35 Worte für die Ewigkeit
Unser Preisträger Mario Draghi hat im Alleingang den Euro gerettet. Und treibt Deutschlands ordoliberale Ökonomen zur Weissglut. Beides verdient höchstes Lob.
Von der Republik-Jury, 07.02.2019
Sehr geehrter Preisträger
Verehrte Verlegerinnen und Verleger der Republik
Geschätzte Damen und Herren
Geldpolitik und Heldentum haben normalerweise wenig miteinander zu tun. Oder können Sie, verehrte Damen und Herren, spontan fünf Notenbanker nennen, die mit einer Grosstat in die Geschichte eingegangen sind?
Eben.
Normalerweise ist der Job ungefähr so langweilig wie eine Satireshow im Schweizer Fernsehen: Notenbanker steuern das Zinsniveau, sie achten darauf, dass die Teuerung nicht ausser Kontrolle gerät, sie stellen sicher, dass die hoch bezahlten Manager von privaten Banken keine allzu grossen Dummheiten begehen. Und wenn sie das doch tun – was regelmässig der Fall ist –, dann stellen Notenbanker sicher, dass diese Dummheiten keine allzu grossen Schäden anrichten.
Doch dann und wann geschieht es, dass genau zur richtigen Zeit die richtige Person im Kontrollraum der Geldpolitik sitzt. Und da auch dringend gebraucht wird.
So wie Sie, werter Mario Draghi.
Seit knapp siebeneinhalb Jahren sind Sie nun Vorsitzender der Europäischen Zentralbank (EZB). Ihre Amtszeit dauert noch bis Ende Oktober. Ehe nun alle auf Ihnen herumhacken, wollen wir bereits heute feierlich verkünden: Sie sind ein Held. Sie haben den Euro gerettet. Und das mit 35 Worten.
Sie traten Ihr Amt im November 2011 an, mitten im Sturm. Die Eurokrise tobte, Griechenland, Portugal und Irland hingen am Tropf der EZB. In Ihrer ersten Arbeitswoche erkannten Sie, was Ihr Vorgänger Jean-Claude Trichet bis zum Schluss nicht begriffen hatte: Die europäischen Banken standen kurz vor dem totalen Zusammenbruch.
Sie taten das einzig Richtige und fluteten das Bankensystem mit Liquidität. Wahrscheinlich haben Sie damit eine Kernschmelze abgewendet.
Doch die Eurokrise war nach dieser ersten Tat nicht beendet, im Gegenteil: Im Frühjahr 2012 kamen auch Ihr Heimatland Italien sowie Spanien, die dritt- und die viertgrösste Volkswirtschaft der Eurozone, in Schieflage. Die Zinsen schossen in die Höhe, an den Finanzmärkten stieg die Angst, Rom und Madrid könnten ihre Schulden bald nicht mehr bedienen.
Die Regierungs- und Finanzchefs der Eurozone konferierten an unzähligen Gipfeltreffen, gaben gute Absichten zu Protokoll – und was setzten sie konkret um? Nichts.
Sie, Herr Draghi, wussten, wie brandgefährlich die Lage war: Griechenland, Irland und Portugal waren Zwerge; sollten aber Italien und Spanien in die Zahlungsunfähigkeit rutschen, dürfte die Gemeinschaftswährung untergehen. Der Euro würde zerbersten.
Am 26. Juli 2012, an einem sonnigen Morgen in London, schlug Ihre grosse Stunde. Sie waren an einer von David Cameron organisierten Konferenz im Lancaster House, unweit des Buckingham Palace. Ja, genau, der David Cameron, der knapp vier Jahre später das Brexit-Referendum vor das britische Volk bringen und ebenfalls in die Geschichte eingehen sollte. Allerdings nicht als Held.
Jedenfalls waren Sie als Redner an dieser Konferenz. Sie sprachen während etwa elf Minuten. Wir müssen gestehen: Zu Beginn dachten wir, Sie hätten an jenem Morgen etwas Sonderbares geraucht. Sie erzählten, der Euro sei eine Hummel, die eigentlich nicht fliegen könne, dies aber doch tue. Diese Hummel müsse nun eine Biene werden, forderten Sie. Denn dann könne sie, also die Hummel, also der Euro, also die Biene, auch endlich fliegen. Irgendwie.
Es wäre eine Rede zum Vergessen gewesen – hätten Sie nach gut sechs Minuten nicht innegehalten, auf Ihre Notizen geschaut, tief Luft geholt, die Hände gefaltet. Und diese Worte gesagt:
«But there is another message I want to tell you. Within our mandate, within our mandate, the ECB is ready to do whatever it takes to preserve the Euro.»
Kurze Pause. Und dann:
«Believe me, it will be enough.»
Das, meine Damen und Herren, war der Anfang vom Ende der Eurokrise. 35 improvisierte Worte.
Sie, Herr Draghi, haben den Finanzmärkten damit zu verstehen gegeben, dass die Europäische Zentralbank Italien und Spanien nicht fallen lassen wird. Sie hatten realisiert, dass die EZB die einzige Institution in Europa war, die rasch und pragmatisch handeln konnte. Ihr Versprechen wirkte: Schon nach wenigen Tagen begannen sich die Märkte zu beruhigen. Die Zinsen sanken.
Damit war die akute Phase der Krise vorbei, doch die Eurozone litt noch während Jahren unter Blutleere; die Hälfte der Währungsunion befand sich in einem Zustand dauernder Rezession. Die nördlichen Euroländer, angeführt von Deutschland unter Finanzminister Wolfgang «die schwarze Null» Schäuble, zwängten die mediterranen Krisenstaaten in ein absurdes Austeritätskorsett: Sie mussten ihre Steuern erhöhen und die Ausgaben senken, mit dem Resultat, dass sie immer tiefer in die Depression rutschten.
Die EZB federte den Abschwung ab, indem sie die Geldpolitik extrem locker hielt. Bis heute. Mit dem Einsatz von allerlei unorthodoxen Mitteln wie dem Aufkauf von Staatsanleihen wurden Sie, Herr Draghi, zum Paria der Ordoliberalen in Deutschland. Deren Stammesvertreter wie Hans-Werner Sinn oder Jürgen Stark werden seit Jahren nicht müde, die in ihren Augen fahrlässig lockere Geldpolitik der EZB zu geisseln. Denn, so warnen sie, das werde unweigerlich zu hoher Inflation führen.
Wir massen uns nicht an zu wissen, ob die Negativzinsen und die Staatsanleihenkäufe, die Sie ab 2015 veranlasst haben, tatsächlich nötig waren, um die Eurozone aus der Rezession zu reissen. Vielleicht war Ihre Geldpolitik nötig, um den Austeritätsirrsinn Berlins zu kompensieren. Vielleicht auch nicht. Vielleicht hätten Sie schon etwas früher auf die Bremse treten können, um Ihrem Nachfolger – wir tippen auf den Finnen Erkki Liikanen – den Pfad zur Rückkehr in die geldpolitische Normalität zu ebnen.
Vielleicht. Doch das sind Details.
Entscheidend ist, dass Sie, werter Herr Draghi, mit Ihren Taten und Worten in den Jahren 2011 und 2012 den Euro gerettet haben. Und dass Sie mit Ihrer Geldpolitik in den Jahren danach geholfen haben, hartnäckige Rezessionen in mehreren Euroländern zu beenden.
Für diese Heldentat überreichen wir Ihnen den Preis der Republik. Herzlichen Glückwunsch!
PS: Beim Aperitif würden wir zu gerne wissen, was um Himmels willen Sie mit den Hummeln und Bienen damals in London eigentlich sagen wollten.
Illustration: Doug Chayka
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