Alte Neuauflage und verkleidete Schützen
Die AHV-Reform geht in die zweite Runde, und neue Waffenrichtlinien gefährden die Beziehung zur EU: das Wichtigste in Kürze aus dem Bundeshaus (2).
Von Ihrem Expeditionsteam, 08.03.2018
Die AHV-Reform im zweiten Akt
Das müssen Sie wissen: Im vergangenen Herbst lehnte das Volk die Rentenreform 2020 an der Urne ab. Deshalb muss Bundesrat Alain Berset (SP) einen neuen Vorschlag ausarbeiten.
Am letzten Freitag hat er die zwei wichtigsten Eckwerte präsentiert: Um die AHV zu sanieren, soll die Mehrwertsteuer ab 2021 um 1,7 Prozent erhöht werden, und Frauen sollen erst mit 65 in Pension gehen dürfen.
Eine AHV-Reform ist notwendig, weil die Zahl der Rentner und Rentnerinnen laufend steigt. Das Reformziel des Bundesrats: das Rentenniveau beibehalten und die Altersvorsorge mittelfristig finanzieren. Eine schwierige Gratwanderung, die viel Geld kostet.
Das ist neu: Die vorgeschlagene Reform ist kostspieliger als die alte. Bereits die erste Auflage der Reform sah eine Erhöhung der Mehrwertsteuer um 0,6 Prozentpunkte vor. Der neue Entwurf will die Mehrwertsteuer noch einmal deutlich anheben. Dies sei notwendig, weil durch das Scheitern der Altersvorsorge 2020 wertvolle Zeit verloren gegangen sei, erklärte Alain Berset an der Pressekonferenz. Um die Erhöhung des Frauenrentenalters abzufedern, rechnet Berset noch einmal mit zusätzlichen 0,3 Prozentpunkten Aufschlag – insgesamt also 2 Prozent.
Die umstrittene Erhöhung der AHV-Rente um 70 Franken, wie sie in der gescheiterten Reform vorgesehen war, hat Berset gestrichen.
Der nächste Schritt: Bis zu den Sommerferien muss das Eidgenössische Departement des Innern (EDI) einen Vorentwurf der Reform ausarbeiten, damit sich in der Vernehmlassung Kantone, Parteien und diverse Organisationen zum Vorschlag äussern können. Zu einem späteren Zeitpunkt wird die Vorlage dann im Parlament behandelt und ausgefeilt. Die Reform ist umstritten: Alle Parlamentsparteien haben sich zu einzelnen Punkten kritisch geäussert. Das letzte Wort hat das Volk.
Das sagt unsere Verlegerschaft: Olivia Kühni hat in einem Memo an Herrn Berset zusammengefasst, was sich unsere Verlegerinnen und Verleger in der Debatte zur AHV-Reform überlegt haben.
Neue Waffenrichtlinien gefährden Schengen/Dublin
Das müssen Sie wissen: Die EU hat neue Waffenrichtlinien ausgearbeitet. Der Zugang zu halbautomatischen Waffen soll beschränkt werden. Darunter fällt zum Beispiel auch das Sturmgewehr 90 der Schweizer Armee. Da die Schweiz die Schengen/Dublin-Abkommen unterzeichnet hat, muss sie die Richtlinien zwingend übernehmen. Die Abkommen regeln die Zusammenarbeit europäischer Staaten in den Bereichen Polizei, Visa, Justiz und Asyl.
Am letzten Freitag hat Bundesrätin Simonetta Sommaruga (SP) informiert, wie sie die Vorschriften umsetzen will.
Das müssen Sie sich merken: Der Zugang zu halbautomatischen Waffen soll künftig nur noch für bestimmte Zwecke möglich sein. Viel ändert sich aber nicht. Dank einer Ausnahmeregelung zwischen der Schweiz und der EU wird die traditionelle Übernahme der Armeewaffe nach Beendigung des Wehrdiensts beibehalten. Sportschützen dürfen halbautomatische Waffen weiterhin erwerben, sofern sie Mitglied eines Schützenvereins sind oder nachweisen können, dass sie regelmässig schiessen. Jäger sind von der Regelung nicht betroffen.
Darum geht es wirklich: Die SVP droht mit dem Referendum, obwohl der Bundesrat die Richtlinien so sanft wie möglich umgesetzt hat. Würde ein solches Referendum angenommen, hätte das den Ausschluss der Schweiz aus den Schengen/Dublin-Abkommen zur Folge. Diese Zusammenarbeit stört die SVP schon seit längerem. Gut möglich, dass bei der Drohung ein Angriff auf die europäischen Abkommen im Zentrum steht – nicht die Freiheit der Schützen.
Bundesrat offen für unabhängiges Schiedsgericht
Der Hintergrund: Am Montag hat Bundesrat Ignazio Cassis (FDP) informiert, wie es um die Beziehung zur Europäischen Union steht. Die Schweiz und die EU streben nach vier Jahren Verhandlungen den Abschluss eines institutionellen Rahmenabkommens auf Ende 2018 an. Mit diesem Vertragswerk soll die künftige bilaterale Zusammenarbeit geregelt werden. Die grosse offene Frage: Wer entscheidet, wenn es zwischen den beiden Parteien zu unlösbaren Streitigkeiten kommt?
Das will der Bundesrat: Gehe es um die Auslegung von bilateralem Recht, müsse ein unabhängiges Schiedsgericht entscheiden, an dem die Schweiz beteiligt sei. Nur wenn EU-Recht direkt betroffen sei, soll der Europäische Gerichtshof zum Zug kommen. Cassis sagte, niemand wolle «fremde Richter», weder die EU noch die Schweiz. Die Chancen dieser Lösung stehen gut, denn den Vorschlag hat ursprünglich die EU ins Spiel gebracht.
Der Bundesrat will zudem die flankierenden Massnahmen vollumfänglich beibehalten. Das sei nicht verhandelbar. Die flankierenden Massnahmen sind Regelungen, welche die Einhaltung minimaler Arbeits- und Lohnbedingungen in der Schweiz gewährleisten. Sie wurden im Rahmen der Personenfreizügigkeit mit der EU eingeführt.
Wie geht es weiter? Die EU-Kommission hat sich noch nicht konkret zu den Forderungen des Bundesrats geäussert. Alle Schweizer Parlamentsparteien ausser der SVP nahmen die Vorschläge des Bundesrats positiv auf. Nun liegt es an den Schweizer Unterhändlerinnen in Brüssel, die Position des Bundesrats in den Verhandlungen um das Rahmenabkommen einzubringen.
Diese Volksinitiativen behandelte das Parlament
Die Velo-Initiative: Das Begehren will den Bund dazu verpflichten, Fuss-, Wander- und Velowegnetze zu fördern. Dem Nationalrat ging das zu weit. Er hat die Initiative in der Session abgelehnt und bevorzugt wie bereits der Ständerat den Gegenvorschlag. Dieser favorisiert eine föderalistische Lösung: Der Bund soll Massnahmen der Kantone und Dritter zur Veloförderung unterstützen können. Der Unterschied: Eine Pflicht zur Förderung ist nicht vorgesehen. Wird der Gegenvorschlag in der parlamentarischen Schlussabstimmung angenommen, stellen die Initianten den Rückzug ihrer Initiative in Aussicht.
Die Zersiedelungsinitiative: Das Begehren der Jungen Grünen will im Wesentlichen die Ausdehnung der Bauzonen begrenzen. Ihr Vorschlag: Bei Einzonungen von Bauland muss eine gleiche Fläche ausgezont werden. Damit wollen sie erreichen, dass bestehendes Bauland effizienter genutzt und weniger Grünfläche verbaut wird. Der Ständerat hat für diese Initiative mit grosser Mehrheit eine Nein-Empfehlung abgegeben. Er verwies dabei auf die erste Teilrevision des Raumplanungsgesetzes, welche den Schutz von Kulturland bereits vorsehe.
Fair-Food-Initiative: Bereits letzte Woche hat der Ständerat die Initiative der Grünen ohne Gegenvorschlag abgelehnt. Der Ständerat verwies dabei auf den neuen Verfassungsartikel zur Ernährungssicherheit, der wesentliche Elemente der Initiative bereits aufnehme. Das Begehren der Grünen will die Schweizer Lebensmittelstandards schützen und fordert neue Regelungen für Importprodukte.
Keine Lockerungen für Kleinkreditgeber
Das müssen Sie wissen: Das Parlament schafft neue rechtliche Grundlagen für die Kleinkreditgeber – Banken, die tiefe Kredite zu hohen Zinsen vergeben. Diese müssen zum Schutz der Konsumenten die Kreditfähigkeit ihrer Kunden prüfen. Tun sie das nicht, verlieren sie die Zinsen oder in krassen Fällen die gesamte Kreditsumme.
Die vorberatende Ständeratskommission wollte diese Sanktionen lockern: Kreditgeber sollen nur dann die Kreditsumme verlieren, wenn sie absichtlich und in schwerwiegender Weise gegen die Bestimmungen zur Prüfung der Kreditfähigkeit verstossen.
Warum das wichtig ist: Schuldenberater kritisierten die Vorlage scharf. Die Aufweichung der Sanktionen werde dazu führen, dass die Kreditgeber ihre Kunden weniger seriös prüften. Der Schutz vor Überschuldung würde ausgehöhlt. Dieser Meinung war auch die Mehrheit im Ständerat. Er hat den Vorschlag abgelehnt.
Was sagt die Republik dazu? Carlos Hanimann zeigte in seiner Analyse «Bis auch der letzte Zahn gezogen ist», welche Interessen hinter dem Kleinkreditvorschlag der Ständeratskommission stecken.
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