Was diese Woche wichtig war

Abgang Merkel, Auftritt Bolsonaro und Kurz gegen die Uno

Woche 44/2018 – das Kurzbriefing aus der Republik-Redaktion.

Von Michael Kuratli und Adelina Gashi, 02.11.2018

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Kanzlerin Merkel tritt bald ab

Darum geht es: Angela Merkel tritt zurück – auf Raten. Das hat die deutsche Bundeskanzlerin vergangenen Montag verkündet. 2021 will sie als Kanzlerin demissionieren. Nachdem die CDU grosse Verluste bei den Landtagswahlen in Hessen eingefahren hat, gibt Merkel ausserdem im Dezember ihren Posten als Parteichefin ab.

Angela Merkel am 30. Oktober in Berlin. Tags zuvor hat die Bundeskanzlerin ihren Rücktritt angekündigt. Jeon Hayoung/EPA/Keystone

Warum das wichtig ist: Bereits nach den Wahlen in Bayern, wo die CSU eine herbe Niederlage hatte einstecken müssen, herrschte in der Parteispitze um Angela Merkel Unruhe und Sorge über die Zukunft der Unionsparteien CSU/CDU. Besonders der umstrittene Innenminister und CSU-Vorsitzende Horst Seehofer wurde stark angegriffen. Nun mussten die Christdemokraten in Hessen einen weiteren Rückschlag einstecken. Die CDU erzielte 27 Prozent und verlor somit 11,3 Prozentpunkte. Bis im vergangenen Jahr hatte Merkel noch keine Anstalten gemacht, ihre beiden Posten so bald räumen zu wollen. Angela Merkel ist seit 18 Jahren Parteivorsitzende der CDU und seit 13 Jahren Bundeskanzlerin. Nun sei es aber Zeit für einen «frischen Wind» und eine «Öffnung», wie sie am Montag in der Pressekonferenz verlauten liess. Trotzdem wolle sie ihre Legislaturperiode als Bundeskanzlerin beenden und nicht früher abtreten.

Was als Nächstes geschieht: Die Verhandlungen über die Besetzung des Parteichefpostens der CDU haben begonnen. Wie diese ausgehen werden, ist momentan noch offen. CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer, Bundesgesundheitsminister Jens Spahn und der ehemalige Unionsfraktionschef Friedrich Merz werden als mögliche Nachfolger gehandelt.

Brasilien: Bolsonaro wird Präsident

Darum geht es: Jair Bolsonaro gewann die Präsidentschaftswahlen in Brasilien. Mit 55 Prozent der Stimmen schlug der rechte Polemiker seinen Gegner der Arbeiterpartei Fernando Haddad.

Anhängerinnen des linken Präsidentschaftskandidaten Fernando Haddad in São Paulo nach der Wahl Bolsonaros am 28. Oktober. Fabio Vieira/FotoRua/NurPhoto/Getty Images

Warum das wichtig ist: Es ist eine Zeitenwende. Die Brasilianerinnen und Brasilianer entschieden sich in der Stichwahl am vergangenen Sonntag klar für einen Kandidaten, der keine hohe Meinung von demokratischen Prozessen hat, die Armeediktatur glorifiziert, politischen Gegnern mit Hinrichtung droht und den Staat nach seinem Gusto umkrempeln will. Einer seiner zum Abgeordneten gewählten Söhne sinnierte vor der Wahl darüber, den obersten Gerichtshof des Lands mit Waffengewalt zu schliessen. Wie die Wahlauswertung zeigt, hat vor allem die reichere, städtische Bevölkerung dem politischen Querschläger ihre Stimme gegeben. Auch bei der brasilianischen Bevölkerung in der Schweiz fand Bolsonaro Anklang – mehr als 60 Prozent haben ihn hier gewählt.

Was als Nächstes geschieht: Kurz nach der Wahl kündigte der Präsident in spe bereits Zusammenlegungen von Ministerien an. Von derzeit 29 sollen nur noch 15 bestehen bleiben. Auch kündigte er den Superminister für Finanzen und Wirtschaft an: Paulo Guedes, ein ultraliberaler Banker, soll eine unternehmerfreundliche Atmosphäre schaffen. Nach der Wahl schraubte Bolsonaro seine menschenverachtende Rhetorik etwas zurück. Er wird zum Jahreswechsel im Amt vereidigt.

Kanzler Kurz lehnt Migrationspakt ab

Darum geht es: Die österreichische Regierung von Kanzler Sebastian Kurz kündigte an, den Uno-Migrationspakt nicht zu unterschreiben.

Warum das wichtig ist: Die Österreicher machen das, wovon auch die SVP träumt. Der Migrationspakt will die Migration international regeln; fast alle der 193 Uno-Mitgliedsstaaten sollten ihn im Dezember in Marokko unterzeichnen. Noch im Juli waren bei den Verhandlungen bis auf die USA alle Staaten an Bord. Bisher erteilten aber mit Ungarn und Australien bereits zwei rechtsgerichtete Regierungen dem Abkommen eine Absage. Wie in der Schweiz die SVP und Teile der FDP nutzen auch Kurz und sein Vizekanzler Heinz-Christian Strache das Abkommen, um das populistische Thema der Migration wieder in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu rücken. In einer Erklärung listete die Regierung 17 Punkte auf, die sie ablehnt. «Migration ist und darf auch kein Menschenrecht werden», meinte Strache zum Rückzug. Oppositionelle Parteien und das Rote Kreuz kritisierten die Entscheidung scharf.

Was als Nächstes geschieht: Österreichs Absage an die völkerrechtlich nicht bindenden Vorgaben zur Migration könnte weitere Kontroversen in anderen Ländern auslösen. Die deutsche AfD beklatscht den Entscheid der Regierung Kurz und forderte von der Bundesregierung in Deutschland, auf die Unterzeichnung des Pakts zu verzichten.

Trump polemisiert vor Wahl mit Migration

Darum geht es: US-Präsident Donald Trump kündigte an, die automatische Staatsbürgerschaft für alle in den USA geborenen Menschen per Dekret abzuschaffen.

Warum das wichtig ist: Das sogenannte Ius soli besagt, dass Menschen, die in den USA geboren werden, automatisch US-amerikanische Bürgerinnen sind. In einem TV-Interview sprach Trump davon, den Verfassungszusatz per Dekret zu streichen. Ob er damit durchkommt, ist höchst umstritten. Gegner argumentieren damit, dass das Recht nur mit einer Verfassungsänderung zu beseitigen sei. Bereits zur vorletzten Jahrhundertwende klagte ein Mann mit chinesischen Eltern erfolgreich sein Bürgerrecht ein. Das Urteil wurde zum Testfall für die nach dem Amerikanischen Bürgerkrieg erlassene Regelung, die verhindern sollte, dass Südstaaten ehemaligen Sklaven die Bürgerrechte vorenthielten. Trump wählt für seine Agitation ein gutes Timing. In einer Woche stehen die wegweisenden Parlamentswahlen an. Das Thema des «Rechts des Bodens» bewegt nicht nur Gemüter in der ultrarechten Ecke, sondern auch die politische Mitte. Rund eine Viertelmillion Kinder sollen angeblich jährlich als Folge von «Gebärtourismus» als amerikanische Staatsbürger das Licht der Welt erblicken.

Was als Nächstes geschieht: Trump intensiviert seinen Dauerwahlkampf auf die Kongresswahlen hin mit diversen radikalen Ankündigungen wie dem geplanten Ausstieg aus internationalen Vereinbarungen, über die wir an dieser Stelle vor einer Woche berichteten. Ob der Präsident per Dekret den umstrittenen Verfassungsartikel ändern kann oder es sich hierbei bloss um eine weitere seiner Lügen handelt, wird kaum etwas daran ändern, dass er bei seinen Unterstützern populär bleibt, wie unser Autor Constantin Seibt unlängst schrieb.

Zum Schluss: Ungarische Journalistin nach Tritten gegen Geflüchtete freigesprochen (nur kurz)

Dass in Ungarn die Würde von Geflüchteten mit Füssen getreten wird, weiss man spätestens seit 2015, als ein Video davon um die Welt ging. Es löste eine Welle der Empörung aus. Darauf war zu sehen, wie Kamerafrau Petra László Geflüchteten, die gerade vor der Polizei davonliefen, ein Bein stellte und auf ein Kind eintrat. Sie arbeitete für den Fernsehsender N1TV, der der rechtsextremen ungarischen Partei Jobbik nahesteht. Nach dem Zwischenfall hatte man ihr gekündigt, ein Gericht hatte sie zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Das oberste Gericht des Landes entschied jedoch nun in letzter Instanz, die Kamerafrau freizusprechen.

Top-Storys: Populismus – Swiss made, verwöhnte Zürcherinnen und ein verfolgter Milliardär

Von Blocher zu Trump: Die BBC hat sich auf die Suche nach dem Ursprung des Trumpismus gemacht und Blocher gefunden. Eine Minidokumentation über die Schweiz, die «Wiege des Populismus».

Kids mit Screens: Während Schweizer Schulen fleissig Tablets austeilen, scheint man sich im Silicon Valley einig zu sein, dass Smartphones für Kinder schädlich sind. Die «New York Times» hat die besorgten Stimmen eingefangen.

10 Jahre Bitcoin: Von 0 auf 200 Milliarden Dollar. Wie die Kryptowährung die Weltwirtschaft der letzten Dekade geprägt hat, zeichnet die «South China Morning Post» nach.

Züri-Chind: Sie lieben sie, diese Daunenfederstadt – sie hassen es, dieses aseptische Provinzgrossdorf. Nina Kunz versammelt im «Zeit-Magazin» Stimmen einer verwöhnten Generation.

Feindbild Soros: Eine der Rohrbomben, die liberale Politikerinnen und Prominente in Amerika unlängst erhielten, lag auch in George Soros’ Briefkasten. Wie die Widersprüche des Multimilliardärs ihn zum «bestgehassten Menschen» der Welt machen, erklärt SRF 4 News im Gespräch mit Wirtschaftsjournalistin Heike Buchter.

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