CVP im Zwist, Regeln für Lobbyisten – und Bio im Vormarsch
Das Wichtigste in Kürze aus dem Bundeshaus (11).
Von Elia Blülle, 10.05.2018
Die CVP erinnert an eine selbstzerstörerische Piñata. Es wäre ein Leichtes, im nahenden Wahlkampf auf die Christdemokraten einzuprügeln: Die schlechten Wahlergebnisse und eine umstrittene Wertedebatte festigen den Ruf einer welkenden Volkspartei ohne Profil. Zerfällt sie, profitieren alle davon. Links und rechts gibt es zusätzliche Wähler, und die Medien freuen sich über konfliktreiche Geschichten. Doch bevor die anderen Parteien zum grossen CVP-Bashing ausholen, erledigen die Christdemokraten die Arbeit gleich selbst. Indem sie den andauernden Zwist um ihre politische Stossrichtung in aller Öffentlichkeit austragen, reproduzieren sie das Stereotyp der ständigen Identitätssuche ohne Ausgang.
So, wie letzte Woche geschehen. Auslöser der erneuten Diskussion über die CVP-Identität war der überraschende Rücktritt der Nationalrätin Barbara Schmid-Federer. Im Interview mit dem «Tages-Anzeiger» liess sie die Bombe platzen und hielt sich nicht zurück mit pointierter Kritik. Sie zweifelt die Politik der Parteileitung an: Die CVP schrecke mit dem konservativen Kurs Wähler in urbanen Gebieten ab und konzentriere sich einzig auf den Rückgewinn in den Stammlanden. Damit könne sie sich nicht mehr identifizieren.
Am Freitag reagierte Parteipräsident Gerhard Pfister im Interview mit der NZZ auf die interne Kritik. Das CVP-Leitbild sei keineswegs rechtskonservativ: «Man schliesst manchmal vorschnell von meiner Person auf die Partei. Die CVP steht in der Mitte, mit einem entsprechend breiten Spektrum an Strömungen.»
Der Flügelkampf zwischen den konservativen und den sozialen Kräften ist im Genom der Christdemokraten angelegt. Schmid-Federer hat ihren Rücktritt geschickt als Katalysator eingesetzt, um ihrer Kritik maximale Aufmerksamkeit zu garantieren. Das ist gelungen. Ihre Partei war für mehrere Tage in den Schlagzeilen. Entzweit und uneins. Reduziert auf ihr Klischee. Verpasst es die CVP-Leitung in den nächsten Monaten, auf die Kritik einzugehen und die Erzählung um ihre Zerrissenheit auszuhungern, wird es schwierig, die Wählerschaft vom CVP-Programm zu überzeugen.
PS: CVP-Parteipräsident Gerhard Pfister hat im genannten Interview übrigens auch seine Bundesratsambitionen beerdigt. Er will nicht für die Nachfolge von Bundesrätin Doris Leuthard kandidieren und sich auf den Wahlkampf konzentrieren.
Und hier das Briefing aus Bern. Wir beginnen mit einer traurigen Nachricht.
Nationalrat Alexander Tschäppät gestorben
Das müssen Sie wissen: Am Wochenende erlag der Nationalrat und ehemalige Berner Stadtpräsident Alexander Tschäppät seinem Krebsleiden. Im Nationalrat rückt für ihn der Berner Grossrat Adrian Wüthrich nach.
Tschäppät: Der Sozialdemokrat hat als Stapi von 2005 bis 2016 die Stadt Bern regiert und war langjähriger Nationalrat. Während seiner Zeit als Stadtpräsident hat er Kultstatus erreicht. Er hat mehrere wichtige Sportanlässe in die Stadt geholt und vor allem mit seiner Wohnbaupolitik Akzente gesetzt. Die Bevölkerung hat es ihm verdankt: 2012 wurde er mit rekordverdächtigen 70 Prozent wiedergewählt.
Mehr dazu: Der Nachruf von Philipp Loser und Christoph Lenz (als Abo+) würdigt den ehemaligen Berner Stadtpräsidenten kritisch und ohne falsches Pathos.
Die Grünen im Aufwind und mit hohen Zielen
Das müssen Sie wissen: Die Grünen haben am Wochenende Nationalrätin Regula Rytz für weitere zwei Jahre zur Präsidentin gewählt. Die Bernerin ist seit 2012 an der Spitze der Partei.
So geht es den Grünen: Gut. Die Partei musste zwar bei den Parlamentswahlen 2015 einige Sitze abgeben, hat sich aber in der Zwischenzeit erholt: Die Grünen konnten bei kantonalen Wahlen stark zulegen und werden mit ihrer Fair-Food-Initiative im kommenden September auf der politischen Bühne viel Aufmerksamkeit erhalten. Gute Vorzeichen für die Parlamentswahlen 2019.
Das sagt die Parteipräsidentin: In einem Interview mit Watson gab Regula Rytz ihre hohen Ziele für die Wahlen 2019 bekannt: Sie will 4 zusätzliche Sitze in der Bundesversammlung und 9 Prozent der Stimmen – 2 Prozent mehr als 2015.
Neues Lobbygesetz wird wohl scheitern
Das müssen Sie wissen: Das Parlament will eine neue Lobbying-Gesetzgebung. Die Vergabe von Zutrittsausweisen für das Bundeshaus soll strenger geregelt werden. Deshalb musste die Staatspolitische Kommission des Ständerates eine Gesetzesänderung ausarbeiten. Ihr Vorschlag: Jedes Ratsmitglied soll nur einen zusätzlichen Bundeshaus-Badge bekommen, und Lobbyisten müssen sich künftig in ein öffentliches Register eintragen. Zu diesem Vorschlag konnten sich Organisationen und Parteien in der Vernehmlassung äussern, die letzte Woche zu Ende ging.
Das meinen die Kritiker: Ungenügend oder unnötig. Die bürgerlichen Parteien, der Gewerbeverband und Economiesuisse finden, es brauche keine Lobbyreform. Das heutige Gesetz sei restriktiv genug. Ganz anders reagieren die SP und die Grünen: Das Gesetz aus der Kommission missachte das ursprüngliche Anliegen des Rates eines einheitlichen Akkreditierungssystems für Lobbyisten komplett.
So geht es weiter: Die ständerätliche Staatspolitische Kommission wird die Eingaben aus der Vernehmlassung auswerten. Danach entscheidet sie, ob der Gesetzesentwurf in der bisherigen Form vors Parlament kommt oder ob Änderungen angebracht werden müssen.*
Mehr dazu: Die Republik-Autorin Sylke Gruhnwald erklärt in diesem Text den Berner «Badge-Basar» und fordert neue Regeln für die Lobbyisten.
Zahlen der Woche: Abstimmungen, Landwirtschaft und Renten
Am 10. Juni stimmen wir wieder ab. Letzte Woche hat das Umfrageinstitut GFS Bern im Auftrag der SRG die ersten Trends publiziert. Würde heute abgestimmt, hätte das Geldspielgesetz eine knappe Mehrheit von 52 Prozent, 39 Prozent lehnen es ab, und 9 Prozent haben sich noch nicht entschieden. Schlechter sieht es für die zweite Vorlage aus: 49 Prozent sind gegen die Vollgeldinitiative, 35 Prozent befürworten sie, und 16 Prozent sind noch unentschieden. (Wollen Sie alles zum Vollgeld wissen? Wir haben zwei Versionen, einmal für Dummies, einmal für Nerds.)
2017 gab es in der Schweiz 52’000 Landwirtschaftsbetriebe. Das sind 650 weniger als 2016 – etwas mehr als 1 Prozent. Zugenommen hat hingegen die Zahl der Bauernhöfe, die sich auf Bioproduktion spezialisieren: Mit insgesamt 6600 Biobetrieben gibt es 5 Prozent mehr als im Vorjahr.
Die nächste Rentenreform ist dringend nötig, denn die berufliche Vorsorge (BV) gibt mehr Geld aus, als sie einnimmt. In den letzten vier Jahren hat die BV durchschnittlich 7 Milliarden Franken pro Jahr von den aktiven Versicherten hin zu den Rentnern umverteilt. Das entspricht einem knappen Prozent der gesamten Vorsorge. Die BV ist die zweite Säule der Schweizer Sozialvorsorge und ergänzt die Leistungen der AHV und der IV.
Wo sollen wir nachhaken? Wie beurteilen Sie unsere Arbeit? Hier geht es zur Debatte.
* Korrigendum: In einer früheren Version hiess es hier, der Nationalrat werde die Sommersession Ende Mai mit der Behandlung des Lobbygesetzes eröffnen. Dies ist falsch, wir entschuldigen uns für den Fehler.