Bayern an und für sich
Am Wochenende wählt der Freistaat sein Parlament. Ein schwer zu verstehendes Volk, in vielerlei Hinsicht. Wir haben einen gestandenen bayrischen Satiriker gebeten, sein Land zu erklären. Wobei nicht klar ist, ob das wirklich geht.
Von Eckhard Henscheid (Text) und Anne Morgenstern (Bilder), 12.10.2018
Dass die Bayern anders seien als alle anderen, das hat sich so weit herumgesprochen, sowohl in den übrigen deutschsprachigen Ländern als auch in der traditionell besserwisserischen oder zumindest diesbezüglich misstrauischen Schweiz. Die nämlich vielleicht letztlich auch immer so was wie ein anderes, ein besseres Bayern sein möchte. Aber es langt halt meist nur und bestenfalls zu einem etwas andersartigen Österreich.
Am 14. Oktober sind in Bayern mal wieder Landtagswahlen. Das juckt die Bayern in der Regel wenig, weniger als das diesmal so gerade noch rechtzeitig beendete Oktoberfest. Diesmal in Massen aber doch, nämlich fast ausschliesslich die Frage, ob die nahezu staats- und volksidentische CSU (Christlich-Soziale Union), die da zuweilen unter einem gewissen Franz Josef Strauss, ja sogar unter etwas ungewisseren Ministerpräsidenten wie Goppel und Streibl und Stoiber, nahezu 60 Prozent der Stimmen erfochten hat, es diesmal auf immerhin 38 oder nur auf 33 Prozent bringen wird. Und, falls das Letztere: ob daran
a) mehr der jetzige Landesvater Markus Söder oder doch eher
b) der Vorgänger, der manchen noch schwach erinnerliche Horst Seehofer, oder
c) beidesamt miteinander in coincidentia unionissima oder so ähnlich schuld seien oder
d) halt doch notfalls das dumme bayerische Volk selber.
Unter 30 Prozent aber – von heute aus gar nicht ganz undenkbar –, da wäre vermutlich ein rächender Gott schuldig; zu Handen nämlich des allzu vorzeitig aus dem Amt geschiedenen bayerischen Papstes Ratzinger.
II.
Der auch in der angegliederten Schweiz hinlänglich bekannte und trotzdem hochrühmliche bayerische Komiker und Kabarettist Gerhard Polt hat das gegenwärtige und jüngstvergangene politische Leben seines Landes, das heisst das Treiben seines im Wechsel ja ewig gleichen und allzeit identischen Politikerstammes, mit einem «wunderbaren Bauerntheater» gleichgesetzt. Das dürfte spätestens 2018 nicht mehr so ganz stimmen, eher hätte man sich zuletzt in einem Kinder-‚ ja Infantilentheater wähnen können; oder auch in der Nähe eines hier noch immer beliebten Männer- und Wirtshaussports, des kräftezeigend immerwährend einleuchtenden Fingerhakelns.
Kurz, in einer schieren und selbstzufrieden in sich ruhenden Unterhaltung. Einer im Zeitalter der nimmermüden Fun-Event-Kulturen dringendst gebotenen, ja überlebensnotwendigen Unterhaltung als oberster Volkssport – beim Fingerhakeln wie beim Stimmenankreuzen. Und Nachzählen.
Das war noch zu Zeiten des Ludwig-Thoma’schen christlichbayrischen Landtagsabgeordneten Jozef Filser und seiner berühmten, ja sprichwörtlich gewordenen «Filser-Briefe» ein bisschen anders. Und mehrsträhniger. Da fuhr jener Zentrumspartei-Parlamentarier «zum Regieren» nach München, um seiner im heimischen Mingharting aufhältigen Ehefrau und «Alten» nicht dauernd im Weg zu sein. Und sein dörflicher Wählerstamm, noch ganz ohne scheindemokratische Internetforen, ohne Fernsehen und fast ohne Zeitungen, war offenbar im Grunde froh, nichts mehr von ihm zu hören und zu wissen.
III.
Wenn aber jetzt aktuell die neue bayerische SPD-Landeschefin mit dem kernbayerischen Namen Natascha Kohnen keine andere Möglichkeit mehr sieht, gerade noch rechtzeitig zum Wahltag den Kampf mit der CSU aufzunehmen und sich auf Teufel komm raus irgendwie zu profilieren oder (wie es auch in Bayern neuerdings heisst) zu positionieren, als diese, ihre eigene Bundesparteivorsitzende Andrea Nahles wegen ihrer Mitentscheidung bei der Bereinigung des komplett depperten Streitfalls rund um den Verfassungsschutzpräsidenten zu tadeln, ja sogar stramm zurückzupfeifen, um derart eine «Staatskrise» (Kohnen)‚ ja den drohenden Weltuntergang zu vermeiden, dann – ist das doch auch recht hübsch, oder?
IV.
Das, wie selbst den hochnäsigen Schweizern bekannt, nicht unschöne, ja streckenweise bildschöne Land Bayern, zumal seine Alpenlandregionen, hat vor einiger Zeit den schon erwähnten Stammlandoberbayern Gerhard Polt zu einer wundersam komischen Solo-Vortragsszene inspiriert. «Hier», Polt holt aus und deutet entflammt auf Wald und Wiesen und Berge, «hier passt doch kein Neger rein», das müsse doch jeder zugeben!
Bis vor kurzem konnte man davon ausgehen, dass Polt wegen seines unwiderstehlichen Charmes, wegen seines unangreifbaren Komikerrufs und Komikerbonus der wohl Einzige im Lande wäre, der sich vor dem Hintergrund der auch in Süddeutschland ungut tobenden Ausländerfeindlichkeit eine solche schreiende Korrektheitsverletzung erlauben dürfte. Zumal, wie bei öffentlichen Auftritten zu beobachten, selbst so weit sprachkundige Neger oder auch «Farbige mit Migrationshintergrund» heftig mitlachen mussten.
Das stimmt aber nun nicht mehr. Im Internet, wie man hören muss, schwären schwerste «Rassismus»-Vorwürfe – jetzt auch gegen den grossen Polt. «Hass-Mails» sind zu lesen; hoffentlich nur seitens von Nichtbayern, von den ohnehin diesbezüglich unterbelichteten «Preussen» …
Wäre aber schön, wenn sich die eine oder andere Partei im noch ausstehenden Restwahlkampf pro oder kontra Polt beziehungsweise Neger-Eignung für dieses Land ausspräche. Im Zweifelsfall könnte, wenn schon nicht die Grünenpartei, die inzwischen etwas liberalere CSU den Idealbayern Polt energisch exkulpieren.
V.
Der noch vor Seehofer und Polt bekannteste, berühmteste, auch berüchtigtste aller bisherigen Bayern, Franz Josef Strauss also, plirrte und sang vor fünfzig Jahren, heute noch auf CD-Reprise nachprüfbar, ins Mikrofon:
«Deutschland braucht Bayern! Warum in die Ferne schweifen, wenn das Gute liegt so nah! Bayern! Bayern ist nicht nur ein Land der Lederhosen, Schuhplattler und Zupfgeigen und das Ferienland für Hunderttausende mit herrlichen Wäldern und Seen. Bayern ist auch das Land, in dem die Liebe zur Heimat mit der Treue zu Deutschland sich verbindet. Bayern ist ein Land von heute und ein Land von morgen. Bayern ist zu dem geworden, was es heute ist.»
Und darum noch einmal:
«Deutschland braucht Bayern!»
So kann man es natürlich auch sehen. Etwas kritischer sah es einst Nikolaus Lenau: «In München, sie die Biermisere übertünchen mit Musik» und umgekehrt, dort ist allzeit «die Biergewalt der Mittelpunkt» (Ewald Gerhard Seeliger) allen politischen, sozialen und profanen Seins und Lebens, und das wohl nicht allein in München, der «Stadt Hitlers» (Thomas Mann), sondern zum Beispiel auch in Nürnberg, der «deutschesten aller deutschen Städte» (Adolf Hitler) im schwer deutschen Restbayern.
Wenn aber nun die beiden ehemaligen deutschen Nationalspieler Hoeness und Rummenigge hergehen und sich dazu aufschwingen, wiederholt nicht nur die Fussballer des FC Bayern als die allerbesten ihres Fachs zu preisen, sondern die gesamte Mannschaft (circa 78 Prozent Ausländer) als repräsentativ, ja stellvertretend für die Spitze der gesamtdeutschen momentanen Kultur zu taxieren, dann – sprechen eigentlich noch immer ein bisschen dagegen Goethe, Beethoven, Bismarck, Brahms, Angela Merkel und Fritz Walter (1. FC Kaiserslautern). Und sogar Albert Einstein, der aber als gebürtiger Ulmer um lumpige 2,5 Kilometer eben gerade kein Bayer sein wollte! Sondern partout Schwabe! Also schon praktisch fast: Schweizer.
VI.
Mit der bayerischen Trachtenmode scheint allerdings jetzt etwas in Unordnung geraten zu sein. «Hauptsache, sitzen duads geil!» titelt die «Frankfurter Allgemeine» im Reiseteil vom 20. September 2018 zu diesem vermeintlich ganz zeitlos braven, unbiederen Weiblichkeitsthema. Und schon gar zu geil. Und jetzt wären ja wirklich mal die politischen Korrektheitsverteidiger aufgerufen. Zu einer geilen Tracht Prügel für dieses wahrlich sittenverderbische Drecksdeutsch.
VII.
Der allerletzte bayerische Ministerpräsident und Landesvater, den die SPD stellte, war ein gewisser Professor Wilhelm Hoegner (1954–1957). Die jetzige sozialdemokratische Spitzenkandidatin Natascha Kohnen ist strohblond wie eine Friesin, wirkt keineswegs unsympathisch und auch nicht zurückgeblieben und liegt derzeit bei 11 Prozent plus/minus 2 Prozent. Zum Einzug in die Bayerische Staatskanzlei – als erste Frau – fehlen ihr also bloss noch 21,8 Prozent; falls sie sich nicht doch noch rechtzeitig mit den Grünen, der FDP, den Freien Wählern, der AfD und der wieder regsam gewordenen, lange Zeit versickerten Bayernpartei koalitionsstrategisch zusammenrauft.
Und ein paar übrig gebliebene Kommunisten könnten auch noch gebraucht werden. Anknüpfend an eine fast vergessene, wenn auch nur kurzlebige bayerische Politikhistorie vom November 1918, als Bayern tatsächlich mal kommunistisch war. Als nämlich der Arbeiter- und Soldatenrat einen Kurt Eisner für ein paar Tage zum Ministerpräsidenten der neuartigen «Republik» Bayern ernannte.
Wobei Eisner allerdings gleich darauf schon mal zur Vorsicht ermordet wurde. Des Mörders gedenkt heute noch etwas trübselig eine aber schon sehr kleine Extremistenvereinigung jedes Jahr.
An welche Geschichten sich aber ansonsten kaum ein Bayer mehr erinnert. Schon gleich gar nicht gerne. Aber nein, für dieses 12,5-Millionen-Volk der zuweilen noch sogenannten Bajuwaren auf dem flächenmässig grössten Areal Deutschlands ist heute weder unter Kommunisten noch gar unter einer Frau (auf Bayrisch «Weiwez») Sorge zu tragen. Und seitens der momentanen und ewigen SPD-Opposition droht schon gar keine Gefahr. Unbehelligt zog und zieht die CSU-Staatspartei ihre regierenden Kreise – und doch stimmt das nicht mehr so ganz: Die einzige politische Kraft, welche diese Christenunion in jüngerer Zeit jemals in eine gewisse Verlegenheit geführt, ja beinahe aus den Angeln gehoben und zum Einsturz gebracht hätte, die stammte aber schon aus ihren eigenen Reihen selber. Das war vor gutding zehn Jahren die fesche Fürther CSU-Landrätin Gabi Pauli, die da doch im Winter 2007 nicht davor zurückschreckte, den scheints immerwährenden Ministerpräsidenten Edmund Stoiber gnadenlos vom Sockel zu heben. Und die dann allerdings rasch und ebenso atemberaubend aus der kurzzeitig aufgescheuchten männerpolitischen Arena wieder verschwand.
Anstatt immerhin versuchsweise in die SPD einzutreten. Um so die bayerischen Sozialdemokraten wenigstens zu einer etwas stattlicheren «Splitterpartei» (Willy Brandt) von approximativ 12,4 Prozent zu machen.
Und seitdem regierte die CSU wieder ziemlich unangefochten. Dabei mögen die Bayern, umfragemässig erhärtet, diese eigentlich gar nicht. Ja, immer weniger. Wo liegt der Denkfehler?
VIII.
Was denn sonst? Der beste aller bisherigen deutschen Fussballer stammte natürlich aus Bayern und spielte auch sein ganzes Leben so gut wie immer dort, beim FC «Bayern»: Franz Beckenbauer.
(ab hier: halber Unsinn; Anmerkung des Verfassers) Und ebenso überragend, ja einzigartig gleisst auch das Profil aller bisherigen profan-bayerischen Herrscherhäuser. Während in Preussen ein elendes, unmöglich merkfähiges Durcheinander von Thronfolgen statthat: Friedrich I., Friedrich Wilhelm I., Friedrich II. (der Grosse), Friedrich Wilhelm II., Wilhelm I., Bismarck I., Blücher II., Wilhelm usw. – derweil war Bayerns Herrschergeschichte immer erfreulich übersichtlich: Max I., Max II., Ludwig I., Ludwig II. Welcher Letztere und Richard-Wagner-Förderer das Wagner-Festspielhaus zuerst auch nicht in Bayreuth, sondern auf einer Isar-Insel in München erstehen lassen wollte. Aber das wäre nun wirklich zu weit gegangen. Und hätte die sommerlichen Opern-Festspiele nur allzu übergangslos mit dem Oktoberfest fusioniert.
IX.
Bei diesem jüngst wieder mal erledigten Münchner Oktoberfest wurde seitens der Heimatpresse freudvoll mitgeteilt, dass zur Eröffnung «100’000 Besucher» insgesamt «Hunderttausende» Liter Bier wegverzehrt hätten.
Ein bisschen genauer hätts aber schon sein dürfen. Aber immerhin war der Berichterstatter beziehungsweise Biernachzähler noch nüchtern genug, dass er nicht «mehrere Milliarden» draus gemacht hat. Das hätte aber auch keinen gewundert. Und schon gleich gar keinen christlichsozialen Gesundheitsminister in Verlegenheit gebracht.
X.
Schwer, mit einiger Bedeut- und Bedachtsamkeit über Bayern zu handeln. Fast unmöglich, wenn man die fünf Ludwig-II.-Königsschlösser dabei auslässt. Was? Wie bitte? Es sind nur vier? Sehen Sie, sehen Sie. Dass man diesen schlaumeierischen Schweizern aber auch gar nichts vormachen kann.
XI.
Ob es einen spezifisch bayerischen Witz/Humor gibt? Darüber gehen unverhinderbar die Ansichten stark auseinander. Sobald man aber konzediert, dass die wohl genuin genialste aller bayerischen Humor-Errungenschaften der ebenso volksnahe wie intellektuell-surrealistische Witz des Karl Valentin ist; und weiter in Rechnung stellt, dass der von einem extra dafür ausgebildeten Münchner Fachgremium gestellte Karl-Valentin-Preisorden an keine anderen ging als an die Ministerpräsidenten Strauss und Stoiber sowie an den vormaligen Kardinal Ratzinger und an den jetzigen Kardinal Marx; dann – dann – hat man die Antwort auf die Frage nach dem spezifisch bayerischen Humor ja schon ziemlich beieinander.
XII.
Unverkennbar, dass die bayerische Sprache in all ihrer eigenständigen Autonomie doch frappante Ähnlichkeit mit fast allen anderen Kultursprachen der Welt hat. «Vena laus amoris pax trux ungoris» ist einerseits fast klassisches Latein, heisst aber doch andererseits: «Wenn eine Laus am Ohr ist, packs‚ drucks – und gar ists!» «Tsu junk tsum tsum» mahnt stark ans Chinesische, ist aber doch auch eine etwas anzügliche Münchner Redensart. «Y moi jeau aa» heisst in Oberbayern «Ich meine schon auch»; während das eventuell auf Karl Valentin zurückgehende «Mama, trés bonne se» einerseits auch Französisch ist, andererseits aber «Mama‚ die Rehe baden sich» heissen will.
Der folgende, unter Umständen gar nicht von Menschengeist erfundene, sondern einfach so entstandene Witz aber müsste den mehrsprachig durchtrainierten Schweizern besonders zusagen: Eine Hannoveranerin hat ihren Urlaub in Oberbayern verlebt. Wieder zurück, wird sie von einer Arbeitskollegin gefragt, wies denn so gewesen sei. «An sich prima – nur die jungen Burschen, die reden zum Teil so italienisch daher.» – «Italienisch?» – «Ja, einer ist tagelang hinter mir hergestiegen und hat immer wieder halblaut und sogar etwas mürrisch gesagt: ‹Di ficchiano, di ficchiano!›»
XIII.
Der nächste Witz stammt, damit der nicht ganz als eine Art bayerische Diaspora vergessen werde, aus dem fränkischen Raum und mehr aus der Mentalität der Achtzigerjahre: Zwei Sozialpädagogen treffen sich. «Du, weisst du, wos zum Bahnhof geht?» – «Nee, du, duud mir leid, du! Aber ich finds guud, dass wir mal drüber gredt ham!»
Und zur Komplettierung ein neueres Gedicht aus der zweitgrössten Stadt Bayerns, aus Nürnberg, aus der Feder des hochlobenswerten Nürnberger Poeten Fitzgerald Kusz:
in närnberg odda wou
houd ä mac oddä wea
afferm feed oddä woss
midderä frau oddä wem
danzd oddä woss –
also nix
Und genauer lassen sich die Zustände in Nordbayern nicht mehr sagen. Oder wou oder warum.
XIV.
Es hat dieses Land, als einziges deutsches, nicht nur eine eigene Nationalhymne – «Gott mit dir, du Land der Bayern» – sondern natürlich war es auch wiederum Bayern, wo sich bei Licht betrachtet das international superieure Musikleben, speziell das höhere Opernwesen, zentrierte, ja sich eine Heimat schuf. Richard Wagner wurde am 3. Mai 1864 vom Maître de finance des bayerischen Königs Ludwig II., von einem Franz Seraph von Pfistermeister, aus seinem ökonomischen Elend «gerettet» (Wagner), Mozart hatte 1781 mit dem «Idomeneo» in München seinen Durchbruch. Und Puccini wurde durch niemand anderes als durch seine mehr oder weniger anonyme bayerische Lieblingsmaitresse in seiner toskanischen Ehekalamität einigermassen getröstet.
Nur Verdi hielt sich sauber. Und wurde dafür von seinem bayerischen Kollegen Richard Strauss als Komponisten-Nullität unqualifiziert beleidigt. Hielt sich aber schadlos, indem er diesen mit einem «Walzerkomponisten» verwechselte.
XV.
Die erste deutsche Eisenbahn fuhr 1835 von Nürnberg nach Fürth, also von Bayern nach Bayern. Der erste neuere Papst war ab 2005 mit Joseph Ratzinger ein Bayer. Der Deutsche Zollverein 1834 war genuin bayerisch; die erste deutsche Räterepublik, wie gehört, desgleichen. Der Friedensnobelpreisträger 1973 war mit Henry Kissinger zwar irgendwie auch Amerikaner, vor allem aber wieder Fürther.
Alles Bayern, alles triumphale Bayern. Nur gut, dass wenigstens Eintracht Frankfurt das deutsche Pokalendspiel 2018 gegen die gleichfalls sieggewohnten Münchner Bayern gewann. Vielleicht aus einem heimlichen Gnadenerlass heraus.
XVI.
Immerhin, bayerische Politik ist in den letzten Wochen insgesamt ein bisschen undurchschaubar geworden. Sie besteht eigentlich nur noch aus Taktik, aus taktischen Kleinkriegen, aus finsterem, oft dümmlichem Schmäh – aber auch die Taktik ist widersprüchlich, aus den Fugen geraten, paradoxal bis hin zur Absurdität.
Vom ehemaligen bayerischen Ministerpräsidenten und jetzigen deutschen Innenminister Seehofer wird mit Grund vermutet, all sein Tun und Lassen diene jetzt nur noch dazu, seine (nicht bayerische) Kanzlerin blosszustellen. Gleichzeitig will er jedoch auch, so heisst es, seinem seit eh und je verhassten Nachfolger Söder nachhaltig schaden durch ein besonders schlechtes Landtagswahlergebnis; wozu Seehofer von Berlin aus mit allen Mitteln das Seine beiträgt. Kontra Söder und mithin Bayern und die CSU. Um derart, so der etwas verrottete Gedankengang, seinerseits als CDU/CSU-Mann für sich selber zu punkten. Und seis durch Schadenfreude.
Wenn das überhaupt aufginge‚ diese höhere Logik beziehungsweise doch etwas infantile Methode, dann käme das wohl wiederum den gleichfalls halb befreundeten, halb verfeindeten SPD-Genossen von der Berliner Grossen Koalition zugute. Oder vielleicht doch alles zusammen mehr noch der grundbösen, allseits verachteten Alternative für Deutschland. Die es aber nach Seehofers Ansicht im Grunde überhaupt nicht gibt. Obwohl sie Anfang Oktober ein juristisch allerdings inzwischen angefochtenes Plakat für sich werben liess: «Franz Josef Strauss würde AfD wählen!»
Wohl schon deshalb, weil dieser einst so charismatische Strauss weder bei Seehofer noch bei Söder noch bei Merkel im Wahlkampf irgendwie noch vorkommt. Vergessen wurde. Weil er nämlich alle drei schon prämortal nicht mochte.
Der deutsche Schriftsteller und Satiriker Eckhard Henscheid gehört zu den Mitgliedern der Neuen Frankfurter Schule um die Satiremagazine «pardon» und «Titanic». Für sein Werk ist er vielfach ausgezeichnet worden – unter anderem mit dem Kasseler Literaturpreis für grotesken Humor (2018) und dem Jean-Paul-Preis des Freistaates Bayern (2009).
Alle Bilder wurden in Bayern aufgenommen. Sie stammen aus dem Buch «Reinheit» von Anne Morgenstern. Die Fotografin fokussiert auf die fragilen Momente, in denen die Sehnsucht nach Authentizität und Reinheit durchkreuzt wird von der Gegenwart des gewöhnlichen Lebens. Zu sehen sind Menschen, die versuchen, ihren Glauben an eine vertraute Vergangenheit mit Ritualen und Symbolen zu verstetigen. Morgenstern arbeitet regelmässig für die Republik – zuletzt waren ihre Bilder in der Sachsen-Reportage Zwischen Depeche Mode und Reichsflagge zu sehen.
Anne Morgenstern: «Reinheit». Verlag Fountain Books (gegründet vom Republik-Mitarbeiter Andreas Wellnitz), Berlin 2017, limitierte Auflage: 700 Stück, 160 Seiten, 20 × 27 cm, ca. 40 Franken.