Saubannerzug der Basler Justiz
Randale in Basel: Eine ehemalige Juso-Politikerin wird angeklagt. Ein Online-Medium startet eine Kampagne. Aber war die Beschuldigte überhaupt vor Ort?
Von Daniel Ryser, 21.08.2018
Die Schweiz hat seit Anfang vergangener Woche mit «Prime News» ein neues Medienportal und der verantwortliche und preisgekrönte Journalist Christian Keller bereits eine erste vermeintliche Skandalstory: «Saubannerzug von Basel: Die Spuren führen in die Juso», titelt die erste Geschichte des Newsportals.*
Konkret geht es um einen nicht bewilligten Umzug gegen Rassismus von rund fünfzig vermummten Personen, die in der Nacht vom 24. Juni 2016 einen Sachschaden von 182’000 Franken anrichteten. Die Staatsanwaltschaft wirft 18 angeklagten Personen Sachbeschädigung, Landfriedensbruch, Angriff, Körperverletzung und Drohung gegen Beamte vor. Keller schreibt von «wahnsinniger Zerstörungswut» und zählt dabei, die Anklageschrift zitierend, die Lebensläufe der Angeklagten auf, die in den meisten Fällen nicht von öffentlichem Interesse sind: ein Hochbauzeichner, die Tochter eines Tierarztes, der Sohn eines SVP-Regierungsrates.
Zudem gebe es drei Angeklagte «mit direkten Verbindungen zur Juso»: Neben einem Mann, der vor sieben Jahren für die Juso für den Kantonsrat kandidiert habe, soll auch ein Mann an den Krawallen beteiligt gewesen sein, der für die Partei einst Plakate gestaltet habe. Und vor allem – daran wird die Geschichte in den sozialen Medien aufgehängt – «die ehemalige Präsidentin einer kantonalen Juso-Sektion». Letztere lasse sich vor Gericht «von der prominenten Zürcher Anwältin Manuela Schiller verteidigen». Welche konkrete Tatbeteiligung den einzelnen Personen vorgeworfen wird, so steht es weiter im Text, sei nicht klar: «Die Staatsanwaltschaft wirft allen 18 Angeklagten die gleichen Vergehen vor.»
Das Gericht selbst, nicht um professionelle Sachlichkeit bemüht, schreibt in seiner Prozessankündigung von «Saubannerzug». Ebenso die Basler Staatsanwaltschaft in ihrer Anklageschrift und «Prime News» in ihrem Artikel, wobei die Empörung des Journalisten – nie ein guter Antrieb für sauberes Handwerk – bereits im Eröffnungssatz zu spüren ist: «Was für einen Hass müssen junge Menschen in der wohlhabenden Schweiz auf diese Gesellschaft und diese Welt haben, dass sie sich dazu entschliessen, mit extremer Gewaltbereitschaft durch die Stadt zu ziehen, alles kurz und klein zu schlagen und heranrückende Polizisten brutal zu attackieren?»
Dabei wären die entscheidenden Fragen andere: Wenn die Staatsanwaltschaft in der Anklageschrift von «gemeinsamen Straftaten der Beschuldigten» spricht und ihnen mehrere schwere Straftaten vorwirft, für die ein konkreter Tatnachweis nötig wäre, und – ein Novum in der Schweiz – den konkreten Tatnachweis offenbar in vielen Fällen schuldig bleibt, kann man dieser Anklageschrift dann vertrauen? Wird sie vor Gericht den zwingend nötigen konkreten Tatnachweis erbringen können? Reicht die reine Anwesenheit an oder in der Nähe von einem Umzug, der zu einem Krawall umschlägt, neuerdings aus, um für Straftaten, die über einen Landfriedensbruch hinausgehen, verurteilt zu werden, Straftaten, die man womöglich selbst gar nicht begangen hat?
Straftaten auch, deren man angeklagt ist, während man selbst gar nicht vor Ort war? Diese verrückte Frage stellt sich ausgerechnet bei der «ehemaligen kantonalen Juso-Präsidentin», auf die «Prime News» ihre Anti-Juso-Kampagne stützt. Hätte der Journalist sich mehr auf seine Arbeit denn auf seine Empörung konzentriert, wäre ihm dabei nicht die journalistische Grundregel abhandengekommen, auch die Gegenseite anzuhören, namentlich die im Artikel erwähnte, aber nicht befragte Anwältin Manuela Schiller.
Der Journalist schreibt auf Anfrage der Republik: «Manuela Schiller ist als Anwältin einer Angeklagten aufgeführt. Das habe ich erwähnt, weil sie in Basel vor allem als Fan-Anwältin bekannt ist – aber warum muss sie deshalb zu Wort kommen?» Vielleicht, weil er dann von Schiller Folgendes erfahren hätte: «Meine Klientin war an jenem Abend gar nicht in Basel, sondern an ihrem Wohnort, eine Stunde von Basel entfernt.» Das sagt Manuela Schiller gegenüber der Republik.
«In der Anklageschrift werden ihr kollektiv schwere Delikte vorgeworfen, aber in den mehreren tausend Seiten umfassenden Untersuchungsakten taucht ihr Name nur ein einziges Mal auf», sagt Schiller. «Jedoch nicht, weil sie in Basel angehalten worden wäre, sondern wegen einer SMS. Einer SMS, die sie am Tag des Umzugs verschickt hatte und die auf dem Handy eines Mannes gefunden wurde, der in Basel verhaftet worden war.» Der Inhalt der SMS: «Juhuuu hüt ab uf strass.. händer scho euäs zügs? kostüm? requesitä? freu mi uf eu!»
«Meine Klientin ist Mitglied einer Gruppe für sogenannt unsichtbares Theater, Theater, das spontan an öffentlichen Plätzen aufgeführt wird. Der verhaftete Mann war einer ihrer Schauspieler. Der Inhalt ihrer SMS bezieht sich auf eine Aufführung an jenem Tag am späten Nachmittag an ihrem Wohnort. Meine Klientin hat ihre Stadt an dem Tag nie verlassen. Hätte die Polizei ihr Handy ausgewertet, hätte sie realisiert, dass es sich nicht um einen möglicherweise versteckten Aufruf zu einer Demonstration handelt, sondern dass sie die SMS an die Mitglieder ihrer Theatergruppe verschickt hat. Den Abend nach der Aufführung verbrachte sie mit Freunden.»
Zwei Monate nach den Vorfällen in Basel habe sie von der Staatsanwaltschaft eine Vorladung bekommen. «Meine Klientin hat dort ausgesagt, ihr Alibi genannt, die SMS erklärt und ihre DNA abgegeben. Ein Abgleich an den Tatorten hat nichts ergeben», sagt Manuela Schiller. «Die Frau ist weder vorbestraft noch sonst irgendwie registriert und im übrigen seit vielen Jahren nicht mehr bei den Juso oder sonst in irgendeiner Partei aktiv.»
Beamter: Haben Sie ein Alibi für die Tatzeit?
Beschuldigte: Ich war mit ein paar Leuten an meinem Wohnort* unterwegs. Da ich noch nicht mehr über den Tatvorwurf weiss, möchte ich die Namen dieser Personen nicht nennen, beziehungsweise sie nicht in die Sache hineinziehen.
Beamter: Habe ich Sie richtig verstanden, dass Sie am Freitag, 24. Juni 2016, nicht in Basel waren?
Beschuldigte: Richtig. Ich war nicht in Basel.
(…)
Beamter: Können Sie sich zum Inhalt Ihrer SMS äussern?
Beschuldigte: Ich bin Theaterpädagogin. Wir machen unsichtbares Theater.
Beamter: Und wo fand am besagten Tag ein Theater statt?
Beschuldigte: Auf dem Egliplatz** an meinem Wohnort.
Beamter: Können Sie mir mehr über dieses Theater berichten?
Beschuldigte: Ein Strassentheater wegen Reizüberflutung von Alltagssachen.
Beamter: Können Sie sich denn konkret an diese SMS erinnern?
Beschuldigte: Ja. Ich schreibe jeden Montag und vor einer Aufführung eine SMS.
Die Polizei habe das Handy ihrer Mandantin nicht ausgewertet und auch den Verhafteten, auf dessen Handy die SMS gefunden worden war, nicht zum Inhalt befragt, sagt Anwältin Schiller. «Die Polizei hat ihren Job nicht gemacht. Und trotzdem wurde Anklage erhoben.» Sie sei davon ausgegangen, dass es nicht nötig sei, Zeugen für das Alibi zu nennen. «Weil sie sich selbst nichts zu Schulden hat kommen lassen, wollte sie nicht auch noch ihre Freunde mit in die Sache hineinziehen», sagt Schiller. «Jetzt, schockiert darüber, dass es überhaupt zur Anklage kommt, wären ihre Freunde durchaus bereit auszusagen. Aber ich gehe nicht davon aus, dass das nötig sein wird.»
Die Anwältin kritisiert, es sei aufgrund der Anklageschrift unklar, was der Einzelne getan haben solle – was bei Straftaten wie Körperverletzung oder Sachbeschädigung zwingend erforderlich sei. Alle, die mutmasslich vor Ort gewesen seien, hätten in den Augen der Staatsanwaltschaft einen gemeinsamen Vorsatz gefasst und könnten deswegen für alles, was an jenem Abend passiert sei, kollektiv verantwortlich gemacht werden.
«Wenn ich mir den Fall meiner Klientin anschaue, frage ich mich unter anderem: Waren auch noch andere Personen, die jetzt angeklagt sind, gar nicht vor Ort?», sagt Schiller. «Grundsätzlich frage ich mich, wie eine derartige Anklageschrift überhaupt möglich ist? Normalerweise muss in einer Anklageschrift stehen, wer was getan hat, belegt anhand von Videoaufnahmen oder anderen Beweismitteln. Im Fall meiner Klientin stützt sich die Staatsanwaltschaft auf ein einziges schwaches Indiz und argumentiert wie folgt: Sie haben eine SMS geschrieben, in der steht: ‹Ich freue mich auf heute.› Deswegen gehen wir davon aus, dass Sie am Abend von ihrem Wohnort nach Basel gereist sind, dass Sie an dem Ort waren, wo Gewalttaten begangen worden sind und dass Sie diese Gewalttaten auch begangen haben.» Dieses Vorgehen sei höchst fragwürdig und rechtsstaatlich bedenklich, sagt Schiller. «Und die vorverurteilende Berichterstattung ist es auch.»
* Die Republik verzichtet aus journalistischen Gründen auf eine Verlinkung.