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Ich kann nicht mehr vergessen, wie vor einigen Jahrzenten in einer politischen Partei mit dem Slogan "die Linken und die Netten ..." freundliche, anständige Menschen verhöhnt wurden und registrierte fassungslos, wie teilweise völlig unpolitische Menschen diese zutiefst asoziale Aussage im Laufe der Zeit flapsig und gedankenlos übernahmen. Freundlichkeit wurde leichtfertig (oder doch eher bösartig?) lächerlich gemacht und immer mehr Leute fanden nichts dabei. Die Wirkmächtigkeit von Sprache!
Da geht es mir genau gleich wie Ihnen. Es ist mir nach wie vor unverständlich, wie das Wort „Gutmensch“ plötzlich als Schimpfwort kreiert und gebraucht werden konnte. Was, wenn nicht „gute Menschen“, sollten wir denn sein?
Ich störe mich an solchen Meinungsstücken. Ich stelle eine These auf und versuche, diese irgendwie zu untermauern. Das hat das Niveau eines Schülervortrages. Nicht wirklich der Republik-Journalismus, den ich lesen will. Ich weiss, das ist nicht nett von mir, zumal sich mir die Nackenhaare sträuben, lese ich das floskelhafte Wörtchen nett. Wer nett ist, so mein semantisches Verständnis, dem verweigere ich die Fähigkeit, liebenswert, zuvorkommend, charmant zu sein.
Sie verwechseln „nett“ mit „oberflächlich“. Nett zu sein ist quasi die Voraussetzung um liebenswert zu sein. Charmantes und zuvorkommendes Verhalten können Sie hingegen auch vorspielen, weshalb diese Verhaltensweisen für mich noch nicht viel über die inneren Werte eines Menschen aussagen. Quasi „tun“ im Gegensatz zum „sein“. Da ist mir jemand der „nett ist“ tausendmal lieber als jemand der „charmant tut“.
Meinungsstück?
Ja, da ist Meinung drin, das gehört zum Plädoyer. Was aber das Plädoyer meiner Kollegin untermauert sind historische Zeugnisse, wissenschaftliche Experimente. Also: Recherche, Analyse, Synthese.
(Schülervortrag? Non. Das ist inhaltlich wie vom Ton her wirklich nicht angebracht.)
Stimmt, da sind mit mir die Pferde durchgegangen. Der Artikel ist gut recherchiert und kommt ohne Zweifel auf den Punkt.
Jedoch: Platz und Ressourcen in der Republik sind beschränkt. Dieses Feuilleton-Thema stiehlt mir den Platz für Geschichten, für die ich die Republik liebe: Aktueller, auf den Punkt recherchierter Journalismus über brisante Themen, die einer grösseren Einordnung bedürfen. Für mich ist die Republik ein wichtiges Puzzleteil meiner Meinungsbildung.
Über die Freundlichkeit des Menschen, das kann ich meinetwegen in einem Sonntags-Magazin nachlesen, wenn es mich denn interessiert.
Das ist jetzt etwas sehr pauschalisierend und schlecht begründet. Was ist genau ihr Problem?
Und dazu, dass sie dem Artikel einfach „ihr Verständnis“ entgegenhalten, gibt es hier einen guten Beitrag von Strassberger:
https://www.republik.ch/2022/11/29/…erschaetzt
Abgesehen davon, dass freundlich sein auf die Umwelt einen positiven Einfluss hat, bin ich auch überzeugt, dass es einem selber sehr gut tut und zufriedener macht. Wer mit einem positiven Mindset durchs Leben geht und dies auch ausstrahlt, ist glücklicher. Mehr glückliche, zufriedene Menschen machen wiederum die Welt zu einem besseren Ort.
Das mag sehr naiv und blauäugig tönen - ich persönlich fahre aber sehr gut damit. Vor kurzem habe ich für ting ("reiche Eltern für alle") einen Beitrag über Suffizienz geschrieben, worin der Nettigkeits-Aspekt auch eine Rolle spielte https://www.ting.community/de/blog/…suffizienz
Liebe N. E., zu Ihrem schönen Kommentar habe ich eine Anektote: die Enkelin einer Freundin wurde mit 10 getauft und wählte als Taufspruch etwas aus dem Epheserbrief, sinngemäss "seid freundlich und gütig miteinander". Auf die Frage, wieso sie ausgerechnet diesen Spruch gewählt habe, antwortete sie: weisst du, Grossmammi, mir geht es einfach besser, wenn ich nett bin.
Und auch wenn manche das naiv oder blauäugig einordnen - Kinder haben ein feines Sensorium für die wirklich wichtigen Dinge im Leben. Und sie können in diesen wesentlichen Dingen sehr ernsthaft sein.
Vielen Dank Ronja Beck für diesen wunderbar geschriebenen und mit guten Quellen ausgestatteten Beitrag! Ich will mehr davon. Nicht nur zu Weihnachten. Medien spielen ja leider eine unrühmliche Rolle in dieser Erzählung des Hobbeschen Menschenbildes, wie die Beispiele von Rebecca Solnit zeigen. Darum bin ich sehr froh das die Republik hier schon öfter eine differenziertere Position eingenommen hat und das auch hoffentlich zukünftig weiter macht.
Das ist wahrlich ein Artikel zu Weihnachten! Vielen Dank dafür! Dazu zu empfehlen: Im Grunde Gut" von Rutger Bregman
Genau, gute Lektüre, um wieder Glauben an das Gute in uns zu finden. Es ist da und kostet nichts. Aber es kann viel bewegen, wenn man über das Portemonnaie hinaus achtsam ist.
Hinweis für alle, die das Buch nicht kennen oder nicht gleich zur Hand haben: Im Frühjahr 2020 hat Daniel Graf mit Rutger Bregman über sein Buch gesprochen.
Das Buch "Im Grunde gut" von Rutger Bregman kann ich mit Begeisterung empfehlen. Die Menschheitsgeschichte neu geschrieben, sozusagen.
Das Buch stärkt das Vertrauen in die freundliche Haltung der Menschen. Auch weil es mit immer wieder kolportierten Vorstellungen eines im Grunde schlechten/bösen Menschen aufräumt, wie es Solnit auch tut. Ein Beispiel dazu ist 9/11: in den brennenden Twin Towers liessen sich Menschen auf der Treppe Richtung Ausgang gegenseitig den Vortritt: bitte, Sie zuerst. Man stelle sich das vor! Lebensgefahr, Todesgefahr und die Menschen brechen nicht in Panik aus, sondern bleiben höflich und hilfsbereit. Ist übrigens durch Überlebende und Feuerwehrleute belegt.
Danke für den Beitrag, das hat mich sehr zum Nachdenken angeregt. Sozialwissenschaften, Pädagogik oder Philosophie sind zwar nicht so meine Fachgebiete, aber es hilft oft, um das eigene Handeln zu hinterfragen.
Was die Forscher im Laufe der Spielpartien beobachteten, war erstaunlich. Die reichen Spielerinnen veränderten sich beim Spiel. Sie wurden lauter, dominanter, hämischer. Sie knallten die Spielfiguren über das Brett, machten sich lustig über das Pech der ärmeren Mitspieler und griffen häufiger in die Schüssel mit Brezeln, die auf dem Tisch stand.
Ich denke dass wir ähnliche Verhaltensweisen immer wieder beobachten können. Es scheint, dass der Mensch bei einem Überlegenheitsgefühl irgendwie das Bedürfnis hat, dem vermeintlich Schwächeren die eigene Überlegenheit zu demonstrieren. Man orientiert sich da dann oft daran, was zum jeweiligen Zeitgeist oder in der Gesellschaft als Erfolg gilt.
Dazu gibt es ein interessantes Zitat von Muhammet Ali:
Jemand der nett zu mir ist, aber unhöflich zum Kellner, dem traue ich nicht. Weil sie mich auf die gleiche Weise behandeln würden, wenn ich in der Position des Kellners wäre.
Bisher habe ich das auch so gehandhabt und ich denke das hilft, um mein Vertrauen für Leute zu „intensivisieren“, die es eher verdient haben. Das schliesst aber nicht aus, dass die eigene Freundlichkeit möglichst bedingungslos sein sollte. Manche Menschen machen es einem einfacher und andere wiederrum schwieriger.
Der wahrscheinlich spannendste Moment in der Geschichte der Freundlichkeit war, als man sie auf eine spezifische Gruppe begrenzte. Nach dem Wechsel zum 19. Jahrhundert, im Schatten der industriellen Revolution, verlor die Freundlichkeit zunehmend an Wert – weil Dichter und Denker sie bei den Frauen parkierten.
Dazu möchte ich gern mehr wissen. Es ist ja nicht nur die Freundlichkeit, die bei den Frauen geparkt wurde. So bald Berufe weiblich werden, verlieren sie öffentliche Achtung und werden schlechter bezahlt.
Interessant für mich ist auch, dass ein Dialogteilnehmer Ihren Artikel Frau Beck als absolut nichtssagend beurteilt. Für mich war aber der Hinweis auf die Forschung von Rebecca Solnit und ihre Erkenntnis über die Folgen von Katrina in New Orleans sehr wichtig: die Erkenntnis nämlich, dass die überlebenden Bewohner sehr wohl solidarisch waren, und dass die Geschichten von Gewalt und Plünderungen sehr rasch die Wahrnehmung in der Oeffentlichkeit bestimmten.
Was läuft da ab?
Niklas Luhmann hat dieses Phänomen mit der Unterscheidung von Sozialstruktur und Semantik beschrieben: Der Begriff der Sozialstruktur beschreibt das, was wirklich geschieht und entsprechend auch empirisch erfassbar ist. Semantiken sind Narrative der Selbstbeschreibung, die in der Gesellschaft (Ländern, Kulturen, Organisationen etc.) kursieren. Diese beiden Ebenen können sich unterscheiden und sich aber auch über die Zeit hinweg wechselseitig beeinflussen.
Beispiele gibt es zuhauf: So beschreiben sich die westlichen Staaten gerne den Menschenrechten verpflichtet, verfolgen jedoch eine Flüchtlingspolitik, die den Menschenrechten spottet. Ein anderes Narrativ ist die Semantik der Meritokratie; dass jede und jeder es zu sozialem und insbesondere wirtschaftlichem Erfolg bringen kann, wenn sie/er sich nur genug Mühe gibt. Dem steht die empirische Erkenntnis gegenüber, dass solcher Erfolg nach wie vor massgeblich vom sozioökonomischen Status der Eltern abhängt. - Solnits Beobachtungen in New Orleans nach Katrina lassen sich ebenfalls mit dieser Unterscheidung beobachten: der gelebten Hilfsbereitschaft (Sozialstruktur) steht eine Semantik von marodierenden Bürgern und Bürgerinnen gegenüber, die die Ausnahmesituation zu ihrem Vorteil ausnützen.
Im Grunde gut: Eine neue Geschichte der Menschen von R. Bregman bestärkte mich dieses Jahr, weiterhin ein positives Menschenbild aufzubauen. Ein wirklich gutes Buch.
Freundlichkeit ist so wichtig in unserer coolen, zynischen Zeit. Das TagiMagi von letzter Woche widmete der Freundlichkeit auch ein ganzes Heft inkl. spannendem Interview mit einem Anthropologen.
Ja genau! Folgender Gedanke im Magazin hat mich sehr angesprochen: «Menschen, die viele positive Erfahrungen gemacht haben, neigen dazu, die Absichten anderer Menschen optimistisch einzuschätzen.» Und vermutlich auch umgekehrt! Das bringt es m. M. n. auf den Punkt. Geht man freundlich durchs Leben, so verstärkt sich diese Erkenntnis. Vorerst habe ich es komisch gefunden, dass die Republik eine Woche später dasselbe Thema aufgreift. Aber die Recherchen sind unterschiedlich und es ist ja im Grunde gut, gerade in diesen Zeiten. LG und frohe Weihnachten.
Danke für den interessanten Beitrag. Freundlichkeit ist sowohl eine Entscheidung, als auch Haltung und Übung. Eine der am reichsten belohnten, in meiner Erfahrung. In diesem Sinne: freundliche Tage allen, herzlich, AB
Edit: Ergänzung.
Danke Frau B. für diesen Satz : "Freundlichkeit ist sowohl eine Entscheidung, als auch Haltung und Übung". In diesem Sinne habe ich auch Herr M. verstanden. Herzlich, JW
Vielen Dank Frau Beck für ihr Plädoyer zu mehr Freundlichkeit. Bevor wir aber alle auf die Strasse gehen und "Free Hugs" verteilen, ein Hinweis auf die negative Seite des Positiven, die hier nur angeschnitten wurde (Frauen und Dienstleistungsgesellschaft haben freundlich zu sein): Barbara Ehrenreich, Eva Illouz, Arlie Russell Hochschild und Sara Ahmed machen auf die Kommerzialisierung der Gefühle im Kapitalismus, insbesondere in Form der emotional labour vor allem von Frauen aufmerksam.
Das Glücksversprechen ist vielmehr Glücksimperativ, dem eine Glücksindustrie entspricht. Genährt von Positiver Psychologie, Therapieangeboten, Coachings, Magazinartikel usw.
"Hässigi" oder melancholische Menschen gelten gegenüber diesem social engineering durch den Terror des Positiven und dem daraus resultierenden Konformismus der Netten und Korrekten als killjoys, SpielverderberInnen.
Literatur
Barbara Ehrenreich: Smile Or Die: How Positive Thinking Fooled America and the World
Eva Illouz und Edgar Cabanas: Das Glücksdiktat: Und wie es unser Leben beherrscht
Arlie Russell Hochschild: Das gekaufte Herz: Die Kommerzialisierung der Gefühle
Sara Ahmed: Das Glücksversprechen: Eine feministische Kulturkritik
Vielen Dank für Ihre Ausführungen, Anonym 2. Ich bin da komplett Ihrer Meinung. Deshalb auch die kurzen Erwähnungen am Schluss des Textes. Die Freundlichkeit verstanden als sozialer Kleber und nicht entlang ihrer heute so oft verzerrten und sexistischen Bewertung gibt uns keineswegs eine Legitimation dafür, bei Ungleichheiten untätig zu bleiben, im Gegenteil. Der Text soll keineswegs aussagen, dass wir immer gegenüber allen bedingungslos solidarisch sein sollen. Das wäre dann wohl tatsächlich unser Untergang.
Schönes Wochenende!
Ich selbst bin im Grunde optimistisch veranlagt, und gebe daher allen einen Vertrauensvorschuss, bin aber realistisch genug, um pessimistischere Gemüter anzuerkennen und die Gegenwart weniger freundlich Gesinnter als nicht wegzumachende Tatsache zu akzeptieren. Deshalb bedarf es des Taktes, wie Luhmann sagen würde, oder eines "gesunden Abstandes", wie Schopenhauer auf vollendete Weise in seiner Parabel der Stachelschweine aufzeigt:
"Eine Gesellschaft Stachelschweine drängte sich an einem kalten Wintertage recht nah zusammen, um sich durch die gegenseitige Wärme vor dem Erfrieren zu schützen. Jedoch bald empfanden sie die gegenseitigen Stacheln, welches sie dann wieder von einander entfernte. Wann nun das Bedürfnis der Erwärmung sie wieder näher zusammenbrachte, wiederholte sich jenes zweite Übel, so daß sie zwischen beiden Leiden hin und her geworfen wurden, bis sie eine mäßige Entfernung voneinander herausgefunden hatten, in der sie es am besten aushalten konnten.
So treibt das Bedürfnis der Gesellschaft, aus der Leere und Monotonie des eigenen Innern entsprungen, die Menschen zueinander; aber ihre vielen widerwärtigen Eigenschaften und unerträglichen Fehler stoßen sie wieder voneinander ab. Die mittlere Entfernung, die sie endlich herausfinden, und bei welcher ein Beisammensein bestehen kann, ist die Höflichkeit und feine Sitte. Dem, der sich nicht in dieser Entfernung hält, ruft man in England zu: keep your distance! - Vermöge derselben wird zwar das Bedürfnis gegenseitiger Erwärmung nur unvollkommen befriedigt, dafür aber der Stich der Stacheln nicht empfunden.
Wer jedoch viel eigene, innere Wärme hat, bleibt lieber aus der Gesellschaft weg, um keine Beschwerde zu geben, noch zu empfangen."
Grüezi! Was wollen Sie mit diesem Beitrag sagen?
Ich frage mich, ob hier die deutsche Sprache der Sache nicht ganz gerecht wird. Deckt sich ‚Freundlichkeit‘ mit ‚kindness‘? Denn ein Rösti mag freundlich sein, ‚kind‘ scheint er mir kaum.
Irgendwann stellte sich heraus, dass sich um all jene nun gesünderen Tiere eine besonders fürsorgliche Postdoktorandin gekümmert hatte. Harding schreibt: «Wenn sie die Kaninchen fütterte, sprach sie zu ihnen, sie schmuste mit ihnen und streichelte sie. Sie gab ihnen nicht einfach nur Kaninchenfutter – sie gab ihnen Liebe.»
Auch dieser Postdoktorandin geht es besser, denn "Geben ist noch schöner als Nehmen"
Frei nach Rutger Bregman: "Im Grunde gut." Ein Beitrag, der viel mächtiger ist, als er im ersten Moment wirken kann. Hinter dem Weltbild des freundlichen Sapiens verbirgt sich eine Gesellschaft(sordnung), die sich viele von uns gar nicht vorstellen können! Gerne mehr davon liebe Republik. Auch, um Hobbes entgültig in eine vergangene Ära zu verweisen.
Danke für diesen schönen Weihnachtstext. Möglicherweise ist es etwas so Banales und Grundsätzliches wie Freundlichkeit und Zuwendung, was uns aus den gegenwärtigen Krisen führen wird. Dazu gibt es ja auch eine Fülle von Geschichten, die den Kindern erzählt und von Hollywood verfilmt werden.
Mir scheint Freiheit bzw. Freiwilligkeit ein wichtiger Faktor, der Freundlichkeit begünstigen könnte. Gestresste und straff geführte Menschen können nur mit gewaltigem Kraftaufwand freundlich sein. Ebenso Menschen, denen das Gefühl vermittelt wird, sie müssten jetzt freundlich sein.
Erstaunlich, wie viele menschliche Säuger davon auszugehen scheinen, andere, nicht-menschliche Säuger würden nicht auf Liebkosung reagieren. Die Religionen aber auch Philosophen des Schlages Descartes haben ganze Arbeit geleistet.
Vielen Dank, M. D., das freut mich sehr.
Danke für den Beitrag. Und den mitschwingenden Optimismus, der mich an Steven Pinker erinnert (the better angels of our nature). Der reziproke Altruismus liegt in unserer Natur und war zweifellos entscheidend für den Erfolg unserer Spezies. Das muss meiner Meinung nach aber im Kontext der damaligen Umwelt betrachtet werden, wo Menschen in Gruppen von vielleicht 100 Individuen in sharing communities lebten (Bruno Manser). Die disruptive Zäsur brachte die Sesshaftigkeit/Agrikultur/Besitztum. Und damit auch die massive Vergrösserung der Population und vielleicht dadurch der Entfremdung. Nach innen (kleine Gemeinschaft) leben wir Pinkers bessere Engel, nach Aussen sind wir dazu imstande, Auschwitz zu errichten.
Die Freundlichkeit gibt's, solange die Geschäfte florieren. Wird der profitable Handel schwieriger, dampft die Konkurrenz aus menschlichen Nähten und der Ton wird rauer. Auch Ökonomische Bedingungen prägen den Ton in der Zwischenmenschlichkeit. Das zeigt sich in der Angst vor dem sozialen Abstieg und dem Schlechtreden der Büronachbarin oder auch, wenn nur ein paar Äste mit im Herbst fallenden Blättern in Nachbars Grundstück ragen.
Hoffentlich haben Sie trotz dieser Sichtweise auf die Welt auch andere Erfahrungen gemacht. LG!
Danke für dieses Plädoyer für die Freundlichkeit :-)
Noch weiter vertiefen könnte man die Bedeutung des Übens von Selbstmitgefühl, wie es zB im Vipassana Metta seit altersher gelehrt wird oder von Chris Germer & Co mit dem «Mindful Self Compassion» in eine moderne, alltagstaugliche Form gebracht worden ist.
Was mich v.a. interessiert, ist von woher dieses scheinbar plötzlich aufblühende Interesse an Freundlichkeit/Nett-sein herrührt? (Siehe auch Tagi-Magi). ....mich beschleicht jeweils das Gefühl, dass wir auf kuriose Art und Weise den buddhistischen Traditionen hinterherhinken (oder diese teils auch unbeholfen kopieren). Allerdings erst nachdem wir in bester, westlicher Manier jedes spirituelle/traditionelle Gepäck über Bord geworfen haben und alles mit wissenschaftlichen Studien belegt worden ist (z.B. wer nett ist lebt im Durchschnitt x,y Jahre länger). Dann kommen wir mit so herrlich freischwebenden Begriffserläuterungen daher ohne allzu sehr auf die östlichen Wurzeln verweisen zu müssen. Was meiner Meinung nach dabei vor allem verloren geht, ist dass es sich um eine Praxis handelt, etwas dass man lernen und üben muss, dass einen gewissen Aufwand erfordert. Sprich, ich kann nicht diesen Artikel und Bergmanns Buch lesen und dann einfach automatisch nett sein. Aber wie man vielen der Kommentar entnehmen kann, machen einige Leute daraus lieber eine intellektuelle Übung oder mockieren sich über die Begrifflichkeiten tout court.... so und jetzt lese ich dann auch noch den Artikel!! ;)
Ihr Kommentar und Sicht auf den Buddhismus in allen Ehren, aber mit dem Inhalt dieses Artikels hat es äusserst wenig zu tun. Auch hier gilt, lieber zuerst lesen als sich vorab eine Meinung über den Inhalt eines Artikels zu machen und diesen dann auch gleich noch zu kommentieren. So reflektiert Ihr Kommentar eigentlich nur Ihren eigenen inneren Dialog zum Thema und nicht die im Artikel aufgeworfenen Fragen. Dies ist schade, da der persönliche Gewinn aus einem Artikel viel grösser ist, wenn man diesen unvoreingenommen liest und nicht in Erwartung des "hab ichs doch gesagt, voll Klischee, was die hier schreiben"-Moments.
Ok, gelesen. Toll geschrieben. Den Moment gab's nicht. Im Westen etc. Schätze es kommt auf eigenes Leseverhalten und -präferenzen an, nicht schlimm. Muss ja auch nicht sein, manchmal reicht ein gut geschriebenes, informatives Stück, es gibt ja immer x Themen zu denen man schlicht noch nix weiss. cheers, t
Herr M., ich habe den Beitrag von Ronja Beck nun gelesen und danke dafür. Freundlichkeit ist ein wichtiges Thema!
Im Buddhismus heisst es : Loving Kindness und selbstverständlich wird dies nebst Compassion und Anderes längst als Übungsweg verstanden und praktiziert. Hoffentlich wachst bei uns im Westen nun ebenfalls das Interesse am Üben von Tugenden, sodass Erkenntnisse aus dem Praktizieren gewonnen werden können und nicht im Intellektuellem stecken bleiben.
Lieber Herr M., ich habe den Beitrag auch nicht gelesen, nur Ihren Kommentar, der mir ausnehmend gut gefallen hat.
Heute dachte ich noch, wie gerade spirituell orientierte Menschen eher Misstrauen begegnen. Und die buddhistischen Traditionen sind zwar zum Teil in Trend, ABER ein Trend ist noch lange kein Übungsweg. Unser ganzes Leben müsste Üben sein. Es gab da mal dieses wunderbare Buch " Vom Geist des Übens " von Otto Friedrich Bollnow. Auch mir hat also ein Buch inspiriert. Wenn das der Anfang bedeutet des Weges, ist das wunderbar.
Ein wertvoller Beitrag, der zu jedem Zeitpunkt und gerade jetzt wichtig und wohltuend ist. Erinnert mich auch an das Zitat von Max Frisch: „Zu jeder Kommunikation gehört das Wohlwollen des anderen“.
Vielen Dank für diesen schönen Beitrag. Ich erinnere mich dabei an das Wort "Gutmensch", das fast ausschliesslich höhnisch, herablassend gebraucht wurde. Sie zeigen aber sehr schön auf, wie wichtig und notwendig Gutmenschen sind. Das sind nämlich Menschen, die mindestens versuchen, das Gute zu verfolgen.
Etwas anderes, was mir bei solchen Artikeln immer wieder auffällt, wenn die historischen Wurzeln eines Themas untersucht werden: man konzentriert sich ausschliesslich auf die Antike, die europäische Welt. Warum gehen dabei immer grosse andere Kulturen vergessen?
Freundlichkeit im ganz gewöhnlichen Umgang miteinander habe ich vor allem in den Kulturen erfahren, denen man ganz allgemein mehr Lebensfreude und Gastfreundschaft zuordnet. Das spiegelt sich u.a. auch im alltäglichn Sprachgebrauch wieder. Wenn ich nur schon an all die Koseworte, die im Spanischen ganz selbstverständlich auch unter Fremden verwendet werden, denke: "mi amor, mi cielo, mi vida" etc., oder wie oft im arabischen das Wort «habibi» gebraucht wird. Sogar im englischen fügt man noch eher das Wort «Dear» hinzu. Natürlich sind das am Ende auch oberflächliche Umgangsformen und kann Freundlichkeit sich auch noch in anderem als nur Worten ausdrücken, dennoch ist ihr Einfluss auf die Kommunikation -und ich würde sogar sagen, das Befinden - unübersehbar. Da frage ich manchmal schon, weshalb solche Worte in der deutschen Sprache so peinlich, ja undenkbar geworden sind.
Danke für diesen Artikel. Während eines längeren Englandaufenthaltes fand dort der "day of random kindness" statt, Tag der zufälligen, absichtslosen Freundlichkeit. ( Ev eine US Erfindung, dort findet dieser immer am 17. Februar statt.) Eine inspirierende Idee, mit diesem Potential durch den Tag zu gehen, in dem sich ein grosses Feld von Möglichkeiten von random kindness auftat. Freunde in New York berichteten, wie sich ihre Stadt nach 9/11 kurz wie ein Dorf anfühlte, in dem man einander aushalf, für einander da war. P.S. Über die Idee des Gentleman und fairplays würde ich auch gerne mehr erfahren gerade im Bezug zum im Artikel erwähnten Delegieren der Freundlichkeit an die Frauen.
Krass, zuerst das Interview mit Brian Keller zu lesen, und anschliessend diesen ausgezeichneten Beitrag. Gleichzeitig macht es mich wütend und traurig einmal mehr zu hören, dass eine Eigenschaft oder eine Tätigkeit, sobald sie den Frauen zugeordnet wird, sogleich eine Abwertung erleidet.
P.S. Möge Brian Keller endlich Freiheit und Gerechtigkeit erfahren!
Hippie-Härz/Seventies
Mir fehlt in diesem herzerwärmenden Artikel die Hippie-Bewegung. Eine ganze Generation, die sich der Freundlichkeit, Öffnung zur Liebe und der Musik widmete. Und doch schliesslich von einem Leben nah der Natur getrennt wurde von einen grausam entfremdenden Kommerz.
Im Roman „Hippie-Härz“ ist diese Suche nach Menschlichkeit beschrieben.
Und dass die Natur uns Vorbild sein könnte: den Bäumen im Wald geht es besser, wenn sie nett zueinander und zu Pilz und Tieren sind. Sie stehen zusammen. Die Urvölker und alle Kinder wissen von der Beseeltheit, der Freundlichkeit der Welt. Dazu braucht man nichts als auf sein Herz zu hören…
All you need is Love - oder i Mundart: es sy alli so nätt…
Eine ganze Generation, die sich der Freundlichkeit, Öffnung zur Liebe und der Musik widmete. Und doch schliesslich von einem Leben nah der Natur getrennt wurde von einen grausam entfremdenden Kommerz.
Das scheint mir nun doch grad eine sehr idealisierte Sichtweise zu sein. Nicht alles war so rosig damals. Ich habe es zwar nicht selber erlebt, aber die „freie Liebe“ führte soweit ich informiert bin sehr wohl auch zu Missbrauch und ungesunden Machtverhältnissen/Abhängigkeiten.
Zudem ist der „grausam entfremdende Kommerz“ keine selbständig handelnde Instanz, welche willenlose Hippies verführt. Da spricht meines Erachtens aus Ihnen mehr eine nostalgische Sehnsucht als eine realistische, historische Perspektive…
Natürlich führt jeder Exzess in die Irre. So wie Drogenkonsum nicht freier macht, ebensowenig wie „freie“ Liebe. Ich sprach von einem Modell der Freundlichkeit und Nächstenliebe wie es auch das Frühchristentum lebte. Unglaublich aber wahr: es gibt auch Nichtraucher-Hippies -:). Das ist im erwähnten Roman nuanciert umschrieben auf 200 Seiten.
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