Die zehn Gebote der Medienförderung
Höre, Politiker, auf die Gesetze, die wir dir vortragen. Und sorge dafür, dass im Journalismus wieder Milch und Honig fliessen.
Von Simon Schmid (Text) und Lawrence Grimm (Illustration), 06.04.2018
Politikerin aus der Schweiz, vergiss nicht die Ereignisse, die du mit eigenen Augen gesehen hast! Es sind keine vierzig Tage her, da stand die SRG im Feuer. Da zeigte dein Volk seine ganze Herrlichkeit. Es erschien in Scharen und verteidigte den Service public mit donnernder Stimme.
Vergiss nicht den Bund, den du mit dem Volk geschlossen hast. Und nimm dich in Acht, Politiker! Denn die Gefahr für die Medien ist nicht gebannt. Das Feuer lodert weiter in den Höhlen der Newsrooms und den Arenen des Internets. Es zerfrisst das berichtende Gewerbe. Viele Zeitungen haben ihren Betrieb geschlossen und viele Medienschaffende den Bettel hingeworfen.
Du hast einen Schwur geleistet, Politikerin. Du hast versprochen, die vierte Gewalt in deiner Demokratie zu schützen und die seriöse Nachrichtenwelt nicht an die Darbieter von Fake News zu verraten. So höre nun die Gebote der Medienförderung. Studiere sie, lehre sie und achte sie. Und befolge sie in den Gesetzen, die du in der Stunde der Entscheidung bald schreiben wirst.*
1. Liebe deinen Journalismus
Der Journalismus ist ein strafendes Geschöpf. Er kennt keine Gnade mit unfähigen Unternehmenschefs und fehlbaren Amtsträgern. Er wird dich vernichten, Politiker, wenn du das Vertrauen deiner Wähler missbrauchst.
Gerade deshalb sollst du den Journalismus lieben. Du sollst ihn fürchten, und du sollst ihm die besondere Aufmerksamkeit zukommen lassen, die er im Onlinezeitalter braucht. Denn das Volk liebt den Journalismus, auch wenn sich diese Liebe nicht immer in Zahlungsbereitschaft ausdrückt.
Ziegenhirten auf den Feldern und Pendlerinnen in der S-Bahn sagen, sie würden mit Information überflutet. Vergib ihnen, Politikerin, denn sie wissen nicht, was sie lesen sollen in Zeiten, da im Netz viele Artikel gratis sind und Newsportale ihre Sinne mit Push-Nachrichten überfluten – zu jeder halben Stunde bei Tage und zur vollen Stunde selbst in der Nacht.
Nur die weitsichtigsten unter deinen Mitbürgern mögen der Versuchung widerstehen, kostenlos zu konsumieren. Sieh den Irrweg, auf den sich die Medienbranche mit diesem Geschäft begeben hat. Und sieh die ausweglose Lage der Zeitungen, die Relevanz vermitteln wollen. Am Medienhimmel der kleinen, in Teile zerstückelten Schweiz leuchten bald keine Sterne mehr.
Darum, Politikerin: Fördere deine Medien. Und mache nicht Wasser zu Wein, sondern schlechte Medien zu guten Medien.
2. Es gibt nur einen Markt
Und dieser Markt ist das Netz. Hänge nicht den Zeiten nach, in denen das geschriebene Wort unabhängig vom gesprochenen und gefilmten Wort reguliert werden konnte, denn diese Zeiten sind vorbei. Zeitung, Fernsehen und Radio werden in der Ära des Internets zu einem einzigen Ganzen.
Sei deshalb bescheiden: Du bist kein Wahrsager. Kein Schwalbenflug zeigt dir an, wie sich das Konsumverhalten verändern wird. Mache dir darum kein Bildnis vom Journalismus im Onlinezeitalter! Und falls dir jemand ein Götzenbild eines Medienproduktes zeigt, schleudere es in den Sand.
Wenn du staatliche Unterstützung vergibst, halte dich rein und beachte die Lehre der Technologieneutralität. Fördere keine Druckmaschinen, Radioempfänger, iPhones und Webprogrammierer. Fördere Inhalte.
Übe Zurückhaltung darin, Informations- und Leistungsaufträge an regionale Rundfunkbetreiber zu vergeben, auch dann, wenn sie vorgeben, innovative Internetfirmen zu sein. Leistungsaufträge machen lokale Medienfürsten fett und den Journalismus unfruchtbar. Fördere die journalistische Zunft lieber indirekt, indem du ihr Abgaben wie die Mehrwertsteuer erlässt und den Medienkonsum von der Steuer für Privatpersonen abzugsfähig machst.
3. Glaube nicht an die Querfinanzierung
Und werfe dich nicht vor den Zeitungsherausgebern in den Staub, die dich in der Vergangenheit mit Nachrichten gefüttert haben. Ihre Webplattformen für Autoverkauf und Wohnungssuche, mit denen sie in diesen Zeiten ihr Geld verdienen, sind keine zuverlässige Quelle für den Journalismus. Glaube auch nicht an die Barmherzigkeit von Mäzenen für gute journalistische Zwecke.
Nein, Politikerin, Medien müssen selbsttragend sein. Sorge deshalb dafür, dass sich guter Journalismus lohnt. Entfache einen Wettbewerb der Ideen! Lass Journalismus einen Wert erhalten, der sich in zahlungspflichtigen Beiträgen und Abonnementen, nicht in Klicks und Werbebannern bemisst.
Denk an deine Vorväter in den Ratssälen, lass dich von ihren Gedanken leiten. Sie haben verbilligte Posttaxen eingeführt, um eine Vielfalt lokaler Zeitungen zu fördern. Nur jene Blätter wurden mit Rabatten bedacht, die auch von ihren Lesern ein Opfer, also einen Abonnementsbeitrag, forderten.
4. Ehre die Konsumentin
Hüte dich vor der Bürokratie! Da draussen kreisen viele Irrlehren. Experten wollen Gremien aufbauen, in denen sie selbst Einsitz nehmen können, um dort über den Zugang zu Honigtöpfen zu wachen, über Branchenstandards und über Zertifizierungen für Medienprodukte zu entscheiden.
Nimm dich in Acht vor den falschen Priestern und den Massnahmen, die sie zur Selbstbeschäftigung einführen wollen. Eine griffige Justiz und wenige schlagkräftige Beschwerdeinstanzen genügen, um den Journalismus rein zu halten und die schwarzen Schafe in der Branche aus dem Verkehr zu ziehen.
Setze stattdessen die Konsumenten auf den Thron der Medienförderung. Gib ihnen die Mittel dafür, herausragende Leistungen zu belohnen. Fördere Brillanz, Präzision, Ideenreichtum und Recherchehandwerk, indem du Konsumentinnen etwa die Möglichkeit gibst, einen Teil ihrer Billag-Beiträge einer Redaktion ihrer Wahl zu spenden. Nicht die Portale mit den meisten Klicks sollen das Geld erhalten, sondern die mit den besten Inhalten. Oder händige jeder Bürgerin zu Beginn jedes Jahres einen Gutschein aus, den sie für Abonnemente, Einzeltexte, Podcasts oder Videos einlösen kann.
Wahlfreiheit ist ein hohes Gut. Doch sie existiert in der Welt der Medien nur, wenn die Mittel zur Wahl vorhanden und genug Anbieter am Markt sind.
5. Ehre nicht die Verlegerclans
Der Journalismus mag ein hartes Geschäft sein. Doch er bleibt ein Geschäft. Und manche Familienclans, die im fünften Glied in diesem Geschäft sind, verteidigen ihr Erbrecht mit aller Macht. Sie kaufen den Zeitungsmarkt auf und hoffen, so ihre bescheidenen Oligopolrenten zu sichern, auf dass ihre Familien weiterhin Sonntagsreden halten und Violinkonzerte sponsern können.
Staatliche Medienförderung darf aber nicht den Oligarchen zugutekommen, sondern muss den Wettbewerb und die Vielfalt fördern. Darum, Politikerin, rücke die Unterstützung von Start-ups ins Zentrum deiner Regulierung. Und entreisse den Verlegern den Dienst, den sie verlottern liessen: die SDA.
Denn die SDA ist Teil des Service public. Doch sie gehört den Verlegern, die damit einen Profit erzielen. Sie sind voller Tücke und entlassen jetzt Leute. Und fordern vom Staat Millionensubventionen, damit die Agentur weiter aus allen Landesecken berichten kann. Geh nicht auf den Kuhhandel ein.
Schliesse keinen Leistungsauftrag mit der SDA, Politiker. Sondern baue eine eigene Nachrichtenagentur auf: unabhängig von den Verlegern, auf strikter Non-Profit-Basis. Sie wird deine Basisinfrastruktur sein in der künftigen Medienordnung. Einer Trinkwasserversorgung gleich wird sie zu günstigen Tarifen alle Medienorganisationen mit Material beliefern, die sich mit Bild, Schrift und Ton als Produzenten im Journalismus versuchen wollen.
6. Du sollst die SRG nicht ersticken
Das Volk hat die Frevler mit Ächtung bestraft, die den öffentlichen Rundfunk auf dem Altar des Privaten opfern wollten. Es ging siegreich aus der Schlacht um die SRG hervor. Nimm dich jedoch in Acht, Politikerin. Unter den Siegern sind Pharisäer, Heuchler, die den Service public weiter bekämpfen.
Sie verlangen aus Eigennutz, dass die Rundfunkanstalt des Volkes ihre Beiträge nur fürs Radio und Fernsehen produzieren und sich aus dem Netz fernhalten soll. Sie erklären es zu ihrem rechtmässigen Reich. Wisse: Die Mauern, die sie für die SRG errichten, sind die eines steinernen Sargs.
Höre nicht auf sie. Und denk an den Auftrag, den das Volk seiner SRG erteilt hat. Es verlangt, dass sie ein der Zeit gemässes Programm anbietet. Deine Töchter und Söhne verbringen dreimal so viele Stunden im Internet wie vor der Glotze, Politiker. Lass den Service public darauf Rücksicht nehmen und schnüre ihm nicht mit Verboten die Kehle zu. Er würde daran ersticken. (Verbiete höchstens das «Wort zum Sonntag», solche Moralpredigten braucht nun wirklich niemand. Und «Glanz & Gloria». Und «Top Secret».)
Gesteinigt werden soll, wer von der SRG verlangt, sie müsse den Verlegern ihre Sendungen als Gabe vor deren Konzerntüren stellen, auf dass sich die Pharaonen an den geschenkten Inhalten und Werbegeldern laben. Nein, Politiker: Das Material der öffentlichen Sendeanstalt muss ihr Eigen bleiben. In Konkurrenz zu privaten Medienanbietern und nicht als deren Mastbeilage.
7. Begehre nicht deines Nächsten Werbegeld
Neid und Missgunst sind Sünden. Du sollst jene in die Schranken weisen, die stets auf die Gelder ihres Nachbarn schielen. Wenn das Schweizer Fernsehen in vorauseilendem Gehorsam gegenüber seinen Häschern ein Werbeverbot zu spätabendlicher Stunde beschliesst, so rede dem Fernsehen diese Ideen aus. Die Massnahme bringt nichts, nicht einmal den privaten Anbietern. Sie beschleunigt höchstens den Abfluss von Werbegeldern ins Netz.
Widerspricht dir jemand in dieser Frage und will dich glauben machen, abendliche Werbeverbote hätten tatsächlich einen Sinn, so weise ihn zurück. Denn das Gespräch über diesen Nebenschauplatz wendet deinen Geist nur von der Pflicht ab, deinen Wählern als guter Gesetzgeber zu dienen.
Wenn du dein Volk wirklich liebst, dann schmettere aber auch die SRG ab, Politikerin, alsbald sie nach den Werbegeldern ihrer Konkurrenten im Internet giert. Hindere sie mit aller Kraft daran, ins Geschäft mit grossen Datenmengen und personalisierter Onlinewerbung einzusteigen, so, wie es der Bundesrat in seinen Schriften bereits als Möglichkeit angedeutet hat.
Dein Volk will frei sein, und zwar auch frei davon, sich im bereits bezahlten Service public überwachen zu lassen. Niemand soll für eine Sache zweimal zahlen, auch nicht mit persönlichen Daten. Ist dieses Verbot gleichbedeutend mit dem Todesurteil für die Vermarkterin Admeira: Dann sprich es aus.
8. Du sollst online kein falsch Zeugnis ablegen
Nimm die Social-Media-Plattformen in die Pflicht. Denn sie missbrauchen den Namen der Medien, indem sie Lug und Trug in die Welt hinaustragen und damit Schleim zu Gold machen. Manch ein redlicher Mensch wurde über Facebook bereits mit Schmutz beworfen, ohne sich wehren zu können. Manch eine arme Seele wurde schon zu Neid, Bitterkeit und Hass angestiftet.
Lege den Sumpf zu Babel trocken, Politiker. Unterstelle die sozialen Medien denselben Regeln wie herkömmliche Medien und sorge dafür, dass dieselben Gebote der Redlichkeit online wie offline durchgesetzt werden. Gib den Gerichten die Waffen, die sie brauchen, um gegen fehlbare Firmen vorgehen zu können. Blut soll auf die Plattformen kommen, die falsch Zeugnis ablegen.
Du glaubst, vor Google zu Kreuze kriechen zu müssen? Du irrst. Keine Firma auf dieser Welt ist allmächtig gegen den Willen von Volksvertretern. Ein Rechtsstaat kann das Geschäft einer Onlineplattform empfindlich treffen, wenn er etwa Zahlungen von Werbekunden an diese Plattform untersagt und seine Banken dazu anhält, dieses Verbot zu überwachen.
Es gibt einen Markt, Politiker, und dort soll ein fairer Wettbewerb herrschen. Alle Teilnehmer sollen sich an dieselben Regeln halten und beim Regelbruch mit derselben Härte bestraft werden, egal, ob ihr Konzernsitz in der Wüste Araba, im Silicon Valley oder an der Neumattstrasse 1 in Aarau liegt.
9. Am siebten Tage soll der Journalist ruhen
Oder eine Zulage für die Sonntagsarbeit erhalten. Journalisten sind Meister in der Selbstausbeutung, und viele Medienhäuser nutzen dies ohne Skrupel aus. Schütze die Journalisten und halte ihre Arbeitgeber dazu an, einen Gesamtarbeitsvertrag abzuschliessen, der nicht zuletzt die Jungen beim Berufseintritt und die Ergrauten vor der Pensionierung vor Willkür schützt.
10. Du sollst kein Regulierungstaliban sein
Fast hättest du dich erwischen lassen, Politikerin, und angefangen zu glauben, man könne die Medien mit einer Reihe widerspruchsfreier Gebote regulieren, auf dass ein goldenes Zeitalter des Journalismus anbreche. Leider musst du enttäuscht werden. Es gibt keine Lehre, der du blind folgen kannst.
Denn das Gewerbe des Journalismus ist voller Widersprüche und seine staatliche Förderung voller Zielkonflikte. Wer unabhängigen und vielfältigen Journalismus unterstützen will, muss immer Kompromisse eingehen.
Strukturen müssen errichtet werden, welche die gewünschte Unabhängigkeit beschneiden. Der Staat muss Grosszügigkeit walten lassen im Kreis der förderberechtigten Medien, auch wenn dies zwingend auf Kosten der Fördereffizienz, der Zielgenauigkeit und auch der Gerechtigkeit geht. Manchmal ist es nötig, verschiedene Förderinstrumente zu kombinieren, auch wenn sie auf gegenteiliger Logik basieren und sich in der Absicht widersprechen. Journalismus findet in historischen Verbünden und Konstellationen statt. Doch alles über die Zeit Gewachsene hat seine Beulen.
Sei also kein Taliban, sondern gehe Schritt für Schritt. Finde dich mit zweitbesten Lösungen ab. Schaffe nicht den Himmel, aber verbessere die Hölle. Mache die Regulierung der Medien zu einer permanenten Aufgabe. Und verzweifle nicht. Die Wege des Journalismus sind unergründlich.
* Drei gesetzgeberische Vorhaben sind derzeit in der Pipeline. Erstens: die Teilrevision der Radio- und Fernsehverordnung. Die Vernehmlassung dazu wurde im Februar abgeschlossen. Es geht konkret um die Frage nach zielgruppenspezifischer Fernsehwerbung und um Geld für die SDA.
Zweitens: Die Erneuerung der SRG-Konzession. Die aktuelle Konzession läuft Ende 2018 aus, die neue Fassung soll bis Ende 2022 gelten. Die Vernehmlassung dazu läuft bis zum 12. April. Es geht unter anderem um das Internetangebot der SRG und um den Informationsanteil im Service public.
Drittens: Das künftige Bundesgesetz über elektronische Medien. Die Vorarbeiten dafür laufen, die Vernehmlassung ist für den Sommer geplant. Dabei wird es um die zentrale Frage gehen, ob und wie Medien im Internet gefördert werden. Aktuell wird nur die gedruckte Presse gefördert.