Während der französische Präsident Emmanuel Macron vorwärtsdrängt, tritt die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel auf die Bremse. Olivier Cubillos/EPA/Keystone

Deutschland hintergeht Frankreich

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron läuft mit der «Neugründung Europas» auf. Denn seiner Schlüsselpartnerin Angela Merkel fehlt die Kraft zu einem Sprung nach vorn. Vielmehr irritiert Berlin mit kurzatmiger Interessenpolitik. Oder eröffnet die Iran-Krise doch noch eine Chance?

Von Joseph de Weck, 24.05.2018

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Europa rettete Bundeskanzlerin Angela Merkel. Nach dem Aus der «Jamaika»-Koalitionssondierungen zwischen Schwarz (CDU/CSU), Gelb (FDP) und Grün rief Merkel die SPD in die Pflicht: Unberechenbar sei die Welt geworden, Europa müsse sein Schicksal in die Hand nehmen, so die Kanzlerin. Der französische Präsident wolle die EU zum handlungsfähigen geopolitischen Akteur machen. Und Berlin müsse dazu Hand bieten.

So avancierte die Europäische Union zur Raison d’Être von Merkels neuer Grosser Koalition. Das erste Kapitel des Koalitionsvertrags gilt denn auch der Europapolitik. Darin beteuern CDU, CSU und SPD: Nur gemeinsam können wir Europäerinnen und Europäer unsere Werte und unser solidarisches Gesellschaftsmodell behaupten. Die wirtschaftlichen Krisen, den digitalen Umbruch, die Migrationskrisen, die Erderwärmung, die Flatterhaftigkeit des Bündnispartners USA, den Moskauer Revanchismus und Chinas Comeback: All das kann kein europäischer Nationalstaat im Alleingang bewältigen. Es geht nur im EU-Verbund.

Als am 14. März in Berlin die alte, neue Regierung loslegte, herrschte in Brüssel Aufbruchstimmung. In der Luft lag die Möglichkeit eines grossen Deals. Der Kontinent hatte sich im zurückliegenden Jahrzehnt zusehends gespalten. Nord und Süd standen sich feindselig gegenüber in der Eurokrise, Ost und West in der Flüchtlingskrise. Nun aber eröffnet sich Spielraum für Kompromisse, nun kann in mehreren Bereichen das europäische Miteinander gleichzeitig neu verhandelt werden – so dachte man. Befriedet und gestärkt würde die EU sich auf der Weltbühne behaupten. Und wenn Europa «liefere», dürfe man auch den Wahlen zum Europaparlament im Mai 2019 zuversichtlich entgegenblicken.

Musterschüler Macron

«Ein Europa, das beschützt»: So resümiert Emmanuel Macron seine Vision. Im Mittelpunkt der Reformpläne steht die Eurozone, denn Macron weiss: Jobs und Wohlstand kann er nur dann nachhaltig schaffen, wenn die Währungsunion wetterfest wird.

Als Berater und Wirtschaftsminister von Präsident François Hollande hatte er erlebt, wie Berlin jede Europadebatte abblockte. Die Euroländer müssten zunächst ihre «Hausaufgaben» machen, lautete damals das Mantra des deutschen Finanzministers Wolfgang Schäuble. Wenn heute der leicht streberhafte «Musterschüler» Macron den Arbeitsmarkt liberalisiert und Frankreichs Neuverschuldung unter die von den Euroverträgen vorgegebene Marke von 3 Prozent des Bruttoinlandprodukts drückt, dann auch deshalb, weil er Vertrauen schaffen und Berlin seine Kraft als Reformer beweisen will.

Wer leistet, darf fordern – und so spart ein selbstbewusster Macron jetzt auch nicht mit Vorschlägen. Chancenlose, wie eine gemeinsame Schuldenaufnahme der Eurostaaten mit Eurobonds, hat er gleich fallen lassen. Stattdessen skizzierte er zwei Grundideen: bewusst etwas vage, um Verhandlungsspielraum offenzulassen.

Erstens: 2013 entstand die EU-Bankenunion. In der Eurozone beaufsichtigt seither die Europäische Zentralbank (EZB) die grössten Banken. Deren Risiken tragen aber nach wie vor die einzelnen Eurostaaten. Gerät das Finanzsystem eines Landes in Schieflage, schlägt dies schnell auf dessen Staatsfinanzen durch. So geschehen in Irland: Allein im Krisenjahr 2007 verdoppelte sich die Staatsverschuldung.

Wirtschaftskrise – Bankenpleite – Staatsverschuldung: Diesen Teufelskreis möchte Paris durchbrechen, indem Finanzrisiken künftig von den Eurostaaten gemeinsam getragen würden. Darum soll ein europäischer Fonds die Bankeinlagen sichern. Zudem will Macron den Rettungsfonds ESM (Europäischer Stabilitätsmechanismus) zu einem EWF (Europäischer Währungsfonds) ausbauen, der unter anderem bei der Abwicklung bankrotter Banken hilft.

Zweitens: Wird ein Land mit eigener Währung von einer Wirtschaftskrise heimgesucht, kann die nationale Notenbank diese mit ihrer Geldpolitik abfedern. Den Euroländern jedoch fehlt diese Möglichkeit, denn die EZB setzt die Zinsen einheitlich für die gesamte Währungsunion. Also bleibt nur die Ausgabenpolitik als Instrument der Steuerung.

Darum sollen krisengeschüttelte Länder – unter der Voraussetzung, dass sie Reformen anpacken – Zugang zu einem Eurobudget bekommen. Damit könnten sie wichtige Investitionen finanzieren, um die Nachfrage zu stützen. Im besten Fall soll dieses Budget auch in guten Zeiten Transfers ermöglichen, um strukturschwachen Regionen zu helfen. Das Budget könnte durch einen Eurofinanzminister betreut werden, der einem Europarlament Rechenschaft ablegen würde.

Die EU-Kommission und der Internationale Währungsfonds (IWF) nahmen den Ball auf, sie legten ihrerseits Pläne vor. Auch Topökonomen beidseits des Rheins, von den Keynesianern bis zu den Ordoliberalen, setzten sich an einen Tisch und arbeiteten Kompromisslinien aus. Im Wesentlichen sind sich alle einig: Die Vollendung der Bankenunion und fiskalische Transfers wenigstens im Krisenfall sind unentbehrlich, um die Eurozone auf ein solides Fundament zu stellen.

Deutschland im Rückwärtsgang

Trotzdem tritt Berlin auf die Bremse. So hat am 17. April die CDU/CSU-Fraktion die Euroreform in einem Bericht ihrer Finanzfachleute erörtert und damit in Brüssel für Konsternation gesorgt: Das Papier lehnt restlos alle Macron-Vorschläge ab. Im Fahrwasser der Allianz nördlicher EU-Staaten, welche die Niederlande anführen, drohen die Deutschen, Macron eine Abfuhr zu erteilen. Bundeskanzlerin Merkel konnte zwar in letzter Sekunde eine verbindliche Resolution verhindern, aber ihr Verhandlungsspielraum ist minim. Die neue CDU-Generalsekretärin und starke Frau Annegret Kramp-Karrenbauer rudert nicht nur von Positionen zurück, die mit der SPD vereinbart wurden, sondern zeigt sich sogar noch härter als der einstige Hardliner Schäuble.

So will Kramp-Karrenbauer, die in Berlin als nächste Kanzlerin gehandelt wird, erst über Geld für die Eurozone reden, wenn geklärt ist, wie das durch den Brexit entstandene Loch im EU-Haushalt gestopft wird. Die Verhandlungen über dieses Budget für die Jahre 2021–2027 können allerdings Jahre dauern. In ihrem Vertrag hatten Christ- und Sozialdemokraten noch festgelegt, dass sie «spezifische Haushaltsmittel (...) für die Unterstützung von Strukturreformen in der Eurozone» befürworten, und zwar als «Ausgangspunkt für einen künftigen Investivhaushalt für die Eurozone».

Auch bei der Bankenunion legt Deutschland den Rückwärtsgang ein. 2017 erklärte Schäuble, Deutschland sei bereit, eine Einlagensicherung auf europäischer Ebene aufzubauen, unter der Bedingung, dass namentlich in Italien die gefährdeten Banken zuvor saniert würden. Brüssel und Paris gingen deshalb davon aus, die Verhandlungen würden sich darum drehen, wie bestehende Risiken abgebaut und neue abgewendet werden könnten. Und Spanien machte jüngst entsprechende Vorschläge.

Nun aber stellt Kramp-Karrenbauer infrage, ob eine Vollendung der Bankenunion überhaupt unterstützt werden soll. Deutsche Europapolitik stehe auch in der Pflicht, deutsche Interessen zu wahren, sagt die Christdemokratin. Und in der Tat läuft die deutsche Finanzwelt Sturm gegen die Pläne, angeführt von den Sparkassen. Die staatlichen deutschen Banken, die vergleichsweise dezentralisiert und ineffizient organisiert sind, fürchten mit dem Wegfall der deutschen Staatsgarantie zugunsten einer europäischen Garantie, einen Wettbewerbsvorteil gegenüber der europäischen Konkurrenz zu verlieren.

Skelettieren, auseinandernehmen, ablehnen

Auch gegenüber dem Vorhaben, den Rettungsfonds ESM zu einem eigentlichen Europäischen Währungsfonds weiterzuentwickeln, herrschen Vorbehalte in Berlin. Schäuble selbst hatte die Idee lanciert, die der Koalitionsvertrag aufgreift. Nun aber wollen die Euroskeptiker in der CDU/CSU, anders als die Brüsseler Kommission, diese Reform nicht via Verordnung, sondern durch eine Änderung der EU-Verträge umsetzen. Ein juristisches Detail? Nein, denn damit würde die Sache auf den Sankt-Nimmerleins-Tag hinausgeschoben. Denn die Parlamente aller 27 Mitgliedsländer der Europäischen Union müssten zustimmen – ein extrem langwieriges Unterfangen.

Selbst der sparsame schwäbische EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger aus den Reihen der CDU sagt: «Die Töne, die man aus der Unionsfraktion jetzt hört, sind nicht hinnehmbar. Die deutsche Politik kann nicht all seine (Macrons) Vorschläge skelettieren, auseinandernehmen und dann ablehnen.»

In Pariser und Brüsseler Amtsstuben fühlt man sich hintergangen. Deutschland stellte schon immer Bedingungen für weitere Integrationsschritte. Doch nun festigt sich der Eindruck, das seien blosse Vorwände gewesen. Ist die Bundesrepublik in Wahrheit gar nicht bereit, die Währungsunion zu vertiefen, selbst wenn Frankreich beherzt und zielstrebig seine «Hausaufgaben» erledigt?

«Lahme Ente» Merkel

Dass innerhalb der Eurozone unterschiedliche Auffassungen zur Finanz-, Geld- und Ordnungspolitik bestehen, ist nicht neu. Dass etliche in Merkels Partei dem Europrojekt schon immer kritisch bis ablehnend gegenüberstanden, ebenso wenig. Bundeskanzler Helmut Kohl musste seinerzeit den Euro «durchsetzen». Und 63 Mitglieder der CDU/CSU-Fraktion stimmten 2015 gegen das dritte «Rettungspaket» für Griechenland.

Was sich aber geändert hat: Die letzten Wahlen haben diese Gruppe gestärkt. Die nicht mehr so Grosse Koalition verfügt nur noch über eine Mehrheit von 44 Stimmen im Deutschen Bundestag. Zudem konkurriert die CDU/CSU mit der wiedererstarkten FDP und der rechtsnationalistischen AfD. Obendrein stehen in der Bundesrepublik regelmässig neue Landtagswahlen an. Im Oktober dürfte die CSU in Bayern ihre absolute Mehrheit verlieren.

Unwahrscheinlich ist, dass die SPD ihren Koalitionspartner CDU/CSU wieder auf Kurs bringen wird. Die konservative «Frankfurter Allgemeine Zeitung» titelte jüngst: «Scholz macht den Schäuble». Der sozialdemokratische Finanzminister sei in Sachen Bankenunion noch härter als sein christdemokratischer Vorgänger. Seit je denken deutsche Politiker und Medien vor allem an die Kosten des Euro und nicht an den weit grösseren Nutzen für ihr Land. Und das permanente Misstrauen gegenüber den Europartnern wächst. Rom lässt grüssen.

Merkel ist zwar im Amt – aber je länger, desto machtloser. Zwei Monate nach ihrer Wiederwahl ist sie eine «lame duck». In Berlin planen alle schon die Post-Merkel-Zukunft. So fürchten Brüssel und Paris, dass der grosse Wurf ausbleiben wird, wenn am EU-Gipfeltreffen im Juni der Fahrplan für die Euroreform beschlossen werden soll. Allenfalls gibt es ein embryonales Eurozonenbudget, das Investitionsausgaben von Krisenländern subventioniert, und einen EWF, der bei der Abwicklung maroder Finanzinstitute hilft und damit die Bankenunion ein bisschen stützt.

Für Präsident Macron dürfte es schwer werden, den Franzosen eine solche Reform als Erfolg zu verkaufen. Sein Scheitern würde die Europafreunde enttäuschen und die Kritiker bestärken. Vor allem würde die Eurozone damit nicht stabiler. Fragt man, wie in der nächsten Krise verfahren werden soll, verweist Berlin auf das Griechenland-Drehbuch. Ob sich in der Not die Italiener wie die Griechen unterordnen und Jahre der Austerität ohne Verwerfungen hinnehmen würden? In Rom regiert schon bald eine Koalition von EU-Kritikern.

Das Schweigen des Sozialdemokraten

Nicht nur beim Euro, auch bei anderen Integrationsvorhaben zeigt sich, dass das europäische Engagement der deutschen Regierung schnell an Grenzen stösst. Die SPD drängte im Koalitionsprogramm darauf, eine Steuer auf Internetkonzerne wie Google und Facebook zu verankern. Im September 2017 hatten Deutschland, Frankreich, Italien und Grossbritannien in einem gemeinsamen Papier eine solche Steuer verlangt.

Die EU-Kommission erarbeitete daraufhin für die Aprilsitzung der EU-Finanzminister einen konkreten Vorschlag. Und was tat nun Deutschland? Finanzminister Olaf Scholz enthielt sich eines Votums und überliess den Ministern aus Steuerparadiesen wie Irland, Malta und Zypern das Wort. Entscheide zum weiteren Vorgehen wurden vertagt. Der gut Deutsch sprechende französische Finanzminister Bruno Le Maire war fuchsteufelswild.

Man war sich eigentlich einig gewesen, bis zu den EU-Wahlen im nächsten Jahr die Steuer zu verabschieden. Sie hätte die Handlungsfähigkeit Europas belegt und ein Zeichen gesetzt: Brüssel tritt nicht nur für Marktfreiheit ein, sondern setzt der Wirtschaft auch einen Rahmen und engagiert sich für (Steuer-)Gerechtigkeit.

Doch Berlin bekam im letzten Moment kalte Füsse. Könnte diese Steuer, die vor allem Giganten aus dem Silicon Valley treffen würde, Donald Trump provozieren? Und würden nicht auch deutsche Konzerne besteuert, die Internetdienstleistungen anbieten?

Fertig mit der Drohkulisse

Nicht nur mit den inneren Reformen der EU-Institutionen hapert es. Dasselbe gilt auch für den Versuch, nach aussen hin Standhaftigkeit zu bekunden.

Der amerikanische Präsident Donald Trump beschloss im März, Zölle auf die Einfuhr von Aluminium und Stahl zu erheben. In einer Geschlossenheit, wie sie die EU-Staaten sonst nur in den Brexit-Verhandlungen aufbringen, baute Brüssel eine Drohkulisse auf. Falls Washington die EU nicht von den Zöllen dispensiere, werde diese ihrerseits Zölle auf amerikanische Produkte einführen, etwa auf Orangensaft aus Florida oder Harley-Davidson-Motorräder. Trump missfiel Europas Versuch der Machtpolitik. Postwendend drohte er europäischen Autoherstellern, namentlich BMW und Mercedes.

Offenbar brauchte es nur einen Tweet, damit Berlin einknickte. Es sei «nicht klug», auf die US-Zölle mit Vergeltungsmassnahmen zu reagieren, sagte Wirtschaftsminister Peter Altmaier. Man solle keinen Handelskrieg provozieren, die anderen EU-Länder sollten sich Trump gegenüber kompromissbereiter zeigen. Konkret will Deutschland den USA ein Abkommen zur Senkung der Zölle auf Industriegüter anbieten.

In Brüssel stiess Berlins Vorpreschen sauer auf. Altmaier hatte ohne Absprache die gemeinsam beschlossene Drohkulisse der EU untergraben. Trumps Strategie, die EU-Länder gegeneinander auszuspielen, scheint aufzugehen.

Der Klügere gibt nicht immer nach

Dabei ist Berlin in der Handelspolitik auf seine europäischen Partner angewiesen. Fast die Hälfte des Defizits der USA mit der Eurozone geht auf Deutschland zurück, und für die Handelspolitik ist einzig und allein Brüssel zuständig.

Nicht alle EU-Staaten dürften Lust haben, zu Hause politisches Kapital für einen Freihandelsvertrag mit Trump zu verwenden. Eine Beschränkung des Vertrags auf industrielle Güter würde vor allem Deutschland und den Nordeuropäern nützen. Frankreichs Infrastrukturunternehmen wollen lieber Zugang zu öffentlichen Beschaffungsmärkten in den USA. Und wenn die EU mit der Pistole an der Stirn mit Washington verhandelt, entspricht das nicht dem «souveränen Europa», das Macron propagiert.

In der Aussenwirtschaftspolitik gilt derzeit in Berlin das Prinzip «Der Klügere gibt nach». Damit macht sich das Exportland erpressbar. In einer konfliktträchtiger gewordenen Welt gerät die Bundesrepublik zwischen die Fronten. Deutschland ist zum Beispiel auch Irans grösster Zulieferer aus der EU. Reagiert Berlin nun doch noch, wenn Washington den Handel mit Teheran eigenmächtig untersagt?

Der deutsche Reflex, Auseinandersetzungen auf internationaler Ebene aus dem Weg zu gehen, ist stark – nicht bloss aus opportunistischen, auch aus «guten» historischen und politischen Gründen. Auf die katastrophalen Kriege im Irak und in Libyen liess sich Berlin zu Recht nicht ein. Eine Beteiligung an den Luftschlägen der USA, Frankreichs und Grossbritanniens nach dem mutmasslichen Einsatz von Giftgas durch den syrischen Diktator Assad schloss Merkel aus. Das Nato-Gelöbnis, die Verteidigungsausgaben auf 2 Prozent der Wirtschaftsleistung zu steigern, ist nicht nur wegen der Budgetpolitik der «schwarzen Null» ein leeres Versprechen.

Allerdings erklären die wechselnden deutschen Bundespräsidenten und Aussenminister ihren Bürgern schon seit Jahren, die Bundesrepublik komme nicht umhin, künftig mehr Verantwortung in der Weltpolitik wahrzunehmen. Der Ukraine-Konflikt zeigt, dass Deutschland Position beziehen kann. Die Iran-Krise hat zudem das Bewusstsein für die Zeitenwende geschärft: Will es sich nicht permanent von Trump demütigen und benachteiligen lassen, muss sich Europa Gehör verschaffen. Doch viele Politiker in Berlin frönen weiterhin der Illusion, sie könnten an der alten, schlanken Aussenpolitik «im Schweizer Stil» festhalten: Interessenvertretung, Multilateralismus, Vermittlung letztlich unter dem Schutzschild der USA.

Erstmals zeigte Macron seinen Frust

Es ist eine Ironie der Geschichte, dass Macron vor zwei Wochen den Aachener Karlspreis entgegengenommen hat – die wichtigste europapolitische Auszeichnung, welche die Bundesrepublik vergibt. Macron hielt dabei eine Rede, die in die Geschichte eingehen dürfte.

Umsichtig, aber ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen, bekundete er zum ersten Mal seine Frustration über die Berliner Politik. Er liess nicht locker: «Seien wir nicht schwach, entscheiden wir uns! Lassen wir uns nicht spalten, handeln wir gemeinsam! Seien wir nicht ängstlich, seien wir mutig! Warten wir nicht ab, lassen Sie uns jetzt handeln!»

An wen er diese Worte richtete, war klar. Sollten sie doch noch wirken, hat die Willensunion EU eine Marschrichtung. Die Grosse Koalition hätte ihren Daseinsgrund wieder, und Merkel hätte sich revanchiert, indem sie Macrons politische Zukunft abstützen würde.

Doch sollten Macrons Worte verpuffen, sollte ein gesättigtes Deutschland am Status quo festhalten und weiter das irrige Narrativ des Zahlmeisters kultivieren, verpasst die Grosse Koalition ihre historische Chance. Für die Eurozone könnte es die letzte sein.

Autor

Joseph de Weck ist Politologe in Paris. Zuvor hat er für Bloomberg News in Deutschland und das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten in Bern gearbeitet. Joseph de Weck schrieb bereits über den Brexit und die Bilateralen sowie über Trump, China und die Schweiz.

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