*r Chirurg*in einen Antrag auf Kostenübernahme bei der Krankenkasse stellen kann. Das läuft dann meist so ab, dass die Krankenkasse das erst einmal ablehnt, Rekurs eingelegt und der Fall schlimmstenfalls vor Gericht gezogen wird.
Bei mir dauerte das auch ordentlich lange, da ich eine non-binäre Indikation hatte. Sowohl der Psychiater als auch die Chirurgin waren da noch etwas vorsichtig; ich wurde als Frau gelesen, die ihre Brüste entfernen möchte. Und dafür hat unsere Gesellschaft wenig Verständnis. Es ist einfach nachzuvollziehen, dass Männer keine Brüste oder Frauen sie vergrössert haben wollen, aber wegmachen und trotzdem irgendwie … Frau bleiben?
Eine Freundin von mir, die einen einseitigen Brustkrebs hatte, aber nicht an einer Augmentation (Brustaufbau/Vergrösserung) interessiert war, sondern die andere Brust ebenfalls entfernen wollte, hatte grosse Schwierigkeiten, das bezahlt zu kriegen, wohingegen eine Augmentation problemlos und selbstverständlich übernommen worden wäre.
Es gibt viele Cis-Frauen (das Gegenstück zu trans; also Menschen, die sich mit dem ihnen bei Geburt zugewiesenen Geschlecht identifizieren können), die mich ansprechen und mir sagen, dass sie sich ebenfalls nicht mit ihren Brüsten identifizieren können, und mich fragen, ob sie die auch einfach wegnehmen können. Nein, können sie nicht einfach so, dafür dürfen sie sich nicht als Frauen identifizieren.
Ich finde das absurd, und ich wünsche mir, dass Menschen, die Körperdysphorien erleben, dies nicht nur ernst nehmen dürfen, wenn ihnen ihre Brüste zu klein sind und sie gerne wohlgeformte, grosse (Porno-)Brüste haben möchten.
Seit der Mastektomie sind nun zwei Jahre vergangen und mein neues Körpergefühl ist unvergleichbar: Ich fühle mich wohl, ich liebe es, mich mit meiner flachen Brust im Spiegel zu sehen, ich freue mich unglaublich darüber, nur in einer Badehose schwimmen gehen zu können, und ich fühle mich mittlerweile wohl dabei, mit einer andern Person zu schlafen und dabei nackt zu sein. Das war früher nicht so.
Ich habe jetzt hier, bei der Republik, über meine Mastektomie geschrieben. Nicht weil ich eine Schaulust oder einen Voyeurismus bedienen möchte, sondern weil ich möchte, dass die Leser*innen wissen, dass es nicht mehr angeht, Transmenschen immer auf ihre OPs zu reduzieren, auch wenn ich das gerade bei mir selbst gemacht habe. Ich habe das gemacht, weil ich mit meinen Worten anderen non-binären Menschen mit Brust-Dysphorie Mut machen will: Deine Gefühle sind valid! Nicht nur Transmänner dürfen keine Brüste haben wollen!
Und auch weil mir wichtig ist, die Frage in den Raum zu werfen, wieso Frauen ohne Pathologisierung (solange sie das Geld haben) ihre Brüste selbstverständlich vergrössern/verschönern lassen dürfen, aber für eine Mastektomie erst mit einer Identitätsstörung pathologisiert werden müssen (selbst wenn sie das Geld haben).
Ich wünsche mir, dass man Transmenschen, wenn man ihnen begegnet, zum Beispiel einfach freundlich nach ihren Pronomen fragt. Ich wünsche mir, dass aller Transmenschen Bedürfnisse ernst genommen werden, das heisst für mich, dass binäre Transmenschen in ihren Dysphorien nicht ernster genommen werden sollen als non-binäre, nur weil sie besser ins System passen. Ich wünsche mir, dass Cis-Frauen auch ins System passen dürfen, ohne deswegen ihr Frausein verneinen zu müssen.