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Das Thema hat immer auch einen fahlen Beigeschmack. Unternehmen haben diese Macht nur weil sie zu gross und zu einflussreich sind und in einem liberalen Markt relativ wenig Regeln herrschen. Sie können unter Druck gesetzt werden und so den politischen Hebel von kleinen Minderheiten massiv vergrössern. Dies mag verlockend sein, wenn man zu einer solchen Minderheit gehört. Letztes Jahr wurde aber z.B. das grösste internationale Pornounternehmen Mindgeek (Pornhub etc.) von Visa/Mastercard abgekoppelt. Dies ohne rechtliche Grundlage und mit fadenscheinigen Begründungen. Visa und Mastercard sind aufgrund von Druck einer kleinen ultrakonservativen Gruppe von Kongressabgeordneten aktiv geworden. Für mich war es schockierend, dass eine kleine radikale politische Gruppe bei Grossfirmen via Visa/Master auf den Aus-Schalter drücken wie sie wollen. Einige Firmen sind heute systemrelevant und systemkritisch. Man kann keinen Onlinehandel ohne Kreditkarten betreiben, keine Apps entwickeln ohne an Apple abzuliefern. Die Regeln dieser Firmen und der Zugang zu diesen Firmen ist aber ziemlich willkürlich dem Markt ausgesetzt und entzieht sich einer demokratischen Grundlage. Es sind wir Menschen, die die Regeln der Gesellschaft und des Handels definieren und nicht wenige Grosskonzerne mit ihren AGBs.
Das Beispiel Visa/Mastercard zeigt auch (indirekt), dass andere Regionen, ganz explizit und direkt Europa, es versäumt haben, alternative Zahlungs-/Kreditkartensysteme zu etablieren.
Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie auf Druck der US Regierung Visa und Mastercard Spenden an Wikileaks unterbunden haben oder wie Paypal Kunden (auch in Europa und sogar via ihrer luxemburgischen Tochter) verbieten wollte, Kubanische Zigarren (hier: Drogeriekonzern Rossmann aus Deutschland) zu handeln. Rossmann war wenigstens konsequent: Die Zahlungsmöglichkeit via Paypal wurde gestoppt.
Aktuell wird das Deutschland spüren: Das ehemalige EC-Karten-System (heute als Maestro/Mastercard und V-Pay/Visa bekannt) wird eingestellt. Damit entfallen grossflächig die Systeme, auf denen Banken ihre Kundenkarten aufgebaut haben und in Deutschland, dem Land der Kreditkartenverweigerer ;-) hinterlässt es eine gewisse Ratlosigkeit.
Danke für Ihren Beitrag, Herr S. Sie schreiben, Visa und Mastercard seien aufgrund von Druck einer kleinen ultrakonservativen Gruppe von Kongressabgeordneten aktiv geworden, die mit Klagen gedroht hätten. Das höre ich zum ersten Mal. Haben Sie dazu eine seriöse Quelle?
Ich merke gerade dass ich es verwechselt habe. Es ging um Only Fans. Ich habe den Nebensatz mit den Klagen entfernt. Das war so nicht richtig. Richtig ist, dass Visa/Master danach aktiv geworden sind. Danach sind sie auch bei Mindgeek aktiv geworden.
So wie es aussieht, wirkt der Westen mit allen erdenklichen Mitteln auf einen Regierungswechsel in Moskau hin. Moralisch, militärische, wirtschaftlich, politisch und ideologisch, im Poker spricht man von "all in".
Wer jedoch dieses Narrativ in Frage stellte, wird schlicht als Putin-Versteher oder Kriegskassenfüller abgekanzelt. Diese oben genannte Strategie oder Vorgehensweise erinnert mich leider einfach an andere Kriege, im nahen Osten oder Nordafrika. Was haben die von aussen aufgezwungenen Regierungswechsel in Irak, Afgahnistan oder Libyen wirklich bewirkt? Diese "Friedens,- und Demokratieexporte" wie wir die westlichen Angriffskriege benennen hatten weder einen kurzfristigen noch langfristigen Erfolg. Und jetzt wiederholt sich dasselbe Muster. Ihr lieben Journalistinnen, Ihr formt aktiv an der "Neugestaltung von Russland mit". Seit Ihr Eurer Verantwortung bewusst? Wie soll das "neue Russland" nach Eurem Geschmack aussehen? Wie und mit wem soll es nach Putin weiter gehen? Oder machen wir es einfach so, wie kürzlich in Afghanistan? Ohne Plan einen Regierungswechsel erzwingen und anschliessend ein Chaos zurück lassen?
Lassen wir die Kirche im Dorf. Wer führt in der Ukraine einen Angriffskrieg? Wer möchte in der Ukraine einen «von aussen aufgezwungenen Regierungswechsel» bewirken? Wer möchte ein «Neues Russland» nach seinem Geschmack gestalten? Wer?
Und wenn Sie schon (wieder) beim Whataboutismus dran sind: Hat der damalige Präsident der USA, der Afghanistan angegriffen hat, in ihren Augen seine Legitimität verloren? Hätte dieser vor einen Internationalen Strafgerichtshof gehört? Hätte dieser Präsident bleiben können und dürfen?
Und jetzt rechnen Sie mal zurück.
Im ersten Abschnitt Ihrer Fragen, kann man überall Putin einsetzen.
Zum zweiten Abschnitt, ja G. W. Bush gehört meiner Ansicht nach vor ein Kriegsgericht.
Und jetzt rechnen Sie mal nach vorne. Der Westen hat keine Absicht Russland zu formen bzw. ein Regierungswechsel wird nicht angestrebt? Verstehe ich Sie richtig?
Der Argumentation kann ich nur bedingt folgen. Der (für mich) wesentliche Unterschied zwischen der Situation mit den genannten Ländern und Russland ist: Diese haben "uns" nicht direkt militärisch bedroht, dort wurde durch diversen Parteien (u.A. USA, in Afghanistan aber vorgängig auch Russland) militärisch eingeschritten.
Aktuell steht meiner Ansicht nach für Europa und die Nato eine direkte militärische Einmischung nicht zur Diskussion - sieht man ja auch sehr schön an den Diskussionen um den deutschen Bundeskanzler derzeit zur Frage "liefern wir schwere Waffen?".
Ja, ich bin tatsächlich der Ansicht, dass ein Land durchaus mit diplomatischen und wirtschaftlichen Massnahmen auf einen Regierungswechsel hinarbeiten darf, wie man auch in einer Demokratie die aktuelle Regierung abwählen kann.
Ich bin aber auch der Ansicht, dass es Länder (und damit Kulturen) gibt, für die Demokratie nicht funktioniert oder die noch nicht dafür bereit sind. Die Länder mit streng muslimischer Religion in der absoluten Masse der Bevölkerung werden wohl dazu gehören (der Islam ist alles andere als demokratisch, wer den Koran mal gelesen hat wird das verstehen). Unterstützen muss man solche Länder nicht, aber militärisch einen Regierungswechsel versuchen wie die USA und andere dies versucht haben wird auch zum Scheitern verurteilt sein. Afghanistan ist da nur ein aktuelles Beispiel.
Was man aber immer tun muss: Auf die Einhaltung der Menschenrechte pochen und für deren Durchsetzung auch mal zu diversen Massnahmen greifen. Wie im Bericht zu lesen sind solche Sachen aber durchaus aufgrund von Fehlern in der Vergangenheit mit einigen Ländern wie China schwierig bis unmöglich. Noch. Man wird ja noch hoffen dürfen.
Wo es für mich (persönlich) aufhört: einen offensichtlichen Agressor wie den russischen Präsidenten zu unterstützen und dessen (für mich wirre, gefährliche) Ansichten zu verteidigen. Für mich gibt es für diesen Angriffskrieg keine Entschuldigung und keine akzeptable Erklärung. Und deshalb gehört dieser Mann, seine direkten Komplizen wie sein Aussenminister und seine Generäle meiner bescheidenen Ansicht nach abgesetzt und abgeurteilt, aber natürlich mit Rechtsstaatlichen Mitteln.
Ja, ich bin tatsächlich der Ansicht, dass ein Land durchaus mit diplomatischen und wirtschaftlichen Massnahmen auf einen Regierungswechsel hinarbeiten darf, wie man auch in einer Demokratie die aktuelle Regierung abwählen kann.
Die eigene Regierung!
Die Bevölkerung eines Landes hat in der Geschichte oft Wege gefunden, eine Diktatur loszuwerden und entweder mehr Freiheit erkämpft oder ist vom Regen in die Traufe gekommen. Oder beides. Freiheit ist nicht alles. Vielen ist die soziale Sicherheit wichtiger. Vielen die Rechtssicherheit. Als Kind der DDR weiss ich wovon ich spreche.
Ich bin deshalb mit U. K. einer Meinung, dass es nicht die Aufgabe eines Staates sein kann, das politische Regime eines anderen zu verändern, zu wechseln, zu zerstören. Putins „Lösung“ wird ihm auf die Füsse fallen. Warum soll der Westen Partei nehmen? Die Schweizer Neutralität, sei es die der Regierung, von Firmen oder von Einzelpersonen, gefällt mir je besser je neutraler sie ist. Am liebsten wäre mir eine engagierte Vermittlermission der Schweiz. In der Ukraine sind zwei grosse Mächte auf dem Plan, Russland und die USA. Die sollen Frieden miteinander schliessen, und dafür würde ich mein Herzblut einsetzen statt Waffen.
Sie sehen das falsch. Dass die Intervention im Irak vor allem im Interesse der Rüstungsindustrie, prominent vertreten durch Cheney und Rumsfeld, war, ist mittlerweile Allgemeinwissen.
Die Lage zu Russland ist eine fundamental andere. Die heutige US Regierung ist weit weniger mit der Rüstung verbandelt, als es die Bush Regierung war. Für Biden kommt dieser Krieg höchst ungelegen, verhindert er doch, dass er seine Infrastrukturprojekte finanzieren kann, welche ihm innenpolitisch sehr geholfen hätten.
Nach den Eskalationen der letzten acht Jahre, ist es wohl klar, dass es mit Putin als Staatschef in Russland nicht mehr weitergehen kann.
Mit jemandem, der Oppositionspolitiker und kritische Journalisten:innen kaltblütig ermorden, unliebsame Geschäftsleute von Gerichten in Arbeitslager sperren und in fast allen Nachbarstaaten militärisch eingreifen lässt, kann man nicht zusammenarbeiten.
Aber im Gegensatz zu den Regime-Changes der Bush Ära, wird der Wechsel in Russland den Russen selbst überlassen. Nicht umsonst, hat der Kreml die Repressionsschraube bis zum Abreissen zugedreht. Ein einziges Wort reicht aus, um für viele Jahre in einem Arbeitslager zu verschwinden. Ein riesiger, aufgeblähter Sicherheitsapparat sorgt in groteskem Eifer dafür, dass jeder noch so kleine Protest im Keim erstickt und brutal niedergeknüppelt wird.
Klar, kann man einwerfen, dass dies alles auch auf die Golfmonarchien zutrifft. Bloss wedeln die nicht ständig mit Atomraketen rum und pinkeln ihren besten Kunden ans Bein...
Man könnte ja auch "still und leise" boykottieren und/oder wo es gerade einfach ist, und damit einige der erwähnten Probleme vermeiden. Ich achte schon viele Jahrzehnte auf was ich kaufe und "boykottiere" zuweilen fast alle Länder. Die Nachbarländer weniger strikt, z.B. lieber ein deutsches "Oekoprodukt" als ein schweizerisches "Konzernprodukt". Grosse Mühe habe ich mit LED-Leuchtmitteln und Solarzellen, zur Zeit fast alle aus China. Elektronische Produkte und überhaupt viele Produkte sind einfacher wenn Brocki-Ware OK ist. Oel und Gas verwende ich schon Jahrzehnten kaum, ausser dem Anteil, der im ÖV und in Dienstleistungen drin steckt.
Ich denke das Prinzip geht auch bei Firmen, so lange sie nicht zu gross sind oder in Teilbereichen auch bei diesen.
Wir haben "dank" der einmaligen Situation Gelegenheit über diese Dinge nachzudenken. Lediglich ökologische Überlegungen lassen die meisten kalt, jetzt ist es anders. Wenn "Oeko" und "Ethik" in dieselbe Richtung gehen und sich wie aktuell rasch zuspitzen und ständig medial begleitet werden, gibt es Chancen. Auch wenn heuchlerisch: die kürzlichen tödlichen Angriffe der Türkei auf PKK-Kurden in Syrien kaum ein Thema.
Etwas merkwürdig affirmierend, sprich unkritisch bejahend, fand ich die Wiedergabe der Aussagen des Direktors des Center for Corporate Responsibility and Sustainability (CCRS), der notabene die Lehre der Corporate Social Responsibility fundamental kritisiert (ein «Trojanisches Pferd»?), beziehungsweise jener von Jane Jacobs.
Konkret hätten folgende Aussagen hinterfragt werden sollen:
«Grundsätzlich seien aber Firmen besser beraten, sich nicht zu sehr von ethischen Vorstellungen der Zivilgesellschaft leiten zu lassen.» – Warum?
«Aerni bezieht sich dabei auf die kanadische Stadtaktivistin und Sachbuchautorin Jane Jacobs, die sich auch mit Wirtschaftsethik beschäftigt hat und Anfang der 1990er-Jahre in ihrem Buch «Systems of Survival» eine klare Trennung zweier ethischer Systeme beschrieb.» – Wer ist sie? Was sind ihre Credits? Macht diese «klare Trennung» wirklich Sinn?
«Beide Systeme haben den grössten gesellschaftlichen Nutzen zum Ziel.» – Ist das empirisch tatsächlich der Fall? Haben Händle:innen mit Händler:innenmoral tatsächlich «den grössten gesellschaftlichen Nutzen zum Ziel»?
«Nur die Plätze tauschen sollten sie nicht.» – Warum? Was passiert, wenn nicht?
«Die Theorie von Jacobs schliesst allerdings nicht aus, dass es für Unternehmerinnen ein Eigeninteresse gibt, Menschenrechte zu respektieren.» – Soll es tatsächlich darum gehen, ob es bei «Unternehmerinnen ein Eigeninteresse gibt, Menschenrechte zu respektieren» oder darum, dass sie ein Eigeninteresse haben sollen, Menschenrechte zu respektieren?
Gibt es auch alternative Ansätze zur Bewertung von Corporate Social Responsibility? Wenn ja, welche? Und inwiefern widersprächen sie jenem Ansatz von A. bzw. Jacobs?
Jane Jacobs «war eine in den USA geborene kanadische Sachbuchautorin, Stadt- und Architekturkritikerin» und hat darin sicher ihre Verdienste.
Doch für die heutige Sozial- und Wirtschaftswissenschaft sowie Sozial- und Wirtschaftsethik ist Jane Jacobs «Systems of Survival» eine mit Verlaub etwas idiosynkratische, wenn nicht obskure Quelle. Schon nur die Liste des Guardian bzw. Commercial Syndrome zeigt eine krasse Ideal- ja Stereotypisierung der Moral, die letztlich so nicht haltbar ist.
Als Blurb wird zwar die New York Times genannt – «Ms. Jacobs, with her unorthodox intelligence, often produces new insights» – aber diese rezipierte ihr Werk negativ kritisch.
But far too much of "Systems of Survival" is devoted not to an explanation of morality but to a defense of the structure used to explain it.
Ms. Jacobs argues that there are no more than two moral systems, a point that is either empirically false or true only by definition. (Ethnic solidarity, altruism and paternalism are all premised on something other than trading or guardianship; Ms. Jacobs engages in mind-boggling, and ultimately pointless, thought experiments to bring such anomalies within her dichotomy.)
She is at pains to insist that the two syndromes have their own moral logic, over and above the morality of the individuals whose lives are governed by them.
And, most frustrating of all, she cannot make up her mind whether practices that mix elements from each syndrome are examples of monstrous corruption or necessary flexibility.
Und vor allem:
"Systems of Survival" is also an undemocratic book (despite Ms. Jacobs's defense of the democratization of credit). For what is modern democracy but a system that is rooted in neither trade nor protection? Democracy relies on constitutions, political parties, pluralism, individual rights and community norms. If these are used for purposes of self-interested commerce, they cannot function properly. But if they are used without competition and participation, for purposes of guardianship, they cannot be democratic. What Ms. Jacobs calls "systemic moral corruption" makes it possible for strangers to live together under conditions approximating self-rule.
Jacobs Unterscheidung ist letztlich dieselbe wie jene des Neoliberalismus bzw. Libertarismus (vgl. die positive Kritik eines libertären Thinktank). Entsprechend war sie in den 90ern für die Privatisierung staatlicher Institutionen wie etwa der Wasserversorgung.
So schreibt der Artikel «Remembering and understanding Jane Jacobs, beyond left and right»:
Favouring little plans, the libertarians say, led Ms. Jacobs to also favour the market over government.
On these grounds, beginning in the 1980s, Ms. Jacobs argued for the privatization of public utilities – including Ontario Hydro – as a founding director of the Energy Probe Research Foundation.
In 1994, Ms. Jacobs even founded her own branch of Energy Probe called the Consumer Policy Institute with the particular mission to privatize government services in energy, mail and transportation. At the time, such policies were associated with a new brand of right-leaning political economy – the "neoliberalism" inspired by the twin characters of Ronald Reagan in America and Margaret Thatcher in Britain.
Jedoch:
Perhaps the biggest surprise for libertarian fans of Ms. Jacobs is that she argued for government to intervene directly in the market. […] She envisioned government intervening in the market on behalf of those weaker, newer interests. For Ms. Jacobs, young enterprises are not the limited caste of "innovators" that we so fetishize today, but also include the countless ordinary people undertaking local, small-scale, mundane entrepreneurship. Unlike the "startup" – supported by venture capital, incubators and accelerators, courted by municipal and civic leaders, and often enough, founded or acquired by established economic interests themselves – ordinary innovators have only the power of their own ingenuity and are always at risk of being the perennial losers in Ms. Jacobs's equation. "The only possible way to keep open the economic opportunities for new activities," she concludes, "is for a 'third force' to protect their weak and still incipient interests. Only governments can play this economic role."
Das Fazit:
To keep Ms. Jacobs's vision alive, we need guardians with the courage to stoke the market where it is weakest and rein it in where it is strongest, to make it work for ordinary people with little capital and power and to fulfill services that commercial morality can't grasp, such as regulation, education, justice, health care and cultural stewardship, without allowing these duties to succumb to the logic and pressures of the market.
Diese notwendige «dritte Kraft» zwischen der «klaren Trennung» von Guardian bzw. Commercial Syndrome ist also letztlich der Staat, der die Rahmenbedingungen vorgibt und gewährleistet. Womit Jacobs am Ende auf dieselbe Konklusion wie Mariana Mazzucato in «Das Kapital des Staates: Eine andere Geschichte von Innovation und Wachstum (The Entrepreneurial State)» kommt (vgl. Binswanger).
Weiterführend:
Christian Neuhäuser: «Unternehmen als moralische Akteure» (2011)
Peter Ulrich: «Integrative Wirtschaftsethik» (2001) (vgl. Wikipedia-Artikel)
Lieber Michel, ich schätze dein Engagement in der Community sehr, gerade wenn es darum geht, offensichtlich Falsches zu widerlegen. Hier schiesst du allerdings über das Ziel hinaus. Damit meine ich deinen Umgang, nicht den Inhalt. Ganz offensichtlich widerspricht die Theorie von Jane Jacobs deinen Vorstellungen, wie sich Unternehmen im gesellschaftlichen Kontext verhalten sollten. Du reagierst darauf, indem du eine «NYT»-Rezension vorlegst, in der ein Journalist Jacobs Theorie kritisiert. Fair enough. Du gehst aber noch einen Schritt weiter, indem du versuchst, P. A.s Arbeit zu diskreditieren und mich als unkritischen Journalisten darzustellen. Auch wenn du das implizit machst: Es ist nicht fair. Mir scheint, als hättest du, anstatt zu versuchen zu verstehen, worum es in dieser Passage ging, einen unreflektierten, idealistischen Gegenschlag vorgenommen. Ich möchte dich dazu ermuntern, anstatt persönlich zu werden, lieber über unsere Ziele zu reflektieren, die wir in diesem Community-Gefäss verfolgen: konstruktive Feedbacks und aufrichtige Diskussionen. Vielen Dank!
Lieber Philipp, mein Kommentar ist in der Einleitung polemisch zugespitzt, ja. Denn es war mir schlicht unverständlich, dass Sätze wie
«Grundsätzlich seien aber Firmen besser beraten, sich nicht zu sehr von ethischen Vorstellungen der Zivilgesellschaft leiten zu lassen.»
«Beide Systeme haben den grössten gesellschaftlichen Nutzen zum Ziel. Nur die Plätze tauschen sollten sie nicht.»
«Doch laut A. macht ausgerechnet die Lehre der Corporate Social Responsibility diese Unterscheidung nicht, da CSR implizit davon ausgehe, dass es nur eine Moral gebe, nämlich die Wächtermoral.»
«Stülpe man diese über unternehmerische Tugenden, könnte das Innovation bremsen.»
«Die Theorie von Jacobs schliesst allerdings nicht aus, dass es für Unternehmerinnen ein Eigeninteresse gibt, Menschenrechte zu respektieren.»
einfach unhinterfragt und ungeprüft stehen gelassen werden konnten.
Ein Blick auf diese zwei Moralsysteme – «syndromes» in Jacobs Terminologie – hätte gereicht, um skeptisch über deren Angemessenheit zu werden. Und auch die systemische Problematik dieser «klaren Trennung» zu sehen.
Denn diese Dichotomie in «lasterhaften» Staat vs. «tugendhaften» Unternehmer, das Nichteinmischungsprinzip in den «freien» Markt, die Privatisierung staatlicher Institutionen und der Amoralismus der Unternehmen (bei gleichbleibender Einflussnahme der Unternehmen auf die Politik) hatten ja gerade die (globalen) Probleme zur Folge, welche die CSR, aber auch die Neoliberalismus- und Globalisierungskritik, die Menschenrechts- und Klimabewegung und nicht zuletzt die Konzernverantwortungsinitiative teilweise zu lösen versuchten.
Nun zu sagen, weniger Ethik und Werte der Zivilgesellschaft, mehr Neoliberalismus, Amoralismus und angebliche Apolitik der Unternehmen wäre die Lösung, erscheint mir vor dem Hintergrund des Krieges und der Klimakatstrophe einfach nur zynisch.
Aber gut, in deinem Artikel – den ich ansonsten hervorragend finde – kommen viele Expert:innen-Meinungen vor. Vermutlich war es von der Anlage her nicht gedacht, deren Aussagen jeweils zu kritisch zu prüfen und qualifizierend zu beurteilen. Aus diesem Grund habe ich dies an diesem m. M. n. neuralgischen Punkt nachzuholen versucht.
Zumindest kann ich an dieser Stelle keine Qualifizierung von deiner Seite erkennen. Was mir für dich und die Republik ungewohnt erschien, deshalb auch das «merkwürdig». Womit ich keinesfalls sagen wollte, dass du als Journalist unkritisch bist.
Auch sehe ich nicht, wo ich A. Arbeit «diskreditiert» haben sollte, habe ich mich doch hauptsächlich mit Jacobs Moraltheorie kritisch auseinandergesetzt. Dass ein Experte für CSR die CSR fundamental kritisiert («da CSR implizit davon ausgehe, dass es nur eine Moral gebe») und dahingehend wie ein «Trojanisches Pferd» wirkt, ist nicht böse gemeint. In der Philosophie wird ständig Fundamentalkritik betrieben. Dass man dabei auch Gegen-Kritik erhält ist hoffentlich auch in der Sozialwissenschaft kein Grund sich «diskreditiert» zu sehen – im Gegenteil.
Michel Rebosura erkennt richtig, dass Jane Jacobs durchaus keine Vertreterin des Neoliberalismus war, denn sie erkennt die zentrale Funktion des Staates in der Setzung der Rahmenbedingungen, welche sicherstellen sollen, dass die Verfolgung des Eigeninteresses im Markt nicht auf Kosten des öffentlichen Interesses geht. Sie erkennt auch die zentrale Rolle des Staates als Ermöglicher eines inklusiven und nachhaltigen Wandels. Vielleicht ist sie diesbezüglich ein bisschen weniger dirigistisch als Mariana Mazzucato, doch sie erkennt, dass der Staat selbst ein wichtiger Player im Markt ist und somit wirtschaftliche Anreize für Investitionen in Innovationen schafft, die bedeutende positive Externalitäten für Umwelt und Gesellschaft generieren können.
Jacobs war in der Tat keine klassische Sozialwissenschaftlerin. Sie weigerte sich in disziplinären Kategorien zu denken und erkannte die zentrale Bedeutung der Geschichte für das Verständnis moderner Wirtschaftsökosysteme. Als Grassroots-Aktivistin, die sich erfolgreich gegen nicht-partizipative Verfahren in der Stadtplanung gewehrt hat, gilt sie auch als Vorkämpferin für mehr demokratische Rechte der Stadtbevölkerung, die kein Wohneigentum hat und somit weniges politisches Gewicht.
Auch wenn bestimmte CSR Experten ihr Denken nicht einordnen können und monieren, dass sie keinen strikt normativen Ansatz verfolgt, so baut ihre Unterscheidung zwischen Händler- und Wächtermoral sehr wohl auf einem immer wichtiger werdenden philosophischen Ansatz auf, dem der philosophischen Anthropologie. Dieser Ansatz bemüht sich zuerst um ein besseres Verständnis der menschlichen Natur, bevor die 'Soll'-Frage gestellt wird. Es handelt sich dabei um eine entwicklungsorientierte Tugendethik. Sie impliziert, dass die Genese der Moral nur im Umgang mit dem ‘Du’ (den Erfahrungen mit der unmittelbaren Mitwelt) verstanden werden kann. Die Moral entsteht demnach aus der subjektiven Einsicht, dass langfristig nichts im Leben erreicht werden kann, ohne die Mithilfe der Mitmenschen. Darum ‘lohnt’ es sich auch, seine Mitmenschen zu respektieren und sich für die Gemeinschaft einzusetzen (Unternehmermoral im Eigeninteresse).
Moral ist daher immer an ein spezifisches Subjekt mit seiner jeweiligen moralischen Biografie gebunden. In der vom Subjekt unabhängigen Moral, wie sie die spätere klassische Ethik voraussetzt, sehen philosophische Anthropologen eine Fiktion, die nicht wirklich vereinbar ist mit der menschlichen Natur. Die subjektive Moral widerspiegelt stattdessen die Vielfalt der Erfahrungen mit dem ‘Du’ und tritt immer zuerst auf einer emotional-sinnlichen Ebene ins Bewusstsein. Dieses ganzheitliche Ethikverständnis steht im Einklang mit den neueren Einsichten in der Anthropologie, der Moralpsychologie und den Neurowissenschaften, wie wir es auch in unserem Buch 'Moral und Angst' aufzeigen (https://www.vandenhoeck-ruprecht-ve…-und-angst).
Das Problem an der heutigen Diskussion um Wirtschaft und Menschenrechte ist, dass sich niemand die Mühe nimmt die Unternehmermoral zu verstehen. Die primäre Funktion von verantwortungsvollen Unternehmen ist nämlich Veränderung zu schaffen durch Investitionen in die Zukunft. Wenn auch in Unternehmen die Wächtermoral des Staates dominieren würde, führte dies gemäss Jane Jacobs bloss zu einer Scheinmoral in der Wirtschaft. Ausserdem würde der Staat, in seiner Verantwortung Gesetze und Normen effektiv zu implementieren und langfristig für das wirtschaftliche und soziale Wohlergehen seiner Bürger zu sorgen, geschwächt; denn die Wächtermoral wird ja nun an die Wirtschaft delegiert, was häufig dazu führt, dass die Unternehmermoral bei staatlichen Institutionen überhand nimmt, was oft einhergeht mit mehr Korruption. Mit anderen Worten, Wächtermoral sollte nicht dort herrschen, wo eigentlich Unternehmermoral herrschen sollte, und umgekehrt. Auch wenn Wächter- und Unternehmermoral nirgendwo in Reinform existieren mögen, liefert die Unterscheidung dennoch eine gute Basis, um die Ethik in einer komplexen Welt weiter zu denken. Ausserdem glaube ich nicht, dass wir uns wünschen, dass die multinationalen Unternehmen die Rolle des Staates im 21sten Jahrhundert übernehmen sollten.
Schön, beteiligen Sie sich direkt am Dialog, so dass das Hinterfragen zumindest hier stattfinden kann!
Auch wenn Jacobs nicht tout court als Neoliberale oder Libertäre zu bezeichnen ist, so bleibt dennoch die Tatsache bestehen, dass sie in den 90ern für die Privatisierung öffentlich-staatlicher Institutionen war, wie etwa Wasser-, Energie- und Telekomversorgung. Etwas, das oft nicht zum «grössten gesellschaftlichen Nutzen» war.
Doch das systematische Problem von harten Dichotomien, «klaren Trennungen», ist, dass es in der Realität nur Mischformen gibt. So spricht Jacobs später selbst von einer «dritten Kraft» jenseits von Guardian und Commerce.
Doch um konkret zu werden. Worum geht es bei diesen «Syndromen», wie Jacobs sagt?
«Guardian Syndrome» vs. «Commerce Syndrome»:
Den Handel meiden vs. Gewalt meiden
Übe dich in Tüchtigkeit vs. Konkurriere
Sei gehorsam und diszipliniert vs. Effizient sein
sich an die Tradition halten vs. Sei offen für Erfindungsreichtum und Neuartigkeit
Hierarchie respektieren vs. Initiative und Unternehmungsgeist zeigen
Loyal sein vs. Freiwillige Vereinbarungen treffen
Rache üben vs. Verträge einhalten
Täuschung um der Aufgabe willen vs. Abweichung um der Aufgabe willen
Nutze die Freizeit ausgiebig vs. Sei fleißig
protzig sein vs. sparsam sein
Gib grosszügig aus vs. Investiere für produktive Zwecke
Exklusiv sein vs. Arbeite problemlos mit Fremden und Ausländern zusammen
Tapferkeit zeigen vs. Fördern Sie Komfort und Bequemlichkeit
Fatalistisch sein vs. optimistisch sein
Schätze die Ehre vs. Ehrlich sein
Man sieht an diesen Charakterisierungen, dass diese Ideal- und Stereotypisierung sehr tendenziös ist, ja geradezu ans Karikaturenhafte grenzt (und an die Darstellungen der «Dekadenz» des absolutistischen Staates Frankreichs erinnert).
Daher seien die kritischen Punkte hier wiederholt:
Ms. Jacobs argues that there are no more than two moral systems, a point that is either empirically false or true only by definition. (Ethnic solidarity, altruism and paternalism are all premised on something other than trading or guardianship; Ms. Jacobs engages in mind-boggling, and ultimately pointless, thought experiments to bring such anomalies within her dichotomy.)
"Systems of Survival" is also an undemocratic book (despite Ms. Jacobs's defense of the democratization of credit). For what is modern democracy but a system that is rooted in neither trade nor protection? Democracy relies on constitutions, political parties, pluralism, individual rights and community norms. If these are used for purposes of self-interested commerce, they cannot function properly. But if they are used without competition and participation, for purposes of guardianship, they cannot be democratic. What Ms. Jacobs calls "systemic moral corruption" makes it possible for strangers to live together under conditions approximating self-rule.
«Beide Systeme haben den grössten gesellschaftlichen Nutzen zum Ziel.» – Ist das empirisch tatsächlich der Fall? Haben Händle:innen mit Händler:innenmoral tatsächlich «den grössten gesellschaftlichen Nutzen zum Ziel»?
«Die Theorie von Jacobs schliesst allerdings nicht aus, dass es für Unternehmerinnen ein Eigeninteresse gibt, Menschenrechte zu respektieren.» – Soll es tatsächlich darum gehen, ob es bei «Unternehmerinnen ein Eigeninteresse gibt, Menschenrechte zu respektieren» oder darum, dass sie ein Eigeninteresse haben sollen, Menschenrechte zu respektieren? Wer stellt dieses «Sollen» sicher? Die «Eigenverantwortung»?
Das ideal- und stereotypische Denken in Dichotomien verführt auch dazu ein Schwarz-Weiss zu denken, in einem reinen Entweder-Oder, anstatt in einem graduell-grauen Sowohl-als-auch.
Warum wird gleich die Wächtermoral an die Wirtschaft delegiert, nur weil Unternehmen diese mit übernehmen (was anderes ist «Compliance» und CSR?)
Dank dem Neoliberalismus, der auf derselben «klaren Trennung» basiert, haben wir durch die nachgehende «Ökonomisierung der Lebenswelt» und staatlichen Institutionen (PPP, Austeritätspolitik, Credits, …) – das gegenwärtige Problem ist also eher, dass die Händlermoral im Staat überhand nahm. Dennoch würde man weiterhin sagen, dass gewisse ökonomische Prinzipien auch für Letztere gelten sollen.
Ihre Reductio ad absurdum, dass wir ja nicht wollen, die multinationalen Unternehmen würden die Rolle des Staates im 21sten Jahrhundert übernehmen, kann gerade gegen diese «klare Trennung» gewendet werden. Denn der von Staat und Moral weitestgehend «freie, neoliberale und globalisierte Markt» hat genau dazu geführt, dass Multis die Grösse und Macht von quasi-souveränen Staaten erhalten haben.
Dies rückgängig zu machen, wird wohl nicht durch noch weniger Staat und Moral gelingen. Unternehmen sind auch politische und moralische Akteure.
In Christian Neuhäusers Buch «Unternehmen als moralische Akteure» (2011) steht folgendes Zitat:
Ich sehe in der nahen Zukunft eine Krise auf uns zukommen, die mich sehr beunruhigt und dazu bringt, um die Zukunft unseres Landes zu bangen. Unternehmen wurden inthronisiert, eine Ara der Korruption auf höchster Ebene wird folgen, und die Geldmächte des Landes werden danach streben, ihre Herrschaft zu verlängern, indem sie die Vorurteile des Volkes bearbeiten, bis der Reichtum in den Händen einiger weniger angehäuft und die Republik zerstört ist. — Abraham Lincoln
Besser handeln und nichts sagen, ausser «Aufgrund der angespannten Situation …» und keinen Handel betreiben, als nicht handeln und sagen: «Das Wort ‹Krieg› ist nicht zu verwenden.» und weiter Handel betreiben. Denn im Namen des Vaters liegt der Weltuntergang «– wie die Weltrettung auch – nicht in unseren Händen. Er liegt in der Zuständigkeit des Schöpfers» – und somit auch in der «unsichtbaren Hand» des Marktes, die sich in Unschuld gewaschen hat.
Stellen wir uns vor, die Sanktionen und der Wirtschaftsboykott wären bereits gegen Hitler-Deutschland nach der Annektierung der Tschechoslowakei oder spätestens nach dem Überfall in Polen so gross und konsequent gewesen. Auch wenn «Was wäre, wenn's» im Grunde unmöglich sind: So ist die Vermutung, dass der Krieg weniger lange und schlimm geworden wäre, nicht von der Hand zu weisen.
Stellen wir uns vor, die Konzernverantwortungsinitiative wäre angenommen worden (und Vergleichbares weltweit), es gäbe eine Hall of Shame, was CO2-Emissionen und Umweltzerstörung beträfe (s. hier, hier und hier), und alle Unternehmen sähen sich nicht als soziopathische, sondern als «moralische Akteure», die tatsächlich den «grössten gesellschaftlichen Nutzen zum Ziel» hätten – wie viel mehr würde für das Erreichen der Klimaziele passieren?
Aber wir Menschen sind sehr gut im «Kompartmentalisieren». Sinnigerweise nicht nur in der Psyche, sondern auch in der Wirtschaft:
Psychologie: «Compartmentalization is a psychological defense mechanism in which thoughts and feelings that seem to conflict are kept separated or isolated from each other in the mind. […] Its purpose is to avoid cognitive dissonance, or the mental discomfort and anxiety caused by a person having conflicting values, cognitions, emotions, beliefs, etc. within themselves.
Wirtschaftssoziologie: «die strikte Aufteilung der Denk- und Verhaltensweisen eines Individuums in verschiedene, als zusammenhanglos erscheinende Bereiche, wodurch das Individuum Widersprüche in seinem Verhalten und Denken zu neutralisieren oder gar als nicht vorhanden zu betrachten vermag. Ein Beispiel für Kompartmentalisierung ist die Trennung von privatem und beruflichem Verhalten […].»
So können wir auch die Moral in eine «Wächtermoral» und in eine «Händlermoral» kompartmentalisieren.
Das allerschlimmste wäre ja, wenn wir die «Innovation bremsen» oder die neoliberale «Globalisierung» verantwortungsvoller gestalten würden. Wir wissen ja, dass alle Unternehmer:innen in ihrer Händler:innenmoral den «grössten gesellschaftlichen Nutzen zum Ziel» haben («to make the world a bötter place») – und nicht bloss den Profit ihre eigenen Unternehmens. Überlassen wir es also der Willkür und dem Gutdünken der Unternehmer:innen, ob sie ein Eigeninteresse haben, Menschenrechte zu respektieren. Nicht, dass noch die Innovation gebremst werden würde!
Also, lieber nicht handeln und sagen: «Das Wort ‹Krieg› ist nicht zu verwenden.» – und weiter Handel betreiben.
Denn der Rubel muss rollen!
*ironie off*
Weiterführendes:
Christian Neuhäuser: «Unternehmen als moralische Akteure» (2011)
Peter Ulrich: «Integrative Wirtschaftsethik» (2001) (vgl. Wikipedia-Artikel)
Zum verlinkten Vater: Ich wünschte, Politiker:innen (gleich ob Pfarrerskinder oder nicht) würden aufhören mit Gott zu argumentieren.
Edit: Halbsatz und Klammer ergänzt
Oder Menschen, die mit Gott argumentieren (gleich ob Pfarrerskinder oder nicht), würden aufhören, Politiker:innen zu sein.
Der Artikel legt überzeugend dar, dass in einigen Fällen ethische Überzeugungen (bzw. Druck von Aktivist:innen aus ethischen Gründen) ausschlaggebend für einen Rückzug aus Russland sind/waren.
Zwei wichtige Gründe bleiben jedoch ausser Acht - beide hängen eng mit den Sanktionen zusammen und sind mir im Zusammenhang mit Sanktionen gegen Syrien bekannt (die damals ebenfalls als "unprecedented" bezeichnet wurden, von Obama).
Technische Schwierigkeiten beim Finanzverkehr: Die Wirtschaftssanktionen gegen Russland erschweren bzw. verunmöglichen den Zahlungsverkehr massiv. Viele Banken stellen den Zahlungsverkehr mit Russland komplett ein, eine Folge von:
Furcht vor Bussen wegen der Verletzung von Sanktionen. Das US-Justizministerium verhängte wiederholt Millionenbussen gegen Firmen, die Sanktionen gegen Syrien und Iran unterliefen. Vielen Firmen dürfte das Risiko angesichts des doch recht beschränkten Geschäftsvolumens zu hoch sein, zumal das Sanktionenpaket ja nicht fertig geschnürt ist, sondern laufend ergänzt wird. Diese Änderungen laufend zu berücksichtigen, ist ein riesiger administrativer Aufwand.
Was die Kreditkartenfirmen betrifft, ist offensichtlich, dass diese von der US-Regierung bereits bei der Erarbeitung des Sanktionspakets vor Kriegsausbruch einbezogen waren und angewiesen wurden, russische Karten entsprechend zu boykottieren.
Keine Unternehmen wollen die Sanktionen kritisieren, am wenigsten in der aktuellen Situation, in der Sanktionskritik sofort als russlandfreundlich aufgefasst würde.
Danke für Ihren Einwand, Herr Hartmann. Ich habe mir die Frage auch gestellt, welchen Einfluss die US-Regierung auf den Boykott-Entscheid von Visa und Mastercard hatte. Das einzige, was ich dazu gefunden habe, ist ein Statement von Präsident Joe Biden, in welchem er deren Entscheidung begrüsst (https://www.whitehouse.gov/briefing…ukraine-6/). Falls Sie eine Quelle haben, die Ihre These stützt, würde ich mich freuen, wenn Sie sie mit uns teilen. So oder so bleibt aber bei Ihrer These die Frage, warum Visa und Mastercard nicht transparent darüber informierten, dass ihr Boykott mit den Sanktionen in Verbindung steht? Was hätten sie zu verlieren?
Hier einige spannende Infos aus Press Briefings vom Weissen Haus zu den Sanktionen:
Biden vermutete bereits am 19.01.22, dass Putin in die Ukraine einmarschiert. "My guess is he will move in." Er stellt auch klar: "Our allies and partners are ready to impose severe costs and significant harm on Russia and the Russian economy." Das Sanktionspaket war in Abstimmung mit den Verbündeten bereits weitgehend geschnürt. https://www.whitehouse.gov/briefing…ference-6/
Am 11.02.22 betonte Sicherheitsberater Jake Sullivan "that the most important fundamental for anything that unfolds in this crisis, whether through diplomacy or as a result of military action, is that the West be strong, be united, and be determined to operate with common purpose." Von den Sanktionen gegen Russland würden die USA strategisch enorm profitieren: "And he (the President) believes that the sanctions approach he’s taken in lockstep with our European partners, the Canadians, and others puts us in a position for the West to be able to respond to this contingency in the most united and purposeful way possible. That will pay dividends for us in this circumstance, but it will also pay enormous strategic dividends for the United States in the years and decades ahead." https://www.whitehouse.gov/briefing…y-11-2022/
Schliesslich noch zum Ausschluss von russischen Banken aus SWIFT: Dieser war im Januar 2022 bereits im Gespräch, um Russland von einem Angriff abzuhalten, https://edition.cnn.com/2022/01/26/…index.html
Das Zitat des britischen Premierministers Boris Johnson erweckt den Eindruck, als würden die USA einen Ausschluss Russlands aus SWIFT ablehnen. Das war bestimmt nicht der Fall.
Präsident Joe Biden liess am Tag der russischen Invasion, dem 24.02.22, durchblicken, dass die USA diesen Schritt befürworten würden, jedoch nicht "the rest of Europe" (darunter wohl Deutschland).
Q: Mr. President, you didn’t mention SWIFT in your sanctions that you announced. Is there a reason why the U.S. isn’t doing that? Is there disagreement among Allies regarding SWIFT and whether Russia should be allowed to be a part of it?
THE PRESIDENT: The sanctions that we have proposed on all their banks is of equal consequence — maybe more consequence than SWIFT — number one.
Number two, it is always an option. But right now, that’s not the position that the rest of Europe wishes to take.
https://www.whitehouse.gov/briefing…n-ukraine/
Lieber Herr Albrecht, danke für Ihre Antwort. Meine Behauptung betreffend Visa/Mastercard war vermutlich falsch, bitte entschuldigen Sie. Inzwischen würde ich eher davon ausgehen, dass Visa/Mastercard gemäss meinem Punkt 2 handelten: Sie wollen um keinen Preis gegen die Sanktionen verstossen und stellen deshalb gleich jegliche Transaktionen mit Russland ein.
01.03.22: Visa/Mastercard informieren, dass sie sich an die US-Sanktionen halten werden und alle entsprechenden Regulationen einhalten. Das dürfte "business as usual" sein bei Sanktionen, noch ergreifen die Unternehmen nicht Partei. https://www.reuters.com/business/ma…022-03-01/
Darauf steigt der Druck auf sie, ständige Ausweitungen der Sanktionen machen die Kontrolle aufwändiger, gleichzeitig scheint es gut fürs Image, sich klar von Russland zu distanzieren - nun überwiegen die Gründe für einen vollständigen Boykott Russlands, wie er im Artikel vom 06.03., den Sie verlinkt haben, angekündigt ist. https://www.bbc.com/news/business-60637429
Die Frage wäre wirklich von zentraler Bedeutung.
Bisher "weiss" man nur, dass der Boykott "direkt" nach dem Aufruf Selensky's erfolgte.
Die Frage wäre, ob zum damaligen Zeitpunkt dieser Aufruf tatsächlich ausreichend war? Oder ob im Hintergrund nicht noch zusätzlicher massiver Druck auf VISA, Mastercard und AMEX ausgeübt worden ist...
Grundsätzlich seien aber Firmen besser beraten, sich nicht zu sehr von ethischen Vorstellungen der Zivilgesellschaft leiten zu lassen.
Der Bezug A. auf die Arbeit von Jacobs aus den 90er-Jahren in Ehren, aber heute mit der umfassenden Mediatisierung aller Gesellschafts- und Wirtschaftsbereiche ist die Welt eine andere. Fast jede Person besitzt ein Smartphone und weiss genau, wo das # auf der Tastatur zu finden ist...
Die Unterscheidung zwischen Händler- und Wächtermoral macht heute zwar weiterhin Sinn, jedoch dürfte die Wächtermoral heute eine viel wichtigere Rolle spielen als früher. Gerade weil das Unternehmen seine Werte nicht nur nach aussen, sondern vor allem auch nach Innen vertreten muss. Die Zeiten sinnlosen Geldverdienens scheinen bald vorbei zu sein. Angestellte möchten sinnhafte Arbeit stiften und zum Arbeitgeber stehen können. Ist dies nicht der Fall, sinkt die Arbeitsmoral, was für das Unternehmen wiederum schlecht ist. Sich ducken und keine Stellung beziehen ist also keine Option mehr, wie ihm Artikel treffend festgestellt wird.
Dass die Unternehmen mit ihrer Kommunikation noch ringen ist verständlich. Viele betreten Neuland. Durchsetzen wird sich wohl die Strategie, möglichst ethisch zu handeln, ohne dies an die Grosse Glocke zu hängen (Rücksicht auf Händlermoral). Denn während sich ein Unternehmen aus einem Markt zurückzieht, weil es sich dazu gedrängt/verpflichtet fühlt, ist dieser Schritt für jene, die dies gefordert haben oder bald fordern würden, ohnehin ein selbstverständlicher. Mit der offensiven Kommunikation lässt sich bei diesen Stakeholdern also wenig Kredit holen. Auf der anderen Seite der Investoren verliert man aber umso mehr.
Ein sehr guter Artikel, der aber reichlich spät kommt.
Wichtiger wäre er vor 1.5 Monaten gewesen.
Aber da war die Welle der Solidarität noch zu stark, der Durst nach Sanktionen und Aktivismus noch zu gross gewesen.
Dabei ist das, worüber der Artikel schreibt - nämlich, dass Unternehmen willkürlich auf eigene Faust ganze Länder zum Stillstand bringen können (ohne Probleme auch die Schweiz) - ein wirkliches Problem.
Bevor hier wieder 20 Lobeshymnen auftauchen:
Bitte denkt mal konsequent drüber nach, was es real bedeutet. Und was der Schweiz als einem der grössten Drehscheiben für Rohstoffe und Geldwäsche blühen könnte, wenn man nicht nur ein schon immer als Ziel für Frustrationsabbau willkommenes Land wie Russland boykottiert, sondern mal konsequent auch Länder, die deren dreckige Geschäfte und Handlungen erst ermöglichen.
Das der Artikel Menschen wie Zoya mit erwähnt ist grundsätzlich lobenswert. Mich würde jetzt aber interessieren, was denn aus Sicht der Redaktion eine mögliche Lösung wäre. Mit UnionPay - und das ist der Dame nicht bewusst - gibt es das gleiche Problem wie mit VISA und Co. Die russischen Banken sind auch dort vom Rest der Welt abgeschalten. Also bis jetzt keine Alternative.
Was ich nicht ganz verstehe, ist, worauf der Artikel final hinaus will:
sollen Unternehmensboykotte komplett verboten werden?
sollen Unternehmensboykotte noch schärfer werden?
wie will man das Thema regulieren ohne dabei den nächsten Shitstorm zu riskieren?
welche politischen Gruppen sollen Macht ausüben dürfen? Alle? Keine? Je nach politischer Ansicht?
oder bleibt die Erkenntnis zurück, dass wir "dem" komplett ausgeliefert sind?
Danke für Ihren Kommentar und die Fragen. Ich sehe, Sie verlangen nach einer Schwarz-Weiss-Antwort. Die kann ich Ihnen in diesem Fall aber nicht geben. Es geht um unseren Anspruch die Handlungen der Unternehmen zu verstehen. Wir können unsere Fragen nicht immer mit Forderungen nach Regulierung beantworten. Aber wir können versuchen uns in die Lage jener zu versetzen, die Entscheidungen treffen müssen, die tiefgreifende Konsequenzen haben. Ich kann Sie aber insofern beruhigen, als Ihre Befürchtung eines kumulierten Firmenboykotts gegen einen demokratischen Staat wie die Schweiz eher unrealistisch ist. (Und noch zu Ihrem Unionpay-Einwand: Was Sie sagen, stimmt nicht ganz. Erstens sind nicht alle russischen Banken von Swift ausgeschlossen und zweitens könnte die Sache vereinfacht werden, wenn etwa russische Kundinnen, die im Ausland leben, ein Konto bei einer chinesischen Bank eröffnen.)
Ich sprach von UnionPay. Nicht von Swift. Bisher kenne ich nur die Meldung, dass UnionPay sich weigert, als Ersatz für VISA und Mastercard in Russland einzuspringen. (EDIT: So lange sich UnionPay weigert, das Vakuum zu füllen, läuft ihre Aussage im Artikel "Solange Visa und Mastercard russische Karten gesperrt halten und sich die chinesische Konkurrenz von Unionpay noch nicht breitflächig etabliert hat, sitzt sie in Russland fest." ins Leere. Denn selbst wenn UnionPay in Europa besser akzeptiert wäre - an der Situation von Zoya würde sich nichts ändern)
https://www.reuters.com/business/fi…022-04-21/
https://fortune.com/2022/04/22/unio…ns-russia/
Russische Kundinnen, die im Ausland leben, haben in der Regel ein Konto im Ausland. Und damit kein Problem mit den Sanktionen. Probleme haben vor allem Kundinnen, die in Russland bisher gelebt haben, aber auswandern wollen (bzw nur temporär Russland verlassen möchten).
Und da sagen dann sehr viele Banken - ohne permanente Wohnadresse im jeweiligen Land kein Bankkonto. Zumindest für Normalsterbliche. Nur: so einfach kommt man aus Russland nicht mehr raus. Und Mietverträge ohne Geld kann man auch sehr schwer abschliessen. Der klasssische Teufelskreislauf.
Ich verlange keine Schwarz/Weiss-Antwort, sondern wäre glücklich, überhaupt eine Antwort zu bekommen, wohin die Reise hingehen könnte.
Ich sehe das Problem: "zu viel Macht bei Firmen". Wo ist aber ein möglicher Lösungsansatz? Den sehe ich im Artikel nicht. Auch nicht im Graubereich.
Es ist immer leichter ein Problem aufzuzeigen als ein Problem zu lösen. Für diesen speziellen Fall gilt dies umso mehr. Genau genommen scheint es eigentlich unmöglich zu lösen, ohne Firmen an die politische Kandare zu legen. Missbrauchspotential nach oben offen.
Übrigens wäre ich bzgl ihrer Beruhigung nicht so sicher. Die Schweiz hat grosses Glück, dass die Diskussion über nachrichtenlose Vermögen vor 20 Jahren stattfand. Würde sie heute stattfinden - mit der Taktik von damals - wäre der Shitstorm gigantisch gewesen. Was dies für Folgen für den Standort "Schweiz" gehabt hätte... Vollkommen unklar.
https://de.wikipedia.org/wiki/Verfa…zer_Banken
Entscheidend ist m.E. nicht die Frage: "demokratisch oder nicht", sondern wer die strategischen Partner/Gegner sind. Und wie hoch die Kosten eines Boykotts/Nichtboykotts durch die potentiell boykottierenden Firmen wären.
EDIT: Fehlerkorrektur + ein Nachtrag zu 1)
Bitte denkt mal konsequent drüber nach, was es real bedeutet. Und was der Schweiz als einem der grössten Drehscheiben für Rohstoffe und Geldwäsche blühen könnte, wenn man nicht nur ein schon immer als Ziel für Frustrationsabbau willkommenes Land wie Russland boykottiert, sondern mal konsequent auch Länder, die deren dreckige Geschäfte und Handlungen erst ermöglichen.
Eine saubere Schweizer Wirtschaft?? Neee bitte, das wäre doch entgegen aller Händler- und Wächtermoral
Das folgende Zitat beschreibt wohl einen Sachverhalt, dessen Auswirkungen wir in den politischen Alltagsdiskussionen erleben. Es wird von einer Trennung der Sphären "Regierung und Zivilgesellschaft" auf der einen und "Wirtschaft und Wissenschaft" auf der anderen Seite gesprochen. Da ich mir schon nur eine saubere Trennung der beiden Sphären nicht vorstellen kann, da alle Menschen in beiden Sphären leben, die beiden gegensätzlichen Wertesysteme aber unendliches Konfliktpotential beinhalten und wir uns doch aktuell mit friedlichen Lösungen beschäftigen möchten, wäre ich sehr froh,
mehr über diese sich ausschliessenden Wertesysteme und Perspektiven der Konfliktlösung zu erfahren. Stimmt das, wovon A. ausgeht? Gibt es Forschung dazu?
Falls stimmt, was A. sagt, wäre das nicht ein Thema für die Republik, das ausführlicher gewürdigt werden müsste?
Grundsätzlich seien aber Firmen besser beraten, sich nicht zu sehr von ethischen Vorstellungen der Zivilgesellschaft leiten zu lassen.
A. bezieht sich dabei auf die kanadische Stadtaktivistin und Sachbuchautorin Jane Jacobs, die sich auch mit Wirtschaftsethik beschäftigt hat und Anfang der 1990er-Jahre in ihrem Buch «Systems of Survival» eine klare Trennung zweier ethischer Systeme beschrieb.
Auf der einen Seite ist die sogenannte Wächtermoral, die für Regierung und Zivilgesellschaft gilt, und auf der anderen die Händlermoral, die für Wirtschaft und Wissenschaft gilt.
Die Wächtermoral beruht vor allem auf traditionellen Werten und Normen, während die Händlermoral stark auf Zuverlässigkeit, Lernbereitschaft und Fähigkeit zum Perspektivenwechsel setzt. Beide Systeme haben den grössten gesellschaftlichen Nutzen zum Ziel. Nur die Plätze tauschen sollten sie nicht.
Ich vermute, es gibt zahllose Fach-Artikel zum Thema Corporate Social Responsibility sowie Compliance. Doch kann ich hierzu folgende Bücher empfehlen:
Mariana Mazzucato: «Das Kapital des Staates: Eine andere Geschichte von Innovation und Wachstum (The Entrepreneurial State)» kommt (vgl. Binswanger) (2013/14).
Dieselbe: Wie kommt der Wert in die Welt? Von Schöpfern und Abschöpfern. (2018/19)
Christian Neuhäuser: «Unternehmen als moralische Akteure» (2011)
Peter Ulrich: «Integrative Wirtschaftsethik» (2001) (vgl. Wikipedia-Artikel)
Sie formulieren weiter oben ausführlich auf akademisch, was ich in einer Alltagssprache geschrieben habe. Ich brauche nicht Lektüretipps, es hätte mich eher die Stellungnahme eines Friedensforschungsinstitutes interessiert. Da es offenbar (wirtschaftlich) besser ist, die Werte der einen Sphäre der Gesellschaft in der anderen anzuwenden und in beiden Sphären die genau gleichen Menschen agieren, muss es ja zwangsläufig zu Konflikten kommen - und wenn es nur Konflikte in der eigenen Brust sind. Dass der weltumspannende Handel allen zu Wohlergehen und Frieden verhilft, das glauben nur die, die davon profitieren oder nicht mehr genug lang leben, um die Folgen unseres Wachstums- und Markteroberungszwanges zu erfahren. Wo sind die Sanktionsmöglichkeiten nicht nur jetzt Russland gegenüber, sondern allen Mächten, auch den Handelsgesellschaften und Geldvermehrungskonstrukten gegenüber, die dem Wohlergehen kurzfristig von Menschengruppen und Ländern, längerfristig der ganzen Weltgemeinschaft schaden?
Die lange Firmenliste zeigt, es geht auch ohne das Russlandgeschäft. Unsere Wirtschaft kann auf das Russlandgeschäft verzichten, ohne ernsthaften Schaden zu nehmen (ausser vielleicht die Blochers). Also tun wir es. Kaufen weiterhin Öl und Gas aber verkaufen nichts mehr.
Auch sonst "eiserner Vorhang" hoch.
Wir können ohne Russland leben, so wie wir ohne Nordkorea leben können. Nur die Russen selber können etwas in Russland ändern, wir nicht, also lassen wir sie selber entscheiden wie sie leben wollen. Im Moment scheint es ja als ob sie einen Zar wollen, jedenfalls die meisten.
Ausserdem: Jetzt müssen "wir" (USA, EU) per Gesetzt festlegen was die Kriterien für eine Aufhebung der Sanktionen sind (Zustand vor 2014 wiederherstellen und Wiederaufbau finanzieren). Falls "wir" das nicht tun, werden die Putin-Freunde nach Aufhebung der Sanktionen schreien, sobald er das Morden etwas reduziert. Und in ein paar Jahren wird es dann wieder losgehen (Moldau?).
Und jetzt höre ich schon: "Damit treiben wir Russland in die Arme von China". Da kann ich nur sagen: "So what. Viel Spass Wladimir mit Chef Xi."
Mit grossem Vorsicht mache ich einen Hinweis auf zwei Formen von Symmetry im Rahmen des Krieges in Ukraine. Ich betone: Symmetry und nicht Gleichstellung. Was die politische und militärische Führung in Russland macht ist ungeheuerlich.
Erstens, Zivilisten in Ukraine werden unverblümt in den Krieg eingezogen und angegriffen, gegen den Konventionen. Sie leiden zutiefst. Wirtschaftliche Sanktionen und der Abbruch von Geschäft in Russland ziehen Zivilist:innen ins Kriegsgeschehen: sie werden durch Stellenverlust als Arbeitnehmer und Verlust an Lebensstandard als Konsument benachteiligt. Sie müssen nicht leiden, jedoch werden benachteiligt. Und dies als Zivilist:innen, wo nach Südafrika, Iran usw. wissen wir wohl, dass die politische und militärische Führung nicht betroffen wird und kann sogar verstärkt werden.
Zweitens, hat die politische Führung in Ukraine eine "Special Operation" gegen westlichen Unternehmen mit Geschäften in Russland geführt? Keineswegs mit einer Invasion gleichzusetzen, war jedoch eine Kampagne, wenn nicht ein Angriff (die militärischen Metaphern sind hier mehrdeutig).
Zweitens, hat die politische Führung in Ukraine eine "Special Operation" gegen westlichen Unternehmen mit Geschäften in Russland geführt?
Ich nenne dies nicht „Special Operation“ sondern schlicht und einfach Verteidigung!
Nach dem Motto, "Angriff ist die beste Verteidigung" ;-)
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