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Danke für die Serie (bitte, bitte auch Spanien bringen!) und den differenzierten Beitrag mit leider etwas abruptem Ende.
Ich glaube, etwas lässt sich nicht leugnen: Viele Menschen in Europa, vielleicht sogar die Mehrheit der Wählenden, vermissen heute ein Wir-Gefühl, das in den letzten Jahrzehnten durch neoliberalen Sozialabbau, Globalisierung und Identitätspolitik erodiert ist. Sie erfahren, dass der Staat sie nicht mehr schützt und haben aufgrund erfolgreicher rechter Propaganda (Stichwort: "Welfare-Queens") den Eindruck, dass 'andere', viel grosszügiger behandelt werden. Wenn sie dann noch sehen, wie die Eliten es immer mehr schaffen, ihre fiskalischen Pflichten zu umgehen, fühlen sie sich definitiv verarscht. Aus der linksliberalen Bubble heraus ist es einfach, all diese Menschen als xenophob und/oder dumm zu bezeichnen. Die Antwort, das Angebot muss viel mehr ein linker Steuer- und Sozialstaatspatriotismus sein: Jede/r trägt nach seinen Fähigkeiten bei, jede/r erhält Zuwendungen nach seinen Bedürfnissen.
An diesen Überlegungen, die wohl auch die dänische Sozialdemokratie (und Sahra Wagenknecht) teilt, ist überhaupt nichts rechts.
Wohl dann aber an der Umsetzung: Wenn staatliches Handeln sich an 'ethnischen' statt an sozioökonomischen Kriterien orientiert, wenn Durchmischung Ab- statt Ausbau gemeinnütziger Wohnungen bedeutet, wenn die 'Schwächsten' vertrieben, aber die 'Stärksten' geschont werden, dann fragt man sich schon, was da noch links sein soll.
Der dänische Weg mag kurzfristige Wahlerfolge bringen, er spaltet aber meines Erachtens nicht weniger als der urbane Linksliberalismus, der schon mit dem Chauvinismus-Vorwurf kommt, wenn jenand den Schutz der Löhne höher gewichtet als ein Erasmus-Austauschsemester.
Müssen Sozialdemokraten (bzw. Linke generell) sich für Aufbau und Erhalt eines "Wir-Gefühls" kümmern? Klar, es gab mal ein starkes "Wir-Gefühl" in der Arbeiterbewegung. Das war aber etwas anderes, als das "Wir", für welches sich die dänische Sozialdemokratie engagiert. Dieses "Wir" ist klar nationalistisch inspiriert und funktioniert durch Ausgrenzung der "anderen". In meiner Wahrnehmung gab es übrigens auch vor der neoliberalen Welle in der Schweiz kein "wir", das ich hätte verteidigen mögen. Es basierte damals auf Xenophobie (Schwarzenbachinitiativen), Antikommunismus, Frauenfeindlichkeit und der Meinung, dass wir dank unserer "Neutralität" und einer starken Armee den zweiten Weltkrieg gewonnen hätten. Alles Werthaltungen, die ich schon damals ablehnte.
Ihre Aussage "Wenn sie dann noch sehen, wie die Eliten es immer mehr schaffen, ihre fiskalischen Pflichten zu umgehen, fühlen sie sich definitiv verarscht." Wirft mehr Fragen auf, als sie beantwortet. Insbesondere erklärt sie nicht, weshalb viele dieser Leute die Privilegien der Reichen verteidigen und beispielsweise zu einer 99%-Initiative Nein sagen.
Die Sozialdemokratie ist mancherorts zum Opfer ihrer Erfolge geworden. Gewiss sind viele sozialpolitische Erfolge immer wieder unter Druck oder wurden durch neoliberale Angriffe rückgängig gemacht. Aber es gibt gerade in der Schweiz viele Menschen, die vergessen haben, dass ihren Grosseltern oder Eltern ein sozialer Aufstieg gelungen ist. Sie verteidigen nun ihren Status zusammen mit den Reichen gegen unten.
Danke für Ihre Antwort, Herr Fankhauser, von der ich sehr viel teile. Ihre Einstiegsfrage möchte ich aber gerne mit einem vehementen Ja beantworten, das ich sogar noch ausweite: Nicht nur Linke, sondern auch Liberale kommen ohne ein Wir-Gefühl nicht aus. Gerne konkretisiere ich das: Sie selber tragen den Beinamen "Citoyen" und knüpfen damit an der Tradition der Französischen Revolution an, die ein starkes REPUBLIKansches Wir-Gefühl geschaffen und es dem dynastischen Denken der Monarchien entgegengeschleudert hat.
Es braucht eine Gemeinschaft, um Rechts- und Sozialstaatlichkeit auf- und auszubauen. Mit atomisierten Individuen oder einem Nebeneinander von Communities, die einander nichts mehr zu sagen haben, ist weder Demokratie noch soziale Gerechtigkeit zu verwirklichen.
Insbesondere erklärt sie nicht, weshalb viele dieser Leute die Privilegien der Reichen verteidigen und beispielsweise zu einer 99%-Initiative Nein sagen.
Das liegt sicher teilweise zum einen an jenen, die wählen und abstimmen (bekanntlich längst nicht alle und eher weniger «viele dieser Leute»). Aus einem älteren Beitrag von vor 2 Jahren:
Die Schweiz als «Gerontokratie»? Oder zur Herrschaft des «Senats».
Damit wir zur Orientierung Daten haben, hier als Beispiel die Zahlen und die Wahlbeteiligung von 2015 - natürlich stark vereinfacht.
Zur Ausgangslage:
Ständige Wohnbevölkerung: ca. 8 Mio. = 100%
Zur Altersstruktur:
0-19: 20% = ca. 1.6 Mio.
20-39: 27% = ca. 2.1 Mio.
40-64: 35% = ca. 2.8 Mio.
65-79: 13% = ca. 1 Mio.
80+: 5% = ca. 0.4 Mio.
Zu den Wahlberechtigten:
Wahl- und Stimmberechtigte: ca. 5 Mio. = 60% (minus ca. 20% Minderjährige und ca. 20% Nicht-Eingebürgerte)
Junge Wahl- und Stimmberechtigte (18-25): ca. 600‘000 = 7.5%
Zur Wahlbeteiligung:
Wahlbeteiligung Insgesamt: ca. 50%, entspricht 30% von 8 Mio. = 2'500'000
Wahlbeteiligung Junge: ca. 30%, entspricht 2.25% von 8 Mio. = 180'000 (zur Schwierigkeit der Datenlage siehe hier)
Mehr und häufiger Ältere als Jüngere
Mehr und häufiger Männer als Frauen
Mehr und häufiger höher Ausgebildete als weniger hoch Ausgebildete
Mehr und häufiger Wohlhabendere als weniger Wohlhabende
Absolute Mehrheit (51%) = 1'275'00, entspricht 51% von 50%, also 16% von 8 Mio.
16% der ständigen Wohnbevölkerung bestimmen also über die "restlichen" 84% .
Oder:
Vielen Dank für diesen Beitrag. Ich wohne in Dänemark, als Ausländer (Schweizer), und die Dänische Ausländerspolitik ist unerträglich. Sie wird auch von vielen Däninnen und Dänen kritisiert. Der Dänische Schriftsteller Jonas Eika hat es an seiner Rede zur Preisverleihung des "Nordisk Råds" Preises klar benannt (Mit Mette Frederiksen im Publikum): Staatsrassismus.
Ich möchte mir nicht die Hände schmutzig machen müssen mit gewissen Massnahmen der dänischen Regierung.
Nichtsdestotrotz muss man über ihre Ziele diskutieren, denn die damit anvisierten Probleme sind evident - nicht nur in Dänemark.
Verstehe ich Sie richtig? Sie möchten zwar selbst nicht als xenophob gelten, sind aber ganz froh darüber, dass andere für Sie eine migrationsfeindliche Politik betreiben?
Denken Sie das mal zu Ende: wenn die MigrantInnen weg sind, stehen einfach Andere am Ende der Nahrungskette. Die sind dann zwar " InländerInnen", aber auch arm. Weil der Kapitalismus neben Reichen immer auch Arme produziert. Ghettos haben in erster Linie etwas mit ungleicher Ressourcenverteilung zu tun - dass diese Ungleichheit mit dem staatsbürgerlichen Status zusammenfällt, ist jedoch nicht zwingend.
Danke für einen weiteren interessanten Artikel.
Da werden funktionierende Nachbarschaften auseinandergerissen - für einen höheren Zweck. Leute verlieren nach Jahrzehnten ihre Wohnung - für einen höheren Zweck. Ja, ja, wo gehobelt wird, da fallen halt Späne. Hörten wir das früher von Sozialdemokraten?
Die SP eine geführte Partei wie die SVP? Das dänische Modell kommt mir so sozialdemokratisch vor wie unsere FDP heute liberal ist. Beides sind Warenfälschungen. Liberalismus lässt die Leute möglichst viel machen, lässt ihnen möglichst viel Freiheit, schützt Schwache und öffnet Handlungsspielräume. Unsere FDP schützt die Freiheit der Monopole und Kartelle, sozialisiert Schäden und senkt bei jeder Gelegenheit die vermögens- und einkommensabhängigen Steuern und erhöht dafür diejenigen Gebühren, welche praktisch alle zu bezahlen haben.
Völlig daneben ist, dass Straftaten, die in Ghettos begangen werden, doppelt so hart bestraft werden sollen als ausserhalb. Das läuft auf Klassenstrafrecht hinaus. Man denke nur an Beziehungsdelikte, die häufigsten ernstthaften Delikte. Sie werden zu hause bzw. im häuslichen Umfeld verübt. Oder wie verhält es sich mit z.B. Littering? Am Zürichberg, wo man Bussen sowieso kaum spürt, koste es z.B. 100 Franken und im Chreis Chaib dafür 200 Franken (jetzt wird es zum Monatsende knapp in der Kasse). Dafür wird es wohl keine Anwendungsfälle für doppelte Strafen bei Cum-Ex- oder sonstigem Steuerbetrug im Ghetto geben.
Auch wenn ich durchaus für eine stärkeren Integrationsdruck bin und diesbezüglich einiges gut finde, was ich hier lese, kommt mir das vorgestellte Modell ein bisschen abartig vor. Und auch einseitig: bei uns liest man von Zeit zu Zeit, dass Leute mit Familiennamen, die auf "ic" enden, grosse Mühe haben bei Stellen- und Wohnungsbewerbungen. Im dänischen sozialdemokratischen Modell bräuchte es hier ebenfalls ein hartes Korrektiv.
Ein sehr interessanter Beitrag ! es geht da um Fragen, die nicht nur die Sozialdemokratie betreffen - wie sollen die westeuropäischen Sozialstaaten mit dem ständig wachsenden Migrationsdruck (der Klimawandel wird ihn noch massiv steigern) umgehen? Da geht es ja nicht nur um Menschenrechte. Die dänische Antwort gefällt mir nicht, aber die Schweiz hat auch keine bessere, insbesondere hat sie keine Migrationspolitik. Dass die SozialdemokratInnen am meisten unter dieser Herausforderung leiden, liegt auf der Hand: Ihr moralischer Anspruch steht in scharfem Gegensatz zu den Erwartungen der Mehrheit ihrer WählerInnen. Die rechten Parteien können es sich einfach machen: Sie erheben gar nicht den Anspruch, die Menschenrechte von MigrantInnen zu verteidigen.
Oh - ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie recht haben. Denn ich gehe nicht davon aus, dass die Mehrheit der SP-Wählenden stramme Fremdenfeinde sind. Aber es gibt bestimmt viele Menschen, die nach ihrer Interessenlage die SP wählen sollten, dies aber u.a. wegen ihrer Haltung zur Frage der Migration nicht tun.
Jandl:
manche meinen
lechts und rinks
kann man nicht velwechsern
werch ein llltum
Ich gehe mit Solmaz Khorsand einig: Ueber die Methoden der dänischen Sozialdemokraten, mit Migration und Bürgern mit Migrationshintergrund kann man sich streiten.
Aber mich erstaunt - nicht zum ersten Mal - die Frage: ist das noch Sozialdemokratie?
Da höre ich eine Art Grundkonsens: Zweckartikel und DNA der Sozialdemokratie ist eine liberale Haltung zur Migration. (Genauso soll zur SP-DNA eine uneingeschränkte Begrüssung von europäischer Integration und Handelsliberalismus zu gehören). Dieser "Grundkonsens" herrscht auch bei Sozialdemokraten selber.
Nein! die DNA der Sozialdemokratie ist die Förderung des Wohles der Arbeiter / der Angestellten. Prioritär der wenig verdienenden. Und da es Landesgrenzen gibt: prioritär derjenigen, die in Deinem Land wohnen.
Aber die Angestellten am unteren Rand des Lohnbandes fürchten die Migration, nicht zu unrecht:
Migranten, wenn sie denn Arbeit finden, finden diese im Bereich der tiefsten Qualifikationen, und das drückt die Löhne und erhöht Konkurrenz und Arbeitslosigkeit.
Doch viele Migranten der 1. Generation schaffen den Schritt in die Arbeitswelt gar nicht und migrieren direkt ins Sozialsystem. Dies geschieht in der Schweiz im nächsten Jahr, wo viele Migranten der Welle von 2015 in die Sozialdienste übertreten werden. Die Befürchtung der Niedergelassenen mit prekärem Einkommen, dass dies zu für die fühlbaren Kürzungen im Sozialbereich führen kann, ist ebenfalls berechtigt.
Ich denke, die Diskussion der Artikelserie bringt die Erkenntnis schon bei der ersten Folge auf den Punkt: Solange Fragen wie "ist das noch Sozialdemokratie?" nicht obligatorisch in Hinblick auf die materielle Interessenlage der Gruppe, von der sie sich die Legitimation holt, diskutiert werden, kommt die Partei nicht aus der Wüste heraus.
Der dänische Sozialstaat ist viel stärker ausgebaut und deshalb auch viel stärker gefährdet. Deshalb, und weil sie in der Regierungsverantwortung sind, konnten die dänischen Sozialdemokraten den unangenehmen Themen nicht länger ausweichen.
Können Sie diese Behauptungen belegen?
Migranten, wenn sie denn Arbeit finden, finden diese im Bereich der tiefsten Qualifikationen, und das drückt die Löhne und erhöht Konkurrenz und Arbeitslosigkeit.
Doch viele Migranten der 1. Generation schaffen den Schritt in die Arbeitswelt gar nicht und migrieren direkt ins Sozialsystem. Dies geschieht in der Schweiz im nächsten Jahr, wo viele Migranten der Welle von 2015 in die Sozialdienste übertreten werden.
Welche der dreien?
dass Migranten im Bereich der niedrigen Qualifikation Arbeit finden, wenn überhaupt, hat bisher noch niemand bezweifelt, meines Wissens. 2 Aspekte sind da Evidenz genug: a) viele haben keinen Berufsabschluss, weil Berufsabschlüsse in ihren Herkunftsländern nicht üblich sind, ausser Uni-Abschlüsse, und b) wenn sie einen haben, ist er hier nicht anerkannt. Ein eritreisches Lehrerdiplom bedeutet keine Wählbarkeit an einer Schweizer Primarschule. Beides nicht der Fehler der Migranten.
Dass viele ins Sozialsystem migrieren, zeigt die Sozialhilfequote im Flüchtlingsbereich: 86% (https://www.sem.admin.ch/sem/de/hom…istik.html).
für den Uebertritt vieler Migranten der Welle 2015 in die Soziahilfe ist meine Quelle die mündlichen Ausführungen des Betreibers der Berner Oberländer Asylzentren AsylBeo vor den Vertretern der Gemeinden und Sozialämtern vom Nov. 2021. Davon gibt es noch keine schriftliche Publikation.
"Nein! die DNA der Sozialdemokratie ist die Förderung des Wohles der Arbeiter / der Angestellten. Prioritär der wenig verdienenden. Und da es Landesgrenzen gibt: prioritär derjenigen, die in Deinem Land wohnen."
Wenn Sie schon die DNA bemühen: Bereits im - von Marx stark kritisierten - Gothaer Programm der deutschen Sozialdemokratie liest sich das etwas anders.
"Die Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands, obgleich zunächst im nationalen Rahmen wirkend, ist sich des internationalen Charakters der Arbeiterbewegung bewußt und entschlossen, alle Pflichten, welche derselbe den Arbeitern auferlegt hat, zu erfüllen, um die Verbrüderung aller Menschen zur Wahrheit zu machen."
Nein! die DNA der Sozialdemokratie ist die Förderung des Wohles der Arbeiter / der Angestellten. Prioritär der wenig verdienenden. Und da es Landesgrenzen gibt: prioritär derjenigen, die in Deinem Land wohnen.
Oh, wow! Das Soziale und die Demokratie nicht verstanden. Nachsitzen!
Aber die Angestellten am unteren Rand des Lohnbandes fürchten die Migration, nicht zu unrecht: Migranten, wenn sie denn Arbeit finden, finden diese im Bereich der tiefsten Qualifikationen, und das drückt die Löhne und erhöht Konkurrenz und Arbeitslosigkeit. Doch viele Migranten der 1. Generation schaffen den Schritt in die Arbeitswelt gar nicht und migrieren direkt ins Sozialsystem. Dies geschieht in der Schweiz im nächsten Jahr, wo viele Migranten der Welle von 2015 in die Sozialdienste übertreten werden. Die Befürchtung der Niedergelassenen mit prekärem Einkommen, dass dies zu für die fühlbaren Kürzungen im Sozialbereich führen kann, ist ebenfalls berechtigt.
Oh ja, endlich sagt jemand die Wahrheit: Die Wurzel allen Übels, die Ursache für die niedrigen Löhne, die sozialdarwinistische Konkurrenzgesellschaft, die prekären Lebensverhältnisse, den Abbau der Sozialwerke sind, wer hätte es gedacht, «die Migranten». Und ich dachte es wäre das kapitalistische System, ich Dummerchen. Dabei wäre es so einfach. Schäfchen raus, alle sind im Trockenen. Ach ne, stimmt ja, das nennt man ja Scapegoating!
Aber «Migranten» sind doch auch «Arbeiter», oft sogar «wenig verdienende Arbeiter» – und wohnen gar im selben Land. Was machen wir denn nur? Auch hier: Nachsitzen!
Traurig aber auch sehr spannend! Diese Mischung von Reportage und Analyse finde ich besonders gelungen.
Vielen, vielen Dank, Solmaz, für die eindrücklichen Porträts, die womöglich exemplarisch für die dänische Gesellschaft stehen. Was angesichts des begrenzten Raumes verständlicherweise fehlt, ist der tiefe Kontext, also die sozial-historischen Entwicklungen und politischen Verhältnisse. Welche nationalen-identitätspolitischen Diskurse waren und sind bis heute wirksam? Welche politischen Kräfteverhältnisse herrschen vor und haben die Migrations- und Integrationspolitik geprägt? Faktoren also, welche die Frage beantworten könnten: Warum Wohlstandschauvinismus, Xenophobie, Islamophobie, Rassismus – in Gesellschaft, Politik und Sozialdemokratie?
Der bpd-Artikel «Skandinavische Antworten auf Einwanderung» etwa schreibt, dass Dänemark «einen der am stärksten ausgeprägten Assimilationsansätze in Europa» habe, während Schweden «als eines der offensichtlichsten Beispiele in Europa für das multikulturelle Modell der Einwandererintegration» sei.
Während Schweden zum Aushängeschild des Multikulturalismus geworden ist, [4] kann der in Dänemark verfolgte politische Ansatz als Anti-Multikulturalismus charakterisiert werden. Und während Schweden den Ruf hat, eine liberale Asyl- und Familienmigrationspolitik zu verfolgen, ist die dänische Politik als das Gegenteil bekannt.
Die Frage ist natürlich: «Warum?»:
Die politischen Debatten in Dänemark spiegeln die Dominanz einer sogenannten gesellschaftszentrierten Perspektive wider und betonen den sozialen Zusammenhalt als notwendige Voraussetzung für die Aufrechterhaltung öffentlicher Institutionen. Die spezielle Beschaffenheit und der besondere Geist des dänischen Volkes gelten als Bedingung und Garant der dänischen Demokratie und des dänischen Wohlfahrtsstaates. Diese Idee spiegelt sich in einer Politik wider, die die Inklusion von Neuankömmlingen an umfassende Forderungen knüpft, die eine "festgelegte" Vorstellung von "Dänisch-Sein" definieren, von der erwartet wird, dass Eingewanderte sie übernehmen.
Das kommt einem ziemlich bekannt vor. Auch das:
Andere Erklärungen für Unterschiede zwischen den drei skandinavischen Ländern beziehen sich auf parteipolitische Faktoren, wobei Erfahrungen mit rechtspopulistischen Parteien ein entscheidender Aspekt sind. Sowohl im dänischen als auch im norwegischen Kontext sind seit langem recht erfolgreiche rechtspopulistische Parteien Teil der parlamentarischen Arena, während dies in Schweden ein neueres Phänomen ist.
[…]
In Dänemark begannen Mitte-rechts-Parteien, Integrationsfragen zu politisieren und restriktive Maßnahmen zu ergreifen, als die gemäßigten Sozialliberalen (Radikale Venstre) (im Jahr 1993) nicht mehr als tragfähiger Regierungspartner angesehen wurden.
Das soll natürlich nun keine Apologie der Sozialdemokraten sein, sondern bloss Erklärungsansätze für eine verirrte Migrationspolitik.
Die Süddeutsche» geht in «Warum sich Dänemark so kalt gegenüber Fremden gibt» in eine ähnliche Richtung:
Wer diese Abschottungspolitik verstehen will, muss wissen, wie der dänische Sozialstaat funktioniert. Viele Dänen sehen sich in einer Art Schicksalsgemeinschaft verbunden. Jeder zahlt dafür verhältnismäßig viel Steuern, wird im Notfall aber auch aufgefangen. Die dänischen Sozialleistungen sind hoch, jemanden davon auszuschließen widerspricht der Idee des Systems. Deswegen sind die Hilfen für Flüchtlinge vergleichsweise hoch. Obwohl sie Anfang dieses Monats um die Hälfte gekürzt wurden, bekommt ein alleinstehender Flüchtling immer noch rund 800 Euro - genauso viel wie ein dänischer Student.
Weil dieses Sozialsystem zur dänischen Identität gehört, reagieren die Dänen besonders empfindlich, wenn daran rumgekürzt wird. In den letzten Jahren ist das passiert, der Staat musste sparen. Die Volkspartei hat nicht nur deswegen so viele Stimmen gewonnen, weil sie versprach, Fremde von Dänemark fernzuhalten. Vor allem hat sie auch versprochen, die soziale Wärme zurückzuholen und zu verteidigen.
Macht das die Dänen potenziell fremdenfeindlich? Dem Zusammengehörigkeitsgefühl liegt noch ein anderes Prinzip zugrunde: Alle sind gleich, niemand ist besser, klüger oder anders. Sich als Außenstehender zu integrieren, fällt da schwer. Wenn die Dänen auf etwas stolz sind, dann selten auf die eigene Leistung, sondern auf ihre gemeinsame.
Das ist der «Wohlfahrtschauvinismus» der auch hier in der Schweiz (Stichwort «Sozialschmarotzer») verbreitet ist. Was dort hygge ist, ist hier heimelig.
Es ist eben einfacher, das Problem in einer anderen «Herkunft», «Kultur» oder «Religion» (wie leben immer noch im Post-9/11) zu verorten, als in sozio-ökonomischen Verhältnissen, welche wesentlich von der Politik bestimmt werden, da man so seine Verantwortung abgeben, ja auf «Sündenböcke» aufladen kann. Dies jedoch ist tatsächlich institutioneller und struktureller «Rassismus (ohne Rassen».
Dort wie hier.
Gegen die unsägliche «Assimilation» und «Integration» in irgendein «Wir» müsste man – gerade von «linker» Seite – auf «Inklusion», ja sogar auf «Desintegration» (Max Czollek) setzen.
Für Interessierte: "Einwanderung und Einwanderungspolitik in Dänemark seit 1945", Wikipedia. Die ursprüngliche Wählerschaft der sozialdemokratischen Parteien ist durch den Beizug ausländischer Arbeitskräfte auf der sozialen Stufenleiter nach oben gerückt. Diesen ausländischen Arbeitskräften wurde über Jahrzehnte der Familiennachzug, zuverlässige Erteilung von Arbeitsbewilligungen und die Staatsbürgerschaft hier wie dort verwehrt. Eine Zukunftsplanung? Unmöglich. Drum, wenn von Integrationsproblemen gesprochen wird: wer hat diese verursacht? In Dänemark beträgt der Einwandereranteil 11,1%, in der Schweiz sind es 25%. Heisst das nun, wir haben doppelt so viel Probleme?
Leider können sie die Ausländeranteile in Dänemark und der Schweiz nicht so vergleichen. In der Schweiz leben sehr viele 'Ausländer' aus den Nachbarländern, welche Kulturell und vor allem sprachlich schon fast perfekt integriert sind.
Das müssten Sie mir schon genauer erläutern. Sind mit Ausländern aus den Nachbarländern auch die Albaner:innen, Tamil:innen, Türk:innen gemeint, die heute fast perfekt Deutsch sprechen, Chefposten innehaben, Forschung betreiben, Firmen gründen? Das Problem sind doch nicht einfach die, die nichtintegriert wirken, sondern die, die die sicheren Positionen der Schweizer:innen durch Konkurrenz bedrohen. Und das handelt man dann lieber an den am Rand Stehenden ab.
Die 25% der Schweiz sind nur so hoch, weil die Hürden für die Einbürgerung so hoch sind. Jeder Einwanderer bleibt so fast immer ein Ausländer.
Was da für Ideen vorkommen, wer "die Migranten" sind! Kein Wort davon, dass die fremdenpolizeilichen Bestimmungen und jahrelange Warterei eine Integration massiv erschweren. Was mich stört ist, dass immer nur hauptsächlich über die Fälle gesprochen wird, die tatsächlich schwierig sind, warum auch immer. Wer von denen, die sich nun verteidigend vor die einheimische Bevölkerung stellen hat einen von Einwanderung unbefleckten Stammbaum? Dänemark mit seiner Ausländerpolitik ist eine Enttäuschung.
Die Schriftstellerin Melinda Nadj Abonji ist Vorstandsmitglied des Vereins Tesoro. Dieser vertritt die Interessen von Familienmitgliedern, die vom Schweizer Saisonnierstatut und Jahresaufenthalterstatut betroffen waren. Die Berichte Betroffener sind erschütternd. Zum Glück haben viele von ihnen es geschafft trotz Hindernissen, trotz behördlichen Bemühungen, sie unsichtbar zu machen, in der Mitte der Gesellschaft anzukommen. Jetzt äussern sie sich. Schweizer Geschichte, eine jahrhundertelange Geschichte geglückter Integration von Zugewanderten. Sind wir uns da einig? Nicht mal unseren berühmten Käse haben wir erfunden, nicht die weltweit begehrten Uhren, das erfolgreiche Bankwesen etc: die wichtigsten Impulse kamen von Zugewanderten.
Kleiner typo: «Gegenolgeteil». Dachte zuerst «Ist das Dänisch?» ^^ (Und «third way» vielleicht entweder kursiv oder gross in Anführungszeichen.)
Danke Michel Rebosura, die Stellen sind angepasst. Einen schönen Tag noch!
Aiaiai ... Äxgüsi und danke für dein scharfes Auge, lieber Michel!
Ich finde das auch für mich persönlich eine ganz schwierige Frage (und verwandt mit dem Umgang mit Coronaleugnern):
Parallelgesellschaft mit eigenen Regeln, die über dem Gesetz stehen, geht gar nicht. Wird aber durch Ghettoisierung stark begünstigt. (Nicht Impfen trotz absolut eindeutiger Faktenlage und sich dabei noch überlegen/intelligenter fühlen geht gar nicht).
Aber dafür Massenkündigungen aussprechen (aber deswegen ein Inpfobligatorium einführen)?
Ich denke die Migrationsproblematik muss auch von der Sozialdemokratie angegangen werden. Nur 'das sind alles Arme und Liebe und denen müssen wir ein Leben lang das Geld nachwerfen' reicht dazu nicht...
Warum soll es bei Menschen "nicht-westlicher Abstammung" per se ein Problem sein, wenn sie in einem Milieu leben, während "westlich-etablierte" Milieus als normal gelten? Es ist doch einfach menschlich, dass Craft-Beer-Fränzis sich in Kreisen mit Craft-Beer-Fritzlis bewegen und Kirchgängerinnen gern mit Frömmlern verkehren. Natürlich ist Kontakt über Milieus hinweg super und nötig, aber diese einseitige Problematisierung gibt mir ziemlich üble Vibes.
Es gibt ja die Haltung, lustigerweise oft von aussen an die Linke herangetragen, z.T. auch von innen (Sahra Wagenknecht): "kümmert euch wieder um die Arbeiter statt um Minderheiten" (nicht gendern scheint mir passend). Der Weg von Dänemarks Sozialdemokratie führt m.E. beispielhaft vor Augen, dass es nicht der Weisheit letzter Schluss sein kann, zwei Gruppen gegeneinander auszuspielen, die beide in einer modernen linken Partei Platz haben sollten. Dass Rechte dieser These zustimmen, überrascht mich nicht; dass die dänischen Wähler*innen bei den Kommunalwahlen in den grösseren Städten zu anderen linken Parteien abwanden, gibt mir Hoffnung.
Warum soll es bei Menschen "nicht-westlicher Abstammung" per se ein Problem sein, wenn sie in einem Milieu leben, während "westlich-etablierte" Milieus als normal gelten?
Weil das Land wesentlich von "westlichen" Menschen aufgebaut, und kulturell sowie Werte-mässig von diesen geprägt ist. Will man dies also erhalten, so ist nicht die "westliche" Gesellschaft das 'Problem', sondern "fremdländische" Einflüsse.
Weil das Land wesentlich von "westlichen" Menschen aufgebaut, und kulturell sowie Werte-mässig von diesen geprägt ist. Will man dies also erhalten, so ist nicht die "westliche" Gesellschaft das 'Problem', sondern "fremdländische" Einflüsse.
Oha, wie a can of worms wirft Ihr Votum eine Menge Fragen auf.
Wer oder was sind:
«westliche Menschen»?
«westliche Kulturen»?
«westliche Werte»?
«westliche Gesellschaften»?
Was genau soll «erhalten» werden?
Und weshalb sind die «fremdländischen» Einflüsse «das Problem»?
Beispiel: Ist das westliche Milieu der fundamentalistischen Christen, welche die Evolutionstheorie ablehnen, das Alter der Erde auf 6000 Jahre festlegen, in einer patriarchalen Hierarchie leben, die Geschlechtersegregation aufrecht erhalten, Homosexualität «austreiben», militant Abtreibung bekämpfen, die Schulmedizin auch ihren Kindern verweigern und Nicht-Christen als minderwertiger erachten, die in die Hölle fahren, … – ist dieses westliche Milieu für die westliche Gesellschaft ein Problem?
In Dänemark werden wieder einmal mehr ideologische Programme über den Einzelnen gestellt. Das war bisher immer der Hauptgrund für sehr grosses Leid.
Links ist nicht, wer nur für gute Sozialleistungen sorgt. (Internationale) Solidarität ist ein genau so wichtiger linker Wert. Ungerechtigkeiten im globalen Zusammenhang zu sehen ist links und nicht lokal Menschen mit Migrationshintergrund aus ihren Wohnungen zu schmeissen.
Leute wie Wagenknecht und ihre dänischen Freund:innen mögen das in ihrem Machtwahn als Träumerei abtun. Was aber ihre real existierende Sozialdemokratie anrichtet, ist ein Albtraum.
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