Das Radiostudio ist mehr als ein Gebäude

Wo Radio SRF seine Informationssendungen macht, ist eigentlich egal. Aber in Bern macht es sie gut, und der geplante Umzug nach Zürich gefährdet die Qualität. Erinnerungen eines ehemaligen Radiomannes.

Von Urs Bruderer, 30.08.2018

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Die historische schwarz-weiss Fotografie zeigt einen Mann mit Kopfhörern im Radiostudio.
Auch eine Art Newsroom: Blick ins Radiostudio Bern (undatierte Aufnahme). Photopress-Archiv/Keystone

Wer grosse Ideen beschwört, hat oft kleine Ziele im Sinn. Seit die SRG-Spitze laut darüber nachdenkt, das Radiostudio Bern aufzulösen, reden die Gegner des Planes vom nationalen Zusammenhalt und der «Idée Suisse». Als ob die Schweiz in Gefahr geriete, wenn die SRG etwa 150 Arbeitsplätze von Bern nach Zürich verlagerte.

Die Demo für das Radiostudio Bern heute Donnerstagabend vor dem Bundeshaus ist nicht staatstragend. Die Teilnehmenden denken nicht zuerst an die Schweiz, sondern an sich, die Schwester oder die Freundin, die beim Radio arbeitet und keine Lust hat, in Zukunft an den Stadtrand von Zürich zu pendeln.

In Gefahr ist ein gutes Schweizer Produkt

Auch Lokalpatriotismus schwingt mit. Züri West heisst die bekannteste Rockband aus Bern: Die Stadt schaut mit Bewunderung, Neid, Verachtung und Trotz auf Zürich, nur mit einem nicht: mit Gelassenheit. Und jetzt soll das reiche, sexy, erfolgreiche Zürich auch noch das Radiostudio bekommen?

Zwar stimmt es, dass der geplante Konzentrationsprozess schlecht zur föderalistischen Schweiz und zum Zustand ihrer Medienlandschaft passt. Nachdem viele Deutschschweizer Zeitungen in wenigen Konzernen aufgegangen, fast alle Inlandredaktionen zusammengelegt und in Zürich angesiedelt worden sind, sollte das öffentlich-rechtliche Medienhaus dem Trend widerstehen und den letzten schwergewichtigen, nicht-zürcherischen medialen Blick auf die Schweiz erhalten.

Doch in Gefahr ist nicht das ganze Land, sondern vor allem ein gutes Schweizer Produkt. Eines wie Rivella: Die Informationssendungen des Deutschschweizer Radios tragen die Züge ihrer Herkunft, und sie sind hierzulande nach wie vor erstaunlich beliebt.

Wenn die Strukturen der SRG mit einem Wort beschrieben werden sollen, dann heisst es meist, sie seien byzantinisch. Wie ein verwirrend grosses Reich kam das Radiostudio auch mir vor, als ich vor 13 Jahren zum «Echo der Zeit» stiess. Provinzen gleich lagen Fachredaktionen (Inland, Ausland, Wirtschaft), Senderedaktionen («Heute Morgen», «Rendez-vous», «Info 3», «Echo der Zeit») und der Archipel der Nachrichten nebeneinander.

Ständig trafen sich die Emissäre dieser Provinzen. Es gab viele Sitzungen. Schrecklich viele. Auszuhalten war das nur, weil Worte zählten, egal, wer sie sagte. Es galt die Macht des besseren Arguments. Die Redaktionen rieben sich aneinander, dabei entstand ein gutes Programm. Und die Provinzfürsten? Viele Chefs übernahmen Dienste wie ihre Untergebenen, sie hörten zu und diskutierten mit.

Jeder Käse riecht nach seiner Herkunft

So flach die Hierarchien waren, so gross war der Spielraum für die einzelnen Journalistinnen. Wer gute Ideen hatte, konnte sie oft auch realisieren. Ein enormer Vorteil: Denn die meisten und besten journalistischen Ideen entstehen unten, bei den Leuten, die recherchieren und täglich mit der Aussenwelt in Kontakt sind.

Hinzu kam die Tradition des Hauses. Die Idee des Service public strukturierte jede publizistische Debatte: Welche Geschichten müssen wir machen? Welche dürfen wir? Welche nicht? Der Auftrag lautete, den Staatsbürgern Informationen und Einordnungen zu liefern, ohne sie zu langweilen.

Mit der Zeit verstand ich: Das waren keine byzantinischen Verhältnisse, sondern eher gut-eidgenössische. Dieser Mix aus einem klaren und etwas biederen Auftrag, Vertrauen in die Mitarbeitenden und flachen Hierarchien führte und führt zu Sendungen wie «Heute Morgen», «Rendez-vous» oder «Echo der Zeit». Zu Sendungen, die in ihrer Verlässlichkeit langweilig wären, wenn nicht immer mal wieder die journalistische Leidenschaft der Moderatoren und Beitragsmacherinnen aufblitzen würde.

Jeder Käse riecht nach seiner Herkunft. Das gilt auch für Presseartikel oder Radiobeiträge. Das Klima und die Arbeitskultur der Abteilung Information im Radiostudio Bern lassen sich nicht einfach so nach Zürich verpflanzen. Nur schon, weil sie bei einem Umzug viele Leute (und wohl eher die guten) verlöre. Nachdem die Umzugspläne bekannt geworden waren, führten die Redaktionsleitungen in Bern eine Umfrage durch mit dem Ergebnis, dass 20 bis 30 Prozent der Betroffenen das Unternehmen verlassen würden – ein Aderlass, den kein Betrieb schadlos übersteht. SRG-Sprecher Edi Estermann hält die Zahl für zu hoch. Er vergleicht die Situation mit dem anstehenden Umzug der SRF-Abteilung Kultur aus Zürich nach Basel: «Dort ist die Fluktuationsrate gering. Auch für das Radiostudio Bern liegt die realistische Schätzung für die Anzahl Kündigungen deutlich tiefer als die ersten Zahlen.»

Bei vielen meiner ehemaligen Kollegen ist überdies die Sorge gross, dass man ihnen nicht nur einen neuen Arbeitsort, sondern auch eine neue Arbeitsweise aufzwingen möchte. Denn nächstes Jahr geht in Zürich der neue SRF-Newsroom der Fernseh- und Onlineredaktionen in Betrieb. Die Radioinformation würde da zum Teil wohl integriert, zum Teil angedockt.

Im Newsroom tritt an die Stelle von Beitragsmacherinnen mit einer Handschrift eine Produktionskette: Ein Mitarbeiter sucht den Rohstoff, die Neuigkeit, ein anderer bewertet ihre Güte und Verwertbarkeit und weist sie den verschiedenen Kanälen zu (Radio, Fernsehen, Online, Social Media), wo sie wiederum von jemandem in die jeweils geeignete Form gegossen wird. Das gelte aber nur für die schnelle Nachrichtenproduktion, sagt SRG-Sprecher Estermann: «Überall, wo es Fachexpertise, Vertiefung, Kontext braucht, soll nicht weniger, sondern mehr autorengetriebener Journalismus möglich sein als heute.»

Viele Radiomitarbeitende halten dies für ein leeres Versprechen; der Sog des Newsrooms wird die dafür nötigen Mittel verschlingen, fürchten sie.

Über die Zukunft des Journalismus wird derzeit viel gestritten. Sicher ist: Das Radiostudio Bern arbeitet derzeit sehr gut. Das «Echo der Zeit» geniesst in der Öffentlichkeit zwar einen Ruf, dem es nicht einmal gerecht werden könnte, wenn es von Gott persönlich gemacht würde. Doch die Sendungen aus Bern genügen auch irdischen Massstäben. Im Medien-Qualitätsrating der Universität Zürich liegen die Informationssendungen von Radio SRF regelmässig auf den vordersten Plätzen.

Zur Begründung für die Aufgabe des Radiostudios führen die Verantwortlichen zwei Gründe an. Erstens den Spardruck: Die Betriebsausgaben könnten um 3 Millionen Franken jährlich gesenkt werden, sagen sie, ohne genau zu erklären, wie sie auf diese Zahl kommen. Und zweitens die düstere Zukunft des Radios: SRF 1 habe seit 2009 ein Viertel seiner Hörer verloren, das «Echo der Zeit» sogar ein Drittel, so SRG-Sprecher Estermann. Aber früher wurden die Hörerzahlen anders erhoben als heute, Vergleiche sind also heikel, und auch heute noch hören täglich 450’000 Menschen ins «Echo der Zeit». Das Online-Newsangebot von SRF hat weniger Besucher: 9,5 Millionen Visits pro Monat gemäss Estermann, pro Tag also durchschnittlich 300’000.

Radio galt lange als langfristig tot, nicht nur bei den SRG-Verantwortlichen, weil seine klassische Hörerschaft in die Jahre kam. Doch inzwischen deuten viele Entwicklungen darauf hin, dass es neue Anhänger findet und zäher ist als vermutet. Ein neuer interner SRF-Bericht, den Mitarbeitende des Berner Radiostudios zitieren, soll das Radio als die «nicht totzukriegende Kakerlake» unter den Medien beschreiben.

Den Wandel in den Medien und der Mediennutzung gibt es. Und klar, auch die Radio-Informationsredaktion muss sich ändern, wenn sie bleiben will, was sie ist. Doch der Plan, die wichtigste Abteilung des Deutschschweizer Radios zu verpflanzen, scheint zu wenig durchdacht. Es geht um mehr als ein Gebäude: Es geht um eine Betriebskultur, ausgebildet in Jahrzehnten dialogischen Zusammenarbeitens, und um das daraus entstehende Informationsangebot. Wer diese Räume aufgibt, gefährdet ein Stück gelebte Tradition.

In Sachen Transparenz

Urs Bruderer arbeitete von 2005 bis 2009 im Radiostudio Bern als Produzent des «Echos der Zeit» und berichtete von 2009 bis 2018 als Korrespondent von Radio SRF aus Brüssel und Osteuropa. Seit August berichtet er für die Republik aus dem Bundeshaus.