«So Leute wie dich!»
Sascha sollte verprügelt werden, findet jemand auf der Strasse. Den Grund dafür muss Sascha erst googeln. Teil 2 der Serie «Sascha, 26, non-binär»: die Sache mit den Trends.
Von Sascha Rijkeboer (Text) und Anne Gabriel-Jürgens (Bilder), 16.01.2019
«Früüüher, da hätten wir so Leute wie dich zusammengeschlagen. Ha!», lallt sie, laut geifernd, durch ihre grauen Zähne, und ihr Gesicht erinnert an das einer Kröte. «Ja! Genau! So Leute wie dich!»
Ich bin irritiert: Was meinst du mit so Leuten wie mich?
«So Leute wie dich!», ruft sie wieder. Sie heisst Marlo oder Ingrid oder Monika. Ich weiss es nicht mehr.
«Wieso denn? Also … wieso hättest du mich früher verprügelt?»
«POPPER! So ein scheiss Popper bist du! Also nein, bist du ja nicht. Aber früher, da wärst du so einer gewesen. So ein scheiss Popper! Da – da haben wir euch verprügelt!»
Wir rauchen vor der Bar 3000 an der Zürcher Langstrasse. Sie wirft mir Luftküsse zu, irgendwie lese ich sie als lesbisch. Ich bin irritiert. Sie nennt mich abwechslungsweise «Baby» und «scheiss Popper».
Zu Hause verbringe ich zwei Stunden im Internet. Die Popper waren eine Jugendkultur, die in den späten Siebzigern und Anfang der Achtziger in Erscheinung trat. Zuerst in Hamburg, ausgehend von einem Gymnasium, später auch andernorts. Popper waren elitäre Kids, die eine Gegenbewegung zu den vielen politisch motivierten Jugendgruppen bilden wollten. Also irgendwie politisch, weil anti, aber anti-anti – so meta. Ihr Credo war, apolitisch, hedonistisch und hip zu sein. Dies markierten sie durch teure Markenkleidung und den poppertypischen Haarschnitt: eine lange Stirnfranse, die einseitig ins Gesicht fiel und ein Auge überdeckte.
Und nun las mich Marlo oder Ingrid oder Monika als Popper. Mich! Non-binary Sascha. Sascha, di*er sich ständig in den für Sascha doofsten Momenten als non-binary outet, um bitte, danke, «ja weisch, ich identifiziere mich eben nicht als Mann und nicht als Frau», ohne Pronomen, «ja nei, meine Mutter findet das okay, und die steht hinter mir», angesprochen zu werden. «Ja, ist schon schwierig, ja der Staat … ja, der diskriminiert uns halt schon. Ja, doch, kommt öfter vor, als du wohl denkst. Nein, nicht gestört! Nein auch kein Wohlstandsproblem! … Ich kann mich halt nicht mit dem identifizieren, was mir als weiblich und als männlich deklariert vorgegeben wurde.»
Und: «Nein, es stimmt eben für mich auch nicht, eine alternative Form von Frau zu sein. Ich habe mich nie als Mädchen oder als Frau identifiziert.» – «Nein! DAS – IST – NICHT – FRAUENFEINDLICH!»
So läuft das oft ab. Und nicht immer, aber manchmal, muss ich mir anhören: «Das ist doch ein Trend!» Transsein ein Trend. Ich sei ein Transtrender, und wegen so Leuten wie mir gäbe es bald keine richtigen Männer und Frauen mehr.
«Aber heute sind ja alle und irgendwie, und es wird ja völlig undurchsichtig! Frau, Mann! MannFrau, FrauMann! Alles möglich!»
Ich denke an den Uni-Campus, wo sich noch nie eine Situation ergab, in der ich ihn betrat und so dermassen verwirrt war ob der unendlichen Anzahl unleserlicher in Erscheinung tretender Geschlechter, dass ich instinktiv nicht mehr Männer und Frauen zuordnen konnte. Wo wir eine total geschlechterlose Gesellschaft erlebten, in der alle Geschlechtercodes so sehr umgeschrieben, neu formiert, dekonstruiert wurden, dass Geschlecht nicht mehr sichtbar wäre. Es ist mir noch nie passiert.
«Aber sie sind ja jetzt überall in den Medien! Die Transmenschen! Die Homos! Die Non-Binären!», rufen dann die Marlos, Ingrids und Monikas. Und ich erwidere: Nein, überall ist Heteronormativität! Bedeutet: Menschen identifizieren sich mit dem ihnen bei Geburt zugewiesenen Geschlecht (dem sie unseren biologischen Diskursen nach auch eindeutig zugeordnet werden können) und begehren heterosexuell. Sie beziehen sich in Geschlechtsidentität, Geschlechterrolle und Sexualität immer aufeinander und ergänzen sich als zwei unterschiedliche, zueinander passende Hälften, die eine perfekte Symbiose bilden.
Und die Welt ist voll mit Heteronormativität: Es gibt wesentlich mehr heterosexuelle Narrative, als es selbstverständlich queere gibt. Wenn ich in ein fiktives Kino ginge, in dem zwölf Liebesromanzen gezeigt würden, dominierten diejenigen mit homosexuellen Paaren (oder Beziehungsgefügen, die aus mehr als zwei Personen bestehen) aller Wahrscheinlichkeit nach nicht.
Dass Homos und Transmenschen in den Medien auftauchen, ist quasi der Zauberformel der Berichterstattung zu verdanken: Uns gibt es, wir machen einen (nicht kleinen) demografischen Teil dieser Gesellschaft aus, und darum sollen wir abgebildet und repräsentiert werden. Genauso wie: Black People und People of Colour, Menschen mit Behinderung, Arme, Dicke, Menschen ohne Bildung, Geflüchtete, Hässliche, Schwache …
Ich glaube also: Das ist eine Angst.
Angst davor, die eigene Geschlechtsidentität bedroht zu sehen. Privilegien abzugeben. Keine Mehrheit mehr zu bilden. Angst davor, dass, nur weil es etwas anderes und Unbekanntes gibt, man nicht mehr sich selber sein kann, man in Abrede gestellt wird.
Dem ist aber nicht so. Was passiert, ist Folgendes: Etwas wird infrage gestellt. Das passiert immer, wenn man etwas anderem begegnet: Man wird seiner selbst gewahr.
Aber: Nur in der Vielfalt können sich Einzelne mit all ihren Eigenschaften und Bedürfnissen, all ihren Bezügen und Überzeugungen entfalten. Dies sagte Carolin Emcke, Philosophin, Politikwissenschaftlerin und Historikerin, 2016 im «Spiegel online». Dass ihr deswegen nicht die Vielfalt, sondern die Gleichheit Angst mache. Die Vielfalt unserer Gesellschaft wird immer mehr sichtbar: Vor allem die digitalen Medien machen es möglich, sich zu vernetzen und gemeinsam über sein Anderssein nachzudenken und es nach aussen zu kehren. Dass Trans ein Trend ist, ist nicht deshalb so, weil es plötzlich mehr Transmenschen gibt oder es gar attraktiv wäre, sich als trans zu outen. Transmenschen sind sichtbarer, sie setzen sich für ihre Rechte ein, fordern ein. Sie machen sichtbar, dass es okay ist, trans zu sein, dass es schön sein kann, trans zu sein. Das macht anderen Transmenschen Mut, ebenfalls sichtbar zu sein. Es lässt manch eine Transperson auch denken: «Ah. Das ist das, was ich immer gefühlt habe. Die beschreiben genau das!» Es ist wie mit den Linkshänder*innen: Von denen gabs plötzlich auch «viele mehr» – nämlich dann, als Linkshänder*innen mit der linken Hand zu schreiben beginnen durften. Es gab sie natürlich vorher schon, aber die Toleranz (bestenfalls: Akzeptanz) war noch nicht da.
Und manchmal, da sind Transmenschen eben auch hip. Sie sind es auf Instagram, in Filmen, sie sind es auf dem Laufsteg, sie sind es als Werbefläche. Sie sind das spannende Etwas, das besondere andere (solange es «attraktiv» ist), das schön anzuschauen ist, weil es sich so spielerisch erdreistet, das Normale infrage zu stellen. Das wird gemocht, und das wird gern gesehen. Darum kann Hipness auch eine kleine Sicherheit bieten, eine kleine Lüge gegen die raue Witterung der strukturellen Ablehnung. Und darum sehe ich aus wie ein Popper vor der Bar 3000. Weil ich, solange ich als hip gelesen werde, damit, non-binary zu sein, zumindest in Zürich einigermassen hausieren gehen kann. Und das tut mir gut. Zwischendurch. Nicht immer di*er Komische zu sein. An Partys eingeladen und für meine Androgynität gelobt zu werden.
Doch nicht alle Transmenschen können sich von Zeit zu Zeit hinter einer solchen Fassade verstecken und sich eine Auszeit der Coolness geben. Zum Glück wollen das die meisten auch gar nicht erst. Es ist ein Privileg, das ich habe, zwischendurch durch Hipness einfacher angenommen zu werden. Aber es macht mich auch leer.