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Wenn irgend einem romantischen Maler der Titel eines ersten abstrakten Malers gebührt, dann nicht Caspar David Friedrich, sondern dem fast gleichaltrigen Joseph Mallord William Turner: Seine nur ganz knapp noch als naturalistisch zu erkennenden Darstellungen von Licht- und Wetterphänomenen sind bis heute unerreicht geblieben. Und anders als Caspar David Friedrich, der Deutschland, von frühen Lehrjahren in Dänemark abgesehen, offenbar nie verliess, ist der Engländer Turner viel und gern in Europa gereist, hat von seinen Reise zahlreiche und reizvolle Aquarelle zurückgebracht, die er in seinem im Atelier entstandenen, malerischen Werk dann in Öl vergrösserte und transponierte. Was in Antje Stahls Besprechung der Winterthurer Ausstellung von Caspar David Friedrichs Werk vollkommen fehlt, ist das Rückwärtsgewandte, Reaktionäre der Romantik, die wesentlich als Protest gegen das als seelenlos gesehene Vordringen der Moderne gesehen werden muss. Als besonders destruktiv hat sich insbesonders die Amalgamierung der Romantik mit dem aufkommenden Nationalismus erwiesen: Nicht uninteressant in diesem Zusammenhang, dass sich Friedrich schon beinahe als rabiater Nationalist verstand; ein Vorwurf, den man Turner jedenfalls nicht machen kann. (Turner war als Engländer ein Bürger des British Empire auf dem Höhepunkt seiner Macht, während Deutschland noch bis 1871 auf seine Einigung warten musste, und diese dann typischerweise rückwärtsgewandt, als Kaiserreich erlangte: Die Folgen sind bekannt und die Romantik war daran nicht ganz unschuldig). Beide Maler haben jedenfalls Wesentliches zur Entwicklung der Landschaftsmalerei beigetragen, die als eigenständiges Genre zuerst bei den Niederländern im 17. Jahrhundert aufgetreten war. Allerdings waren viele der Landschaftsdarstellungen des 19. Jahrhunderts noch fast mystisch-religiös aufgeladen: Damals wurden die Berge als Darstellungen des "Erhabenen" recht eigentlich "entdeckt", während spleenige Engländer sie als Vorboten des Tourismus, abseits der Bildungsreisen der Eliten, erstmals bestiegen. (So etwas Unsinniges wäre den meisten "Eingeborenen" nicht im Traum in den Sinn gekommen.)
Wirklich in ihrer Gegenwart angekommen sind erst die Impressionisten des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts, die in ihrer plainair-Malerei aber auch wesentlich über die Atelier-Technik des 19. Jahrhunderts hinausgelangt sind. Die haben dann auch Turner, aber käumlichst Caspar David Friedrich, als einen ihren Vorläufer gefeiert, und das ganz zu Recht.
PS. Gerade habe ich auf youtube den wirklich sehenswerten, von Simon Schama inspirierten BBC-Film "The genius of Turner: Recording the Industrial Revolution" gesehen, und möchte ihn allen Kunstinteressierten herzlich empfehlen. Gemäss dieser Darstellung war Turner brennend an wissenschaftlichen Entwicklungen und ihrer Anwendung in Industrie und Maschinerie interessiert. In vielen seiner Bilder kontrastiert er jedenfalls die Gewalt der Natur mit derjenigen der neuen Maschinerie der industriellen Revolution, Dampfbooten und Dampfeisenbahnen. Berühmt sein spätes Werk "Rain, steam and speed", eine archetypische Darstellung der beiden Gewalten, von purer Dynamik in einer Explosion von Farben. Dies stellt jedenfalls den grösstmöglichen Kontrast zu Caspar David Friedrichs religiös aufgeladenen, stillen Landschaften dar, in denen nirgends auch nur die geringste Andeutung des Zeitalters der Dampfmaschine zu sehen ist. Auch dazu gibt es einen BBC-Film, den ich allerdings noch nicht gesehen habe: "Caspar David Friedrich: the master of Romantik Landscape Paintings."
Wenn es einen Maler gibt, der «Unser Caspar!» heissen darf, dann ist das Caspar Wolf aus Muri, Freiamt. Geboren in einfachen Verhältnissen, gefördert durch die Mönche des Klosters, gescheitert in Benelux und Deutschland, hatte er sehr viel mehr Bezug zu den Schweizer Bergen als Caspar David Friederich. Und stilbildend malte er auch.
Schöner Text! Danke
Eine kleine Nebenbemerkung: Heute spricht man nur noch von Autismus oder dem Autismus Spektrum, der Begriff Asperger ist ein historischer und wurde mit dem ICD-11 gänzlich abgeschafft. Unter anderem auch wegen Hans Aspergers Nazivergangenheit.
Liebe Frau K., liebe Frau B., vielen Dank für den Hinweis! Wir haben die Stelle angepasst. Gute Lektüre und herzlich! DM
Danke Antje Stahl für den vergnüglichen, ab und an ironischen Text. Bin keine Kunstkennerin. Habe nun einen Grund wieder einmal nach Winterthur zu reisen. Nach der ganz üblen und schockierenden Neuigkeit aus der Republik Redaktion, ein kleiner Silberstreifen, wenn ich das so salopp schreiben darf.
Einfach als Nachtrag: Bei keiner Aktion wurde ein Bild auch nur im Ansatz beschädigt, oder war es die Absicht, die Bilder zu beschädigen. Solche öffentlich zugängliche Hochkaräter sind selbstverständlich immer von Glasscheiben geschützt. Das wissen die Aktivisti, die Museen und – eigentlich – auch Kunst-Journalistinnen.
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