Warum Novartis bei Trump danebengriff
Der Basler Pharmamulti bezahlte Geld an einen Anwalt aus Donald Trumps Dunstkreis. Ein Fall von Bestechung? Oder einfach nur eine Peinlichkeit? Antworten auf wichtige Fragen.
Von Mark Dittli, 18.05.2018
Der Basler Pharmakonzern bezahlte 1,2 Millionen Dollar an den ehemaligen Anwalt von Donald Trump. Novartis erhoffte sich aus dem Vertrag wertvolle Informationen über die US-Regierung – und verursachte stattdessen ein Fiasko. Der Chefjurist musste unter Druck zurücktreten, mehrere Senatoren aus Washington fordern Antworten.
Worum geht es genau?
Novartis hat im Februar 2017, kurz nach der Amtsübernahme von US-Präsident Donald Trump, einen auf die Laufzeit von einem Jahr fixierten Vertrag mit der im Bundesstaat Delaware registrierten Briefkastenfirma Essential Consultants abgeschlossen. Hinter Essential Consultants steht der New Yorker Anwalt Michael Cohen. Der Vertrag sah eine monatliche Zahlung von 100’000 Dollar von Novartis an Essential Consultants vor. Im Gegenzug sollte der Pharmakonzern von Cohen Hinweise und Informationen über die geplante Gesundheitspolitik der Trump-Regierung erhalten.
Wer ist Michael Cohen?
Mehrere Jahre lang war er der persönliche Anwalt und «Fixer» von Donald Trump. Cohen wuchs in Long Island auf, an der Stadtgrenze von New York. Ab 1992 praktizierte er als Anwalt, spezialisiert auf Unfälle mit Verletzungsfolgen. In den 90er-Jahren baute er in New York ein Taxiunternehmen auf, das dreissig der damals begehrten Taxilizenzen verwaltete. Gemäss einem Hintergrundbericht der «New York Times» kam Cohen zeitweise in Berührung mit Kreisen des organisierten Verbrechens. 2007 stiess er zur Trump Organization und bezog ein Büro im Trump Tower an der Fifth Avenue in Manhattan. Cohen begleitete für Trump zwischen 2007 und 2016 diverse Immobilienprojekte in den USA sowie in Staaten der ehemaligen Sowjetunion. Im Herbst 2016, kurz vor den Präsidentschaftswahlen, soll er der Pornodarstellerin Stephanie Clifford («Stormy Daniels») 130’000 Dollar bezahlt haben, damit sie eine Affäre mit Trump verschweigt.
Ist Cohen in Washington D.C. offiziell als Lobbyist registriert?
Nein.
Lässt sich aus Cohens bisheriger Karriere ableiten, dass er in irgendeiner Form über Expertise in der Gesundheitspolitik verfügt?
Nein.
Wie kam es zu diesem Deal?
Gemäss Informationen von Novartis und verschiedenen US-Medien brachte Ende 2016 oder Anfang 2017 eine bislang unbekannte Person Michael Cohen mit dem damaligen Konzernchef von Novartis, dem Amerikaner Joe Jimenez, in Verbindung. Cohen bot Jimenez an, er könne Informationen zur künftigen Gesundheitspolitik der Trump-Regierung bieten. Jimenez wies daraufhin seinen Stab an, einen Vertrag mit Cohen aufzusetzen. Dieser trat im Februar 2017 in Kraft, kurz nach der Amtsübernahme von Trump. «Cohen hat Jimenez versichert, dass er die Trump Organization verlassen und seine Zeit für den Präsidenten beendet habe. Er erklärte klar, dass er kein Lobbyist sei und keine Lobbydienste anbiete», sagt Novartis-Sprecher Markus Jaggi auf Anfrage der Republik.
Wer bei Novartis hat den Vertrag abgesegnet?
Gemäss Angaben des Konzerns wurde der Vertrag mit Essential Consultants von Joe Jimenez sowie vom Chefjuristen Felix Ehrat unterschrieben.
Hatte der Fall personelle Konsequenzen?
Ja. Am 16. Mai 2018 teilte Novartis mit, dass Ehrat per 1. Juni von seinem Amt zurücktreten werde. Ehrat bezeichnete den Vertrag mit Essential Consultants in einem Communiqué als Fehler.
Bei Novartis sitzt die Amerikanerin Shannon Thyme Klinger als Chief Ethics, Risk and Compliance Officer in der Geschäftsleitung. Hat sie den Deal abgesegnet?
«Frau Klinger war in keiner Weise in den Vertrag involviert», sagt der Novartis-Sprecher. Nach dem Rücktritt von Chefjurist Felix Ehrat wird Klinger ab 1. Juni seine Position übernehmen.
Wusste der heutige CEO von Novartis, Vasant Narasimhan, davon?
«Vas Narasimhan war in keiner Weise in den Vertrag involviert. Er erhielt im Februar 2018 Kenntnis von der Existenz des Vertrages», sagt Novartis-Sprecher Jaggi. Narasimhan hatte das Amt des Chief Executive Officer im Februar 2018 von Jimenez übernommen.
Was erhoffte sich Novartis aus dem Vertrag mit Michael Cohen?
Informationen. Trump hatte während des Wahlkampfs mehrmals die hohen Medikamentenpreise in den USA thematisiert. Zudem hatte er das Wahlversprechen abgegeben, den Affordable Care Act, die Gesundheitsreform seines Vorgängers Barack Obama, rückgängig zu machen. Cohen bot seine Beratungsdienste gezielt an Unternehmen an, die verstehen wollten, wie die Trump-Regierung funktioniert und denkt. In US-Medienberichten wurden allerdings auch anonyme Novartis-Quellen zitiert, die sagten, Cohen habe «Access», also Zugang, zu Trump versprochen. Sprecher Jaggi sagt, es sei um Informationen gegangen.
Wurden diese Erwartungen erfüllt?
Nein. Im März 2017 kam es in New York zu einem ersten Treffen zwischen einem Exponenten von Novartis und Cohen. Dabei sei dem Novartis-Vertreter sofort klar geworden, dass Cohen die erhofften Informationen gar nicht liefern könne. Nach diesem Treffen habe Novartis beschlossen, keine weiteren Dienste in Anspruch zu nehmen, und es sei in der Folge zu keinen weiteren Kontakten gekommen. Diesen Sachverhalt schildert der Konzern in einem Communiqué vom 9. Mai, und der frühere CEO Jimenez bestätigt ihn in einem Interview mit der Nachrichtenagentur Bloomberg. «Es war sofort klar, dass Cohen seine Fähigkeiten überverkauft hatte», sagt Jimenez im Bloomberg-Interview. Novartis-Sprecher Jaggi gibt keinen Kommentar ab, wer im März 2017 beim Treffen mit Cohen dabei war. Gemäss einem Bericht des «Tages-Anzeigers» war es Chefjurist Felix Ehrat.
Wieso hat Novartis denn weiterhin 100’000 pro Monat bezahlt und ist nicht früher aus dem Vertrag ausgestiegen?
Novartis sagt, der auf ein Jahr abgeschlossene Vertrag hätte nur aus triftigen Gründen gekündigt werden können. Offenbar galt die Unfähigkeit Cohens, brauchbare Informationen zu liefern, nicht als triftiger Grund. Ein Anwalt mit langjähriger Erfahrung in der Pharmabranche, der aufgrund seiner heutigen Anstellung nicht genannt werden will, sagt im Gespräch mit der Republik: «Es ist mir unverständlich, weshalb Novartis überhaupt einen einjährigen Vertrag mit Cohen abgeschlossen hat. Normalerweise würde man so etwas im Auftragsverhältnis lösen, was dann auch leichter zu kündigen wäre.»
Ist die Erklärung von Novartis plausibel?
Im Interview mit Bloomberg sagt Jimenez, er habe den Vertrag im März sofort kündigen wollen. Nach Abwägung der möglichen Kosten einer juristischen Auseinandersetzung mit Cohen habe man aber beschlossen, den vereinbarten Betrag zu bezahlen und den Vertrag im Februar 2018 auslaufen zu lassen. Im Rückblick sei das ein Fehler gewesen. «Wir hätten den Kontakt mit diesem Typen sofort abbrechen sollen», sagt Jimenez heute.
1,2 Millionen Dollar: Ist das viel?
Ja. Gemäss Informationen des Center for Responsive Politics hat Novartis im Jahr 2017 für Lobbying in Washington offiziell 8,7 Millionen Dollar an 14 verschiedene Agenturen ausgegeben. Keine Lobbykanzlei erhielt dabei mehr als 240’000 Dollar. Im Verhältnis dazu sind die 1,2 Millionen Dollar für Michael Cohen ein hoher Betrag.
Ist die Zahlung illegal?
Nach aktuellem Wissensstand nicht. «Der Fall ist peinlich, aber soweit ich überblicken kann, nicht illegal», sagt ein Branchenanwalt. Dies gilt, sofern Cohen tatsächlich nicht mehr für Trump arbeitet und die Zahlung nicht an Trump ging. Ein Sprecher der Schweizer Bundesanwaltschaft (BA) richtet auf Anfrage der Republik aus, die BA stehe mit den Kollegen der Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt im Austausch. In diesem Zusammenhang werde gegenwärtig kein Strafverfahren geführt.
Wie kam dieser Fall ans Licht?
Michael Avenatti, der Anwalt der Pornodarstellerin Stephanie Clifford, hat die Zahlungen von Essential Consultants Anfang Mai publik gemacht. Wie Avenatti an die Informationen gekommen ist, ist nicht bekannt.
Wer ausser Novartis hat noch bezahlt?
Gemäss Informationen von Avenatti hat ein Unternehmen namens Columbus Nova 500’000 Dollar an Cohen bezahlt. Hinter Columbus Nova sollen der russische Oligarch Viktor Vekselberg – der in der Schweiz namhafte Beteiligungen an Sulzer, OC Oerlikon, Schmolz+Bickenbach und Züblin Immobilien hält – sowie sein Cousin Andrew Intrater stehen. Der US-Telecomriese AT&T soll mindestens 200’000 Dollar an Cohen bezahlt haben. Die koreanische Korean Aerospace Industries 150’000 Dollar.
Haben auch andere Pharmakonzerne bezahlt?
Nach aktuellem Wissensstand nicht.
Wie geht es jetzt in dieser Sache weiter?
Der neue Novartis-CEO Narasimhan hat am Mittwoch an einer Investorenkonferenz bekräftigt, dass der Konzern keine Kompromisse in seinen Werten und seinen ethischen Standards eingehen dürfe. Der Fall Michael Cohen ist damit aber noch nicht vorbei: Drei Senatoren der Demokratischen Partei, Ron Wyden, Elizabeth Warren und Richard Blumenthal, haben in zwei verschiedenen Schreiben (hier und hier) nähere Informationen von Novartis angefordert. Senator Wyden hat dem Pharmakonzern Zeit bis zum 5. Juni eingeräumt, um seine Fragen zu beantworten.
Wie ist das Verhältnis von Donald Trump zur Pharmaindustrie?
Trump hat im Wahlkampf mehrmals die hohen Medikamentenpreise in den USA kritisiert. Im Januar 2017, nach seiner Wahl und vor seiner Amtsübernahme, sagte Trump, die Pharmaindustrie komme «mit Mord davon» («they get away with murder»). Am vergangenen Freitag, 11. Mai, präsentierte Trump einen Plan, wie die Medikamentenpreise im Land gesenkt werden sollen. An der Börse in New York stiegen die Aktienkurse von Pharmakonzernen im Nachgang zu dieser Ankündigung allerdings markant – ein Zeichen, dass die Finanzmärkte Trumps Pläne als zahm interpretierten.
In welchen anderen Ländern ist Novartis in mögliche Korruptionsfälle verwickelt?
Unabhängig von der Sache mit Michael Cohen steht Novartis in den USA im kommenden Jahr vor einem Gerichtsprozess. Dabei geht es um die Anklage, dass der Pharmakonzern im grossen Stil «Kickbacks» an Ärzte geleistet habe. In einem anderen Kickback-Fall in den USA hat Novartis vor drei Jahren in einem Vergleich 370 Millionen Dollar bezahlt. Ein ähnlicher Fall endete 2010 mit einer Vergleichszahlung von 422 Millionen Dollar.
Ausserhalb der USA steht Novartis gegenwärtig in Griechenland im Verdacht, Korruptionszahlungen geleistet zu haben.
2017 bezahlte Novartis in Südkorea eine Busse von 49 Millionen Dollar wegen Bestechungszahlungen an Ärzte. Wegen Schmiergeldzahlungen in China musste Novartis 2016 eine Busse von 25 Millionen Dollar bezahlen. Korruptionsvorwürfe wurden zudem in der Türkei erhoben.
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