Ein übler Verdacht, bedrohte Sozialhilfe – und Grenzgänger
Das Wichtigste in Kürze aus dem Bundeshaus (40).
Von Andrea Arezina, 17.01.2019
Alles eine Frage des Masses. Und für die Liberalen eine Frage der Freiheit. FDP-Ständerat Andrea Caroni isst gern Schokolade und findet, dass der Konsum von Schokolade ein freier Entscheid eines jedes Menschen ist. Bei Drogen sieht er es genau gleich, wie er in einem Gespräch mit der Republik sagte.
Sein Parteikollege Severin Pflüger aus Zürich ist ebenfalls der Meinung, dass die Politik der Repression gescheitert ist und man der Drogen nicht Herr wird, indem man sie verbietet: «Wir kämpfen gegen Windmühlen, geben Unsummen für Polizisten, Staatsanwälte und Gefängnisse aus.» Damit hochgezüchtetes Cannabis nicht die Gesundheit schädigt, könnte er sich gut vorstellen, die Droge rezeptfrei in Drogerien verkaufen zu lassen.
Zur FDP gesellt sich auch der Apothekenverband der Stadt Zürich. Er macht sich für eine regulierte Abgabe von Cannabis stark. Sie dürfen es ausprobieren: Ab 2020 ist ein wissenschaftlich begleiteter Pilotversuch zur Cannabisabgabe in Apotheken geplant.
Übrigens: Pro Jahr konsumieren Schweizer und Schweizerinnen durchschnittlich 7,5 Gramm Cannabis. Bei der Schokolade beträgt der Konsum 10,5 Kilogramm pro Person. Wie viel es bei Andrea Caroni ist, wissen wir nicht.
Verdacht auf Kinderpornografie beim Bund
Was bisher geschah: Der US-Nachrichtendienst FBI hat dem Bundesamt für Polizei vor acht Monaten, im April des letzten Jahres, gemeldet, dass ein Mitarbeiter des Aussendepartementes (EDA) kinderpornografische Bilder über einen Server des Bundes ins Internet hochgeladen habe. Seither streiten sich die Ermittlungsbehörden, wer für den Fall zuständig ist. Der Bund sieht den Kanton Bern in der Pflicht. Die Berner Ermittler wollen den Fall an Italien abschieben, weil es um einen EDA-Mitarbeiter in Italien geht. Ein Strafverfahren läuft noch keines, der Betroffene soll immer noch auf seinem Posten sein.
Was Sie wissen müssen: Es könnte sich um einen schweren Fall handeln. Denn der Mann hat Bilder nicht nur konsumiert, sondern hochgeladen, das heisst: womöglich in Umlauf gebracht. In der Schweiz sind die Kantone für Ermittlungen zu Kinderpornografie zuständig. Doch dieser Fall zeigt die Grenzen des föderalistischen Systems auf. Müssen die Behörden des Kantons ermitteln, wo der Server steht? Oder ist es ein Fall für den Bund, weil es um einen Bundesserver geht? Oder gar einer für Italien, weil der Mann dort arbeitet und kinderpornografisches Material wohl von dort aus verbreitete?
Wie es weitergeht: Das Bundesstrafgericht entschied schon vor Monaten, dass die Berner Behörden für den Fall zuständig seien. In Bern wird seither abgeklärt, ob die regionale Staatsanwaltschaft Bern-Mittelland oder die kantonale Staatsanwaltschaft für besondere Aufgaben zuständig ist. Wenn diese Frage geklärt ist, wird wohl endlich ermittelt. Und dann erst werden die drängenden Fragen geklärt: Um was für Bilder handelt es sich? Wie viele waren es? Fiel der Mann auf eine Spamfalle herein? Hat er aus Versehen ein illegales Bild in seine Cloud hochgeladen? Oder liegt kriminelles Verhalten vor?
Sozialhilfe bleibt unter Beschuss
Was bisher geschah: Die Schweizerische Konferenz für Sozialhilfe (Skos) hat eine neue Studie zur Sozialhilfe präsentiert. Demnach hätte eine weitere Kürzung des Grundbedarfs negative Auswirkungen auf die Gesundheit der Betroffenen und ihre Chancen, einen Job zu finden. Die Studie ist eine Reaktion auf Vorstösse in verschiedenen Kantonen, die den Grundbedarf kürzen wollen. Treibende Kraft hinter den Kürzungsforderungen ist die SVP, die seit Jahren unter der Führung des ehemaligen Nationalrats Ulrich Schlüer gegen die Sozialhilfe opponiert. Die Skos-Führung hält solche Kürzungen für unverantwortbar.
Was Sie wissen müssen: Der Staat übernimmt bei Sozialhilfebezügern die Wohn- und Gesundheitskosten. Der Grundbedarf muss für alle übrigen Ausgaben reichen. Derzeit liegt er für eine Einzelperson bei 986 Franken. Die Sozialhilfe ist das letzte Auffangnetz. Sie sorgt dafür, dass niemand in die absolute Armut fällt. Die Ausgaben für die Sozialhilfe sind seit 2006 markant gestiegen und belaufen sich aktuell auf jährlich 2,7 Milliarden Franken.
Wie es weitergeht: Voraussichtlich im Mai wird im Kanton Bern über eine Senkung des Grundbedarfs um 8 Prozent abgestimmt. In den Kantonen Basel-Land und Aargau sind Vorstösse hängig, die den Grundbedarf für nicht aktiv um Integration bemühte Sozialhilfebezüger sogar um 30 Prozent kürzen wollen. In weiteren Kantonen laufen Diskussionen. Die Sozialhilfe wird zu einem wichtigen Thema im Wahljahr 2019.
Grenzgänger bekommen Lohn in Euro
Was bisher geschah: Wegen der Finanz- und Eurokrise stieg der Franken im Verhältnis zum Euro massiv an. Einige Schweizer Firmen gingen darum dazu über, ihren Grenzgängern den Lohn neu in Euro statt in Franken zu bezahlen. Dagegen wehrten sich zwei Grenzgänger bis vor Bundesgericht. Ihr Argument: Das sei diskriminierend (gestützt auf das Freizügigkeitsabkommen), weil sie so weniger Lohn erhielten als ihre Schweizer Kolleginnen und Kollegen. Vor Bundesgericht unterliegen sie jedoch wegen Rechtsmissbrauchs; die Beschwerden der Unternehmen werden gutgeheissen. Die Grenzgänger hatten 2011 eine Vertragsänderung unterschrieben, in der festgehalten wurde, dass der Lohn in Euro ausbezahlt werden kann.
Was Sie wissen müssen: Beide Grenzgänger erhoben die Diskriminierungsklage erst Jahre später. Das Bundesgericht betont, sie hätten in die Vertragsänderung eingewilligt und die schwierige wirtschaftliche Situation ihrer Arbeitgeber gekannt; das Gericht spricht von «besonderen Umständen». Bei den Firmen wird nun Erleichterung herrschen, sie müssen keine Nachzahlungen befürchten.
Wie es weitergeht: Die Grundsatzfrage, ob das Verbot der Arbeitnehmerdiskriminierung gestützt auf das Freizügigkeitsabkommen auch für private Arbeitgeber gilt, hat das Bundesgericht zwar ausführlich und kontrovers diskutiert, aber nicht entschieden. Es bleibt also offen, ob und zu welchem Kurs Löhne in Euro ausbezahlt werden können. Ein Grenzgänger müsste eine entsprechende Änderungskündigung sofort anfechten. Ob dazu je einer den Mut haben wird, ist unklar. Wie die Gerichte dann entscheiden würden, auch.
Zahl der Woche: 70 Prozent sind für Ökoabgabe – theoretisch
Die «SonntagsZeitung» hat eine repräsentative Umfrage durchgeführt. Demnach sind 70 Prozent der Befragten für eine Ökoabgabe auf Flugtickets. Schöner Wille! Aber von der bestehenden Möglichkeit, freiwillig eine Ökoabgabe zu bezahlen, macht nur einer von hundert Passagieren Gebrauch. Traurige Tatsache! Der Unterschied zwischen Wille und Wirklichkeit ist nicht unbedingt ein Hinweis auf Heuchelei. Es kann auch sein, dass die meisten die Abgabe zwar bezahlen wollen, aber nur, wenn alle anderen sie auch bezahlen. Ob es so ist, wissen wir vielleicht in ein paar Jahren. Dann nämlich, wenn wir über die Einführung einer obligatorischen Ökoabgabe auf Flüge abstimmen. Die Grünen bereiten derzeit eine solche Initiative vor.
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