«Das Pappkandidaten-Karussell»

Vor 127 Jahren wurde erstmals ein CVP-Bundesrat gewählt. Diese Woche nominiert die Partei womöglich ihre letzten Kandidaten. Es geht um alles – auch für die Schweiz

Ein Kommentar von Urs Bruderer, 14.11.2018

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Ein Hauch von Tod liegt über dieser Bundesratswahl. Wie über allem, was die CVP tut. Zu sagen, der Partei gehe es derzeit schlecht, wäre falsche Höflichkeit. Sie ist sterbenskrank.

Sie geht langsam ein wie eine kranke Schildkröte. Vor 35 Jahren kam die Christlichdemokratische Volkspartei in nationalen Wahlen zum letzten Mal auf über 20 Prozent. Seither verliert sie fast ausnahmslos alle vier Jahre ein wenig. Bei den Wahlen nächstes Jahr sinkt sie laut Umfragen erstmals unter 10 Prozent – nicht mehr das C im Namen ist das grosse Problem der Partei, sondern das V. Und wie bei einer Schildkröte kommt bei der CVP jetzt, wo man die schwere Krankheit nicht mehr übersehen kann, wohl jede Rettung zu spät.

Darauf deuten die widersprüchlichen Kuren hin, die der angeschlagenen Partei nahegelegt werden. Sie müsse sozialliberaler werden, um neue Wählerschichten ausserhalb der katholischen Stammlande anzusprechen, heisst es von links. Sie müsse sich auf ihre konservativen Werte besinnen, heisst es von rechts. Und Parteipräsident Gerhard Pfister beschreibt die CVP mit einer allumfassenden Klammer als liberal-konservativ und verrät damit vor allem eines: Ratlosigkeit.

Am 5. Dezember wählt das Parlament also womöglich zum letzten Mal eine CVP-Bundesrätin oder einen CVP-Bundesrat. Die Partei torkelt auf das Ereignis zu wie ein zum Tode Verurteilter auf den Galgen.

Die politischen Schwergewichte aus ihren Reihen haben schon früh abgewunken. Mit Mühe und Not liessen sich vier CVP-Mitglieder finden, die aufs Wahlticket wollen. Jetzt schlägt sich die Partei mit der Frage herum, ob sie dem Parlament ein Zweier- oder ein Dreierticket vorlegen soll, obwohl nur eine Kandidatin mit einiger Sicherheit das Zeug zur Bundesrätin hätte.

Die Baselbieter Juristin Elisabeth Schneider-Schneiter hat es nicht. Ihr fehlt es an Führungserfahrung, am klaren Rückhalt ihrer Kantonalpartei und an Unterstützung von der Fraktion in Bern. Für den blassen, einsprachigen Zuger Ständerat Peter Hegglin ist im Bundesrat kein Platz, auch weil er Bauer ist und die Landwirtschaft in der Regierung mit dem Bauern Guy Parmelin und dem ehemaligen Geschäftsführer des Zürcher Bauernverbandes Ueli Maurer schon heute übervertreten ist. Die Urner Lehrerin, Politikwissenschafterin und Regierungsrätin Heidi Z’graggen wäre eine Hochrisikowahl: Kaum jemand kennt sie in Bern.

Bleibt die Juristin Viola Amherd. Sie war Stadtpräsidentin von Brig, sitzt seit vielen Jahren im Nationalrat und hat sich dort einen guten Ruf erarbeitet. Geschickt vertritt sie die Interessen von Berg- und Randregionen. Sie beherrscht die Kunst, die CVP-typische ideologische Unschärfe wie Flexibilität aussehen zu lassen und nicht wie Unentschiedenheit. In ihrem Kanton gehört sie zum Politestablishment und verweigert das Gespräch mit der linken Lokalzeitung «Rote Anneliese». Aber als unverheiratete Frau, die mit ihrer Schwester und deren Kind zusammenlebt, ist sie eine untypische Vertreterin des Walliser CVP-Filzes.

Eine Kandidatin, drei Pappkandidaten? Egal, die CVP bemüht sich, das vor Bundesratswahlen übliche Kandidatenkarussell drehen zu lassen. Auch wenn es bei dieser Besetzung eher an einen Totentanz erinnert und die Partei Gefahr läuft, dass eine Person gewählt wird, die der Aufgabe nicht gewachsen ist.

Dabei bräuchte die CVP dringend wieder eine starke Bundesrätin. Weil sie nur mit einer Frau die Wählerinnen nicht vergrault. Und weil nur eine gute Bundesrätin der Partei ein bisschen von jenem Aufwind bescheren könnte, auf den sie in den Wahlen nächstes Jahr dringend angewiesen ist. (Wie 2007, ein Jahr nach der Wahl von Doris Leuthard in den Bundesrat, als die CVP seit 1979 zum einzigen Mal in Parlamentswahlen nicht verlor, sondern zulegte. Um 0,1 Prozent.)

Für die Partei geht es ums Überleben, darum, ob sie ihre Rolle als wichtige nationale, politische Kraft weiterhin spielen kann. Aber auch für das Land steht einiges auf dem Spiel. Nur noch die CVP verhält sich derzeit als eindeutig staatstragende Partei. Nur noch sie steht fast immer hinter der Politik des Bundesrats. Die anderen Bundesratsparteien scheren von politischen Kompromissen immer häufiger aus, am radikalsten die SVP.

Was geschieht, wenn die CVP noch schwächer wird, wenn sie in ein paar Jahren gar ihren Sitz im Bundesrat verliert, ist schwer zu sagen. Aber ohne Mitteparteien überlebt auch das Konkordanzsystem nicht. Ein polarisierter Bundesrat findet keine Kompromisse und wird nicht funktionieren. Vielleicht würden einige Parteien ihr Verhalten ändern, wenn die CVP aus dem Bundesrat flöge. Wahrscheinlicher scheint derzeit aber, dass mit der CVP auch die Konkordanz stürbe.

Der Todeshauch umweht nicht nur eine Partei, sondern das politische System.