Ist die Bank die wahre Täterin?
Der Tamil-Tigers-Prozess dreht sich um fast alles, nur nicht um die Bank, die alles möglich machte. Warum jetzt eine Anzeige zwei Banken gefährlich werden könnte. Und wie Finanzminister Ueli Maurer versuchte, die Banken zu schützen.
Von Carlos Hanimann, 14.01.2018
Seit einer Woche stehen in Bellinzona zwölf Schweizer Tamilen und ein Bankangestellter vor Gericht. Der Vorwurf: Sie hätten mit Barkrediten aus der Schweiz über Jahre hinweg die Tamil Tigers finanziert, eine Guerillaorganisation auf Sri Lanka.
Aber stehen überhaupt die Richtigen vor Gericht?
Acht Wochen sind für die Verhandlung geplant. Die Anklageschrift ist fast 400 Seiten lang, die Untersuchungsakten umfassen 320 Bundesordner, druckte man die digitalisierten Akten aus, ergäbe sich ein über 3000 Kilometer hoher Papierturm – ein «Monsterprozess», schrieben die Zeitungen. Es ist das grösste Strafverfahren, das je am Bundesstrafgericht in Bellinzona geführt wurde. Es geht darin um Terrorismus, um die Finanzierung einer kriminellen Organisation, um einen bewaffneten Konflikt in einem fernen Land. Es geht um Geldwäscherei, Falschbeurkundungen und komplizierte Firmen- und Vereinsstrukturen.
Worum es aber auf keinen Fall gehen soll: um die Rolle der Bank, die alles möglich machte.
Und das stinkt den Verteidigern in Bellinzona. Ende Jahr haben sie eine Anzeige bei der Bankenaufsicht Finma eingereicht. Sie liegt der Republik vor. Die Anwälte beschuldigen die Bank Now, bei der Kreditvergabe «systematisch» weggeschaut zu haben und damit gegen das Bankengesetz verstossen zu haben.
Ihr Vorwurf: Im «Monsterprozess» zielt die Bundesanwaltschaft nicht auf das Monster. Sondern hat das Monster zum Komplizen gemacht.
Ähnliche Vorwürfe macht die Caritas. Eine Anwältin fand in monatelangen Recherchen heraus, dass zwei Banken nur ungenügend prüften, ob und an wen sie Kredite vergaben. Auch die Caritas hat eine Anzeige bei der Finma eingereicht.
Die Geschichte reicht aber noch tiefer. Fast unbemerkt von der Öffentlichkeit versuchte die Bankenlobby letzten Sommer, mit freundlicher Unterstützung von Finanzminister Ueli Maurer und der SVP, die Banken zu schützen.
Der Reihe nach.
Wer ist eigentlich Täter?
Für die Bundesanwaltschaft ist es ein Prestigeverfahren: Acht Jahre lang ermittelte sie, jetzt stehen zwölf Tamilen und ein Bankmitarbeiter vor Gericht. Die Vorwürfe: Erst hätten sich die Tamilen gefälschte Lohnausweise besorgt – um dann bei der Bank Now höhere Kredite zu beziehen als eigentlich erlaubt. Hilfe hätten sie dabei von einem Filialleiter der Bank Now erhalten. Er ist ebenfalls angeklagt. Insgesamt sollen die Männer rund 15 Millionen Franken an die Tamil Tigers auf Sri Lanka geschickt haben. Geld, mit dem dort womöglich Anschläge finanziert wurden.
Zurück an den Absender. Diese Forderung erhoben die Verteidiger in Bellinzona und reichten in der ersten Prozesswoche über hundert Vorfragen und zusätzliche Beweisanträge ein. Sie bemängeln, die Anklageschrift sei zu umfangreich. Es sei zu unklar, woher die Bundesanwaltschaft ihre Informationen bezogen habe. Die Angeklagten und selbst Expertinnen könnten nicht verstehen, was die Anklage beinhalte. Das Gericht entscheidet am Montag über den weiteren Verlauf.
Die Bank Now steht im Zentrum dieser Geschichte – und bleibt doch aussen vor. Auf der Anklagebank sitzt stattdessen ein Filialleiter. Ein Bauernopfer? Während die Bank neben der Bundesanwaltschaft als Geschädigte auftritt.
Die Rechtsanwälte Marcel Bosonnet, Gian-Andrea Danuser und Gregor Münch stellen nun mit ihrer Anzeige alles auf den Kopf: Sie machen die Bank Now zur Beschuldigten, den angeklagten Bankmitarbeiter zum Zeugen und sich zu Klägern.
Die Vorwürfe, die sie in der Anzeige an die Bankenaufsicht Finma formulieren, wiegen schwer: Jahrelang habe die Bank Now gesetzwidrig Barkredite vergeben. Die Credit-Suisse-Tochter habe ihre Sorgfaltspflichten «systematisch» missachtet, heisst es in der Anzeige: Die Anwälte haben insgesamt 214 Fälle zusammengetragen, bei denen die Bank nicht genau geprüft haben soll, wem sie hohe Kredite gewährte. Kurz: Die Bank Now habe ihre im Bankengesetz festgeschriebene Kernaufgabe nicht wahrgenommen, die «Gewähr einer einwandfreien Geschäftstätigkeit».
Es ist der härteste Vorwurf, den man einer Bank machen kann: dass sie ihr Geschäft nicht ordentlich betreibt. Und darauf kann die Höchststrafe stehen: der Entzug der Bankbewilligung.
Ob die Bankenaufsicht Finma so weit geht, wird sich zeigen. Die Finma äussert sich grundsätzlich nicht «zu einzelnen Instituten, möglichen Abklärungen oder Verfahren». Klar aber ist: Die Anzeige der Anwälte in Bellinzona ist nicht das einzige Ungemach, das den Banken aus der Kreditbranche droht.
Eine Anwältin hat eine heisse Spur
Lange vor dem Prozess in Bellinzona verfolgte eine Juristin aus Zürich eine ähnliche Spur. Rausan Noori sass mit Taschenrechner und Stift vor einem Stapel Bankunterlagen und versuchte zu verstehen, was da vor ihr lag. Sie rechnete und rechnete. Aber die Zahlen gingen nicht auf. Sie rechnete weiter, bis sie irgendwann den Fehlern auf die Spur kam. Und merkte, dass die Fehler ein System hatten. Das System war dasselbe, das später auch die Anwälte in Bellinzona entdeckten.
Dass im Geschäft mit Konsumkrediten nicht alles mit rechten Dingen zugeht – diesen Verdacht hegt Rausan Noori schon länger. Seit mehreren Jahren berät sie für die Caritas Schuldenberatungsstellen, davor arbeitete sie für die Bankenaufsicht Finma und die UBS. Noori lernte, die Unterlagen der Kreditfirmen mit Argwohn zu prüfen. Immer wieder beobachtete sie, dass zwei Banken Kredite an Leute vergaben, die nicht kreditwürdig waren.
Einzelfälle, wiegelten die Banken ab. Schliesslich funktioniere das Geschäft nur, wenn die Kredite auch zurückgezahlt würden.
Jedes Jahr werden in der Schweiz rund 3500 Millionen Franken an Barkrediten vergeben, und tatsächlich sind die Ausfallquoten relativ niedrig. Der Grund: Viele Kreditnehmer begleichen lieber ihre Bankschulden, als dass sie ihre Steuern und Krankenkassenbeiträge zahlen. Genaue Angaben gibt es hierfür allerdings nicht. Üblicherweise wird die Ausfallquote auf rund 1 Prozent beziffert. Bei Hochrisikokunden ist sie höher, dort schwankt sie zwischen 5 und 12 Prozent.*
Anbieter von Konsumkrediten werben damit, dass man ganz einfach an Barkredite kommt. Neues Motorrad? Kein Problem. Neue Handtasche? Sofort. Mit wenigen Klicks lässt sich auf ihren Websites ausrechnen, wie viel Geld einem zusteht. Der Kreditantrag ist binnen Minuten ausgefüllt. Häufig nehmen die Leute allerdings nicht Kredite auf, um sich ein Auto zu kaufen, sondern um einen finanziellen Engpass zu überwinden.
Auch wenn die Werbung vorgibt, dass es einfach sei, an Bargeld zu kommen – das Gesetz schreibt vor, dass eine Bank jeden Antrag sorgfältig prüfen muss. Dazu erstellt sie ein Budget, sie rechnet Einnahmen gegen Ausgaben. Was übrig bleibt, dient als Grundlage für die Höhe des Kredits. So soll verhindert werden, dass man in die Schuldenfalle gerät. So geht zumindest die Theorie.
Als Rausan Noori sich durch Kreditverträge wühlte und Budgets überprüfte, fiel ihr auf, dass bei den Ausgaben die immer gleichen Zahlen standen: Essenskosten 0, Transportkosten 100 Franken. Die Einnahmen unterschieden sich zwar von Kundin zu Kundin, nicht aber die Ausgaben. Dort fanden sich regelmässig zu tief angesetzte Beträge. Auch bei den Krankenkassenkosten und den Steuern fand sie zum Teil zu tief angesetzte Zahlen. So entstand unter dem Strich ein zu hoher Freibetrag, die Bank konnte höhere Kredite vergeben. Das hiess höhere Zinsen, also höhere Kosten für die Kunden und höhere Einnahmen für die Bank.
Für Caritas-Direktor Hugo Fasel hat das System: «Die Banken frisieren die Budgets, damit sie mehr Kredite vergeben können und so mehr verdienen.»
Die Caritas prüfte insgesamt 200 Verträge der zwei grössten Player im Markt, der Bank Now und der Cembra Money Bank. Fast alle waren fehlerhaft.
Die gleichen oder ähnliche Fehler fanden auch die Anwälte im Tamil-Tigers-Prozess: Sie bemängeln 214 Kreditanträge, alle gestellt bei der Bank Now.
Bei der Bankenaufsicht Finma landeten also zwei Anzeigen in derselben Sache: eine von der Caritas, eine von den Anwälten in Bellinzona. Insgesamt geht es um über 400 Fälle von Bank Now und Cembra, fast alle mit den gleichen Fehlern. Können das Einzelfälle sein? Oder steckt dahinter ein System, wie die Anwälte und die Caritas vermuten?
Die Bank Now bestätigt, dass sie mit der Finma in Kontakt stehe, will sich aber inhaltlich weder zur Anzeige noch zum Prozess in Bellinzona äussern. Die Cembra Money Bank weist in einer Stellungnahme zurück, dass sie systematisch gesetzwidrige Kredite vergeben habe.
Die Bankenlobby schlägt zurück
Das Konsumkreditgesetz regelt genau, wann und wie eine Bank Kredite vergeben darf. Für die Banken ist das Gesetz so gefährlich wie eine Pistole mit einer einzigen Kugel: Trifft sie, kann sie töten. Bei «geringfügigen» Verstössen verliert die Bank die Zinserträge eines Kredits. Bei «schwerwiegenden» Verstössen verliert die Bank die ganze Kreditsumme.
In den gesammelten Fällen ist weitgehend unbestritten, dass die Banken die Kreditfähigkeit nur mangelhaft prüften und gegen das Gesetz verstiessen. Offen ist, wie schwer die Fehler wiegen. Bislang gibt es kein Bundesgerichtsurteil, an dem man sich orientieren könnte. Das Berner Obergericht kam in einem ähnlich gelagerten Fall im Herbst 2016 zum Schluss, dass die ungenügende Kreditfähigkeitsprüfung «nicht mehr als geringfügig bezeichnet werden» könne. Wird dieses Urteil auch in Zukunft zum Massstab genommen, könnten die Banken wegen mangelhafter Kreditprüfungen viel Geld verlieren.
Den Banken sind die Sanktionen schon lange ein Dorn im Auge. Denn sie bergen ein riesiges Verlustrisiko. Das Urteil aus Bern und die gesammelten Fälle der Caritas haben den Unmut noch verschärft. Der Machtkampf zwischen Konsumentenschutz und Bankeninteressen hat sich zugespitzt. Er gipfelte letzten Sommer darin, dass die Bankenlobby mithilfe der SVP versuchte, ein winziges Wort in das Gesetz zu schummeln, das alles auf den Kopf gestellt hätte.
Das Wort lautete: «absichtlich».
Vielleicht ist es nur eine Fussnote in dieser Geschichte. Vielleicht aber zeigt sich in dieser Lobbyoffensive auch, wie weit die Branche geht, um für ihren Vorteil zu kämpfen – und auf welche Hilfe sie dabei zählen kann.
Der Machtkampf entbrannte als Nebengefecht rund um neue Finanzmarktregulierungen von Finanzminister Ueli Maurer, die eine Anpassung im Konsumkreditgesetz nötig machten.
Es war die passende Gelegenheit für die Bankenlobby, den lang gehegten Wunsch in die Tat umzusetzen, ein Wort einzufügen, das dem Gesetz die eine Patrone genommen hätte: In den Sanktionen sollte neu eine Absicht festgeschrieben werden. Die Banken würden nur noch die gesamte Kreditsumme verlieren, wenn sie «absichtlich» gegen das Gesetz verstiessen. Eine kleine, aber wesentliche Änderung, die die Beweislast umgekehrt hätte: Nicht die Banken hätten künftig beweisen müssen, dass sie die Kreditfähigkeit ordentlich geprüft haben, sondern der Schuldner, dass die Bank das absichtlich nicht tat.
Der Auftrag für die Gesetzesänderung kam vom Finanzdepartement, den Gesetzestext lieferte das Bundesamt für Justiz. In einem Begleitbericht zur Gesetzesänderung hiess es lapidar: «[Die Änderung] würde insbesondere für Kreditgeber, die beabsichtigen, in Übereinstimmung mit dem [Gesetz] zu handeln, eine wichtige Klarstellung bedeuten.» Was im Bericht nicht stand: Der Gesetzesentwurf wurde vorher mit zwei Vertretern der Kreditlobby diskutiert.
Es war eine Nacht-und-Nebel-Aktion mitten in den Sommerferien. Nur zwei Wochen hatten daraufhin interessierte Kreise Zeit für eine Stellungnahme. Die Antworten sind wegen des Kommissionsgeheimnisses unter Verschluss. Das Ergebnis aber ist grob bekannt: Konsumentenorganisationen und Schuldenberatungen standen kopf, das Bundesamt für Justiz hörte den Aufschrei, erkannte das Problem und entfernte das Wort wieder aus dem Gesetz. Doch die Sache war noch nicht vom Tisch. Die Banken erhielten Unterstützung von ganz oben: von Finanzminister Ueli Maurer.
Das Finanzdepartement des SVP-Bundesrats beharrte weiter auf der Gesetzesänderung. Seine Parteikollegen stellten in der Kommission und später im Rat einen Antrag, das Wort «absichtlich» wieder ins Gesetz zu schreiben, und stimmten geschlossen dafür. Ueli Maurer verteidigte als willfähriger Helfer der Banken die Gesetzesänderung im Parlament. Vergeblich. Der Antrag seines Parteikollegen Thomas Aeschi scheiterte im Nationalrat.
Epilog: Der Bundesanwalt als Komplize?
Acht Jahre ermittelte die Bundesanwaltschaft in diesem Verfahren, doch die Bank tastete sie bis zuletzt nicht an. Angeklagt ist stattdessen ein Bankangestellter, der angeblich ohne das Wissen der Direktion handelte. Er allein muss für die ungeprüften Barkredite geradestehen. Ob das stimmt? In den Gerichtsakten finden sich Aussagen, die daran zweifeln lassen, dass die Direktion der Bank Now von nichts gewusst hatte.
War die Bank Mitwisserin, Mittäterin? Die Bundesanwaltschaft ging dieser Frage nicht nach. Sie liess zu, dass die Bank zur Geschädigten wurde, zur Privatklägerin. Und machte sie damit zur Komplizin.
Es gibt eine Aktennotiz der Bank Now, sie wird in der Anzeige an die Finma zitiert. Darin steht, dass die Bank aus zwei Gründen zur Privatklägerin wurde. Erstens: weil ein Staatsanwalt des Bundes erwähnte, dass ihn das bei den Ermittlungen unterstützen würde. Zweitens: weil die Bank so Akteneinsicht erhalte.
Das sei ein wichtiger Vorteil, notierte die Bank weiter. So könne sie sich in einer künftigen Auseinandersetzung besser verteidigen – gegen die Bankenaufsicht Finma.
* In einer früheren Version des Artikels hiess es, der Ausfall betrage zwischen 170 und 420 Millionen Franken. Das ist falsch.
Zahlen und Fakten zu Bankkrediten
Vergangenes Jahr wurden in der Schweiz rund 110’000 neue Barkredite vergeben in der Gesamthöhe von 3500 Millionen Franken. Die durchschnittliche Kreditsumme lag bei rund 30’000 Franken, die durchschnittliche Laufzeit der Ratenzahlungen betrug knapp viereinhalb Jahre. Letztes Jahr waren insgesamt über 300’000 Kredite ausstehend – eine Gesamtsumme von rund 6300 Millionen Franken.
Die zwei grössten Player im Markt der Konsumkredite sind die Bank Now, eine Tochterfirma der Credit Suisse, und die Cembra Money Bank, die mit Ex-Miss-Schweiz und «Arena/Reporter»-Co-Moderatorin Christa Rigozzi wirbt.