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Der 37-Jährige habe daraufhin ein Messer gezückt und bedrohlich gewirkt, worauf ein Polizist dreimal auf Nzoy geschossen habe.
Zugunsten der Polizei hätte man hier den Vorgang schon akkurater beschreiben können. Wie auf dem Video in 20Min feststellbar ist, rannte der Mann wiederholt auf die Polizei zu. Gemäss Zeugen mit gezücktem Messer. Das scheint mir schon ein bisschen mehr als „bedrohlich wirken“ und entspricht eher einer manipulativen als einer sachlichen Wortwahl.
Dass durch die Polizei nicht sofort erste Hilfe erfolgte, scheint mir hingegen schon bedenklich. Hier wäre eine zusätzliche Recherche zum Vergleich mit der gängigen Praxis hilfreich gewesen, bevor man auf Misstand schliessen kann.
Sehr geehrter Herr S.,
danke für die Kritik. Ich habe mir die Videos natürlich auch mehrfach angesehen und mir dabei auch zur Wortwahl Gedanken gemacht.
Kurz zur Faktenlage: Im Moment liegen noch keine Akten vor. Es gibt die Aussagen der Beschuldigten (die Polizei), der Zeug:innen und die Videos. Den Aussagen der beschuldigten Polizei würde ich mit einer Portion Skepsis begegnen, weil die Polizei a) beschuldigt ist und b) vor Auftauchen der Videos erwiesenermassen falsche Aussagen gemacht hat. Nichtsdestotrotz habe ich zugunsten der Polizei ihren Wortlaut aus der Medienmitteilung übernommen. Ich halte das für sachlich.
D’après les premiers éléments de l’enquête, malgré la sommation d’usage d’un des agents, l’individu aurait exhibé un couteau se montrant menaçant.
Was das Video angeht: Sie scheinen da offenbar mehr zu sehen als ich. Klar erkennbar ist, dass der Mann einmal auf die Polizei zurennt. (Nach den ersten beiden Schüssen steht er auf und geht ca. 6 Seitwärtsschritte auf die Polizei zu.) Ob er ein Messer in der Hand hält, ob er es vorher hat fallen lassen, ob er es geworfen oder geschwungen hat – sieht man auf dem Video nicht. Man sieht auch nicht, was geschah bis die Zeug:innen ihre Handykamera einschalteten.
Was man allerdings sehr gut sieht, da sind wir uns einig: Dass die Polizisten untätig blieben, nachdem sie den Mann getötet hatten.
Ja, es ist schon krass, wie er auf die Polizisten zugegangen ist; nach dem ersten Schuss ging er zu Boden und erhob sich trotzdem wieder, und griff erneut an. Die Polizei hatte auf dem Perron wenig Auswegmöglichkeiten.
Aber wie kam es soweit? Wie wurde aus dem Zustand der Verwirrtheit Aggression? Wieso wurde nicht der Notfallpsychiater beigezogen, wie es üblich ist, wenn die Polizei mit einem geistig Verwirrten nicht weiter kommt?
Und wieso wurde nicht erste Hilfe geleistet? Weil die Polizei schon den Tod festgestellt hatte und dies für nicht angebracht hielten, oder aus Gleichgültigkeit? Wieso stand in der ersten Presseerklärung die detaillierte Beschreibung, dass der Mann "sofort von der Polizei versorgt" wurde - und weiter "die Polizei begann mit einer Herzmassage, die von den Sanitätern und dem Arzt des Mobilen Not- und Reanimationsdienstes fortgeführt wurde" - eine Darstellung die in diesem Detailgrad offensichtlich frei erfunden wurde?
Was man nie vergessen darf: Auch Polizisten sind Menschen! Wir alle haben einen Perfektionsanspruch an die Polizist*innen, der nicht einhaltbar ist.
Damit möchte ich in keinster Weise die unterlassene erste Hilfe entschuldigen. Ich lief in den letzten Wochen leider mehrmals in für mich harmlose, resp. für mich kalkulierbare Notsituationen hinein. Spoiler: Ich habe reagiert, aber ich habe nicht gut reagiert...
ABCD schlicht vergessen und stattdessen gleich seitengelagert
Person geborgen und anschliessend in Starre übergangen, weil glücklicherweise andere übernommen haben
Stress ist ein Arsch! In beiden Fällen war ich froh, als ich den Stress an die Blaulichtorganisationen 'weitergeben' konnte.
Damit möchte ich nur sagen, dass es sehr leicht ist über andere zu urteilen, die Probleme lösen müssen, mit denen wir überfordert wären und dann im Nachhinein einen Fingerzeig zu machen.
Trotz dieser 'Verteidigung' stimme ich überein, dass es wohl dringend eine konstruktive Fehlerkultur benötigt, damit auch ausserhalb des Blamings zukünftig solche Fälle verhindert werden können.
Aber wie kam es soweit? Wie wurde aus dem Zustand der Verwirrtheit Aggression? Wieso wurde nicht der Notfallpsychiater beigezogen, wie es üblich ist, wenn die Polizei mit einem geistig Verwirrten nicht weiter kommt?
Das sind absolut berechtigte Fragen. Allerdings schreiben Sie ja selbst „wenn die Polizei mit einem geistig Verwirrten nicht weiter kommt“. Die Polizisten müssen sich erstmal ein Bild von der Lage machen, den Mann also ansprechen und ihn gemäss Ausbildung mit gezogener Waffe (zum Eigenschutz) dazu auffordern, das Messer (wenn es denn eins war) fallen zu lassen. Womöglich wäre ein anderes Vorgehen besser gewesen. Aber wenn sie einen Notfallpsychiater anfordern, was sicher eine Weile dauert, dann müssen sie den mit dem Messer bewaffneten Verwirrten ja auch irgendwie „in Schach“ halten. Er darf sich keinesfalls wieder mit dem Messer zum Beispiel in den Bahnhof zwischen andere Passanten begeben. Wenn dann irgendetwas passiert bzw. Menschen erstochen werden (wie z. B. ca. zwei Monate zuvor in Würzburg), dann wäre das der Super-GAU für die Polizisten. Und vom Notfallpsychiater darf man auch keine Wunderheilung erwarten. Der würde sich sicherlich auch nicht ungeschützt in die Nähe des bewaffneten und verwirrten Mannes begeben.
Abgesehen davon ist auch immer die Frage, ob es in solchen extrem seltenen Stresssituationen gut ist, sich flexibel zu überlegen, was jetzt das Allerbeste sein könnte. Vielleicht führt das unter Stress dann öfter mal zu den falschen Entscheidungen. Was ich damit sagen will, ist, dass klare Routinen in solchen Ausnahmesituationen sehr hilfreich sein können, auch wenn sie dann auf bestimmte Situationen nicht passen. Beispiel: Personenkontrolle von Personen mit offen getragener Waffe immer mit gezogener Waffe.
Die Fragen aus Ihrem letzten Absatz stelle ich mir genauso und die frei erfundene Polizeimitteilung entsetzt mich ebenfalls.
Die Stelle des Kommandanten der Waadtländer Polizei war/ist vakant (hier die Stellenanzeige auf Linkedin: https://www.linkedin.com/jobs/view/…693581428/). Eine seltene Gelegenheit, für Veränderungen zu sorgen, denn wenn der Ausbildungsstand der Polizei nicht dafür ausreicht, einen Angreifer trotz persönlicher Schutzausrüstung und nicht-tödlichen Waffen zu überwältigen, gibt es Verbesserungspotential.
Mir stellt sich des Weiteren die Frage: Was kann getan werden, um solche Vorfälle in Zukunft zu verhindern? Kann stärker in die Ausbildung investiert werden? Wie werden Polizistinnen überhaupt ausgebildet? Wo werden Schwerpunkte gesetzt? Müssen Polizisten stärker auf rassistische Gesinnung geprüft werden? Müssen die (Handlungs-) Protokolle überarbeitet werden? Sollten Weiterbildungen in zwei Bereichen (Umgang mit psychischer Störung / Reaktion auf Hautfarbe) absolviert werden? Würde das überhaupt etwas bringen oder würde nur darüber gelacht werden?
Das waren nun viele Fragen. Und zeigt wohl die Ratlosigkeit, die ich hier verspüre.
Ein gewisser Verlust des Vertrauens in die Polizei kann ich nicht verhindern, doch möchte ich weiterhin daran glauben, dass sich auch viele PolizistInnen nicht von Vorurteilen oder Rassismus leiten lassen.
Ein krasser Vorgang. Eine beunruhigende Serie, die vermuten lässt, dass sie die Spitze des Eisbergs ist. Nicht nur in der Waadt.
Warum kann die Polizei nicht adäquat mit psychisch kranken Menschen umgehen? Sie haben den Mann erschossen und dann Minutenlang einfach nichts zu seiner Rettung unternommen.
Das wäre ein elementarer Teil der Grundausbildung für angehende Polizist:innen. Am besten grad ein Monat Praktikum in einer Klinik, um ein Gespür für die typischen und häufigen psychischen Krankheiten zu entwickeln.. Und vor allem ein Gespür für Menschen.
Ich vermute, dass es ein zum Teil tatsächlich ein Bildungsproblem ist. Vor einiger Zeit war doch was in den Medien über haarsträubende Zustände an der interkantonalen Polizeischule der Westschweiz. Diese überforderten Polizisten sind vielleicht die Früchte dieser Schule. Und unserer Gesellschaft sowieso.
Am besten grad ein Monat Praktikum in einer Klinik, um ein Gespür für die typischen und häufigen psychischen Krankheiten zu entwickeln.. Und vor allem ein Gespür für Menschen.
Da gebe ich Ihnen recht. Das wäre vermutlich wirklich nützlich. Auch wenn man es kennt, können z. B. Menschen im psychotischen Schub trotzdem noch furchteinflössend sein, aber man kann es definitiv besser einordnen und dann vielleicht eher einen kühlen Kopf bewahren.
Leider einmal mehr ein Fall, wo auf eine Bedrohung mit völlig unangemessenen Waffen reagiert worden ist. Die Wahl der Waffe sollte immer kongruent sein zur Art der Bedrohung - und das war hier m. E. eindeutig nicht der Fall.
Da kommt auf mich als Polizist also ein vermutlich gut erkennbar gestörter Mann mit einem Messer in der Hand auf mich zu und ich strecke den mit 3 Schüssen nieder? Haben die für genau solche Fälle immer noch keine Taser oder andere nicht-letale Waffen?
Pistolen kann die Polizei meinetwegen gegen gewaltbereite und aggressive Personen aus der eindeutig kriminellen Szene einsetzen, aber doch nicht auf diese Art gegen einen einzelnen Menschen!!!
Ob dies ein Rassismusproblem ist, oder nicht, kann ich nicht beurteilen, aber es ist ganz sicher ein Selektions- und/oder Ausbildungsproblem bei der Polizei.
Ein Messerangriff ist enorm gefährlich: Auf keinen Fall darf man sich in den Radius begeben, welcher der Angreifer mit seinem Messer erreichen kann, womit jeglicher Nahkampf / Taser etc. ausscheidet, wenn man nicht gerade Karate-Experte ist. Allenfalls wäre ein längerer Schlagstock noch brauchbar, hat die Polizei aber standardmässig nicht dabei. Selbst die Schusswaffe stoppt einen Messerangreifer oft erst nach mehreren Schüssen.
Wenn der Angreifer nur droht, aber nicht schnell angreift, hilft eventuell noch ein Pfefferspray. Wenn der Angreifer aber mit dem Messer auf einen Polizisten zuläuft und trotz Warnung nicht stehenbleibt ist meiner Kenntnis nach die gängige Praxis in der Tat der Schusswaffengebrauch.
Mehr zu dieser Problematik z.B. im Beitrag der deutschen Polizeigewerkschaft "Wie können sich Polizisten schützen - ohne zu schiessen". Der Beitrag erwähnt übrigens pikanterweise, dass mehr Ausbildung bezüglich Messerattacken wünschenswert wäre, weil „Messerangriffe in der Fortbildung kein Thema“ seien (soweit zumindest zu der Situation bei der Deutschen Polizei).
Es ist mir bewusst, dass man auf jeden Fall ausserhalb des Messer-Radius' bleiben muss, also müssen Waffen angewendet werden, welche einen grösseren Wirkungsradius haben.
Vielleicht war der Begriff 'Taser' nicht ganz korrekt. Es gibt da Systeme, welche aus ein paar Metern abgefeuert werden können und nachher gleich wirken, wie ein Taser.
Vielleicht könnte man auch eine Art Betäubungsgewehr für Menschen einsetzen, so wie man sie in Zoo's verwendet?
Sie haben recht, dass ein einzelner Schuss aus einer Pistole nicht auf 'nützliche Distanz' mann-stoppend ist (er wirkt jedoch oft verzögert tödlich). Aus diesem Grund setzt man im Combat-Schiessen immer zwei bis drei Schüsse ab.
Klar ist, dass auf Körper abgegebene Schüsse meist tödlich sind, dies also Ultima Ratio bleiben muss. Für mich sind Pistolenschüsse nur gegenüber erwiesenen Kriminellen statthaft - was im vorliegenden Fall sehr wahrscheinlich nicht gegeben war.
Es wäre so wichtig, dass der Polizist zu Rechenschaft gezogen wird. man sieht ja was passiert, wenn sie gedeckt werden: die Fälle häufen sich. Es beelendet mich schon wieder sowas zu lesen. Farbige mit psychischen Problemen scheinen in der Augen der Polizei keine Daseins berechtigung mehr zu haben - sehr sehr traurig & äusserst bedenklich!
Ja, nur wird sich nichts ändern, wenn wir nur/wenigstens/überhaupt die Menschen für Ihr Fehlverhalten bestrafen. Wenn zwei Polizisten wegen unterlassener Hilfeleistung eine Geldstrafe auf Bewährung erhalten, ändert sich nichts an Einsatzgrundsätzen und -taktik. Die politische Forderung ist: Wir wollen eine Polizei, die heilt, nicht tötet.
Wollte oder konnte man die in diesen Fall involvierte Polizeistelle für diesen Artikel nicht befragen? Ich vermisse die Darstellung der Geschehnisse aus Sicht der Polizei …
Für welchen der vier Erschossenen in den letzten viereinhalb Jahren?
Die strafrechtlichen Untersuchungen gegen die Polizei laufen; die Staatsanwaltschaft Waadt hat ein Ermittlungsverfahren wegen Mordes aufgenommen.
Die Polizei nimmt zu laufenden Verfahren nie Stellung.
Da wo die Darstellung der Polizei vorlag, ist sie in den Beitrag eingearbeitet:
Gemäss Darstellung der Polizei habe man Nzoy, der sich auf dem Perron zwischen den Gleisen 4 und 5 befand, ermahnt. Der 37-Jährige habe daraufhin ein Messer gezückt und bedrohlich gewirkt, worauf ein Polizist dreimal auf Nzoy geschossen habe. In der ersten Medienmitteilung schrieb die Polizei, sie habe sofort Erste Hilfe geleistet. Doch bald darauf zeigten Videos, dass das eine Falschinformation war. (...) Die Polizei musste ihre falsche Darstellung korrigieren, gab jedoch keine weiteren Erklärungen dazu ab.
„Für welchen der vier Erschossenen in den letzten viereinhalb Jahren?“
Selbstverständlich, aus journalistisch konzeptueller Sicht, primär zu dem im vorliegenden Artikel am breitesten dargestellten und jüngsten Fall Nzoy - und zwar auf die im Artikel aufgeworfenen Fragen. Da interessierts mich halt immer, was die Gegenseite auf diese erwidern würde. Solange ich hierauf keine Entgegnungen, keine Antworten der Gegenseite habe, möchte ich mir keine abschliessende Meinung bilden.
Eigentlich würden mich aber auch Erklärungen seitens der Polizei (oder von Polizeiarbeitsexperten, Ausbildnern, Waffenexperten etc.) zu den anderen Fällen, zur Häufung natürlich und generell zu Toten aufgrund von Dienstwaffengebrauch im Zuge von Selbsverteidigung interessieren. (Dies hätte es z.B. auch sehr im Zürcher-Fall Ali). Jede Organisation oder Firma wäre da doch schon längstens in PR-Verteidigungsstellung gegangen?
Aber das geht ja anscheinend nicht, weil die Polizei zu laufenden Verfahren nie Stellung nimmt. Das hab ich nicht bedacht.Glaubs für die anderen Fälle gab es teils ja auch strafrechtliche Verfahren. Somit nehme ich an, dass es für die Polizei aus rein rechtlichen Geünden kaum Möglichkeit gibt, Stellung zu diesen Vorfällen zu nehmen?
Mich hätte halt zum Beispiel schon interessiert, warum sie im jüngsten Fall so lange keine Rettung alarmiert haben - oder warum es bei einem Angriff mit einem Messer keine anderen Möglichkeiten der Selbstverteidigung gibt als zu schiessen - Pfefferspray, taktischer Rückzug (insbesondere da keine Gefährdung von Dritten vorzuliegen scheint) etc.?
Spannend. Für SRF nahm die zuständige Polizeistelle ausführlich Stellung: https://www.srf.ch/play/tv/sendung/…e8bda6c989
Warum nicht für die Republik? Genau das habe ich beim Republik-Artikel vermisst ....
Ein toter Schwarzer pro Jahr durch Polizeigewalt im Kanton Waadt deuten proportional auf schlimmere Zustände als in den USA hin. Aber es interessiert kaum jemanden.
Scheint auch System zu haben, das Identitäten verschleiert werden (Hautfarbe nicht nennen; Fall 'Carlos' aka Brian; Danke an Carlos Hanimann für die Aufklärung). Auch erwähnen könnte man hier den ähnlichen Fall Ali in Zürich. Das Problem besteht ja nicht nur in der Waadt. Die Frage ist wann da mal reagiert wird..
Sorry, aber da verharmlosen Sie jetzt wirklich die Zustände in den USA, wo (Polizei-) Gewalt gegen People of Color eine ganz andere Geschichte hat, und wo jede Person of Color, die von der Polizei z.B. in einer Fahrzeugkontrolle angehalten wird, ein Stossgebet sagen muss, dass auch diesmal bitte alles gut gehen möge.
Wir haben in der Schweiz unsere eigenen Varianten von Rassismus, Sexismus und anderen -ismen, die wir angehen sollten.
Psychisch kranke Menschen werden leider verhältnismässig oft von Polizisten getötet. Hierzu gibt es ein sehr gutes Interview in der TAZ mit dem Kriminologen Thomas Feltes. Auf folgende Frage antwortet er:
Wie sollten Polizisten in solchen Situationen [bei hinweisen auf psychische probleme] reagieren?
Am wichtigsten ist es zu klären, ob eine unmittelbare polizeiliche Handlung überhaupt notwendig ist: Besteht tatsächlich eine unmittelbare Gefahr für andere oder die betreffende Person, die nur durch Schusswaffengebrauch beendet werden kann? Wenn das nicht der Fall ist, darf es nur darum gehen, die Lage so zu stabilisieren, dass von der Person keine unmittelbare Gefahr ausgeht. Die Polizisten können sich zurückzuziehen, Abstand halten und die Person nicht unter Druck setzen. Eine Hauptproblem besteht in vielen Fällen allerdings darin, dass Polizeibeamte ein Problem unbedingt selbst und sofort lösen wollen, ohne geeignete Fachleute zurate zu ziehen. Psychisch gestörte Menschen mit gezogener Waffe zu konfrontieren, Pfefferspray oder gar Hunde gegen sie einzusetzen, führt unweigerlich zur Eskalation der Situation.
Wie gesagt, finde ich das Interview sehr gut und kann das Allermeiste gut nachvollziehen. Allerdings frage ich mich trotzdem, wie die Polizisten in Morges im Vorfeld und während der Personenkontrolle anders hätten reagieren können oder sollen.
Wenn die Polizei Meldung erhält, dass sich ein auffälliger, agitierter Mann auf dem Bahnhof befindet, dann müssen sich die Polizisten ja ein Bild von der Lage machen. Wie machen sie das? Indem sie ihn ansprechen. Weil er offensichtlich ein Messer getragen hat (vielleicht war es auch ein Schotterstein?) müssen oder sollen die Polizisten gemäss Ausbildung diese Personenkontrolle mit gezogener Waffe vornehmen. Was sie ja auch gemacht haben. Das eskaliert die ganze Situation, da sich Nzoy offensichtlich in einem psychischen Ausnahmezustand befindet. Hätten die Polizisten das bemerken können oder müssen, dass er psychisch krank ist? Vielleicht. Allerdings können sie sich ja deswegen auch schlecht so zurückziehen, dass Nzoy sie nicht mehr sieht oder sich nicht bedroht fühlt. Wenn er dann auf andere Menschen losgegangen wäre und die Polizei hätte nicht mehr eingreifen können, dann wären die Polizisten zu Recht dafür angeklagt worden. Die Tatsache, dass er zuvor niemanden bedroht hat, schliesst ja nicht aus, dass es noch passiert. Als Nzoy dann auf den Polizisten losrennt, schiesst dieser korrekterweise auf den Torso. Auf die Beine zu schiessen ist viel zu schwierig und das Ziel ist es ja, den Mann zu stoppen. Man nimmt in diesem Fall bewusst den Tod in Kauf.
Ich sehe momentan vor allem das gravierende Versäumnis, dass sie Nzoy über so lange Zeit nicht reanimiert haben. Zumal er ja offensichtlich gefesselt war und somit sicher keine Gefahr mehr darstellte. Ich kann es mir höchstens damit erklären, dass die Polizisten unter Schock standen und einfach nicht erkannt haben, dass er in Lebensgefahr war.
Und dass die Polizei dann so eine völlig falsche Mitteilung rausgibt, ist natürlich ungeheuerlich. Das untergräbt wirklich die Glaubwürdigkeit der Polizei. Ich hoffe sehr, dass das alles noch sauber aufgearbeitet wird.
In solchen Fällen wäre es gut, müssten die Polizisten eine Bodycam tragen. Einerseits zu ihrem Schutz, aber ganz offensichtlich auch zum Schutz der Bevölkerung. Lügen und bedenkliches & rassistisches Verhalten der Polizei würden wohl deutlich seltener vorkommen. Gab es dazu nicht mal einen Versuch in Zürich mit Bodycams? Wäre spannend zu wissen warum das nicht weitergeführt wurde.
Ich habe mich in meiner Bachelorarbeit mit Bodycams bei der Polizei befasst. In den USA haben Dash-Cam-Aufnahmen, wie auch andere Video-Aufnahmen selten oder nie zu einer Verurteilung der Polizei geführt. Hingegen gibt man der Polizei mit einer Kamera ein weiteres Machtmittel in die Hand. Die Polizei hat die Kontrolle, ob und ab wann eine Aufzeichnung gespeichert wird. Leider ist gemäss diverser Studien zu vermuten, dass Bodycams bei der Polizei das Machtgefälle und die Ungerechtigkeit eher vergrössern würden.
Die junge Frau eines Arbeitskollegen war von der Polizei mit scharfer Waffe auf der Strasse gestellt worden, nachdem sie aus der Psychiatrie entflohen war in der sie als frische Mutter wegen einer Schwangerschaftsdepression in Behandlung war. Durch und durch weiss und schweizerin. Wieviel hätte gefehlt, dass die Situation eskaliert? Wieso hat die Polizei nicht durchgängig auch nicht tödliche Waffen? Solche Situationen in Sekundenbruchteilen entscheiden zu müssen muss extrem belastend sein. Wie soll da rationales denken möglich sein? Es kann nur antrainiert werden. Diese Trainings sollten nun auditiert werden; die da konkret dargestellten Bedrohungssituationen. Und der Waffengebrauch hinterfragt. Denn Trainings und Waffenbeschaffung sind bewusste, reflektierte Handlungen. Genau so die Entscheidung solches zu tun oder zu lassen; Finanzierung. Das Geschehen selber ist affektiv und kaum willentlich zu steuern.
Gibt es Informationen dazu, wieviele Personen insgesamt durch die waadtländer Polizei (Gewaltanwendung oder Vernachlässigung) gestorben sind?
Guten Tag Frau F., bitte entschuldigen Sie die späte Antwort. Mit "insgesamt" meinen Sie vermutlich: nicht bloss in den letzten vier, fünf Jahren sondern über einen längeren Zietraum, ja? Dazu habe ich leider keine Angaben.
viele Grüsse
Danke für die Antwort! Eigentlich wollte ich folgendes fragen: Wieviele Personen starben in den Händen der waadtländer Polizei innerhalb der betrachteten viereinhalb Jahren, in denen die 4 Personen of color starben, insgesammt? Starben auch Personen, denen man eine mitteleuropäische Herkunft zuschreibt?
Muss es die Rolle eines Polizisten sein, zu warten bis bei ihm ein Messer im Körper steckt? Das darf sich jetzt jeder Fragen, würdest DU persönlich als Polizist darauf warten? Der Stich des Messers kann für dich persönlich auch schlecht enden, auch wenn du in Kampfsport trainiert bist. Was wäre deine Entscheidung in den paar Sekunden?
Republik AG
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