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Dr. iur. Rechtsanwalt, Basel
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Genau das ist es, was auch ich schon seit Jahren als Folge der neuen StPO auch in alltäglichen Prozessen beobachte: Justizkontrolle durch die Öffentlichkeit ist nicht mehr möglich. Die Mittelbarkeit, der Aktenprozess, ohne Beweisabnahme vor Gericht, wie er heute praktiziert wird, ist schlicht verfassungs- und EMRK-widrig. Den Medien und der Öffentlichkeit bleibt nichts anderes übrig, als der Staatsanwaltschaft, der Verteidigung oder dem Gericht zu GLAUBEN. Häufig wird dabei einfach die Anklageschrift nachgebet und darauf VERTRAUT, dass das Gericht richtig entschieden hat. Aus Erfahrung weiss ich, dass dieses Vertrauen leider allzu häufig nicht richtig ist. Status quo sind Strafprozesse in der Hauptverhandlung Schauprozesse und in der Untersuchung Geheimprozesse. Die Justiz ist der Kontrolle durch die Öffentlichkeit völlig entzogen. Und dem einzigen Gegengewicht, der Verteidigung werden mit jeder StPO-Revision weiter Rechte entzogen. Wenn hier nicht bald etwas geändert wird, bleibt den Verteidigungen zum Schutz eines faires Verfahrens nichts anderes übrig, als die gesamten Verfahrensakten zu publizieren. Warum sollte man mit einer von der Öffentlichkeit unkontrollierten und voreingenommenen Justiz überhaupt noch kommunizieren?

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Die Strafverfolgungsbehörden haben das Untersuchungsgeheimnis zu wahren und zwar aus zwei Gründen. Einmal darf die Beweiserhebung nicht beeinträchtigt werden. Und zum zweiten muss die Persönlichkeit der Beschuldigten und Geschädigten geschützt werden.
Wenn Sie Prozessakten publizieren, riskieren Sie happige Sanktionen, wenn die Beweiserhebung gestört wird. Zudem werden Sie wahrscheinlich von den Geschädigten wegen Persönlichkeitsverletzung belangt. Und schliesslich bedeutet ein solcher "Gang an die Presse" zugleich einen Verzicht auf Persönlichkeitsschutz. Die Staatsanwaltschaft wird ebenfalls an die Öffentlichkeit gelangen und Fehlinformationen richtigstellen können und sogar müssen. Das wollen Sie sich und Ihrem Klienten nie zumuten.

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ichfürchte...
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Toll, Danke vielmals für dieses interessante Interview. 1000 mal interessanter als die reisserischen Berichte anderswo.

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Danke für den Beitrag. Ich weiss nicht ob ich ihn erhellend oder lehrreich empfinde. Vielleicht beides nicht. Vielleicht einfach nur ernüchternd.
Als "Büezer", welcher tagtäglich arbeitet, am Ende des Monats den Lohn hat, keine Ahnung von Bankgeschäften hat, bin ich immer wieder erstaunt, was andere Leute so machen und reich werden damit.
Nicht dass ich Reichtum andern nicht gönnen würde. Mir zeigt dieser Prozess, zwei Dinge: Erstens verstehen wir "Büezer" nicht im Ansatz, was diese Herren überhaupt gemacht haben und zweitens, dass da noch eine "Nebenwelt" existiert, welche weit weg ist von dem, was ich unter Geld verdienen verstehe.

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welche weit weg ist von dem, was ich unter Geld verdienen verstehe.
Sie sagen es....

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Philipp Albrecht
Redaktor Wirtschaft
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Hallo Herr A., vielen Dank für Ihren Beitrag. So wie Ihnen ergeht es wohl auch vielen Nicht-«Büezern» beim Vincenz-Prozess. Sie verstehen nur im Ansatz, was hier abgeht. Darum hat das Interesse nach dem ersten Prozesstag – als wir alle sehen wollten, wie sich Vincenz präsentiert – wieder rapide abgenommen. Wir waren damals alle bitter enttäuscht, als klar wurde, dass er selber (mutmasslich) abgezockt hatte, während er über die Abzocker bei den Grossbanken gewettert hatte. Aber das ist schon ein paar Jahre her. Heute spielt es keine Rolle mehr, ob er 6 oder 2 Jahre ins Gefängnis muss. Darum wollen wir uns auch nicht mehr vertieft mit ihm befassen. Kollegin Brigitte Hürlimann und ich wollten stattdessen wissen, ob der Prozess den Erwartungen der Gesellschaft und den gesetzlichen Vorgaben gerecht wird. Und nach dem Gespärch mit Duri Bonin bin ich selber schockiert über die Praxis des Richters, der offenbar keinen Wert auf Öffentlichkeit legt und möglicherweise sein Urteil längst gefällt hat. Geht es Ihnen auch so?

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Guten Tag Herr Albrecht
Danke für ihre Rückmeldung. Ich kann nicht beurteilen, ob der Richter keinen Wert auf Öffentlichkeit legt und ob er sein Urteil (innerlich) schon längst gefällt hat.
Es stellen sich mir als "Büezer" ja hochkomplexe Fragen, welche ich nicht im Ansatz verstehe. Das wäre der Inhalt der möglichen Straftaten, die ganze Anklageschrift, die Prozessordnung, Beweise und Gegenbeweise und dann sicher die Erkenntnis, dass das ganze wohl in fünf Jahren vor Bundesgericht entschieden wird.
Ja, ich wünschte mir, dass ein kompetenter Journalist dies alles verstehen würde und es mir kurz und knapp erklären könnte. Dann, dann könnte ich für mich das öffentliche Interesse definieren und mitreden. Bis dahin stehe ich am Morgen auf und gehe zurzeit noch straffrei meiner Arbeit nach. Und ganz ehrlich: es wäre mir lieber gewesen, die Herren hätten ein Fahrrad geklaut. Diese Straftat kann ich nachvollziehen ....

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Ich danke den beiden Podcastern und der Republik für dieses sehr erhellende Interview - einmal mehr den Abo-Beitrag mehr als wert.

Leider rutschen die 'üblichen' Medien immer mehr in Richtung Boulevard ab und verzerren so noch zusätzlich die wenigen Fakten infolge der doch sehr fragwürdigen Auslegung der revidierten StPO..

Frage: Würde eine Anzeige dieser fragwürdigen Praxis bei der EMRK etwas bewirken? Die Verfassungswidrigkeit dieser Auslegung der StPO (falls ich das alles richtig verstanden habe) kann man in der Schweiz ja mangels einer Verfassungsgerichtsbarkeit nicht einklagen, oder?

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Brigitte Hürlimann
Gerichtsreporterin
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Sie sprechen den Umgang mit dem Öffentlichkeitsprinzip an? Dass die meisten Zuschauer:innen abgewiesen wurden/werden? Ja, da hätte ein Rechtsmittelweg bis nach Strassburg wohl durchaus Chancen. Falls Sie den Umgang mit der Beweiswürdigung meinen, dass also an den Zürcher Gerichten kaum mehr Beweise abgenommen werden: Auch hier wäre es sehr interessant, zu wissen, was höhere Instanzen dazu sagen...

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Dr. iur. Rechtsanwalt, Basel
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Ich denke, dass Strassburg die Justizkontrolle durch die Öffentlichkeit als zentralen Grundpfeiler einer demokratisch-rechtsstaatlichen Verfassungsordnung ansieht und daher wohl schon seit langem die Entwicklung in der Schweiz kritisch aus der Ferne beobachtet. Ich bin durchaus der Meinung, dass ein guter Fall sehr gute Chancen auf Erfolg in Strassburg hat, wie z.B. der Fall Vincenz. Ich denke aber, dass auch kleinere Fälle gute Chancen haben, da der Fall Vincenz leider die Regel ist. Es muss einfach mal jemand das Verfahren bis nach Strassburg tragen. Ich werde künftig immer nach Eingang der Anklageschrift beim Gericht den Antrag stellen, dass alle Beweise, welche das Gericht in Erwägung zieht, darauf abzustellen, an der Hauptverhandlung abgenommen werden, ansonsten der Grundsatz der Öffentlichkeit der Hauptverhandlung verletzt wird und eine Justizkontrolle durch die Öffentlichkeit nicht möglich ist.

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Danke Ihnen, Frau Hürlimann und Herr N. für Ihre Ausführungen.
Dann bräuchte es also nur noch jemand, welche*r so einen Fall nach Strassburg trägt!
Freiwillige vor ;-)

Als Gerichts-Laie (Gott sei Dank!) war mir die Tatsache, dass Richter nur noch aufgrund der Akten entscheiden und nicht mehr aufgrund der an Verhandlungen beigebrachten, u.U. relevanten, weil verfahrens- ändernden Beweisen und Belegen nicht bewusst.

Danke für die Erhellungen!

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Besten Dank für diesen erhellenden Beitrag. Eine Materie welche mir leider völlig unvertraut ist, aber meinen naiv-gläubigen Horizont zum Thema schon arg durchrüttelt. Da kommt man wirklich ins Grübeln...wohin geht diese Reise...?

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Erlauben Sie, dass ich diesen sehr interessanten Beitrag kommentiere, indem ich sukzessive dem Interview folge:

Herr Bonin wurde am ersten Prozesstag aus dem Gerichtssaal geschickt, weil er ein Notebook auf den Knien hatte und einen Kopfhörer auf. Er erklärt das damit, dass er dem Prozess gar nicht folgen, sondern frühere Aufnahmen bearbeiten wollte. Wer's glaubt, würde ich da sagen. Aber vielleicht stimmt es doch und waren die Kopfhörer eine Provokation für ein Sensatiönchen.

Für Herrn Bonin ist es ein grosses Problem, dass er die Akten des Falles nicht kennt. Das ist verständlich, soll aber so sein. Der Gesetzgeber und ganz sicher auch die Beschuldigten wollen es eben nicht, dass parallel zum Gerichtsprozess die Medien Prozess-Shows abziehen oder Podcast-Serien. Herr Bonin beklagt, dass er wegen der fehlenden Aktenkenntnis manipulierbar sei. Das ist er nur, wenn er sich anmassen möchte, ein vernünftiges Urteil über Schuld und Strafe zu fällen. Und genau darum geht es bei der Öffentlichkeit des Prozesses nicht. Strafprozesse sind öffentlich, damit gewährleistet wird, dass das Verfahren korrekt abläuft. Und das kann die Öffentlichkeit sehr wohl feststellen, wenn sie hört, dass alle Seiten zu allen Aspekten angehört werden.

Herr Bonin bekam einige Plädoyers. Garantiert sicher bekam er das Plädoyer des Staatsanwaltes nicht, dem sonst sofort der Vorwurf gemacht worden wäre, er wolle einen Schauprozess. (Weiter unten erklärt Herr Bonin dann, dass er vom Verteidiger Erni dessen Plädoyer erhalten habe. Im Swissair-Prozess geschah das auch und erfuhr die Staatsanwaltschaft erst viel später von dieser Öffentlichkeitsarbeit.)

Vor langer Zeit mussten auch die Verteidiger dem Recht dienen. Heute müssen sie einzig und allein ihren Mandanten dienen. Wahrscheinlich ist das gut. Wenn ich mir vorstelle, Beschuldigter zu sein, finde ich es sehr gut. Aber man darf diese Aufgabenstellung der Verteidigung nicht vergessen, wenn man ihre Statements liest. Ein Verteidiger darf nicht ausgewogen Plädieren. Was er vorbringt, darf nicht an der Wahrheit orientiert sein, wenn das seinem Klienten schaden könnte. Wenn er so plädieren würde, bekäme er alsbald ein Verfahren bei der Aufsichtskommission.

Gut gefällt der Abschnitt zur Beweisaufnahme durch das Gericht. Und sehr gut der Abschnitt dazu, dass wegen der langen Verfahrensdauer am Gericht Zeitdruck besteht. Als Verteidiger würde ich hier später einhaken. In die StPO haben geniale Anwälte die Bestimmung eingebracht, wonach alle Beweise, welche nicht regelkonform erhoben wurden, ungültig seien. Die Interessen der Geschädigten sind dabei fast immer völlig egal. Wenn man den Staatsanwalt oder das Gericht dazu bringt, bei der Beweisaufnahme einen Fehler zu machen, hat der Beschuldigte fast in jedem Fall gewonnen. Artikel 141, Absätze 2 bis 4 lauten nämlich:
"2 Beweise, die Strafbehörden in strafbarer Weise oder unter Verletzung von Gültig-
keitsvorschriften erhoben haben, dürfen nicht verwertet werden, es sei denn, ihre
Verwertung sei zur Aufklärung schwerer Straftaten unerlässlich.
3 Beweise, bei deren Erhebung Ordnungsvorschriften verletzt worden sind, sind
verwertbar.
4 Ermöglichte ein Beweis, der nach Absatz 2 nicht verwertet werden darf, die Erhe-
bung eines weiteren Beweises, so ist dieser nicht verwertbar, wenn er ohne die
vorhergehende Beweiserhebung nicht möglich gewesen wäre."

Und dass nun ein Beweis auch vom Gericht erhoben werden muss, ist nicht Folklore oder Ordnungsvorschrift und folglich Gültigkeitsvorschrift. Konkret erhebt das Gericht gemäss Art. 343 StPO
– neue Beweise und ergänzt unvollständig erhobene Beweise,
– im Vorverfahren nicht ordnungsgemäss erhobene Beweise nochmals,
– im Vorverfahren ordnungsgemäss erhobene Beweise nochmals, sofern
die unmittelbare Kenntnis des Beweismittels für die Urteilsfällung notwendig er-
scheint.

Es ergibt sich, dass das Gericht nicht einfach freisprechen darf, wenn es findet, dass ein Beweis fehle oder falsch erhoben wurde. In den Grenzen von Art. 141, Abs. 4 StPO muss es die Beweislage verbessern. Weiter muss es die Beweise selbst erheben, bei denen es auf die Unmittelbarkeit ankommt, also wenn man sehen und hören will, wie ein Zeuge aussagt. (Auch bei hohen Wirtschaftskadern wird das gerne vorgebracht, obwohl diese Personen zumeist mit einem Ego gesegnet sind, bei dem die üblichen Lügenmerkmale wie Erröten, Haltungswechsel, Füssescharren etc. nicht vorkommen bzw. nicht interpretierbar sind.)

Auch mit der Frage, ob genügend Öffentlichkeit hergestellt wurde, arbeitet Herr Bonin für die Verteidigung, indem er eine Verletzung des Rechts auf ein öffentliches Verfahren reklamiert. Die Verteidiger werden das gerne aufnehmen, um die Aufhebung von Schuldsprüchen und damit die Verjährung zu erreichen. Vor dem Strafurteil werden sie allerdings reklamieren, dass es zu viel Öffentlichkeit gegeben habe, ihre Klienten darunter über Gebühr gelitten hätten und die Strafe deshalb zu reduzieren sei. Tatsächlich konnte man schon den Vorwurf lesen, der Staatsanwalt habe die Rotlicht-Taten des Beschuldigten im Plädoyer zu sehr ausgebreitet.

Herrn Bonins Theorie zu nicht identischen Aussagen bei mehrfacher Befragung wird oft vorgebracht, ist aber falsch. Oft argumentieren Verteidiger so, welche nicht wollen, dass ihr Klient sich verhaspelt oder so aussagt, dass auffällt, wie einstudiert alles ist. Tatsächlich sind immer wieder gleiche Aussagen ein wesentliches Lügenmerkmal weil sie den Verdacht begründen, dass es sich um konstruierte und gelernte Aussagen handle.

Ganz allgemein möchte ich dazu auf das Handbuch für die Verteidigung, Abschnitt Wirtschaftsdelikte, verweisen, wo dargelegt wird, wie die Klienten zu instruieren sind. Aber auch zum folgenden Thema des Interviews, der Öffentlichkeitsarbeit, ist das Handbuch erhellend. Beschuldigte und ihre Anwälte sollen nicht selbst Medienarbeit betreiben, weil sie ein Glaubwürdigkeitsproblem haben. Es sollen Fachleute eingespannt werden, PR-Fachleute oder – sehr beliebt – Anwaltskollegen, welche in Medien fachmännische Interviews im Sinne der Verteidigung geben. Wie etwa zur oft gehörten Behauptung, dass bei den Untreuedelikten und dem Betrug ja der Beweis für den Schaden fehle, was ein Fehler der Staatsanwaltschaft sei.

Und dieses Thema kommt dann ja auch prompt in diesem Interview. Die Behauptung, die Staatsanwaltschaft habe ihre Strategie geändert, basiert auf der früheren Behauptung der Verteidigung in den Medien. Jetzt schreibt die Verteidigung ihre Geschichte von der unvollständigen Untersuchung fort und behauptet einen Strategiewechsel des Staatsanwaltes.

Wieder hauptsächlich für die Galerie, denn jeder Jurist weiss (nur nicht im Interview mit der NZZ), dass Geschäftsführung und Verwaltungsrat einer Aktiengesellschaft von Gesetzes wegen alles zu tun haben, um das Vermögen der Gesellschaft zu mehren und Schaden von ihr abzuhalten. Im Zweifelsfall gehen die Interessen der Gesellschaft jenen der Geschäftsführer, Angestellten und Verwaltungsräte vor. Und jetzt sage mir jemand, wo es da bei einem Kauf durch die Gesellschaft noch Raum haben soll für Zwischengewinne der Geschäftsleitung und/oder des Verwaltungsrates. Das was sie für sich herausholten, hätten sie eben der Gesellschaft lassen oder abliefern müssen. Genau gleich wie ein Einkäufer für Büromaterial Rabatte nicht auf sein Konto überweisen lassen darf.

Interessant die nächste Passage zu den privaten Notizen der Tatbeteiligten. Natürlich muss der Verteidiger Erni nicht den Unschuldsbeweis bringen. Umso interessanter ist deshalb, mit was für Argumenten er diese Notizen ins Gefecht bringt. Ich bringe mal ein Papierli und jetzt muss der Staatsanwalt das Gegenteil beweisen, ist ganz schwach. Nicht weil RA Erni unfähig wäre. Nein, weil er keine besseren Argumente hat.

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Hören Sie sich doch mal den Podcast an. Sie werden feststellen, dass der ziemlich ausgewogen ist.

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Danke, Herr R., werde ich machen.

Abgesehen von der Einleitung ging es mir eigentlich nicht darum, Herrn Bonin zu kritisieren, sondern Zusammenhänge aufzuzeigen und punktuell die Rechtslage zu erläutern. Ich bin mir sehr wohl bewusst, dass der hier kommentierte Artikel bzw. das Interview auf einer völlig anderen Ebene ist, als das, was man bei den Konzernmedien zu lesen bekommt.

Noch etwas. Ich kenne den Staatsanwalt Jean-Richard-dit-Bressel von früher her beruflich. Allerdings habe ich mit ihm und seinem Umfeld seit mehr als zehn Jahren keinen Kontakt mehr. Trotzdem kann ich sagen, dass er nicht nur mehr juristische Qualifikationen hat als die Verteidiger. Er ist Rechtsanwalt Prof. Dr. iur. und seit 2006 Lehrbeauftragter der Universität Zürich für Strafrecht und Strafprozessrecht etc. und Verfasser mehrerer Werke dazu (DIKE Verlag). Darüber hinaus hat er eine sehr hohen Ethos, was recht selten ist. Ich hatte einen ersten Chef, der mir riet, machiavellistisch zu sein, und einen anderen, der mir sagte, man müsse eben hinterhältig sein. Marc Jean-Richard-dit-Bressel ist hochanständig. Von ihm kann ich mir nicht vorstellen, dass er etwas Hinterhältiges machen würde. Ihn als Strafverfolgungskasper abzutun, der eine Strafuntersuchung führt, ohne zu wissen, worum es geht, und der dann angeblich vor Gericht die Strategie ändern muss, ist nicht Verteidigung. Es ist ein blamabler, auf den Schlammwerfer zurückfallender Versuch, dem Angeklagten zu helfen, indem man den Staatsanwalt schlechtmacht. Das hat leider Tradition - und bietet dem Gericht oft den Ausweg, einen Fall mit viel weniger Arbeit abzutun.

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Ein ganz starker Kommentar, dem ich voll und ganz zustimme.

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Toni Peterer
Interessierter an unabhängigen Medien
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Ich habe eine Frage als Laie zur Verjährung: Warum unterbricht eine Anklage des Staatsanwalts die Verjährung nicht?

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Das war früher. Die Verfolgungsverjährung läuft bis zum erstinstanzlichen Urteil. Je nach Straftat bzw angedrohter Höchststrafe beträgt die Zeitspanne 7, 10, 15 oder 30 Jahre etc.

Wenn das erstinstanzliche Urteil aufgehoben wird, läuft die Verjährung vom alten Start an weiter. Darum sollten auch Gerichte spefitiv arbeiten.

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"Sie hat die gleichen Akten und präsentiert eine völlig andere Geschichte."

Genau aus diesem Grund finde ich Justizprozesse so spannend. Nirgends wird so schön deutlich, wie unterschiedlich Wirklichkeiten sein können, wie perspektivisch sich Realität darstellen kann und wie wichtig es ist, dass wir Menschen uns über unsere Welt- und Selbsteindrücke austauschen, unterhalten, debattieren.

Vielen Dank an die Republik für diese ungewohnte Perspektive auf dieses aktuelle Thema. Spannend, diese Metaebene, durch die einerseits spannende, ungewohnte Einblicke in die psychologischen und philosophischen Belange von Justizprozessen ermöglicht werden. Und andererseits auch – gerade in Bezug auf den gemäss Bonin problematischen Umgang mit Öffentlichkeit an Zürcher Gerichten – m.E. sehr relevante Zeitgeschehensaspekte nebst dem eigentlichen Prozessgeschehen publik werden.

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Philipp Albrecht
Redaktor Wirtschaft
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Vielen Dank, Herr H. Mich fasziniert das an diesem Prozess genauso. Wie vor Gericht die Wirklichkeit von Anklage und Verteidigung unterschiedlich dargestellt wird, hat fast schon etwas Bewusstseinerweiterndes.

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Passende Beschreibung. Bewusstseinserweiterungen - jedweder Art - sind immer gut, solange man über einen verlässlichen Kompass verfügt.
Wir können gespannt sein, wie sich die Windrose des Gerichts diesmal ausrichten wird …

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Die Behandlung der Öffentlichkeit besorgt auch mich in diesem Prozess. Es würde mich freuen, wenn sich beschwerdewillige Personen fänden, um diesen Aspekt vertieft prüfen zu lassen.
Daneben gibt es aber noch andere Aspekte, die man diskutieren sollte. Wenn die Zahlung von Stocker an Vinzenz, welche der oder die Bär-Mitarbeiterin an Inside Paradeplatz gab, so eindeutig auf Kriminelles hinwies, wie IP vermutete, wie müssen wir uns dann er klären, dass Jahre verstrichen, bevor nicht etwa Raiffeisen, sondern Aduno Strafanzeige erstattete? Wo lag im Zeitpunkt der Anzeigeeratattung der behauptete Schaden? Darauf gibt es bis heute keine Antwort.
Es dürfte nicht dem Zufall zuzuschreiben sein, dass von der Anklage zuerst die Rotlicht-Geschichten den Weg in die Öffentlichkeit fanden. Damit wurde eine Stimmung kreiert, deren Konsequenz war, dass, wer so mit Geld seiner Firma umgeht, doch sicher ein Straftäter ist. Aber diese abenteuerlichen Spesenabrechnungen wurden alle abgesegnet. Wo hat da Strafbarkeit noch Platz? Gilt hier nicht: volenti non fit iniuria?
Es ist klar, dass ein demoliertes Hotelzimmer und Streit mit Escorts ein gefundenes Fressen für die Presse sind. Das führt zu einer Konditionierung der Öffentlichkeit, die eine Gefahr für die richterliche Unabhängigkeit darstellen kann. Stellen Sie sich vor, dass bei der Beratung des Falls am Bezirksgericht die hier formulierten Zweifel vorgebracht werden. Könnte es da nicht sein, dass im Gericht der Gesichtspunkt eine Rolle spielt, dass man da einfach nicht freisprechen kann, ohne öffentich abgestraft zu werden? Immerhin hat der Tages-Anzeiger vor dem Prozess behauptet, die Justiz würde mit einem Freispruch zeigen, dass sie grossen Wirtschaftsstraffällen nicht gewachsen sei.
Nebenbei noch dies: Ältere Semester erinnern sich an die früheren Prozesse vor Geschworenengericht. Dort galt die Regel, dass dem Urteil nur zugrungegelegt werden durfte, was in der Verhandlung vor dem Gericht ausgebreitet wurde. Da durfte die Öffentlichkeit noch dabei sein.

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Brigitte Hürlimann
Gerichtsreporterin
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Als älteres Semester erinnere ich mich mit Wehmut an die Prozesse vor Geschworenengericht, auch wenn diese manchmal wochenlang dauerten. Aber hier hat man wirklich noch verstanden, um was es geht, warum wie entschieden wird. Alle konnten dies nachvollziehen, übrigens auch die Beschuldigten. Hin und wieder setze ich mich in einen erstinstanzlichen Militärprozess, dort gilt das Unmittelbarkeitsprinzip immer noch.

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Ein interessanter Bericht, der den Schaum beleuchtet, der durch die plötzliche Festnahme eines prominenten Bankers und eines Financiers an die Oberfläche medialer Aufmerksamkeit gelangte, wenn ich mich recht erinnere. Ist ja auch schon ein paar Jahre her.

Nun, ich kann mich nicht erinnern, wie in aller Welt die Ermittler plötzlich auf eine solche Spur kamen. Da muss es doch irgend jemanden geben, der oder die damalige Geschäftspraktiken den Behörden gemeldet hat, so eine Art Whistleblower. Gab es dazu irgendwann mal einen Hinweis, der an die Medien gelangte? Oder ist das bei mir einfach durch die Pandemie bzw. deren möglicher Nebenwirkung (neudeutsch Longcovid) untergegangen?

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Brigitte Hürlimann
Gerichtsreporterin
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Wenn ich es richtig rekapituliere, begann tatsächlich alles mit einem Artikel im Wirtschaftsnews-Magazin "Inside Paradeplatz". Sprich: Jemand hat dem Magazin entsprechende Informationen geliefert.

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Aha, vielen Dank für diese Information, Frau Hürlimann. Offenbar eine Plattform investigativ-journalistischer Art, da wurde ich im Zusammenhang mit Finanzaffären am Südzipfel unserer schönen Schweiz auch schon fündig.

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