Aus der Serie «Les Amours extraordinaires», von Guillaume Perret. Guillaume Perret/Lundi 13

Lustprinzip

Die fünf Geheimnisse einer guten Beziehung

So viele Paare könnten glücklicher sein. So viele Scheidungen vermieden werden. Wenn wir besser Bescheid wüssten. Ein Gespräch mit Psychologie-Professor Guy Bodenmann.

Von Ariel Hauptmeier, 09.08.2018

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Man hat sich gewöhnt an diese Zahl: Jede dritte Ehe in der Schweiz scheitert. Aber natürlich ist die Zahl ein Desaster. Dahinter verbergen sich: Sorgen, schlaflose Nächte, Schuldgefühle, Trauer, Wut. Eine Scheidung kann ein traumatisches Erlebnis sein, ähnlich prägend wie der Tod eines Angehörigen.

Weniger bekannt ist eine zweite Zahl: Bei Paaren, die 20 Jahre und länger verheiratet sind, schiesst neuerdings die Scheidungsrate in die Höhe. Kein Wunder, eine Umfrage ergab kürzlich, dass 40 Prozent der lange Verheirateten unglücklich sind. Nur weil eine Ehe lange dauert, ist sie keineswegs gut. Viele Paare haben sich bloss mit ihrem Unglück arrangiert.

Und zugleich wünschen sich die Menschen bis heute, in überwältigender Mehrheit, eine stabile, vertrauensvolle, lebenslange Partnerschaft. Alle wollen es, das grosse Glück, doch nur wenige finden es. Hier der Wunsch, da die Wirklichkeit. Gäbe es ein Rezept, sie zu versöhnen?

Hier kommt Guy Bodenmann ins Spiel. Er lehrt Psychologie an der Universität Zürich und hat bereits vor 20 Jahren «Paarlife» entwickelt, ein Coaching-Programm für Paare. Ein Wochenende lang lernen sie, wie sie miteinander reden und streiten, einander unterstützen und gemeinsam Stress bewältigen.

Das «Paarlife»-Coaching wirkt, etliche wissenschaftliche Studien belegen es. Und eine noch unveröffentlichte Studie aus Deutschland kommt zum Ergebnis, dass ein einziger Präventionskurs genügt, um die Scheidungsrate massiv zu senken – auf 4 statt 28 Prozent in der Vergleichsgruppe.

Und doch ist präventive Paartherapie weitgehend unbekannt. Zu Bodenmanns «Paarlife»-Kursen etwa kommen jedes Jahr vielleicht 200 Paare – in der gesamten Schweiz.

Guy Bodenmann, warum wird die präventive Paartherapie so wenig genutzt?
Weil den Paaren zu wenig bewusst ist, dass sie ihre Partnerschaft pflegen müssen. Coaching ist heute in Beruf und Sport allgegenwärtig. Aber bei Beziehungen denken viele: Die Liebe wird ewig währen. Ein Irrtum! Ich vergleiche die Liebe gerne mit einer Pflanze: Man muss sie wässern, düngen, ans Licht oder in den Schatten stellen. Man muss sie pflegen, damit sie blühen und längerfristig gedeihen kann. Dazu braucht es Zeit, Motivation und das entsprechende Wissen und Können.

Und das gilt auch für die Liebe?
Unbedingt, genau dieselben Aspekte sind bei der Pflege der Liebe wichtig. Doch ein Problem ist, dass das Thema Beziehungen heute immer noch weitgehend tabuisiert und als Privatangelegenheit angesehen wird. Wer redet öffentlich über seine Partnerschaftsprobleme? Auch in der Politik findet das Thema Partnerschaft keine Resonanz, niemand will sich in diesen Bereich einmischen

Und so kommt es, dass sich nur wenige Paare coachen lassen.
«
Paarlife» ist ein Non-Profit-Angebot der Universität Zürich, wir machen keine Werbung, es gibt nur dann und wann ein Interview, wie dieses, und die Mundpropaganda. Und selbst wenn es bekannter wäre, stellt sich immer noch das Problem, dass viele nicht erkennen, dass solche Kurse ihrer Partnerschaft viel Nutzen bringen können.

Wie wäre es wünschenswert?
Dass alle Paare solche Kurse besuchen, vergleichbar damit, wie man sich um die tägliche Hygiene bemüht. Hier geht es um die Hygiene der Partnerschaft, um die Aufrechterhaltung ihrer Qualität. Zu Beginn, aber auch später immer wieder. Bevor die Partner sich entfremden, anfangen miteinander destruktiv zu streiten, sich nach Alternativen umsehen. Stattdessen soll immer wieder aufgefrischt werden, wie man gemeinsam glücklich bleiben kann. Ich wünsche mir, dass die Gesellschaft mehr in Beziehungspflege investiert.

Was hätte das für Folgen?
Der Effekt wäre gross. Nur einige Beispiele: Streiten sich Paare während der Schwangerschaft, sind ihre Babys im ersten Jahr häufiger krank. Unglückliche Partnerschaften gehen einher mit mehr Krankheitstagen am Arbeitsplatz, mit geringerer Leistungsfähigkeit und Kreativität, allein der volkswirtschaftliche Schaden ist beachtlich. Und unter der Scheidung der Eltern leidet nicht nur das Befinden der Kinder, sondern auch ihr Selbstwert, zudem wird ihre Einstellung zu Vertrauen, Verlässlichkeit und Partnerschaft tangiert.

Und da ist frühzeitiges Paar-Coaching ein Allheilmittel?
Nein, aber es gibt den Paaren wichtige, wissenschaftlich fundierte Impulse, es zeigt auf, was sie tun können. Und der Effekt hält über Jahre an, wie internationale Studien zeigen. Falls die Paare bereit sind, das Gelernte auch im Alltag umzusetzen.

Wie läuft ein «Paarlife»-Wochenende ab?
Vier bis sechs Paare kommen an einem Wochenende zusammen. Es gibt eine kurze theoretische Einführung, dann üben die Paare miteinander in getrennten Räumen, angeleitet von einer Trainerin. Wie streitet man so, dass man den anderen nicht verletzt? Wie versöhnt man sich wieder? Was wünsche ich mir vom anderen? Wie kann ich dem Partner erzählen, was mich beschäftigt, wie kann ich ihn am besten unterstützen?

Und die Trainer gehen von Paar zu Paar …
… und unterstützen den Lernprozess. Es sind ja oft die Klassiker, die Paare stressen: Wer bringt die Kinder zur Krippe? Wie weit darf sich die Schwiegermutter einmischen? Warum wurde man für etwas kritisiert, wo man sich doch Mühe gegeben hat? Derartiger Stress, wird er nicht aufgelöst, nagt an der Beziehung.

Warum ist gerade der Umgang mit Stress so wichtig?
Stress ist ein schleichender Feind der Partnerschaft, er untergräbt sie heimlich und lange Zeit unbemerkt. Wie Rost lange Zeit unbemerkt an der Eisenstange nagt, bis sie unter Druck zusammenbricht, da sie im Innern erodiert ist. Viele Studien zeigen, dass die Partner Stress, den sie ausserhalb der Partnerschaft erlebt haben, nach Hause bringen. Sie kommen gereizt, mürrisch, impulsiv oder verschlossen, wortkarg und zurückgezogen nach Hause. Und wenn dann der andere nicht unvoreingenommen nachfragt, was geschehen ist, sondern die schlechte Laune auf sich bezieht, dann sind Konflikte programmiert.

Dann ist der Umgang mit Stress eine Schlüsselkompetenz?
Paare, die gut gemeinsam Stress bewältigen, sind ungleich zufriedener und stabiler. Diese Kompetenz kann man lernen. Wie erkenne ich den Stress beim anderen – etwa, wenn man zu spät zu einer Verabredung unterwegs ist? Wie kann ich den anderen erfolgreich unterstützen? Wie kann ich meinen Stress dem anderen mitteilen, damit der mich unterstützt?

Nämlich?
Gerade haben wir dazu eine Studie veröffentlicht, die zeigt: Entscheidend ist das interessierte Zuhören. Gift sind Sprüche wie «Ist doch nicht so schlimm» oder Ratschläge. Das ist wie eine zweite Ohrfeige. Problematisch ist zudem, dass man viel zu oft halbherzige Unterstützung gibt, ohne dass man verstanden hat, worum es geht, was den Partner dermassen belastet. Wichtig ist: sich hinsetzen, nachfragen, zuhören, zu verstehen versuchen, empathisch sein.

Was sind eigentlich die Geheimnisse einer gelungenen Beziehung?
Es sind im Grunde genommen fünf Dinge: Erstens – sich Zeit füreinander nehmen. Zweitens – im Alltag freundlich zueinander sein. Drittens – fair streiten. Viertens – als Paar Stress gemeinsam bewältigen. Fünftens – Commitment, sich zur Beziehung bekennen und sich dafür engagieren.

Lassen Sie uns die Punkte nacheinander durchgehen.
Punkt eins ist relativ banal: dass man sich Zeit füreinander nimmt. Das ist die Grundlage für alles weitere. Liebe braucht Zeit. Oft sieht man Paare im Restaurant sitzen, und beide sind mehr ihrem Handy als der anderen Person zugewandt. Diese Aussenorientierung ist Gift für die Kommunikationskultur. Warum nicht einfach mal sich aufeinander konzentrieren. Sich Zeit für sich als Paar nehmen.

Auch Punkt zwei ist eine einfache Wahrheit: Seid nett zueinander.
Absolut. Die meiste Zeit geht es ja nicht um Konflikte. Sondern: Wie steht man am Morgen auf, wie verabschiedet man sich, wie gestaltet man die Mahlzeiten, wie erledigt man gemeinsam den Haushalt, wie geht man mit den Kindern um? Wenn man in diesen alltäglichen Interaktionen freundlich, galant, aufmerksam und interessiert miteinander umgeht, dann wird eine gute Grundlage gelegt.

Punkt drei?
Da geht es darum, wie man angemessen streitet. Also um konstruktive Konfliktführung. Dass man Konflikte fair und kompromissorientiert austrägt, im Wissen, dass immer beide recht haben. Es gilt die 50:50-Regel: Beide tragen zum Konflikt bei. Und beide müssen lösungsorientiert aufeinander zugehen. Wer hier mauert oder seine Meinung durchdrücken will, schadet der Partnerschaft.

Punkt vier?
Sich gegenseitig zu unterstützen. Zu wissen, ich kann mich auf den anderen verlassen. Auch wenn es mir nicht gut geht, ist der andere für mich da. Das gibt mir trotz Schwächen das Gefühl, geliebt und respektiert zu werden.

Und letztens?
Das Commitment, die Verbindlichkeit. Dass man sich bekennt zum anderen und sich für die Partnerschaft engagiert. Und dem anderen zeigt: Ich will dich, und ich will dich auf Dauer. Wenn das fehlt, wird das Fundament brüchig.

Zählt dazu auch Treue?
Auch, aber nicht nur. Es ist wie vor der Besteigung eines hohen Gipfels. Man muss sich fest vornehmen, ihn erreichen zu wollen. Nur dann erreicht man ihn. Früher hiess das pathetisch: «… bis dass der Tod euch scheidet». Heute könnte man sagen: Es braucht Commitment. Dass man sich immer wieder sagt: Diese Partnerschaft ist für mich auf Dauer angelegt. Und das betrifft dann auch emotionale und sexuelle Verbindlichkeit. Die Exklusivität des Partners für einen.

Wird heute nicht immer mehr von offenen Beziehungen geredet?
Wir haben vor 15 Jahren Jugendliche zum Thema Treue befragt und nun erneut. Gleiches Gymnasium, gleiche Altersgruppe. Das Ergebnis: Treue ist ihnen noch wichtiger geworden. Vor 15 Jahren waren es 84 Prozent, heute sind es 96 Prozent, die sagen: Treue ist fundamental wichtig für eine Partnerschaft. Vielleicht hängt es damit zusammen, dass heute viele Kinder die Scheidung ihrer Eltern erlebt haben und sich nun umso fester nach Stabilität und Verbindlichkeit sehnen.

Was sind Beziehungskiller?
Sätze wie: Du hörst mir nie zu. Oder: Du weisst immer alles besser. Destruktives Streiten, verächtlich, dominant, provokativ. Aber eben auch mangelndes Commitment. Häufig auch in Form des Besuchs von Online-Dating-Plattformen oder intimen Chats mit anderen.

Beziehungskiller Tinder?
Heute kann man sich gemütlich per Mausklick nach Alternativen umsehen und mit ihnen leicht in Kontakt treten. Und das ist ein Problem. Schon wer intime Chats mit einer anderen Person führt, verletzt das emotionale Commitment. Ganz zu schweigen davon, wenn eine Affäre eingegangen wird.

Wie steht es um Paare, die im Grunde zufrieden sind?
Auch die sind nicht vor Scheidung gefeit. Rund ein Viertel der Paare lässt sich scheiden, obwohl sie eigentlich glücklich sind. Diese Entwicklung hängt eng mit dem Online-Dating zusammen. Man kann es in der Beziehung noch so gut haben, es bieten sich vermeintlich immer noch bessere Alternativen. Dieser Optimierungswahn ist für Partnerschaften fatal.

Aber es geht auch anders.
Natürlich. Im Grunde genommen hat sich wenig geändert: Menschen streben wie eh und je nach Bindung. Viele möchten eine lebenslange Beziehung, und das macht bindungstheoretisch Sinn: Es ist unökonomisch, immer wieder in einen neuen Partner zu investieren. Man wechselt seine Eltern ja auch nicht ständig. Und was die Eltern einem gaben, das sucht man später in der Partnerschaft.

Der Paar-Coach

Guy Bodenmann ist Professor für Psychologie an der Universität Zürich. Im vergangenen Jahr löste er eine Kontroverse aus mit seiner Forderung, Kinder mit frühestens zwei Jahren in die Krippe zu schicken. Eine gute Einführung in das Paar-Coaching bietet sein Buch «Bevor der Stress uns scheidet». Bodenmann hat das «Paarlife»-Training entwickelt.

Persönliche Protokolle zum Thema Liebe

Wir haben Menschen zu ihren Erfahrung zum Thema befragt. Ihre sehr persönlichen Geschichten lesen Sie hier.

Erzählen Sie uns Ihre Geschichte

Schildern Sie uns hier in den kommenden Tagen jeweils zwischen 10 und 22 Uhr Ihre Höhenflüge, Wünsche, Traumpartner. Anonym.

Zur Fotografie

Für seine Serie «Aussergewöhnliche Liebschaften» hat Guillaume Perret atypische Paare fotografiert. Menschen, deren Liebe gesellschaftlich stigmatisiert ist. Etwa wegen ihres Aussehens, ihrer sexuellen Orientierung, des Altersunterschieds oder einer Behinderung. Entstanden sind einzigartige und sehr persönliche Porträts, die zeigen, dass letztendlich alle Formen von Liebe schön sind.

Guillaume Perret lebt und arbeitet im Kanton Neuenburg und ist Gründungsmitglied der Agentur Lundi 13. In seinen Arbeiten versucht er die zerbrechliche Schönheit der menschlichen Existenz zu erfassen. Die Intimität, die er dabei einfängt, sagt auch viel über unsere Gesellschaft aus.