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Leserin
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Der brave Mann, die brave Frau. Das Stück von Milo Rau bringt die Rezensentin dazu, sich mit den Reaktionen des (Premieren)publikums zu befassen. Könnte es sein, dass diese Reaktionen das eigentliche Stück sind? Wohl die meisten der Republik Lesenden sitzen irgendwo ruhig an der Wärme, lassen Ungerechtigkeiten und menschliches Leid an sich heran. Manchmal sind sie etwas empört, manchmal klatschen sie. Mir kommen in solchen Situationen in letzter Zeit immer wieder die Bilder von Carl Spitzweg und die Karikaturen von Honoré Daumier in den Sinn.

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Theresa Hein
Feuilleton-Redaktorin
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Liebe Frau D., ich danke Ihnen für Ihre wie immer klugen Überlegungen. Allerdings frage ich mich in diesem Fall, ob man es der Produktion nicht ein bisschen einfach macht, wenn man sagt, die Reaktionen seien das «eigentliche Stück» - denn müsste nicht noch die Reflexion des Publikums über seine eigenen Reaktionen erfolgen, damit man sie dem Regisseur zugute halten kann? Und das schafft Rau an diesem Abend meiner Meinung nach leider nicht (bei allen), aus den angesprochenen Gründen...

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"....die zu einem grossen Teil aus Raub- und Fluchtkunst besteht..." Könnten Sie da die Quelle bitte noch verlinken. Ich habe nicht gewusst, dass das jetzt wirklich geklärt ist !

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fotografie, texte, webpub&lektorin
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· editiert

Liebe Theresa Hein
Habe das Stück (noch) nicht gesehen. Ein Satz Ihrer Kritik irritiert mich ganz unabhängig vom konkreten Stück und Ihrer eigentlichen Stückkritik:
Sie schreiben:
—> „Man kann den Szenen­applaus aber auch als Zürcher Schauspiel­haus lesen, das sich selbst entlarvt.“
Das Zürcher Schauspielhaus verantwortet allenfalls die Produktion, oder genauer wem sie wann welchen Raum und dabei wieviel oder auch wie wenig Carte Blanche geben oder gegeben haben mögen. — Was das Zürcher Schauspielhaus aber definitiv nicht verantwortet — und was somit auch nicht für das Schauspielhaus entlarvend sein kann — das ist die Reaktion des Publikums; Premierenpublikum inklusive.
|Wenn Sie sich mal achten: Hausinterne Theatermenschen welcher Art auch immer (die an Premieren tatsächlich mehr als an anderen Abenden vertreten sind im Publikum), sind meist sehr konzentriert, aber ganz selten lassen sie irgendwelche äusseren Reaktionen erkennen.|
Rein sprachlich müsste Ihr Satz also heissen:
—> Man kann den Szenen­applaus aber auch als Zürcher Publikum lesen, das sich selbst entlarvt.
Und hier wird deutlich, dass die Formulierung grundsätzlich nicht aufgeht, und noch weiter neu gefasst werden müsste:
—> „Man kann den Szenenapplaus aber auch als Selbstentlarvung des Zürcher Publikums (bzw. allenfalls Premierenpublikums) lesen.“
Mensch sollte aus meiner Sicht eben auch sprachlich nicht Unrecht tun — auch wenn ich natürlich schwer annehme, dass dieses hier eingeschriebene Unrecht wohl eher aus sprachlicher Unaufmerksamkeit entstanden denn Ihre Absicht gewesen sein wird.
Was allerdings ja eventuell dann eben doch auch ein Stückkommentar sein mag.
Interessant jedenfalls, dass Sie hier — und das habe ich so bisher wohl noch kaum je oder gar nie gelesen — dass Sie hier in Ihrer Kritik auf eine Verantwortung hinweisen, die sonst gar nicht vorkommt:
Die grund•legende oder eben allenfalls eher grund•entziehende, die Verantwortung derjenigen, die zuhören, die zusehen (und das gilt ja auch für den All•Tag, jeden Tag; in jeder Begegnung eben ein Stück weit) und die Verantwortung dafür, was wir dabei hören (und was die Polizei sich, angesichts der zwei Toten in Paris geade wieder, vielleicht doch auch genauer hinterfragen müsste) auch was wir denn genau sehen, und wie — oder allenfalls auch abwehren und kaum oder gar nicht oder auch im Reflex ganz falsch sehen und hören mögen; sehen und hören wollen, oft auch; was wir, oft fast gleichzeitig, durch laute oder heftige oder reflexhafte oder überschnelle, was auch immer, Reaktionen — sogar als scheinbar rein Passive (hier: als Publikum) — anstellen mit dem, was irgendwer uns sagt, oder sagen möchte oder eben vielleicht auch nicht sagen kann.
Also taucht übrigens implizit ein konkretes Resultat des Abends hier doch noch auf: eine Hinterfragung der Verantwortung im Sehen und Hören als offenbar recht konkrete Spätfolge Ihres Theaterabends.
Auf was ich persönlich wohl eher werde verzichten können, ist die Art von Schnellbleiche-Eso-Schamane, wie Sie den hier beschreiben. Kann mich dafür ja dann darauf konzentrieren, herauszufinden, ob das möglicherweise Absicht gewesen sein könnte oder nicht.
Letzthin waren jedenfalls am gleichen (Schauspiel-) Haus ganz andere, sehr ernst zu nehmende und auch vielschichtige, tiefgründige Schamanen grade zu Gast.
Das Buch liegt auch noch immer erst kurz angelesen bei mir. The falling sky. Words if a Yanomami Shaman. Von Davi Kopenawa. Gab damals auch eine Diskussionsrunde dazu. Als Video auf der Website zugänglich. Jedenfalls damals.
Haben Sie jenes Stück ebenfalls gesehen?
Herzlich nach Zürich!

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Daniel Meyer
Korrektor Republik
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Liebe Verena, schnell zu deiner sprachlichen Bemerkung zu der Stelle mit dem Szenenapplaus: Danke für deinen Hinweis.
Ich würde das als eine etwas unglücklich gewählte Synekdoche bezeichnen. Unglücklich deshalb, weil sie vielleicht tatsächlich aufs Schauspielhaus lenkt, wo wirklich das Publikum gemeint ist. Das Kunstvolle an dieser Stilfigur ist ja, einen Begriff so durch einen anderen zu ersetzen, dass trotzdem noch alle wissen, was gemeint ist. ("Deutschland verurteilt diesen Krieg" – und alle wissen, dass primär die Regierung gemeint ist; als Beispiel)
Diese Form des "uneigentlichen Sprechens" wird noch häufig verwendet, meine ich. Ich meine, an dieser Stelle ist es nicht wirklich falsch, aber wir haben darüber debattiert und meinen auch, es ist vielleicht etwas schief. Wir haben die Stelle präzisiert. Nochmals merci für deine Rückmeldung. Ich wünsch dir einen schönen Tag, herzlich! DM

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Theresa Hein
Feuilleton-Redaktorin
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Liebe Frau Goanna, ich möchte mich auch noch für Ihren konstruktiven Beitrag bedanken. Und ja, ich hatte das Publikum gemeint und mich unklar ausgedrückt. (Sie sollten mich mal sprechen hören. Da passiert das ständig!) Ich bin aber, das nun ernst gemeint, immer froh, wenn ich auf eine unpräzise Ausdrucksweise hingewiesen werde. Ich bedanke mich auch für Ihre Gedanken zum Thema Verantwortung, die mich weiter zum Nachdenken gebracht haben. Zum Schamanen: Ja, die Art, wie ich die Teufelsaustreibung beschrieben habe, ist Geschmacksache; da habe ich mir schon gedacht, dass das nicht allen gefallen wird - muss es aber auch nicht. Das war ein persönlicher Eindruck einer sehr ungewohnten Szene im Kunsthaus und wird glaube ich klar. Worum es mir nicht ging war, das Wirken von Schamanen generell lächerlich zu machen. Die Inszenierung «Before the sky falls» im Schauspielhaus habe ich tatsächlich gesehen, die Statements von Davi Kopenawa aus dessen Buch und aus Gesprächen mit der Regisseurin fand ich sehr eindrücklich, die Inszenierung insgesamt aber weniger gelungen.

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fotografie, texte, webpub&lektorin
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Lieber Daniel
Danke für deine Rückmeldung und dass ihr euch so bewusst mit der Rückmeldung detailliert habt.
Kunstvoll an der Stilfigur — danke für den Fachbegriff — scheint mir hingegen, tatsächlich in sich Verkürzbares zusammenzufassen; nicht aber, Unterschiedliches miteinander so zu vermengen, dass die Aussage, wie im vorliegenden Fall, eine de facto falsche Verkürzung ergibt.
Und in einer Zeit des gezielten Einsatzes von Vermengungen aller Art, die Lügen als sogenannte fake news verschleiern, bin ich der Meinung, dass grösstmögliche sprachliche Klarheit — zumindest im Journalismus — notwendiger denn je ist.
Wer was wie versteht, ob also tatsächlich alle wissen, was gemeint ist, ist dann nochmals eine ganz andere Sache; mit grösstmöglicher Klarheit können wir das wenigstens ansatzweise in die von uns beabsichtigte Richtung lenken.
„Uneigentliches Sprechen“ (Uneigentliches insgesamt, was auch immer das genau sein mag), erachte ich gerade im Journalismus wohl insgesamt als ziemlich problematisch.
Sogar Poesie entsteht aus meiner Sicht gerade aus grösstmöglicher Präzision bei der Ver•Dichtung.
Deshalb danke vielmals, dass ihr das so ernsthaft diskutiert und angepasst habt.
Noch zu deinem Beispiel mit Deutschland: Für Deutschland und dein Beispiel mag das in der aktuellen Situation angehen. Doch sogar eine Schlagzeile kann präziser formuliert werden.
Wenn wir aktuell die Aussage aber auf ein anderes Land anpassen, was inzwischen wieder viel zu oft gemacht wird, dann zeigt sich meines Erachtens die Problematik daran schon sehr klar: Nicht Russland hat die Ukraine angegriffen, nicht Russland — übrigens auch nicht Weissrussland, i.e. Belarus führt diesen Krieg gegen die Ukraine (sonst blenden wir bereits wieder die auch dort letztlich brutal niedergeschlagenen Proteste der Bevölkerung, vor ganz kurzem gerade noch, die sich mir stark weiblich und als Blumenbewegung eingeprägt hat, auch bereits wieder aus), sondern diesen Krieg, den fortgesetzten Angriff auf die Ukraine mit der ganzen so extrem ausgeprägten Grausamkeit führen deren Machthaber. Natürlich ist auch die Aussage Putins Angriffskrieg und Lukaschenkos aktive Mitbeteiligung an diesem Krieg eine Verkürzung; allerdings eine Verkürzung auf die tatsächlich primär Verantwortlichen. Dass auch eine Entourage der beiden Gewaltherrscher noch mitbeteiligt ist, und zumindest mitmacht, das versteht sich dann vielleicht tatsächlich eher von selbst. Doch auch das kann und sollte im Fliesstext dann stellenweise auch explizit da und dort mit erwähnt und dadurch auch reflektiert werden.
Sprache ist viel wirkungsvoller, hat viel viel mehr Einfluss, als wir das uns überhaupt je bewusst sind.
Das ist aus meiner Sicht das, was in die sehr schlichte und einfache Formel runtergebrochen wurde vor sehr langer Zeit schon: Am Anfang war — oder eben auch ist, bis heute — das Wort.
Und heute müssten wir uns vielleicht auch darin die Verkürzung wieder bewusst machen: Am Anfang sind Gedanke und Wort. (Ob das Original diese erweiterte Bedeutung allenfalls im Originalbegriff tatsächlich mit beinhaltet hatte, entzieht sich meiner Kenntnis.)
Zumindest in Diktaturen jedenfalls, müssen wir — und aus meiner Sicht zwingend — Machthabende und Bevölkerung schon klar unterscheiden.
Und deshalb uneigentliches Sprechen und Schreiben, gerade in so zerrissenen, mörderischen, grausamen Zeiten — oder jedenfalls Kontexten — so weit als irgend möglich vermeiden.
Natürlich geht das nun weit über den Rahmen eures ursprünglichen Textes hinaus. Allerdings, und das scheint mir doch zumindest ironisch, als relativ direkte Folge einer Theaterinszenierung, deren Wirksamkeit zumindest hinterfragt worden war.
Finde ich als Resultat, auch von Theresas Kritik, doch irgendwie gar nicht so schlecht.
Und macht, zumindest mich, nun echt gespannt auf Milo Raus Stück.
Geniesst ebenfalls den sonnigen Tag :-)
Damit herzlich zurück nach Zürich, oder genauer, zurück in die Republik!
Lg, Verena

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Ein P.S. noch: Bin auch nicht gar so überzeugt, dass „Exorzismus“ eine gar so gute Idee ist; politische Aufarbeitung überzeugt mich als Ansatz da schon sehr viel mehr. Eine Entscheidung, ein Gegensatz, der mir gerade heute phänomanal wichtig erscheint.

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Bin heute aufsässig: als letztes habe ich nun noch gemerkt, dass Szenenapplaus, und natürlich gerade häufiger Szenenapplaus für mich ein Phänomen ist, um das ich Menschen in einem Saal um mich herum — je nachdem zu was, natürlich — manchmal auch nahezu beneide. Ein solcher zeigt ja auch, dass grosse Teile des Publikums sich einfach ganz direkt angesprochen, gar involviert fühlen. — Dass mich gleichzeitig praktisch jedes nur halbwegs laute Geräusch, ob in Theatersaal oder auf der Bühne erst mal praktisch reflexartig kurz erschreckt, wäre nochmals ein anderes Thema und wie ich den Abend selber erlebt hätte, ohnehin ja nicht herauszufinden; das ist ja auch das Schöne am Theater (vs Film, z.B.), dass da eben wirklich jeder Abend ein Eigenleben auch hat.
Und hiermit, wenigstens zum Schluss noch herzlichen Dank, Theresa Hein, für Ihre anregende Kritik.
So viele Gedanken hab ich mir erst zu sehr wenigen Kritiken der letzten elf Jahre gemacht. Und so viel geschrieben dazu erst ein einziges Mal. Damals aber ganz allein für mich. Damals, um mir selber die Freude am eigenen Einsinken in die Theaterabende zu bewahren, Stunden, wie viele auch immer, die mich als courant normal einen Moment lang in eine komplett andere Welt katapultieren, was, wo, wie, von wem auch immer; mich meiner eigenen Welt einen Moment lang entheben; eine der schönsten und wohltuendsten Arten von Urlaub für mich. Manchmal komme ich aus einer halben Weltreise zurück beim Wiedereinschalten des Lichts. — Ihnen wünsche ich noch viele faszinierende Momente im Theater, liebe Theresa Hein. Ob aufreibend, nervend, begeisternd; scheint mir alles sekundär dabei — einfach kurz eintauchen; in was auch immer da nach sehr sehr viel Vorarbeit angeboten wird.

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Theresa Hein
Feuilleton-Redaktorin
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Ich habe mich selbst nicht vom Publikum ausgenommen!

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Aha. Also auch Szenenapplaus geklatscht?

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Theresa Hein
Feuilleton-Redaktorin
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Teilweise bestimmt.

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Rafaël Newman
Autor, Übersetzer
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Liebe Therese, ich habe deinen Text mit grossem Genuss und Gewinn gelesen, wofür vielen Dank!
Hier meine Gedanken zur diesjährigen Produktion: https://3quarksdaily.com/3quarksdai…-home.html
Mit herzlichen Grüssen,
Rafaël

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Offensichtlich ist es heute üblich zu "bespielen". Schade Milo Rau hat theatralische Möglichkeiten gefunden Unrecht auf die Bühne zu bringen, die alle am Unrecht Beteiligten auftreten liess und den Zuschauenden in einer Eindringlichkeit nahelegte, dass Weggucken oder ohne Auslegeordnung ein abschlissendes Urteil zu bilden, Teil des Unrechts ist. Offensichtlich haben sich die Enthemmungen so weit ausgedehnt, dass Milo Raus seit Jahren gleichbleibende Art Unrecht auf die Bühne zu bringen Klatschen evoziert, wie wir dies in der Pandemie für die ach doch so heldenhaften Pflegenden ritualisierten, weil es so schön euphorisiert und wir danach ruhig schlafen können und morgen ist ein anderer Tag.

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