Bis dass der Präsident uns scheidet (IV)
In der Türkei wird gewählt. Zeit, sich dem Land ganz türkisch zu nähern. Mit einer Soap. Gestatten, Familie Atalay. Episode IV: So Gott will.
Von Adalet Kaplan, Solmaz Khorsand (Text) und Andreas Gefe (Illustrationen), 22.06.2018
In der Türkei wird am 24. Juni gewählt, Präsident und Parlament. Die Autorin Adalet Kaplan hat eine Idee für eine Soap. Leider ist sie in ihrer Heimat so nicht realisierbar. Dafür in der Republik. Unter einem Pseudonym skizziert sie hier ihre Serie «Bis dass der Präsident uns scheidet». Viel Vergnügen mit den Atalays, einer Familie aus Istanbul.
Mehmet kann nicht schlafen. Es ist viel zu heiss. Er stellt den Fernseher an. Erdogan spricht von irgendeiner Wahlkampfbühne zu seinen Anhängern: «Bei der letzten Wahl haben einige an uns gezweifelt, und sie haben den Preis dafür gezahlt.»
Zeynep steckt den Kopf unter der Decke hervor. «Das ist jetzt nicht dein Ernst, oder?», fährt sie Mehmet an. Mehmet erschrickt und klickt den Fernseher aus. Er dreht sich zu seiner Frau. Sie trägt das schwarze Negligé. Schon wieder. Heute kommt er nicht drum herum. Er schmiegt sich an ihren Rücken und beisst ihr vorsichtig in den Nacken, so wie sie es gern hat. Zeynep rammt ihn mit ihrem Ellbogen, so heftig, dass Mehmet aus dem Bett fällt.
Fünf Personen sind es, mit denen Sie in unserer Soap die Zeit bis zu den Wahlen in der Türkei verbringen: Mehmet, Zeynep, Elif, Atakan und Baran. Die Kurzbiografien finden Sie hier.
«Frag doch deinen Erdogan, ob er uns im Bett nicht Gesellschaft leisten möchte.» Zeynep steht auf und wühlt in ihrer Tasche nach Zigaretten. «Ist es seine Stimme? Macht sie dich geil, Mehmet? Gibs doch zu! Darauf stehst du, was?!»
Mehmet flucht leise vor sich hin. Zeyneps Negligé verschwindet hinter ihrem ausgewaschenen Bademantel. Wütend steht sie am Fenster und raucht.
Mehmet stöhnt. «Entschuldige, aber es ist zurzeit echt viel los auf der Station», druckst er herum. «Einer der Idioten von der Arbeit hat Mist gebaut, und ich muss den Kopf dafür hinhalten. Jetzt hat sich auch noch herausgestellt, dass der Idiot bei Fetö ein und aus gegangen ist», erzählt er. «Weisst du, was das bedeutet? Sie können mir einen Strick daraus drehen. Das kann mein Ende sein.»
Zeynep lacht laut auf. «Ich weiss nicht, was daran lustig sein soll», sagt Mehmet gereizt.
«Du willst mir sagen, du kriegst keinen hoch wegen der Idioten, die für dich arbeiten? Ernsthaft?», sagt sie. Sie zieht ihren Bademantel enger und dreht sich zum Fenster. Immer diese Ausreden. Sie kann nicht mehr. Sie will nicht mehr. Den Mist kann sie sich auch in schlabbrigen Pyjamahosen anhören.
Serie «Bis dass der Präsident uns scheidet»
Noch 2008 war die Türkei voller Leichtigkeit. Unter Recep Tayyip Erdoğan und seiner AKP brummte die Wirtschaft, und sein moderater, politisch geschickter Kurs schien die Zeit der Militärherrschaft für immer beendet zu haben. Zehn Jahre später ist von Leichtigkeit keine Rede mehr. Wie sich das für die Menschen anfühlt, lesen Sie in dieser Familien-Soap.
Episode III
Die Leiche
Sie lesen: Episode IV
So Gott will
Episode V
Bonnie und Clyde
Ihr Sohn Atakan reisst sie aus den Gedanken. Er steht unten auf der Strasse, vor einem Minivan. Was hat er da wieder an? Diese komischen Cargohosen? Und mit wem spricht er da? Sie beugt sich aus dem offenen Fenster. Jetzt erkennt sie ihn wieder, den Fahrer, den Mann mit dem weissen Bart. Besorgt winkt sie Mehmet zu sich.
«Untersteh dich!», brüllt Mehmet aus dem Fenster, als er sieht, wie Atakan in den Wagen steigen will. Er schnappt seine Dienstmarke und rennt in den Boxershorts aus dem Haus.
Der Mann mit dem weissen Bart steigt aus dem Wagen, sobald er Mehmet sieht. «Friede sei mit dir, mein Bruder», grüsst er ihn. Er wirkt entspannt. Mehmet mustert ihn nervös. Er kennt diese Typen, er weiss, wofür sie stehen und dass mit ihnen nicht zu spassen ist. «Friede sei auch mit dir, Bruder», murmelt er.
«Haben wir ein Problem?», fragt der Mann. Zwei Männer mit muskulösen Oberarmen flankieren ihn.
«Kein Problem. Überhaupt kein Problem. Mein Sohn soll um die Zeit nur zu Hause sein», antwortet Mehmet. Er schwitzt.
«Beruhige dich, mein Bruder. Wir wollten nur zur Moschee und den Koran lesen. Es ist ja schliesslich das Ende des Ramadans», sagt er. «Kommst du mit?» Dann macht er eine Pause und grinst. «Oder bist du etwa kein Muslim?»
Mehmet spürt die Schweissperlen auf seiner Stirn. Ruhig bleiben, Mehmet, nicht provozieren lassen, sagt er sich. «Natürlich bin ich Muslim, und ich danke Gott jeden Tag dafür», sagt er.
Er nähert sich langsam seinem Sohn und legt ihm einen Arm um die Schultern, den anderen um Burak, Atakans besten Freund. Diese zwei Hohlköpfe, nichts als Scheisse im Hirn. «Die Jungs sollten ins Bett. Mögen alle eure Gebete erhört werden», sagt Mehmet kurz. Er schnappt sich die Burschen und drängt sie zur Haustür.
Im Stiegenhaus packt Mehmet seinen Sohn am T-Shirt und knallt ihn gegen die Wand. «Wenn ich dich noch einmal mit einem von denen erwische, breche ich dir den Hals! Hast du mich verstanden, Freundchen?»
Atakan traut sich nicht zu antworten.
Am nächsten Tag wacht Atakan unter Schmerzen auf. Gestern Nacht hat sein Vater seinen Standpunkt sehr klar gemacht. Wie immer, wenn er ausrastet. «Ungläubiges Schwein», brummt Atakan, während er die blauen Flecken an seinem Körper inspiziert. Du wirst schon sehen, wart nur ab, du versoffener Saubulle.
Als Atakan versucht, die Wohnung zu verlassen, bemerkt er, dass sie von aussen zugesperrt ist. Er rüttelt an der Tür. Er stürmt in sein Zimmer und dreht den Computer auf. Er muss runterkommen. Er hat die Schnauze so voll von seinen Eltern. Aisha wird ihn schon beruhigen. Sie weiss immer das Richtige zu sagen. Seit Wochen chattet er mit ihr. Süss ist Aisha. Das vermutet er zumindest. Viel hat er von ihr bisher nicht gesehen, nur ihre braunen Augen, den Rest hat sie unter diesem schwarzen Zelt versteckt. Aisha reagiert nicht auf seine Nachricht. Nervös schreibt Atakan seinem Freund Burak eine SMS. Der chattet mit Aishas Schwester. Vielleicht weiss er mehr. «Mach dir keine Sorgen. Wir werden unsere Frauen schon bald sehen. So richtig, ganz persönlich unter der schwarzen Flagge», schreibt Burak zurück.
Atakan ist beruhigt. Das Telefon klingelt. Seine Mutter ist dran, sie ruft ihn aus der Apotheke an. «Gehts dir gut, mein Schatz?», fragt sie. Atakan antwortet nicht. «Es tut mir leid wegen deines Vaters. Er hat gerade extrem viel Stress mit den Idioten auf der Arbeit, mit denen er sich dauernd herumschlagen muss. Du weisst ja, wie die sind.»
«Ist schon gut», nuschelt Atakan und legt auf.
Bedrückt hält Zeynep den Hörer an ihre Brust. Ach, mein Junge, wir wollen doch nur dein Bestes, versteh doch, denkt sie. Hoffentlich haben wir es mit Elif leichter. Sie sieht hinüber zu ihrer Tochter, die über ihr Smartphone gebeugt ist.
Elif liest ihre Tweets, dazwischen sieht sie Meryem beim Schichten der Sonnencremetuben zu. Meryem ist die neue Assistentin ihrer Mutter. Sie ist Barans Ersatz. Eigentlich ist Elif ja böse auf ihre Mutter, weil Baran nun weg ist, aber Meryem wirkt nett. Sie lächelt Elif dauernd zu. Es ist ihr erster Tag in der Apotheke.
Es überrascht Elif, dass ihre Mutter eine Frau mit Kopftuch angeheuert hat. Sie weiss ja, wie unheimlich ihr «die Schleiereulen» sind. Du musst lernen, wie eine Geschäftsfrau zu denken, Elif, hat ihre Mutter gesagt. Wenn sie eine Schleiereule im Geschäft hat, hat sie leichteres Spiel mit den anderen Schleiereulen. Seit Wochen bleiben sie aus, weil sie in der Apotheke ein paar Strassen weiter ihre Medikamente holen, und das nur, weil dort eine Eule mit Kopftuch hinter der Theke steht.
Reines Kalkül also. Meryem und ihre Mutter scheinen sich gut zu verstehen. Es ist später Nachmittag. Zum fünften Mal dreht ein Wagen von Erdogans Kampagnenteam seine Runde. Er fährt direkt an der Apotheke vorbei. Aus den Lautsprechern heulen siegversprechende Lieder.
«Wie sehr muss man sich selbst hassen, um diesen Typen zu wählen», knurrt Zeynep. Meryem schaut irritiert von den Sonnencremes hoch. «Früher habe ich ihn auch gewählt», sagt sie. «Ich verstehe die Leute, die ihm seine Stimme geben.»
Zeynep sieht sie fragend an. «Weisst du, meine Mutter wollte auch Apothekerin werden. Sie durfte aber nicht. Und warum? Weil sie sich geweigert hat, ohne ihren Hidschab auf die Uni zu gehen. Warum sollte sie auch! Warum sollte sie sich in ihrem eigenen Land demütigen lassen, kannst du mir das sagen?»
Zeynep verdreht die Augen. «Das ist doch längst gegessen. Ihr dürft doch eh alles. Ihr könnt studieren, und sie lassen euch sogar im Fernsehen auftreten.»
«Wer garantiert uns, dass es gegessen ist?», fragt Meryem. Sie versucht, sich zu beruhigen. «Erdogan tut das. Und überhaupt, wer hat das Land aus den Klauen des Militärs befreit? Und wer hat sich um uns, die einfachen Leute, gekümmert?»
Zeynep lacht sie aus. «So nennt man das heute also. ‹Sich um die armen Leute kümmern›, wenn man seine Spezis mit öffentlichem Grund versorgt und sich selbst einen Palast bauen lässt, der grösser ist als Versailles. Vielen Dank für die Aufklärung, Meryem.»
Meryem atmet tief durch. Zeynep lässt nicht locker. «Und was ist mit den Lkw voller Waffen, die nach Syrien gehen sollten, was ist mit denen? Hat er das alles auch für die einfachen Leute gemacht?»
Zeynep ist richtig in Fahrt gekommen. Meryem zittert. «Ich hab dir schon gesagt, dass ich ihn nicht wählen werde», sagt sie leise. «Ich wollte dir nur klarmachen, dass sich Leute wie ich zum ersten Mal frei fühlen in unserem Land. Und dass Leute wie ich einfach nur Angst haben, dass der nächste Präsident das Kopftuch wieder verbietet. Mehr nicht.»
Sie dreht sich von Zeynep weg, richtet ihr Tuch und widmet sich wieder den Sonnencremes. Aus dem Augenwinkel kann Elif sehen, wie Meryems Lippen beben. Die Diskussion hat sie mitgenommen. Elif ist beeindruckt. Wie selbstbewusst Meryem ihrer Mutter Paroli geboten hat. Und das an ihrem ersten Tag in der Arbeit. Wahnsinn.
Elif seufzt. Sie kennt ihre Mutter. Geschäftsfrau hin oder her. Elif weiss: Das war Meryems erster Arbeitstag in der Apotheke. Und sicherlich auch ihr letzter.