«Ich weite die Grauzone nicht aus, ich schaffe Klarheit»
Darf man Terroristen interviewen? Ja, wenn es der Aufklärung dient, sagt Bundesanwalt Michael Lauber. Im Interview erklärt er, warum er den Vorwurf des Gesinnungsstrafrechts von sich weist, weshalb er auch künftig in rechtliche Grauzonen vorstossen will. Und er verrät, warum er manchmal nicht mehr recht weiss, was er tun soll.
Von Carlos Hanimann und Christof Moser, 20.06.2018
Gleich zwei Schlappen am Bundesstrafgericht in Bellinzona: Die Tamil Tigers in der Schweiz sind keine kriminelle Organisation, und die zwei prominenten Islamisten Qaasim Illi und Nicolas Blancho wurden vom Vorwurf der Terrorpropaganda freigesprochen. Sie hatten eine verdammt schlechte Woche, Herr Lauber.
Ich hatte eine spannende Woche. Wir wollten klären, was als verbotene Propaganda gilt. Der Filmemacher des IZRS, der dritte Beschuldigte, den Sie nicht erwähnen, wurde deswegen verurteilt. Wir haben also eine Antwort darauf erhalten.
Und die Tamil Tigers?
Da müssen wir noch im Detail prüfen, was das Urteil bedeutet. Für uns gilt der Anklagegrundsatz in dubio pro duriore: im Zweifel für die Anklage. Wir hatten es mit einem sehr komplizierten Verfahren mit internationalen Verflechtungen zu tun. Viele involvierte Länder sehen die Tamil Tigers als kriminelle oder terroristische Vereinigung an. Die Schweiz offenbar nun nicht. Auch hier wurde damit eine grundsätzliche Frage erstinstanzlich geklärt.
Letzte Woche hat das Bundesstrafgericht in Bellinzona zwei aufsehenerregende Urteile gefällt. Im Fall der Schweizer Tamil Tigers sprach das Gericht am Donnerstag die dreizehn Beschuldigten vom Vorwurf frei, einer kriminellen Organisation anzugehören. Der Fall war der grösste, der je am Bundesstrafgericht verhandelt wurde.
Am Freitag verurteilte das Gericht in Bellinzona Naim Cherni, Filmemacher und Mitglied des Islamischen Zentralrats der Schweiz (IZRS), wegen Terrorpropaganda. Er hatte einen al-Qaida zugerechneten Islamisten interviewt und das Video auf verschiedenen Kanälen publiziert. Zwei weitere Vorstandsmitglieder des IZRS, Qaasim Illi und Nicolas Blancho, wurden wegen Fehlern in der Anklageschrift freigesprochen. Der Fall war medial rege diskutiert worden, weil es auch um die Frage der Medien- und Meinungsäusserungsfreiheit ging.
Der Fall der Tamil Tigers dauerte zehn Jahre, kostete vier Millionen Franken – und am Ende stellt sich heraus: Ist doch keine kriminelle Organisation. Das Gericht ging sogar so weit, die Tamil Tigers eher als Befreiungsbewegung zu werten. Ihre Anklage war ein Eigentor.
Sie können mich schon provozieren, aber ich werde nicht darauf einsteigen. Ich mache keine öffentliche Institutionenkritik. Wir werden zuerst ganz genau lesen, was in der schriftlichen Urteilsbegründung steht. Was ich jetzt bereits sagen kann: Wenn wir in einem Kriegsgebiet Ermittlungen vor Ort führen müssen, um so eine Untersuchung zum Ziel zu bringen, dann stellt sich die Frage, ob Artikel 260ter, also die Beteiligung an oder die Unterstützung einer kriminellen Organisation, überhaupt noch praktikabel ist.
Sie stossen an die Grenzen dessen, was Sie als Behörde überhaupt leisten können?
Wenn wir die schriftliche Begründung haben, dann werden wir uns überlegen, was das für uns bedeutet. Den Strafartikel 260ter, der die kriminelle Organisation beschreibt, wollen wir schon lange revidieren. Das ist nun ein Teil des Terrorismuspaketes, das derzeit beim Bundesrat liegt. Hier brauchen wir Klärung.
Laut Gericht hätte die Bundesanwaltschaft zusätzliche Prüfungen und Kontrollen bei der involvierten Bank machen müssen, der Credit-Suisse-Tochter Bank Now. Sassen die Falschen auf der Anklagebank?
Nein, das denke ich nicht. Die Bank Now war natürlich ein Dauerthema, auch bei uns. Wir fokussierten aber auf die Frage, ob die Tamil Tigers eine kriminelle Organisation sind: Wie waren die Finanzflüsse? Wozu diente das Geld? Und dann versuchten wir zu zeigen, dass das eine kriminelle Organisation ist. Wir müssen jetzt die schriftliche Urteilsbegründung abwarten. Im Moment gibt es für uns widersprüchliche Informationen und Ungereimtheiten.
Warum gingen Sie nicht gegen die Bank vor?
Das Verfahren ist fast zehn Jahre alt. Ich habe es zu grossen Teilen geerbt. Wir haben versucht, es so zu Ende zu führen, wie es uns als richtig erschien.
Tatsache ist doch, Herr Lauber: Sie wollten den Tamil-Tigers-Prozess um jeden Preis vor Gericht bringen, obwohl das Ihre Vorgänger nicht wollten. Auch im Fall des Islamischen Zentralrats weiteten Sie die Anklage aus – weg vom Filmer Naim Cherni hin zu den Vorstandsmitgliedern Qaasim Illi und Nicolas Blancho. Sie treffen offenbar die falschen Entscheidungen.
Im Strafverfahren gegen die IZRS-Mitglieder haben wir gemeinsam entschieden, auf das unmittelbare Umfeld auszudehnen. Ich nehme zur Kenntnis, dass uns das Gericht nicht vollumfänglich gefolgt ist. Aber wichtig ist für mich, dass ich jetzt Klarheit habe in Bezug auf die Propaganda. Sie müssen sehen: In all diesen Verfahren im Terrorbereich leisten wir Pionierarbeit. Wir wissen nie, wie der Fall ausgeht. Das wusste ich auch hier nicht. Ich habe übrigens auch nie gesagt: Ich will eine Verurteilung. Ich sagte: Ich will wissen, was das Gesetz hält und was nicht.
In beiden Fällen sagte das Gericht, die Anklage sei unpräzis. Sie arbeiten nicht sauber.
Das Gericht hat seine Sicht der Dinge, und wir haben unsere. Ich werde das Gericht nicht öffentlich kritisieren. Das wäre das Ende. Sie werden von mir nichts hören in diese Richtung. Nur so viel: Die Frage, was eine Anklageschrift beinhalten muss, ist ein Dauerthema zwischen uns und dem Gericht.
Den Prozess gegen den IZRS führte Ihre Star-Staatsanwältin Juliette Noto, trotzdem war die Anklage nicht gut genug. Fehlen Ihnen die guten Anklägerinnen?
Ich stehe hinter all meinen Mitarbeitenden, gerade auch hinter Frau Noto und ihrem Team, zu hundert Prozent. Und wenn es Fehler gab, dann nehme ich das auf mich, das ist meine Verantwortung.
Das Gericht rügte, dass das Anklageprinzip verletzt wurde. Bei den IZRS-Anführern Illi und Blancho haben Sie die entscheidenden Vorwürfe gar nicht in der Anklage aufgeführt. Das ist doch ein Anfängerfehler.
Gegenfrage: Könnte man die Anklageschrift nicht einfach zurückweisen zur Verbesserung?
Sie schieben die Verantwortung ab. Anklage erheben Sie, nicht das Gericht.
Nein, ich schiebe nichts ab. Es geschieht häufig, dass man die Anklageschrift wegen Unzulänglichkeiten zurückweist. Dieses Mal nicht. Hier kam erst bei der Urteilsverkündung der Hinweis, dass die Anklageschrift ungenügend gewesen sei. Ich werde aber jetzt einen Teufel tun, mich dazu zu äussern.
Offenbar waren die Fehler sehr gravierend.
Wenn es tatsächlich Fehler gewesen sind, die wir hätten vermeiden können, werden wir dafür sorgen, dass das nicht mehr passiert. Aber jetzt warten wir erst einmal die Urteilsbegründung ab.
Setzen Sie die richtigen Prioritäten?
Das ist eine strategische Frage.
Wählen Sie die richtige Strategie?
Ich habe keinen grossen Spielraum. Wenn ich Anzeigen oder Amtsberichte vom Nachrichtendienst erhalte, dann muss ich alles anschauen. Die Frage ist: Wie schnell geht man worauf? Es gibt einen kritischen Diskurs in der Öffentlichkeit. Das ist ein zentrales Merkmal unseres Rechtsstaates. Das finde ich gut. Ich wehre mich bloss dagegen, wenn Einzelfälle den Blick aufs Ganze verstellen.
Dann reden wir über das Ganze. Gemäss der Botschaft zum IS-Gesetz haben Sie von 2015 bis im Sommer 2017 75 Verfahren nach IS-Gesetz eingeleitet. 28 sind hängig, 13 sistiert, 2 im Stadium der Vorermittlungen, nur die Hälfte ist abgeschlossen, es gab lediglich 3 Verurteilungen. Sie sind nicht sehr erfolgreich.
Die Zahlen sind nicht aktuell. Bei der Bundesanwaltschaft sind zurzeit rund 60 Strafverfahren im Bereich des dschihadistisch motivierten Terrorismus hängig. Wir haben bereits sechs Urteile erwirkt in diesem Bereich, davon sind zwei noch nicht rechtskräftig. Sie vergessen zudem die Strafbefehle, die wir ausgestellt haben. Das sind insgesamt neun.
Gut, selbst wenn Sie 15 Verurteilungen in diesen Verfahren erreicht haben. Die Bilanz ist dürftig.
Ich finde diese Bilanz gut. Nehmen wir zum Beispiel das Strafverfahren gegen die vier Iraker …
… die sogenannte Schaffhauser IS-Zelle …
Das war das erste Mal, dass wir ein Joint-Investigation-Team mit den USA eingesetzt haben. Das klappte alles innert drei Wochen. So etwas hatte es nie zuvor gegeben. Das war extrem schnell. Das Verfahren haben wir 2015 eröffnet. Letztes Jahr hatten wir schon eine Verurteilung.
Schnelle Prozesse – das nennen Sie Erfolg?
Je nachdem: ja. Das IS-Gesetz birgt viele offene Fragen. Deshalb ist es wichtig, dass wir schnell vorwärtskommen, um Klarheit zu erhalten. Wir haben viele Verfahren wegen Terrorpropaganda oder Dschihad-Reisen: Da muss ich doch wissen, was gilt und was nicht, um die Leute richtig einzusetzen. Sonst führe ich breit Verfahren für nichts.
In einem NZZ-Porträt hiess es, Sie wollten «beauty cases» vermeiden. Unter Ihren Vorgängern waren das die Themen Mafia und organisierte Kriminalität. War der Fall gegen den IZRS nicht ein klassischer «beauty case»?
Ach wissen Sie, ich weiss schon gar nicht mehr, was mir alles zugeschrieben wird. Mal heisst es, ich sei forsch, dann wieder, ich sei zurückhaltend.
«Mann der schönen Worte» ist ein weiteres Attribut.
Ja, und ein Kommunikator, ein Manipulator und so weiter.
Sie sind von der Politik abhängig. Sie machen «beauty cases», um der Politik zu gefallen.
Heute sagen Sie, ich wolle der Politik gefallen. Früher, als die Bundesanwaltschaft beim Justizdepartement angesiedelt war, hiess es, man wolle dem Departementschef gefallen. Tatsache ist: Ich bin völlig unabhängig. Ich habe noch nie eine ungebührliche Einmischung erlebt – weder vom Parlament noch vom Bundesrat. Aber wenn Sie sagen: «beauty case», dann stimmt das insofern, als ich Prioritäten bei der Auswahl der Verfahren setze: Ich will offene Rechtsfragen klären. Es ist das erste Mal, dass wir in der Schweiz so breit über Terrorismus diskutieren.
Sie gehen mit harter Hand gegen Islamisten vor, weil es politisch opportun ist.
Das IS-Gesetz gibt einen klaren Auftrag. Es ist Bundeskompetenz. Die Strafen in diesem Bereich wurden 2015 erhöht. Das Gesetz ist sehr offen formuliert – es ist daher unsere Pflicht, diese Fälle genau zu prüfen und Urteile zu erwirken.
Sie weiten in Ihren Augen also nicht den Rahmen der Strafbarkeit aus, sondern erhärten das Recht?
Ich konkretisiere. Ich wende an.
Der IZRS inszenierte sich in Bellinzona als Opfer einer islamophoben Justiz und konnte so Propaganda für sich machen.
Diese Frage haben wir uns oft gestellt: Bieten wir ihnen eine Plattform?
Und?
Jedes Gerichtsverfahren bietet eine Plattform. Aber ich habe mich nie in Bellinzona gezeigt, ich habe mich nie zum Fall geäussert. Wir versuchten, juristisch zu bleiben. Unsere Aufgabe ist es, offene Rechtsfragen zu klären, im Fall der IZRS-Mitglieder: Haben sie Terrorpropaganda betrieben? Wer klärt denn diese Fragen, wenn nicht wir? Man kann die Sache auch andersrum sehen: Es ist für den Rechtsstaat gut, wenn anhand eines konkreten Falles grundsätzliche Fragen diskutiert werden.
Die grundsätzliche Frage, die diesem Prozess zugrunde lag, war die Ausweitung der rechtlichen Grauzone: Ein Filmer interviewte einen al-Kaida-nahen Islamisten. Sie klagten ihn an. Ist Journalismus ein Verbrechen?
Niemals.
Selbst die NZZ fragte besorgt: «Ist es verboten, Terroristen zu interviewen?»
Für mich war nicht die Frage, ob wir in die Medienfreiheit eingreifen. Wir wollten klären, ob das Propaganda im Sinne des IS-Gesetzes war – und zwar im Kontext, wie das Video erstellt und verbreitet wurde und wer damit erreicht werden sollte.
Dann sind Sie aus Versehen in eine Diskussion um Medienfreiheit geraten?
Ich habe das Thema nie lanciert. Ich habe nie etwas in diese Richtung gesagt.
Es musste Ihnen doch klar sein, dass diese Frage aufkommt.
Ja, aber es war nicht die Frage, die uns interessierte.
Wenn jemand ein Interview mit einem Terroristen führt und islamistische Inhalte liket und teilt, dann ist das Propaganda?
Wenn der Kontext gleich ist wie im vorliegenden Fall, dann wäre das Propaganda. Der Kontext ist entscheidend. Das hat das Gericht entschieden. Dann würden wir das auch wieder zur Anklage bringen.
Dann landen wir doch geradewegs beim Gesinnungsstrafrecht: Eine Alltagshandlung wird strafbar durch eine unterstellte Ideologie.
Es gibt eben kein Gesinnungsstrafrecht in der Schweiz.
Sie sind aber drauf und dran, es einzuführen: Sie dringen in einen Bereich vor, wo letztlich das Gedankengut über Strafe oder Freiheit entscheidet.
Wir mussten herausfinden, ob dieses Video in diesem Kontext vom Gesetz erfasst wird. Waren Sie bei der Urteilsverkündung?
Ja.
Bei der Urteilsverkündung sagte das Gericht, der Beschuldigte habe ja nichts gegen die Schweiz beabsichtigt. Auch diese Frage ist für uns entscheidend, da wir uns in einem Grenzbereich befinden. Jetzt warten wir die Urteilsbegründung ab.
Das IS-Gesetz stellt alles, was sich in die Nähe von Terroristen wagt, unter Verdacht.
Ich habe das Gesetz nicht erfunden.
Aber Sie wenden es an.
Wie sieht die allgemeine Tendenz aus bei der Gesetzgebung? Man hat offenbar immer weniger Vertrauen in das freie richterliche Ermessen und die Institutionen. In diesem Bereich aber gewährt man dem Gericht noch Vertrauen.
Herr Lauber, das ist doch beschönigend. Das IS-Gesetz wurde nach den Terroranschlägen vom 11. September in New York als Notverordnung erlassen, in aller Eile zusammengeschustert und seither laufend verlängert. Das ist doch kein austariertes Gesetz.
Es gibt auch andere Gesetze, die nicht Ergebnis eines langen Gesetzgebungsprozesses sind.
Jetzt machen Sie «Whataboutism»: Nur weil es andere schlechte Gesetze gibt, wird das IS-Gesetz nicht besser.
Ich ordne bloss ein. Generalklauseln gibt es häufig. Das Zivilgesetzbuch setzt auf Treu und Glauben. Mehr Generalklausel gibt es nicht.
Das finden Sie gut?
Ja. Sonst landen wir beim preussischen Landrecht, wo jeder Lebenssachverhalt mit einem Tatbestand untermauert wird. Wir reden hier über den Grundsatz: Vertrauen wir den Institutionen oder nicht? Gewaltenteilung ist ein Grundprinzip unseres Rechtstaates.
Sie gehen mit Ihren Anklagen häufig bis an die Grenzen des Rechts oder darüber hinaus, um dann zu klären, ob etwas rechtens ist. Sie weiten die rechtliche Grauzone aus.
Ich weite sie nicht aus, ich bringe Klarheit ins Grau: Was ist in der Schweiz erlaubt und was nicht? Das zu klären, ist die Aufgabe der Bundesanwaltschaft.
Darf man künftig noch Terroristen interviewen?
Wenn Sie das Interview im Sinne Ihrer Aufgabe zur Aufklärung führen, sehe ich überhaupt kein Problem. Ob es verbotene Propaganda ist, entscheidet der Kontext.
Es ist doch anmassend, dass die Bundesanwaltschaft Interviews bewertet. Dafür gibt es den Presserat.
Mir geht es nicht um die Medien. Sondern um die Frage der Propaganda und der Wirkung von Propaganda. Wir sahen das Video des IZRS als Propaganda. Das Gericht musste entscheiden, ob das stimmt. Das mag möglicherweise Ihre Arbeit als Journalisten beeinflussen, aber es ist unsere Aufgabe. Das IS-Gesetz ist eigentlich ein Gefährdungsgesetz. Es ist eine Frage des Rechtsstaats, wie weit man dabei gehen will.
Das Recht bewegt sich zunehmend in den präventiven Bereich. Begrüssen Sie diese Entwicklung?
Sie ist eine Tatsache. Die Frage ist, wie weit man in der Schweiz gehen will. Solange es hier keine Anschläge gibt, kommen wir mit dem durch, was wir heute haben. Die Erfahrung zeigt aber: Wenn es einen Anschlag gibt, ist die Welt eine andere.
Dann kapituliert der Rechtsstaat.
Schauen Sie nach Frankreich oder in die USA. Nach dem 11. September wollte man so nahe wie möglich an die Individuen ran. Das Ergebnis davon hat Edward Snowden enthüllt. Hätte es in Europa keine Anschläge gegeben, hätten wir wohl kein neues Nachrichtendienstgesetz. Aber ich kann Ihnen sagen: Für mich geht Freiheit vor Sicherheit.
Sie sagen, Sie würden aufklären. Tatsächlich aber loten Sie Grenzen aus und beschleunigen die Entwicklung hin zu einem Präventivstrafrecht.
Den Vorwurf des Auslotens nehme ich an. Rechtsfortbildung ist ein grosser Teil unserer Aufgabe als Bundesanwaltschaft. Wir müssen Fragen stellen, die wehtun.
Sind Sie überzeugt, dass Sie auf dem richtigen Weg sind?
Ich bin überzeugt, weil wir eine sehr intensive Diskussion über diese Fragen führen müssen. Das ist wichtig in einem Rechtsstaat.
Müssen wir uns bei einem Anschlag vor einem Bundesanwalt Lauber fürchten, weil er alles knallhart durchziehen würde? Oder gibt es für Sie rote Linien?
Nein. Ich habe viele rote Linien. Sie stehen im Gesetz.
Wenn die Gesetze im Namen der Terrorbekämpfung geändert werden, verschieben sich diese Linien.
Ich bin nicht Gesetzgeber. Der Bundesanwalt ist weniger mächtig, als viele meinen. Die Gerichte haben auch ein Wort mitzureden. Der Rechtsstaat gerät immer wieder unter Druck. Aber wirklich gefährlich finde ich es dann, wenn man den Rechtsstaat nicht mehr lebt, wenn man die Grundsatzfragen nicht mehr diskutiert. Vielleicht sagt man in zehn Jahren: Hier haben wir übertrieben. Aber ich muss hier und jetzt entscheiden.
Michael Lauber, 52, ist seit 2012 Bundesanwalt. Zuvor war er im Fürstentum Liechtenstein Leiter der Meldestelle für Geldwäscherei, Leiter des Liechtensteinischen Bankenverbandes und Präsident der Finanzmarktaufsicht im Fürstentum. Seine Amtszeit läuft bis 2019. Dann muss er sich der Wiederwahl stellen.