Basler Randale: Fette Strafen, magere Beweise
Von Carlos Hanimann, 25.01.2019
Am Freitag hat das Basler Strafgericht sein Urteil in einem umstrittenen Fall verkündet und 15 junge Männer und Frauen zu Freiheitsstrafen verurteilt. Das Gericht erachtete es als erwiesen, dass sich die Beschuldigten im Sommer 2016 in Basel zusammengeschlossen hatten, um zu randalieren, und dabei einen Sachschaden von 159’000 Franken verursacht hatten. Drei Beschuldigte sprach das Gericht frei, darunter auch eine junge Frau, die an jenem Abend gar nicht in Basel war, aber von einem lokalen Medium fälschlicherweise an den Pranger gestellt worden war.
Qualifizierte Sachbeschädigung, Landfriedensbruch, einfache Körperverletzung, mehrfache Gewalt und Drohung gegen Beamte – für diese Delikte verhängte das Gericht drakonische Strafen: zwischen 20 und 27 Monate Freiheitsstrafe. Sechs Beschuldigten wurden teilbedingte Strafen auferlegt, sie müssen 9 Monate lang ins Gefängnis. Ein Beschuldigter wurde gar zu 27 Monaten unbedingt verurteilt.
Worum es ging
Am 24. Juni 2016 hatten in Basel rund 50 Personen gegen Rassismus und Aufwertung demonstriert. Dabei gingen Scheiben zu Bruch, und Fassaden wurden besprayt. Die Staatsanwaltschaft klagte danach 18 Personen an: Einige hatte die Polizei in der Nähe festgenommen, anderen unterstellte die Staatsanwaltschaft eine Teilnahme an der Randale – mal mit einer Mischung aus Indizien und Gesinnungsjustiz, mal, indem sie entlastendes Material schlichtweg unterschlug.
Für Aufsehen und Kritik hatte vor allem die Strategie der Basler Staatsanwaltschaft gesorgt. Sie machte sich erst gar nicht die Mühe, jeder einzelnen Beschuldigten ihre Taten nachzuweisen (wie es üblich wäre), sondern konstruierte stattdessen eine kollektive Mittäterschaft. Demnach hätten alle Beschuldigten gleichsam einen gemeinsamen Tatentschluss gefasst und diesen auch gemeinsam ausgeführt – weitere Details, wie, wo oder wann genau dieser Entschluss gefasst worden sein soll: irrelevant.
Die Verteidiger sprachen von einer «politisch motivierten Anklage» und zerzausten während der mehrtägigen Verhandlung die Arbeit der Strafverfolgerinnen: Es fehlten individuelle Tatnachweise, Indizien seien unterschlagen, strafprozessuale Grundregeln verletzt und die Unschuldsvermutung teilweise aufgehoben worden.
Das Gericht liess sich davon nicht beirren. Das Dreiergericht unter dem Vorsitz von Dominik Kiener (EVP) folgte dem Konstrukt der Staatsanwaltschaft: «Das war keine Demonstration, die aus dem Ruder gelaufen ist. Es war eine gezielte Aktion, ausgeführt von Personen aus der linksextremen Szene.» Er sprach von einer «homogenen, einheitlichen Gruppe», die sich zusammengeschlossen habe, um Sachbeschädigungen zu begehen. Als die Demonstranten auf die Polizei stiessen, sei «die Ideologie der Szene» zum Vorschein gekommen: purer Hass gegen die Polizei.
Warum das Urteil fragwürdig ist
Zentraler Streitpunkt vor Gericht war, ob die Beschuldigten kollektiv zur Verantwortung gezogen werden können – ohne individuellen Tatnachweis. Ja, befand nun das Gericht. Man müsse dafür nicht gemeinsam an einem Tisch sitzen und einen Tatentschluss fällen. Entscheidend sei der Vorsatz, gemeinsam ein Delikt zu erwirken. «Und diesen Tatentschluss halten wir für erwiesen», sagte der Richter, ohne weiter auszuführen, worin die Beweise genau lagen.
Einige Verteidiger meldeten sogleich Berufung gegen das Urteil an. Die Mittäterschaft sei «überhaupt nicht belegt», fand Rechtsanwalt Marcel Bosonnet. «Reine Willkür», ergänzte Bernard Rambert. «Die Ausführungen strotzen vor Gesinnungsbegründungen», sagte Anwalt Stephan Bernard. Das Gericht erweise sich nicht als unabhängig und sei den ideologischen Konstruktionen der Staatsanwaltschaft gefolgt. «Das ist ein politisch aufgeladener Schauprozess gegen politische Bewegungen», sagte Bernard.
Was bleibt?
Für die Medien: eine Ohrfeige. Das Basler Onlinemedium «Prime News» war vor einem halben Jahr mit einer vermeintlichen Skandalstory an den Start gegangen: «Die Spuren führen in die Juso» titelte Chefredaktor Christian Keller über den «Saubannerzug von Basel» und stellte eine Frau an den Pranger. «Prime News»? In diesem Fall leider eine Falschmeldung. Die Frau wurde vor Gericht freigesprochen.
Für die Strafverfolger: eine Ermahnung. Obwohl Richter Kiener der Staatsanwaltschaft in Argumentation und Strafmass weitgehend folgte, wollte er in seinem Urteil keinen Leitentscheid sehen. Man könne das Konstrukt der Mittäterschaft nicht jedes Mal aus der Schublade ziehen.
Für die Polizei: noch einmal Glück gehabt. Auch wenn sie beschlagnahmtes Material verlor, Festnahmen in ihren Rapporten falsch verortete und auch sonst ein ziemliches Durcheinander bei den Ermittlungen bekam, gelte Treu und Glaube, fand der Richter. «Man muss sich auf solche Berichte [der Polizei] verlassen können, sonst funktioniert die Justiz nicht mehr.»
Für die Beschuldigten: sehr viele schlechte Nachrichten in den Hauptpunkten, aber eine gute in einem Nebenpunkt. Die schlechten Nachrichten: Ein Gericht kann sehr fette Strafen für sehr magere Beweise sprechen. Die gute Nachricht: Man darf wenigstens straflos fluchen. Eine Beschuldigte rief bei ihrer Verhaftung: «Verdammter Polizeistaat!» Das Gericht erachtete das nicht als Beschimpfung.